Der Überfall

Rikyu

Mitglied
Der Sohn der CHOSON
(von Bernd von Sprockhoff nach Ideen von Ralf „Cornell“ Müller)

„Klar zum Auslaufen!“ Die Worte schallten weit über das emsige Treiben auf dem Schiff hinweg. Für einen unbedarften Beobachter sah es aus, als hätten sie keinerlei Auswirkungen auf die Tätigkeit der Besatzung. Tatsächlich besaß der Befehl nur noch formalen Charakter, denn das Schiff, ein Piratensegler, wurde schon seit Stunden auf eine neue Kaperfahrt vorbereitet.
Die Segel gesetzt, die Waffen überprüft: die Mannschaft erwartete den Befehl zum Auslaufen und dieser ließ nicht lange auf sich warten.
Santas-Gor, der Kapitän und Eigner des Kaperers, war zufrieden. „Anker auf! Segel setzt!“ Er wandte sich um. „He – Ruder: Kurs Wes-Ydd-Wes!“ „Wes-Ydd-Wes!“ Die Speichen des Ruders wirbelten herum. Die Segel, schon gesetzt, aber noch schlaff an den Rahen hängend, kamen fest und fingen den Wind.
Schnell und sicher kamen die Kommandos und wurden augenblicklich befolgt. Der merunische Kapitän hatte seine Leute gut in der Zucht. Jeder von ihnen war ihm in irgendeiner Weise mit dem Leben verpflichtet: Einen hatte er aus den Händen von Palastwachen gerettet, nachdem er versucht hatte, in die Frauengemächer einzudringen. Andere waren von ihm in Sicherheit gebracht worden, als sie sich vor ihren Schuldnern nicht mehr zu retten wussten. Wieder andere hatten sich ihm freiwillig angeschlossen, weil sie in Beschäftigungen wie dieser eine angenehme Art sahen, mit wenig Arbeit ein relativ sorgenfreies Leben führen zu können. Dass sie dabei jedes Mal von Neuem ihr Leben aufs Spiel setzten, kümmerte sie wenig.
Andererseits war auch Santas-Gor auf seine Leute und deren Loyalität angewiesen. Kein Kapitän konnte ein Schiff führen, wenn ihm die Mannschaft nicht mehr gehorchte oder noch schlimmer: wenn er überhaupt keine (mehr) besaß.
Das Schiff verließ die kleine Bucht, die dem Segler als Hafen diente. „He – Ruder: neuer Kurs Est zu Nor!“ Das Rad wirbelte herum, die Segel schlugen und wurden neu getrimmt. Das Schiff lag wieder ruhig am Wind in der Straße der Helden, in der es auf Beute lauerte.
Jetzt hieß es geduldig warten und kreuzen. Santas-Gor befand sich in einem Gebiet, in dem er die meisten Schiffe wusste. Hier bestand die größte Aussicht, ein Opfer zu finden, ein Opfer, das sich nicht als zu harter Brocken erwiese, ein Schiff, mit dem er nicht viel Arbeit hatte. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Den Ausguck verdoppeln!“ Nun saßen sechs Mann im Krähennest und suchten den Horizont ab bereit, jede Unregelmäßigkeit sofort zu melden. Jeder von ihnen konzentrierte sich auf eine der Himmelsrichtungen. Doch noch war nichts zu erkennen. Nur leichter Dunst ballte sich im Mir zusammen, doch er bedeutete keine Gefahr.
Der Kapitän wusste, dass er sofort benachrichtigt werden würde, wenn sich auf Deck etwas von Belang ereignen würde. Er benutzte den hinteren Niedergang, um in seine Kajüte zu gelangen, wo er einige Nachrichten für seine Zwecke auswerten wollte. Vielleicht ergab sich dabei ein Hinweis auf ein besonders lohnendes Objekt.
Mit solchen Gedanken betrat er seine Kajüte und begann mit der Arbeit. Bald nahm sie ihn so gefangen, dass er die Welt um sich herum vergaß. Ein kräftiges Pochen an der Tür schreckte ihn auf. Unwillig über die Störung rief er das „Herein!“ Dabei machte er sich nicht einmal die Mühe aufzusehen, wusste er doch, dass es sich bei dem Eintretenden nur um Gasbau-Hug, seinen Stellvertreter handeln konnte.
“Kapitän, ich fürchte, es braut sich ein Unwetter zusammen. Wir steuern genau auf das Zentrum zu. Deine Anwesenheit an Deck ist vonnöten!“ Er erntete ein zustimmendes Brummen und wollte sich schon abwenden, als ihn eine Frage des Kapitäns zurückhielt. „Hat der Ausguck irgendeine Beobachtung machen können?“ – „Zwei Kriegsschiffe der Ah’tain waren kurz auszumachen, verschwanden aber gleich darauf wieder aus der Sichtweite. Handelsschiffe waren nicht auszumachen.“
Die beiden Männer zwängten sich den schmalen Niedergang hinauf und wandten sich sofort an den Ausguck und an den Rudergänger.
„Wie schätzt ihr den Sturm ein, der sich dort drüben bildet?“ Die Männer oben am Mast spähten noch einmal hinüber, um sich auch nicht die geringste Veränderung entgehen zu lassen. Die Antwort kam einige Sekunden später. „Er wird nicht so heftig werden, wie es um diese Jahreszeit wahrscheinlich ist, aber einige Ausläufer werden uns wohl erreichen.“ – „Wahrscheinlich wird es für ein paar Minuten ungemütlich für uns werden.“ kommentierte Santas-Gor diese Auskunft aus der Höhe. „Rudergänger!“ Sein Ruf gellte über das Schiff. „Kurs Est, direkt auf den Schlamassel zu. Wir werden den Böen entgegenfahren, um ihnen keine Zeit zu geben, zu kräftig für uns zu werden. Vielleicht“, diese Worte richtete er an seinen Stellvertreter, „vielleicht können wir uns bei dieser Gelegenheit auch einen Havaristen schnappen.“
Der Wind frischte jetzt merklich auf. Das Schiff schüttelte sich unter den Luftmassen, die sich gegen die Segel warfen, aber gerade deswegen gehorchte es einwandfrei dem Ruder. In langen Schlägen glitt der Kaperer auf das Sturmzentrum zu, drehte kurz vorher etwas ab und nutzte den nun raumen Wind aus, um mit höchster Fahrt, deren die Takelage fähig war, diese unwirtliche Gegend zu verlassen. Die Männer im Ausguck hatten sich schon längst festgezurrt, um nicht unversehens aus dem Mastkorb geschleudert zu werden. Ihre Aufgabe, die Umgebung ihres Schiffes im Auge zu behalten, erschwerte sich merklich, doch sie waren derartige Unbill gewohnt.
Als der Segler wieder in weniger stürmisches Wasser, ruhig konnte man es noch nicht nennen, geriet, war Santas-Gor Glück beschieden. Es war ein kleines Schiff, an dem ihn irgendetwas am Erscheinungsbild störte. Es schien ebenfalls in den Sturm geraten zu sein, hatte ihn aber offenbar unbeschadet überstanden. Santas-Gor nahm direkten Kurs darauf. Bald darauf wurden Einzelheiten des fremden Schiffes deutlich, so dass der Pirat sich über die ihm vollkommen unbekannte Bauweise wundern konnte.
Der Bug unterschied sich zwar nur unwesentlich von dem seines eigenen Schiffes, aber schon die Verankerung der Masten erregte seine Aufmerksamkeit. Die Segelform hingegen, die sich ebenfalls sehr von den ihm bekannten Formen unterschied, machte ihm weniger Sorgen: neue Formen tauchten immer wieder auf. Fast jedes Volk experimentierte ständig mit neuen Segeln für die unterschiedlichsten Zwecke.
Der Stern allerdings war ungewöhnlich, Santas-Gor hätte nicht direkt sagen können, was ihn im Einzelnen daran verwunderte, war er doch nicht überhöht oder zu flach; doch die allgemeine Erscheinung fiel auf.
Schließlich erkannte er die Hauptursache der fremdartigen Erscheinung: alle Schiffe, die er bisher gesehen hatte sein eigenes nicht ausgenommen zeigten Verzierungen, welche die Stellung des Eigentümers oder des Kapitäns in irgendeiner Weise darstellten. Oft kam dies nur unbewusst zustande gekommen, doch bisher hatten sie nirgends gefehlt.
Dieses Schiff aber wies nichts dergleichen auf und hauptsächlich war es das, was dem Piraten aufgefallen war. Allerdings konnte er sich des Eindrucks nicht verwehren, dass gerade diese Schlichtheit, diese Schmucklosigkeit, ein Schmuck besonderer Art war. Er glaubte sogar, dass diese Schlichtheit, ein Wesensmerkmal der Menschen auf diesem Schiff, eine Homogenität ausstrahlte, die jeden anderen Schmuck überflüssig machte, ja, ihn geradezu verbot.
Er war jetzt auch nicht mehr weiter erstaunt, als er – die Schiffe waren nähergekommen – einzelne Besatzungsmitglieder des anderen Schiffes erkennen konnte. Sie waren auf gleiche Weise fremdartig wie ihr Schiff. Die Kleidung bestand augenscheinlich aus einer fest um den Oberkörper geschlungenen Jacke, die jedoch Bewegungen in keiner Weise zu behindern schien, und einer Art weiter Hose. Insgeheim nahm sich Santas-Gor vor, ähnliche Kleidungsstücke auch bei seinen Leuten einzuführen, denn die Wämser und anderen Dinge, die sie trugen, waren zuweilen recht hinderlich.
Doch er zwang sich dazu, die fremden Magiraner weiter zu beobachten und nicht in Gedanken abzuschweifen. Die Gesichter wirkten etwas maskenhaft, was teilweise von den schräg gestellten Augen herrühren mochte, die jedoch harmonisch in den Gesamteindruck passten. Die Augen selbst konnte Santas-Gor nur selten erkennen; es musste sich schon ein kurzer Sonnenstrahl zu ihnen verirren. Irgendwie erinnerten sie ihn an die Ao-Lai, die bis vor kurzem eben-falls in dieser Gegend unterwegs waren.
Die Gesichter wirkten leicht rundlich – nichts Besonderes auf Magira. Die Sonne bemühte sich inzwischen, Licht in die ganze Sache zu bringen und vertrieb allmählich die Wolken und damit auch den Sturm.
Doch viel mehr als die äußeren Unterschiede störte ihn das Verhalten der fremden Besatzung. Es schien sie in keiner Weise zu interessieren, dass in unmittelbarer Nähe von ihnen ein fremdes Schiff heranglitt. Nun gut, der eine oder andere setzte seinen Helm auf, aber sonst machte niemand Anstalten, sich auf einen Kampf vorzubereiten.
Santas-Gor schloss daraus, dass sich die Fremden nicht in einen Kampf einlassen wollten, aus welchen Gründen auch immer. Nun, es sollte ihm recht sein. Einen leichten Sieg konnte er immer gebrauchen, wenn auch seine Leute die Kampfesfreude vermissen würden.
„Rudergänger!“ Der Pirat hob den Kopf und sah seinen Chef abwartend an. „Angriffskurs! Zum Beidrehen auf Kommando bereithalten!“ Nur wenig drehte der Pirat das Rad, dann stand es wieder still. „Auf Gefechtsstationen!“ Der Befehl seines Stellvertreters gellte durch alle Decks und löste kurzfristig hektische Aktivität aus. Das Feuer in der Kombüse wurde gelöscht, einige Reffs wurden gesteckt und das Enterkommando für den ersten Angriff sammelte sich an der Reling.
Immer näher kamen sich die beiden Schiffe und immer noch dachte keiner der Fremden daran, Kampfformation einzunehmen. Sie wirkten vollkommen desinteressiert, vielleicht sogar etwas überheblich, so als hätten sie es nicht nötig zu kämpfen, wenn ihnen nicht danach war. In Santas-Gors Achtung waren sie schon erheblich abgesunken.
Dann waren die beiden Rümpfe so dicht zusammen, dass die Enterhaken flogen. Sie verbissen sich im Holz und wurden herangezogen. Die beiden Schiffe glichen ihre Bewegungen gezwungenermaßen einander an und hatten dann gleichen Kurs.
„Entern!“ Die Männer hatten auf diesen Befehl gewartet. Sie nahmen einen, zwei Schritte Anlauf und sprangen in großen Sätzen über die beiden Relings. Auf dem anderen Schiff gelandet, wollten sie sich sofort auf ihre Gegner stürzen, doch schon nach zwei Schritten blieben sie verwirrt stehen. Niemand aus der Besatzung war zu sehen. Da erreichte sie auch schon der nächste Befehl ihres Kapitäns: „Segel reffen und alle Niedergänge besetzen! Rasch!“
Gleichzeitig mit dem letzten Wort öffneten sich vier Türen, aus denen jeweils fünf Bogenschützen quollen. Sie eröffneten augenblicklich das Feuer. Eine unangenehm hohe Schussgeschwindigkeit hatten sie, musste der Pirat anerkennen, dazu trafen sämtliche Pfeile ihr Ziel: Arme, Hälse und Beine seiner Leute. Die ersten Reihen stürzten schon.
In das entstehende Durcheinander sprangen aus den verschiedensten Deckungen die Mannschaften, die sich beim Entern wie durch Zauberei unsichtbar gemacht hatten.
Santas-Gor fluchte. Jetzt rächte sich seine Überheblichkeit, in den Fremden Unterlegene gesehen zu haben, nur weil sie ihn scheinbar nicht beachteten. Mit zusammengebissenen Zähnen stürmte er an der Spitze seiner Leute, welche die zweite Welle hatten bilden sollen, auf das Deck. Mit einem wilden Schrei warf er sich auf die Feinde und attackierte sie mit kurzen Hieben, fast ohne Ansatz.
Zwei von ihnen konnte er auf diese Weise ausschalten, dann wurde er auf die Seite gedrängt. Wie ein Feldherr suchte er sich einen überhöhten Platz, um seine Leute, die ihren Feinden mindestens achtfach überlegen waren, besser leiten zu können.
Doch je weiter die Zeit fortschritt, desto weniger von ihnen fand er, denen er noch Anweisungen zurufen konnte.
Zu viele fielen unter blitzschnellen Hieben der schwach gekrümmten Klingen der Fremden. Zwar wurden auch diese erbarmungslos niedergemacht, aber auf jeden der gefallenen Gegner kamen mehr als vier seiner eigenen Leute.
Langsam nur gewann er die Oberhand. Auf dem Großteil des Decks war es inzwischen ruhig geworden, lediglich am Großmast tat sich noch Wesentliches.
Dort stürmten etwa acht seiner Jungs gegen eine Stelle an, an der er nur einen einzigen Mann erkennen konnte. Und dieser schien sich seine Gegner vom Leibe halten zu können.
Santas-Gor näherte sich dieser Stelle. Nahe genug herangekommen, fiel ihm auf, dass dieser Mann nur einen Arm benutzte, um seine Waffe zu führen. Mit dem linken Arm hielt er ein Kleinkind auf seinem Rücken fest, welches er auf diese Weise äußerst wirksam von Hieben schütze, denn an seinem Schwert kam keiner vorbei.
Dabei wandte er eine Technik an, die Santas-Gor noch nicht kannte. Blitzschnelle Hiebe, die scheinbar nur die Luft zerteilten und erst nach Sekunden erkennen ließen, dass sie getroffen hatten, ließen ihn aber sehr schnell Respekt davor bekommen.
Fasziniert sah er dem Kampf zu und achtete kaum auf die Leichen seiner Männer, die sich immer höher um den Kampfschauplatz türmten. Dieser Fremde musste sich geraume Zeit gegen eine Übermacht zur Wehr setzen, hatte aber bisher nur einige leichte Schnittwunden davongetragen. Er bewegte sich immer noch mit einer Leichtigkeit und Eleganz, als handle es sich bei diesem Kampf um einen Spaziergang und nicht um eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Dabei stand ihm jedoch der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn. Seine Rüstung, ein seltsam anmutender Plattenpanzer, war blutbespritzt und bot einen merkwürdigen Anblick.
Santas-Gor sog jede Bewegung des Kämpen in sich auf, begierig, soviel wie möglich da-von für seine eignen Belange später benutzen zu können.
Allmählich wurde ihm aber auch bewusst, dass der Kreis seiner Leute um den Fremden herum langsam, aber stetig lichter wurde. Er zählte mit Schrecken, dass dieser Mann schon vierzehn Piraten außer Gefecht gesetzt hatte.
Hier musste etwas geschehen. Santas-Gor griff zu einer List: langsam bewegte er sich seitwärts, ganz langsam, um nicht aufzufallen. Weder durfte einer seiner Leute bemerken, dass er einen Plan hatte, denn sie durften nicht abgelenkt werden, sondern mussten weiterkämpfen. Und schon gar nicht durfte dieser Mann argwöhnen, dass er etwas gegen ihn im Schilde führte. Santas-Gor traute ihm ohne Weiteres zu, dass er sofort erkennen würde, was der Pirat vorhatte, bekäme er auch nur die kleinste Gelegenheit dazu. Und ein zu frühes Erkennen der Gefahr nähme ihm die letzte Möglichkeit, gegen diesen Meister im Umgang mit dem Schwert zu agieren.
Ganz langsam gelangte er so in die Nähe einiger Blöcke, die über verschiedene Taue einen Mastbaum arretierten. Derweilen fielen die Hiebe des gegnerischen Schwerts weiterhin sehr schnell und ebenso schnell waren wieder einige seiner Mannschaft niedergemacht.
Santas-Gor musste sich zwingen, langsam weiter zu gehen und nicht im letzten Augenblick zu hasten und dadurch alles zu verderben.
