Der Traum vom Prinzen


Wie jedes junge Mädchen träumte auch ich von einem Prinzen, aber nicht auf einem Pferd. Das Pferd wurde aus meinem Traum entfernt, sobald ich auf einer alten Mähre geritten war. Geritten ist das falsche Wort, gezuckelt bin ich, denn das Tier war zu alt zum zu galoppieren. Trotzdem war mir dieses Gefährt zu hoch und zu unberechenbar. Mein Prinz konnte gern zu Fuß zu mir kommen, na gut, sollte er von Weitem anreisen, so wäre ein Motorrad genehmigt. Er sollte kommen, mich sehen, auf den Arm nehmen und mich ins Glück tragen, so sah es mein Traum vor.
,,Da sehe ich schwarz"- sagte meine Schwester- ,,so ein Riese , der dich tragen könnte, muss erst geboren werden“ Meine Schwester hat eine besondere Gabe mir Mut zuzusprechen. Sicher bin ich kein Mädchen aus dem Märchenbuch, das in einer Nussschale Platz hätte. Bei mir sind alle Körperteile gut sichtbar angebracht und man muss nicht raten wo vorne und wo hinten ist. Habt ihr schon mal einen Prinzen gesehen, der auf dürre Beine steht? Ich auch nicht! Mein Prinz wird mich schon tragen können, denn das eigene Gepäck ist keine Last. Wie stelle ich mir meinen Auserwählten vor? Ihr kennt doch alle den D´ Artagnan aus den Film von Alexandre Dumas ,,Die drei Musketiere". Genau das ist mein Mann!
,,Pass bloß auf, dass du dir keinen Taugenichts einhandelst, der Lebtag bei dir im Nacken sitzen wird“ -warnt mich meine Schwester.

Ich hatte einen Ferienjob in einem Landwirtschaftsbetrieb und zu meiner Arbeit gehörte das Holen des Kraftfutters für die Milchkühe aus der Mühle. Das Kraftfutter- geschrotetes Getreide- musste in Säcken abgefüllt, gewogen und zum Betrieb abtransportiert werden. In einem unbeobachteten Moment stellte ich mich auf die Waage, um zu sehen was mein Prinz zu bewältigen hätte(wir hatten zu Hause keine Waage). Plötzlich ertönte hinter mir eine bekannte Stimme: ,,Na, wie viele Pferdestärken sind nötig um dich anzuheben?“ Ja, mein Prinz dürfte kein Leichtgewicht sein, aber er musste mich auch nicht meilenweise schleppen, bloß einmal über die Schlafzimmerschwelle. Das würde schon reichen.

Ich beschloss ein Experiment zu wagen. Ein großer Sack mit Getreide wog ca. fünfzig Kilo und wenn ich, als schwaches Geschlecht so einen Sack aus der Mühle in den Hof tragen könnte, sollte es ein Mannskerl doch auch wohl schaffen. Ich schaffte es, auch wenn ich nachher krumm wie ein Flitzeboden rumlaufen musste.

Im Dorf wurde erzählt, dass ein Junge sich für mich interessierte. Ein D´ Artagnan war er nicht, wahrlich nicht. Ich würde wohl Abstriche machen müssen, schließlich passen Praxis und Theorie nie überein. Verzeihung- Traum und Wirklichkeit. Mit der Zeit freundete ich mich mit dem Aussehen des ,,echten“ Prinzen an. Das einzig Erfreuliche daran war, dass er groß und stark war. Nun näherte sich der Tag von dem ich hoffte, dass mein Auserwählter, wenn auch nicht D` Artagnan, mich auf Händen tragen würde.

An einem Sommermorgen, ich ließ die Kühe aus dem Stall, trat ein Rindvieh auf meinen Fuß und verharrte da minutenlang. Als sie dann endlich von meinem Fuß abließ, war dieser ziemlich platt und am großen Zeh fehlte der Nagel. Da ich offene Schuhe trug, verteilte sich das Blut bald auf den Fußboden. Ich musste zum Arzt und als ich mit einem dicken Verband nach Hause humpelte, begegnete mir mein Prinz. Der Schmerz wich aus meinem Gesicht, ich setzte mein schönstes Lächeln auf und sah schon klar vor mir, wie er mich auf dem Arm trug und das ganze Dorf schaute neidisch zu. Aber was tat mein Prinz? Er wechselte die Straßenseite! Feigling!

,,Sei nicht traurig“- bemitleidete mich meine Schwester -,,dein Prinz ist schon unterwegs, zu Fuß über den Ozean."

Mein Schlappen flog ins Leere.
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten