SilberneDelfine
Mitglied
Ende 1997
„Sag mir, dass das nicht wahr ist." Annabells Stimme klang gleichzeitig fassungslos und anteilnehmend durch den Telefonhörer.
„Leider doch", antwortete Lydia resigniert. „Ich habe zweimal einen Test gemacht. Zweimal positiv."
„Wie weit bist du?"
„Sechste oder siebte Woche, glaube ich."
„Das ist ja noch sehr früh. Wenigstens etwas." Sie schwieg kurz und fügte dann hinzu: „Ich habe dir gesagt, dass der Typ ein Idiot ist. Ach, was sag ich da - jeder, der ihn kennt, hat dir das gesagt, da möchte ich drauf wetten."
Lydia sagte nichts. Sie hatte Adrian kurz nach ihrer Scheidung kennengelernt und sich rettungslos ihn in verliebt. Aber Annabell hatte Recht, beliebt war Adrian in dem Dorf, in dem sie wohnte, nicht. Er war vor einem Jahr zugezogen und verbrachte seine Freizeit hauptsächlich in der Kneipe. Selbst diejenigen, die dort regelmäßig mit ihm tranken, hielten nichts von ihm. Zumindest sagten sie das, wenn er nicht dabei war.
„Sind deine Kinder schon im Bett?", holte Annabells Stimme sie aus ihren Gedanken.
„Ja. Sonst hätte ich nicht jetzt angerufen. Sie brauchen erstmal nichts davon zu wissen."
„Was heißt ‚erstmal'?"
Als Lydia nicht antwortete, hakte Annabell nach. „Wieso erstmal? Du solltest ihnen gar nichts davon erzählen. Und von diesem Typen solltest du dich trennen."
„Hätte ich längst gemacht, wenn ... das jetzt nicht passiert wäre."
„Hör mal", sagte Annabell. „Du willst das Kind doch nicht etwa bekommen?"
Lydia schwieg. Warum war sie so dämlich gewesen? Nach den ersten Wochen hatte sie doch gewusst, wie Adrian tickte. Sie hatte ihm gesagt, dass Sex zu einem gewissen Zeitpunkt nicht ging, weil sie keine Pille nehmen konnte und man deswegen ab und zu aufpassen müsse. Das hatte ihn nicht interessiert. Und dass sie schwanger war, hatte er kommentarlos zur Kenntnis genommen, als ginge ihn das überhaupt nichts an. Vor kurzem hatte er ihr erzählt, dass er ein Kind hatte. Er sah es nie, zahlte auch keinen Unterhalt und fand das völlig in Ordnung. Sie machte sich nichts vor: Ihr würde es mit ihrem gemeinsamen Kind ebenso ergehen.
„Ein drittes Kind ist für dich nicht tragbar", fuhr Annabell fort. „Als Alleinerziehende mit drei Kindern, wie willst du das denn machen ... Der lässt dich doch im Stich, das weißt du. Oder willst du vielleicht mit deiner Mutter sprechen, meinst du, sie könnte helfen?"
„Bist du verrückt?" Allein bei dem Gedanken bekam Lydia Panik. Ausgerechnet ihre Mutter, die sie allein verantwortlich für ihre gescheiterte Ehe machte. „Hättest du dich deinem Mann gegenüber mal besser benommen", hatte sie vorwurfsvoll nach der Trennung gesagt. „Dein Mann hat mir alles erzählt." Sie hatte ihm geglaubt und Lydia gar nicht gefragt, was vorgefallen war. Mit ihrer Mutter konnte sie nicht reden, die würde ihr kein bisschen helfen, es wäre nur eine zusätzliche Belastung.
„Siehste?", sagte Annabell. „Geht doch nicht. Und arbeiten gehen kannst du dann auch nicht mehr, auch nicht morgens, wenn die anderen beiden in der Schule sind, wie jetzt."
„Nein ..." Resigniert starrte Lydia die Wand hinter dem Telefontisch an. Keine Arbeit, kein Geld, Adrian würde sie hundertprozentig sitzen lassen, und dazu kämen noch die hämischen Kommentare von anderen, zuallererst von ihrer Mutter, auch wenn das nicht ausschlaggebend war. Lydia dachte an ihre ersten beiden Schwangerschaften. Wie hatte sie sich damals gefreut! Das war in einem anderen Leben gewesen, in einer damals noch funktionierenden Ehe ohne Sorgen.
„Ich war früher immer bei Frau Dr. Forster, als ich noch bei dir in der Gegend wohnte", hörte sie Annabells Stimme. „Die hat mir auch geholfen. Ist nur 5 km von dir entfernt. Und da stehst du morgen früh auf der Matte. Verstanden?"
„Ja ... danke." Kurz darauf legten sie auf.
Am nächsten Morgen saß Lydia bei Frau Dr. Forster im Sprechzimmer. Die Arzthelferin an der Rezeption hatte sie etwas verwundert angeschaut, da Lydia in der Praxis nicht bekannt war, aber Lydia hatte darauf bestanden, einen Termin in der Sprechstunde zu bekommen, da es „sehr wichtig" war, und musste nicht lange warten.
Ein Schwangerschaftstest war durchgeführt worden, und Frau Dr. Forster hatte sie untersucht. Nun hatte sie ihr gegenüber Platz genommen.
„Ihre Vermutung war richtig", sagte sie freundlich. „Sie sind schwanger".
Lydia nickte. Und brach unvermittelt in Tränen aus. In kurzen Sätzen schilderte sie ihre Situation. „Es ist nicht so, als ob mein Freund mich heiraten würde", schloss sie. „Ich habe schon zwei Kinder, ich bin geschieden, alleinerziehend, wir kommen gerade so über die Runden. Und arbeiten gehen könnte ich mit einem Baby auch nicht mehr. Es ... es geht einfach nicht."
Sie war darauf gefasst, Vorwürfe zu hören. Statt dessen sagte Frau Dr. Forster sehr freundlich: „Also das ist so: Sie müssen es nicht mehr bekommen. Das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch wurde vor zwei Jahren geändert. Innerhalb der ersten 12 Wochen kann die Schwangerschaft abgebrochen werden. Das ist jetzt straffrei. Und wir liegen gut in der Zeit, Sie sind erst in der 6. Woche."
Lydia nickte. Sagen konnte sie zunächst nichts.
„Machen Sie das?", fragte sie dann zaghaft.
Frau Dr. Forster schüttelte den Kopf. „Ich selbst mache es nicht. Das macht ein Kollege hier im Ort, Herr Dr. Berger."
Frau Dr. Forster schrieb etwas auf einen Zettel und schob ihn ihr hin. „Das ist die Adresse von Pro Familia. Da müssen Sie sich vor dem Eingriff beraten lassen. Das ist auch gesetzlich geregelt. Den Beratungsschein müssen Sie dann zum Eingriff mitbringen. Und zu Herrn Dr. Berger müssen Sie vor dem Eingriff natürlich auch."
Lydia griff nach dem Zettel.
„Danke", sagte sie. Aus vollem Herzen. „Danke". Und sie meinte nicht nur Frau Dr. Forster damit. Sondern alle Menschen, die für die neue Regelung dieses Gesetzes gekämpft hatten.
„Sag mir, dass das nicht wahr ist." Annabells Stimme klang gleichzeitig fassungslos und anteilnehmend durch den Telefonhörer.
„Leider doch", antwortete Lydia resigniert. „Ich habe zweimal einen Test gemacht. Zweimal positiv."
„Wie weit bist du?"
„Sechste oder siebte Woche, glaube ich."
„Das ist ja noch sehr früh. Wenigstens etwas." Sie schwieg kurz und fügte dann hinzu: „Ich habe dir gesagt, dass der Typ ein Idiot ist. Ach, was sag ich da - jeder, der ihn kennt, hat dir das gesagt, da möchte ich drauf wetten."
Lydia sagte nichts. Sie hatte Adrian kurz nach ihrer Scheidung kennengelernt und sich rettungslos ihn in verliebt. Aber Annabell hatte Recht, beliebt war Adrian in dem Dorf, in dem sie wohnte, nicht. Er war vor einem Jahr zugezogen und verbrachte seine Freizeit hauptsächlich in der Kneipe. Selbst diejenigen, die dort regelmäßig mit ihm tranken, hielten nichts von ihm. Zumindest sagten sie das, wenn er nicht dabei war.
„Sind deine Kinder schon im Bett?", holte Annabells Stimme sie aus ihren Gedanken.
„Ja. Sonst hätte ich nicht jetzt angerufen. Sie brauchen erstmal nichts davon zu wissen."
„Was heißt ‚erstmal'?"
Als Lydia nicht antwortete, hakte Annabell nach. „Wieso erstmal? Du solltest ihnen gar nichts davon erzählen. Und von diesem Typen solltest du dich trennen."
„Hätte ich längst gemacht, wenn ... das jetzt nicht passiert wäre."
„Hör mal", sagte Annabell. „Du willst das Kind doch nicht etwa bekommen?"
Lydia schwieg. Warum war sie so dämlich gewesen? Nach den ersten Wochen hatte sie doch gewusst, wie Adrian tickte. Sie hatte ihm gesagt, dass Sex zu einem gewissen Zeitpunkt nicht ging, weil sie keine Pille nehmen konnte und man deswegen ab und zu aufpassen müsse. Das hatte ihn nicht interessiert. Und dass sie schwanger war, hatte er kommentarlos zur Kenntnis genommen, als ginge ihn das überhaupt nichts an. Vor kurzem hatte er ihr erzählt, dass er ein Kind hatte. Er sah es nie, zahlte auch keinen Unterhalt und fand das völlig in Ordnung. Sie machte sich nichts vor: Ihr würde es mit ihrem gemeinsamen Kind ebenso ergehen.