Da – einer der Angreifer sah einen winzigen Moment zu ihm hinüber – hatte er aus den Augenwinkeln seinen Kapitän gesehen und hoffte nun auf die Wende? Doch auch der Verteidiger hatte die Unaufmerksamkeit ausgemacht und nutzte sie zu einem Hieb, dessen Schnelligkeit Santas-Gor nur erahnen konnte.
Der Pirat sah die Wunde nicht, die der Merune, es war sein zweiter Steuermann, erhielt, aber er sah die Wirkung, als dieser langsam in sich zusammensackte, ohne zu wissen, warum ihn plötzlich die Kräfte verließen. Wieder musste sich der Kapitän beherrschen.
Jetzt war er nahe genug! Er dreht sich etwas zur Seite und griff verstohlen zu seinem Schwert, das er noch nicht wieder blank gezogen hatte. Mit einem Ruck riss er es aus der Scheide und führte einen, zwei schnelle Hiebe gegen die Taljen. Einen Moment musste er seine Aufmerksamkeit auf dieses Vorhaben lenken und konnte nicht auf dem Fremden achten.
Dieser jedoch, durch die schnelle Bewegung an seine Seite gewarnt, reagiert blitzschnell, schneller noch, als Santas-Gor seine Waffe zog.
Er vollendete einen Hieb gegen einer seiner Bedränger und holte gleichzeitig das Kind hinter seinem Rücken hervor. In einer Körperdrehung nach rechts warf er den Kleinen aus dem Gefahrenbereich zum Hauptmast. Dadurch waren sowohl die Piraten als auch deren Kapitän nicht mehr in der Lage, das Kind, welches dem Krieger von sehr großer Wichtigkeit zu sein schien, als Geisel zu benutzen. Der Krieger dachte nämlich keinen Augenblick daran, nun sein Wüten einzustellen.
Im Gegenteil: nachdem er jetzt auch den linken Arm frei hatte, führte er seine Klinge beidhändig. Die Hiebe wurden noch kraft-voller und noch schneller. Das Auge konnte kaum noch folgen.
Santas-Gor, noch immer durch seine eigene Aktion in Anspruch genommen, wurde von dem Angriff völlig überrascht.
Noch ehe der Mastbaum, den er durch seine Schnitte gelöst hatte, auf das Deck und auf den Fremden stürzen konnte, war dieser schon mit einem gewaltigen Satz aus der gefährdeten Region gesprungen. Er stürzte sich sofort auf Santas-Gor. Es war für den Piratenchef ein seltsames Gefühl, plötzlich unmittelbare Bekanntschaft mit einem Schwert machen zu müssen, das sich seiner Kehle bis auf weniger als einen Zentimeter genähert hatte.
Zwar hatte die Situation selbst nichts Neues für ihn, nur waren die Rollen in allen bisherigen Fällen immer vertauscht gewesen: stets war er derjenige gewesen, der die Hand am Griff des Schwertes gehabt hatte und damit die Bedingungen hatte diktieren können.
Sich jetzt in der Rolle des Bedrängten sehen zu müssen, war völlig neuartig für den Merunen. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Hatte es Sinn zu versuchen, seinem Gegner die Waffe zu entreißen und womöglich den Spieß umzudrehen? Die unangenehme Nähe der Schneide sprach allerdings nachdrücklich dagegen und Santas-Gor entschloss sich, dieses Argument nicht zu ignorieren. Es war einfach zu gewichtig. Aber was dann?
So weit war er mit seiner Überlegung gekommen, als sich der Mastbaum, den er gelöst hatte, in Bewegung setzte und mit Vehemenz auf das Deck krachte.
Der Fremde sah ihn zwar auf sich zukommen, hatte aber durch den Piraten unter seinem Schwert keine Möglichkeit, diesem Geschoss auszuweichen. Der Mastbaum landete auf seinen Beinen, er hatte nur sehr wenig ausweichen können.

Wenn Santas-Gor aber darauf gehofft hatte, jetzt eine Chance zu bekommen, sich seines Widersachers zu entledigen, wurde er jetzt gründlich enttäuscht.
Er hatte mit einem Zusammenzucken seines Gegners gerechnet und wollte diese Gelegenheit benutzen, um das Schwert von seiner Kehle zu bekommen. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht.
Der Griff um seinen Hals, der auch vorher schon fest gewesen war, versteifte sich sogar noch. Wohl wurde das Schwert an seinem Hals ein wenig verschoben, weil die Hand, die es hielt, nicht mehr so locker war. Doch selbst dadurch erhielt der Kapitän nicht die kleinste Chance, diesen für ihn mehr als ungemütlichen Zustand auch nur im Geringsten zu verbessern.
Nicht zu übersehen war allerdings, dass jetzt Schmerzwellen den Körper des Fremden schüttelten, so dass dieser seine ganze Beherrschung aufbieten musste, um ruhig zu bleiben.
Sowohl der Fremde aus auch Santas-Gor wussten, dass die zerschmetterten Beine das Todesurteil für den Verletzten bedeuteten. Lange konnte er nicht mehr leben, dann musste sich der Griff um Santas-Gor lockern, dann endlich würde er sich befreien können. Bis dahin musste er versuchen, den Fremden nicht zu reizen, damit dieser nicht in einer Kurzschlusshandlung die Schärfe seiner Klingen an Santas-Gors eigener Kehle unter Beweis stellte.
Doch es kam anders als erwartet.
Der Fremde dreht sich herum und zwang den Merunen, es ihm gleich zu tun.
Dort, wohin er jetzt sehen konnte, lag das kleine Kind, das der Verwundete während des gesamten Kampfes auf dem Rücken vor Schwerthieben geschützt hatte. Der Kaperkapitän starrte auf das Kind, ohne es recht zu sehen. Seine Gedanken vollführten wilde Sprünge, aber er konnte keinen Sinn erkennen. Und doch wusste er, dass der Fremde diese Bewegung, die ihn viel Kraft gekostet hatte, nicht ohne triftigen Grund gemacht hatte.
Er brauchte indes nicht lange auf des Rätsels Lösung zu warten. Der Fremde begann zu sprechen. Es waren zwar bekannte Worte, aber in einer ungewohnten Betonung und Aussprache von einer ungeübten Zunge. Zunächst verstand der Kaperer nicht, was sein Gegner von ihm erwartete bzw. forderte. Nach und nach gewöhnte er sich aber an die fremden Laute und bekam endlich mit, was von ihm erwartet wurde.
Der Fremde wollte seinen Namen wissen und Santas-Gor, um ihn nicht zu reizen, tat ihm den Gefallen. Daraufhin erfuhr er, dass er es mit einem Angehörigen des Volkes der CHOSON zu tun hatte. Von diesem Volk hatte der Merune noch nie etwas gehört. Doch er bekam keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken, denn der Fremde sprach weiter und er musste sich bemühen, ihn zu verstehen.
Der Fremde stellte sich vor. „Erlaube mir, dass ich Euch meinen Namen nenne. Man nennt mich HOSHEI Hirokazu. Wisse, dass dieser Name in unserem Volk Ansehen genießt. Das Kind, das du dort drüben am Mast liegen siehst, ist mein Sohn. Er trägt den Namen HOSHEI Rikyu.“ Der CHOSON unterbrach sich und ließ eine erneute Welle des Schmerzes vorübergehen, dann sprach er weiter.
„Du wirst diesem Kind, meinem Sohn, ein Zuhause geben. Es wird dein eigenes Haus sein.“ Santas-Gor wollte aufbegehren und unwillkürlich richtete er sich auf, doch die Klinge, noch immer unverrückbar an seinem Hals, belehrte ihn schnell eines Besseren. Mit absoluter Ruhe sprach der tödlich Verwundete weiter.
„Es wird dein eigenes Haus sein und Du wirst ihn wie deinen eigenen Sohn behandeln und erziehen. Wenn es an der Zeit ist, wird mein Sohn dich verlassen. Dann wird er zu seinem eigentlichen Volk und seiner eigentlichen Familie zurückkehren.“ „Warum sollte ich das tun?“ wagte Santas-Gor einzuwerfen. Der CHOSON lachte nicht einmal darüber. „Wenn Du nicht wie ein Tier sterben möchtest, wirst Du mir dein Wort darauf geben.“
Der Kapitän wusste, dass der CHOSON unvorstellbare Schmerzen aushalten musste, doch war ihm nichts anzumerken. Welch eine Selbstbeherrschung musste dieser Mann besitzen!
Santas-Gor begann, Achtung vor ihm zu empfinden. Dennoch zögerte er, in das erwartungsvolle Schweigen des Anderen hineinzusprechen. Er dachte nach. Doch nicht das Verlangen des CHOSON war Thema seiner Überlegungen, sondern die Frage, über welche innere Kraft ein Mensch verfügen musste, um angesichts solcher Schmerzen und der Gewissheit des baldigen Todes in der Lage zu sein, dem Gegner den eigenen Sohn zur Erziehung anzuvertrauen. Welch eine unerschütterliche Überzeugung musste dahinterstecken!
Sants-Gor begann allmählich zu ahnen, wie sich die Lage entwickeln würde. Der Fremde drängte ihn nicht, er ließ ihn überlegen und abwägen und plötzlich war es für den Piraten nicht mehr wichtig, zu erfahren, was für ihn selbst dabei herausspränge, falls er auf den Handel einginge. Es kam jetzt nur noch darauf an, das Kind zu retten.
Langsam nickte er. „Ich will tun, was Du von mir verlangst; aber nicht, weil das Schwert an meiner Kehle sitzt, sondern nur deshalb, weil ich dem Kind helfen möchte.“ Er brach ab und räusperte sich, sprach dann aber weiter.
„Du hast eine gute Art zu kämpfen, HOSHEI Hirokazu.“ Der Name wollte ihm nur schwer über die Lippen. „Ich bewundere sie.“
Der CHOSON nickte. „Ja, sie mag gut sein, doch gibt es viele, die besser mit der Waffe umzugehen verstehen.“ Santas-Gor hielt es für besser, nicht weiter darauf einzugehen. Er wechselte das Thema. „Genügt dir mein Wort?“
„Schwöre bei allem, was dir heilig ist, Santas-Gor. Sprich laut genug, damit deine Männer dich verstehen. Für sie wird der Eid in gleicher Weise gelten wie für dich.“
Santas-Gor dachte noch einige Sekunden lang nach, dann hob er den Blick und rief seine Leute zusammen, die sich auf dem Deck aufhielten. Sobald sie um ihn herumstanden, sprach er mit lauter, fester Stimme, die keine Spur von Unsicherheit verriet:
„Hört mich an! Ich gelobe, dieses Kleinkind, welches der Sohn des Kriegers hier ist, in mein Haus aufzunehmen und ihn wie einen Sohn zu behandeln und zu erziehen. Es soll ihm die beste Ausbildung gegeben werden, welche ich ihm geben kann. Es soll ihm an nichts mangeln. Dies schwöre ich bei allen merunischen Göttern!“ Für einen Augenblick senkte er seine Stimme. „Und das sind nicht gerade wenige“ raunte er dem Verletzten zu. Dieser blieb einen Augenblick regungslos liegen, dann lockerte sich der Griff um das Schwert. Er gab den Piraten frei, nachdem er sich wieder herumgewälzt hatte, und blieb einen Moment in entspannter Haltung liegen.
Der Kapitän fuhr sich mit der Hand über seinen Kehle und rappelte sich dann auf. Keinen Augenblick dachte er daran, sein soeben gegebenes Wort zu brechen und dem Gegner hinter ihm eine Klinge in den Leib zu stoßen. Stattdessen drehte er sich herum und wandte sich an den ihm nächststehenden Piraten. „Sorge dafür, dass der Mastbaum so schnell wie möglich weggeschafft wird.“ Der Angesprochene winkte einigen Kameraden und zusammen machten sie sich an die Arbeit.