„Ein drittes Kind ist für dich nicht tragbar", fuhr Annabell fort. „Als Alleinerziehende mit drei Kindern, wie willst du das denn machen ... Der lässt dich doch im Stich, das weißt du. Oder willst du vielleicht mit deiner Mutter sprechen, meinst du, sie könnte helfen?"
„Bist du verrückt?" Allein bei dem Gedanken bekam Lydia Panik. Ausgerechnet ihre Mutter, die sie allein verantwortlich für ihre gescheiterte Ehe machte. „Hättest du dich deinem Mann gegenüber mal besser benommen", hatte sie vorwurfsvoll nach der Trennung gesagt. „Dein Mann hat mir alles erzählt." Sie hatte ihm geglaubt und Lydia gar nicht gefragt, was vorgefallen war. Mit ihrer Mutter konnte sie nicht reden, die würde ihr kein bisschen helfen, es wäre nur eine zusätzliche Belastung.
„Siehste?", sagte Annabell. „Geht doch nicht. Und arbeiten gehen kannst du dann auch nicht mehr, auch nicht morgens, wenn die anderen beiden in der Schule sind, wie jetzt."
„Nein ..." Resigniert starrte Lydia die Wand hinter dem Telefontisch an. Keine Arbeit, kein Geld, Adrian würde sie hundertprozentig sitzen lassen, und dazu kämen noch die hämischen Kommentare von anderen, zuallererst von ihrer Mutter, auch wenn das nicht ausschlaggebend war. Lydia dachte an ihre ersten beiden Schwangerschaften. Wie hatte sie sich damals gefreut! Das war in einem anderen Leben gewesen, in einer damals noch funktionierenden Ehe ohne Sorgen.
„Ich war früher immer bei Frau Dr. Forster, als ich noch bei dir in der Gegend wohnte", hörte sie Annabells Stimme. „Die hat mir auch geholfen. Ist nur 5 km von dir entfernt. Und da stehst du morgen früh auf der Matte. Verstanden?"
„Ja ... danke." Kurz darauf legten sie auf.
Am nächsten Morgen saß Lydia bei Frau Dr. Forster im Sprechzimmer. Die Arzthelferin an der Rezeption hatte sie etwas verwundert angeschaut, da Lydia in der Praxis nicht bekannt war, aber Lydia hatte darauf bestanden, einen Termin in der Sprechstunde zu bekommen, da es „sehr wichtig" war, und musste nicht lange warten.
Ein Schwangerschaftstest war durchgeführt worden, und Frau Dr. Forster hatte sie untersucht. Nun hatte sie ihr gegenüber Platz genommen.
„Ihre Vermutung war richtig", sagte sie freundlich. „Sie sind schwanger".
Lydia nickte. Und brach unvermittelt in Tränen aus. In kurzen Sätzen schilderte sie ihre Situation. „Es ist nicht so, als ob mein Freund mich heiraten würde", schloss sie. „Ich habe schon zwei Kinder, ich bin geschieden, alleinerziehend, wir kommen gerade so über die Runden. Und arbeiten gehen könnte ich mit einem Baby auch nicht mehr. Es ... es geht einfach nicht."
Sie war darauf gefasst, Vorwürfe zu hören. Statt dessen sagte Frau Dr. Forster sehr freundlich: „Also das ist so: Sie müssen es nicht mehr bekommen. Das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch wurde vor zwei Jahren geändert. Innerhalb der ersten 12 Wochen kann die Schwangerschaft abgebrochen werden. Das ist jetzt straffrei. Und wir liegen gut in der Zeit, Sie sind erst in der 6. Woche."
Lydia nickte. Sagen konnte sie zunächst nichts.
„Machen Sie das?", fragte sie dann zaghaft.
Frau Dr. Forster schüttelte den Kopf. „Ich selbst mache es nicht. Das macht ein Kollege hier im Ort, Herr Dr. Berger."
Frau Dr. Forster schrieb etwas auf einen Zettel und schob ihn ihr hin. „Das ist die Adresse von Pro Familia. Da müssen Sie sich vor dem Eingriff beraten lassen. Das ist auch gesetzlich geregelt. Den Beratungsschein müssen Sie dann zum Eingriff mitbringen. Und zu Herrn Dr. Berger müssen Sie vor dem Eingriff natürlich auch."
Lydia griff nach dem Zettel.
„Danke", sagte sie. Aus vollem Herzen. „Danke". Und sie meinte nicht nur Frau Dr. Forster damit. Sondern alle Menschen, die für die neue Regelung dieses Gesetzes gekämpft hatten.
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