Da der Baum selbst noch am Mast befestigt war, konnten sie ihn nicht ohne Weiteres anheben und fortschaffen. Der Führer der Arbeitsgruppe erkannte das auch und ging sofort einen neuen Plan an. „Einen Keil!“ – „Zwei, nein, drei schwere Hämmer!“ – „Du da, schaff eine Talje und einen Dreifach-block herbei! Vergiss auch nicht die Taue dafür!“ Er wirbelte herum und schickte den nächsten Mann mit einem neuen Auftrag unter Deck. „Zwei Böcke zum Abstützen des Baumes, aber rasch, sonst vergeht meine gute Laune!“
Es war erstaunlich, wie schnell die benötigten Geräte zur Hand waren. Der Keil wurde angesetzt, dann stellten sich drei kräftige Kerle zurecht und trieben das Holz mit schweren Schlägen unter den Mastbaum. Kaum passte der erste Bock darunter, wurde er auch schon untergeschoben, gleich darauf kam schon der zweite.
Jetzt konnte ein Schäkel um das Ende geschlungen werden und ein Block wurde daran befestigt. Am Mast war inzwischen ein weiterer Block klargemacht worden. Nun wurde ein Tau eingezogen und der Baum bekam Spannung. Langsam wurde er angehoben, bis er frei über Deck hing.
Jetzt erst war es möglich, ihn zu Seite zu schwenken und abseits des Geschehens wieder auf Deck hinabzulassen.
Die ganze Prozedur hatte eine knappe halbe Stunde gedauert und die Kräfte des Verletzten waren sichtlich am Schwinden. Immer neue Schmerzwellen ließen ihn sich aufbäumen, obwohl er es meisterhaft verstand, sich zu beherrschen.
Santas-Gor, der allmählich Mitleid mit dem Todgeweihten bekam, trat zu ihm hin. „Es wird leichter für Dich sein, wenn Du von deinen Leiden erlöst wirst. So musst Du nur unnötige Schmerzen ertragen. Lass mich Dir helfen!“ Mit diesen Worten wollte er sein Schwert ziehen und seinen Vorschlag in die Tat umsetzen.
Doch der CHOSON hob abwehrend die Hand. „Warte! Deine Worte sind gut, doch Du kannst mir nicht helfen.“ Er richtete sich etwas auf und tastete mit der Hand auf dem Deck umher. Offenbar suchte er seine eigene Waffe, die beim Wegschaffen des Mastbaums beiseite geschoben worden war. Santas-Gor sprang herbei und reichte sie ihm. HOSHEI Hirokazu nahm das Schwert entgegen und führte die flache Seite der Klinge an seine Stirn. Dann nahm er sie in die Hand. Durch eine schnelle, kaum zu verfolgenden Bewegung, die auch das schon geronnene Blut wegschleuderte, säuberte er die Waffe und schob sie dann in die Scheide, ohne auch nur hinzusehen.
Auch diese Art der Behandlung einer Waffe war für Santas-Gor neu. Er schaute wie gebannt auf den Fremden, um nur nichts von dem zu versäumen, was gleich geschehen musste. Er sah, wie sich der CHOSON auf die untergeschlagenen Beine setzte, auch wenn diese kaum mehr als solche bezeichnet werden konnten. Niemand getraute sich, ihm zu helfen. Jeder spürte, dass der CHOSON jetzt keine Hilfe mehr benötigte. Der Verletzte legt die Finger ineinander, so dass sich die Daumen fast berührten und versank in eine kurze Meditation.
Auf dem ganzen Schiff war es ruhig geworden, nur ein gelegentliches Knarren des Schiffsholzes durchbrach die Stille. Jeder der überlebenden Piraten wusste, dass dieser Mann nur noch ein paar Minuten zu leben hatte und jeder staunte über sein Verhalten. Für diese harten Männer war das ei-ne vollkommen neue Erfahrung. Kaum einer kannte etwas Ähnliches.
Jetzt kam wieder Bewegung in den CHOSON. Sein Gesicht wirkte jetzt entspannt, er schien keine Schmerzen mehr zu empfinden, ja, er schien fast gelöst und heiter.
„Eine Bitte habe ich noch an dich, Santas-Gor“ wandte er sich an den Kapitän. Dieser hob nur fragend die Augenbrauen. „Hebe diese Waffe, die ich jetzt trage, für meinen Sohn auf und gib sie ihm, wenn er bereit dazu ist. Mehr erwarte ich nicht von Dir!“
Der Merune nickte nur stumm, er wollte diesen Augenblick nicht durch Worte entweihen, die nicht dafür gedacht waren.
Der CHOSON dankte ihm durch ein leichtes Kopfnicken, zog sein Schwert und setzte es sich mit der Spitze an der linken Seite an seinen Unterleib. Er stieß sich die Klinge mit einem kräftigen Ruck in den Leib und führte langsam sie nach rechts hinüber, drehte sie dann so, dass sie schräg nach oben wies und schnitt weiter.
Die Gedärme quollen ihm schon aus der Bauchhöhle und noch immer schien er keinerlei Schmerz zu verspüren.
Der CHOSON zog das Schwert heraus und vollführte wieder jene schnelle Schleuderbewegung, die die Klinge von jeglichem Blut befreite. Auf die gleiche Art wie vorher schob er sie dann wieder in die Scheide, löste hierauf die Sicherungsschnur, mit der die Waffe an seiner Seite befestigt war und reichte diese dem Piraten.
Dann legte er wieder die Finger ineinander, verharrte etwa eine Sekunde lang regungslos und sank dann langsam in sich zusammen.
Er war tot.
Lange Minuten regte sich nichts auf beiden Schiffen. Auch die Männer, die sich noch auf dem Kaperer befanden und das Schau-spiel hatten miterleben können, waren er-griffen.
Langsam nur kam Santas-Gor wieder zu sich. Es war ihm, als tauche er aus tiefer Benommenheit wieder an das Licht des Tages. Seine Achtung vor diesem Mann und damit auch vor diesem Volk war ins schier Unermessliche gestiegen. Ja, er wollte diesem Kind ein guter Vater sein, er wollte ihm alles lehren, was er wusste und konnte, er wollte ihm auch das beibringen lassen, was er ihm nur über andere vermitteln konnte. Dieses Kind sollte nicht auf eine solche Weise in der Fremde den Tod finden, auch nicht auf die Art, wie die Piraten sie verübten.
Santas-Gor wollte dem Toten die letzte Ehre erweisen, indem er ihn nicht, wie er es normalerweise getan hätte, über Bord werfen ließ, sondern indem er ihn auf dem Schiff beließ und dieses versenkte.
„Alles auf unser Schiff!“ wies er seine Leute an und keiner unter ihnen murrte über Santas-Gor, obwohl er ein so mühsam erbeutetes Schiff mit einer gewiss reichen Ladung an Bord aufgab. Die meisten verstanden ihn wenigstens andeutungsweise.
Die Piraten zogen sich gegenseitig auf ihre eigenen Planken hinüber. Santas-Gor wollte schon das Zeichen geben, die Taue mit den Enterhaken zu lösen, als sich eine kleine Tür auf dem fremden Schiff öffnete, die bislang unbeachtet geblieben war. In der Tür erschien ein Mann, unzweifelhaft ein CHOSON, der seine besten Jahre jedoch schon weit hinter sich hatte. Dennoch wirkte er nicht senil, im Gegenteil, er war noch ausgesprochen rüstig. So, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, turnte er ebenfalls über ein Tau auf das Piratenschiff hinüber.
Die Piraten, ebenfalls verdutzt, schauten auf ihren Kapitän, der nach einigen Augenblicken Erstaunen befahl: „Leinen, los! Haken einholen!“ Dann erst wandte er sich an den CHOSON. Den Jungen hatte er neben das Ruder legen lassen.
„Mein Name ist MORJ Akimoto. Ich bin Krieger. Ich bitte Dich, Santas-Gor, mir den Jungen anzuvertrauen. Ich werde mich um ihn kümmern.“ So gelassen kamen diese Worte aus dem Mund des Kriegers, der zum Kampf zu alt war, dass der Pirat unwillkürlich nickte.
„Ja, Du sollst sein Erzieher sein. Du sollst einer derjenigen sein, die meinem Sohn“, die letzten beiden Worte kamen ihm noch etwas schwerfällig über die Lippen, „die meinem Sohn beibringen, wie man durch das Leben kommt.“
„Auch das werde ich ihn lehren, so es mir vergönnt sein wird.“ „Und verwahre auch das Schwert“ fügte Santas-Gor noch hinzu und reichte ihm die Waffe. Der Alte ging zum Ruder, nahm das Kind an sich und betrachtete es lange. Dabei flüsterte er ihm einige Worte zu, die so leise waren, dass nicht einmal der Rudergänger, der doch unmittelbar neben ihm stand, etwas davon bemerkte.
Dann kam er wieder auf den Kapitän zu. „Setze nun deine Pläne fort!“ forderte er ihn auf.
„Brandpfeile in das Holz und in die Segel!“ Einige Bogenschützen traten vor, legten die Pfeile ein und brannten sie an einem eilig entfachten Feuer an. Dann spannten sie und gleich darauf steckten die Geschosse in den verlangten Zielen, im Holz und im Tuch, die sofort zu brennen anfingen. Das Piratenschiff gewann wieder Fahrt, als sich die Segel mit Wind füllten und legte eine sichere Entfernung zwischen sich und den Brander, der jetzt lange Funkenregen von sich stieß.
Das Prasseln war trotzdem noch gut zu hören und Santas-Gor starrte mit unbewegter Miene auf den Riesenbrand, bis dieser schließlich durch das Meerwasser, das gierig durch die entstandenen Löcher drängte, gelöscht wurde.
Schließlich versank das Schiff mit einem hohlen Gurgeln.
Der Überfall war beendet.
 

Rikyu

Mitglied
Der Sohn der CHOSON
(von Bernd von Sprockhoff nach Ideen von Ralf „Cornell“ Müller)

„Klar zum Auslaufen!“ Die Worte schallten weit über das emsige Treiben auf dem Schiff hinweg. Für einen unbedarften Beobachter sah es aus, als hätten sie keinerlei Auswirkungen auf die Tätigkeit der Besatzung. Tatsächlich besaß der Befehl nur noch formalen Charakter, denn das Schiff, ein Piratensegler, wurde schon seit Stunden auf eine neue Kaperfahrt vorbereitet.
Die Segel gesetzt, die Waffen überprüft: die Mannschaft erwartete den Befehl zum Auslaufen und dieser ließ nicht lange auf sich warten.
Santas-Gor, der Kapitän und Eigner des Kaperers, war zufrieden. „Anker auf! Segel setzt!“ Er wandte sich um. „He – Ruder: Kurs Wes-Ydd-Wes!“ „Wes-Ydd-Wes!“ Die Speichen des Ruders wirbelten herum. Die Segel, schon gesetzt, aber noch schlaff an den Rahen hängend, kamen fest und fingen den Wind.
Schnell und sicher kamen die Kommandos und wurden augenblicklich befolgt. Der merunische Kapitän hatte seine Leute gut in der Zucht. Jeder von ihnen war ihm in irgendeiner Weise mit dem Leben verpflichtet: Einen hatte er aus den Händen von Palastwachen gerettet, nachdem er versucht hatte, in die Frauengemächer einzudringen. Andere waren von ihm in Sicherheit gebracht worden, als sie sich vor ihren Schuldnern nicht mehr zu retten wussten. Wieder andere hatten sich ihm freiwillig angeschlossen, weil sie in Beschäftigungen wie dieser eine angenehme Art sahen, mit wenig Arbeit ein relativ sorgenfreies Leben führen zu können. Dass sie dabei jedes Mal von Neuem ihr Leben aufs Spiel setzten, kümmerte sie wenig.
Andererseits war auch Santas-Gor auf seine Leute und deren Loyalität angewiesen. Kein Kapitän konnte ein Schiff führen, wenn ihm die Mannschaft nicht mehr gehorchte oder noch schlimmer: wenn er überhaupt keine (mehr) besaß.
Das Schiff verließ die kleine Bucht, die dem Segler als Hafen diente. „He – Ruder: neuer Kurs Est zu Nor!“ Das Rad wirbelte herum, die Segel schlugen und wurden neu getrimmt. Das Schiff lag wieder ruhig am Wind in der Straße der Helden, in der es auf Beute lauerte.
Jetzt hieß es geduldig warten und kreuzen. Santas-Gor befand sich in einem Gebiet, in dem er die meisten Schiffe wusste. Hier bestand die größte Aussicht, ein Opfer zu finden, ein Opfer, das sich nicht als zu harter Brocken erwiese, ein Schiff, mit dem er nicht viel Arbeit hatte. Es war nur eine Frage der Zeit.
„Den Ausguck verdoppeln!“ Nun saßen sechs Mann im Krähennest und suchten den Horizont ab bereit, jede Unregelmäßigkeit sofort zu melden. Jeder von ihnen konzentrierte sich auf eine der Himmelsrichtungen. Doch noch war nichts zu erkennen. Nur leichter Dunst ballte sich im Mir zusammen, doch er bedeutete keine Gefahr.
Der Kapitän wusste, dass er sofort benachrichtigt werden würde, wenn sich auf Deck etwas von Belang ereignen würde. Er benutzte den hinteren Niedergang, um in seine Kajüte zu gelangen, wo er einige Nachrichten für seine Zwecke auswerten wollte. Vielleicht ergab sich dabei ein Hinweis auf ein besonders lohnendes Objekt.
Mit solchen Gedanken betrat er seine Kajüte und begann mit der Arbeit. Bald nahm sie ihn so gefangen, dass er die Welt um sich herum vergaß. Ein kräftiges Pochen an der Tür schreckte ihn auf. Unwillig über die Störung rief er das „Herein!“ Dabei machte er sich nicht einmal die Mühe aufzusehen, wusste er doch, dass es sich bei dem Eintretenden nur um Gasbau-Hug, seinen Stellvertreter handeln konnte.
“Kapitän, ich fürchte, es braut sich ein Unwetter zusammen. Wir steuern genau auf das Zentrum zu. Deine Anwesenheit an Deck ist vonnöten!“ Er erntete ein zustimmendes Brummen und wollte sich schon abwenden, als ihn eine Frage des Kapitäns zurückhielt. „Hat der Ausguck irgendeine Beobachtung machen können?“ – „Zwei Kriegsschiffe der Ah’tain waren kurz auszumachen, verschwanden aber gleich darauf wieder aus der Sichtweite. Handelsschiffe waren nicht auszumachen.“
Die beiden Männer zwängten sich den schmalen Niedergang hinauf und wandten sich sofort an den Ausguck und an den Rudergänger.
„Wie schätzt ihr den Sturm ein, der sich dort drüben bildet?“ Die Männer oben am Mast spähten noch einmal hinüber, um sich auch nicht die geringste Veränderung entgehen zu lassen. Die Antwort kam einige Sekunden später. „Er wird nicht so heftig werden, wie es um diese Jahreszeit wahrscheinlich ist, aber einige Ausläufer werden uns wohl erreichen.“ – „Wahrscheinlich wird es für ein paar Minuten ungemütlich für uns werden.“ kommentierte Santas-Gor diese Auskunft aus der Höhe. „Rudergänger!“ Sein Ruf gellte über das Schiff. „Kurs Est, direkt auf den Schlamassel zu. Wir werden den Böen entgegenfahren, um ihnen keine Zeit zu geben, zu kräftig für uns zu werden. Vielleicht“, diese Worte richtete er an seinen Stellvertreter, „vielleicht können wir uns bei dieser Gelegenheit auch einen Havaristen schnappen.“
Der Wind frischte jetzt merklich auf. Das Schiff schüttelte sich unter den Luftmassen, die sich gegen die Segel warfen, aber gerade deswegen gehorchte es einwandfrei dem Ruder. In langen Schlägen glitt der Kaperer auf das Sturmzentrum zu, drehte kurz vorher etwas ab und nutzte den nun raumen Wind aus, um mit höchster Fahrt, deren die Takelage fähig war, diese unwirtliche Gegend zu verlassen. Die Männer im Ausguck hatten sich schon längst festgezurrt, um nicht unversehens aus dem Mastkorb geschleudert zu werden. Ihre Aufgabe, die Umgebung ihres Schiffes im Auge zu behalten, erschwerte sich merklich, doch sie waren derartige Unbill gewohnt.
Als der Segler wieder in weniger stürmisches Wasser, ruhig konnte man es noch nicht nennen, geriet, war Santas-Gor Glück beschieden. Es war ein kleines Schiff, an dem ihn irgendetwas am Erscheinungsbild störte. Es schien ebenfalls in den Sturm geraten zu sein, hatte ihn aber offenbar unbeschadet überstanden. Santas-Gor nahm direkten Kurs darauf. Bald darauf wurden Einzelheiten des fremden Schiffes deutlich, so dass der Pirat sich über die ihm vollkommen unbekannte Bauweise wundern konnte.
Der Bug unterschied sich zwar nur unwesentlich von dem seines eigenen Schiffes, aber schon die Verankerung der Masten erregte seine Aufmerksamkeit. Die Segelform hingegen, die sich ebenfalls sehr von den ihm bekannten Formen unterschied, machte ihm weniger Sorgen: neue Formen tauchten immer wieder auf. Fast jedes Volk experimentierte ständig mit neuen Segeln für die unterschiedlichsten Zwecke.
Der Stern allerdings war ungewöhnlich, Santas-Gor hätte nicht direkt sagen können, was ihn im Einzelnen daran verwunderte, war er doch nicht überhöht oder zu flach; doch die allgemeine Erscheinung fiel auf.
Schließlich erkannte er die Hauptursache der fremdartigen Erscheinung: alle Schiffe, die er bisher gesehen hatte sein eigenes nicht ausgenommen zeigten Verzierungen, welche die Stellung des Eigentümers oder des Kapitäns in irgendeiner Weise darstellten. Oft kam dies nur unbewusst zustande gekommen, doch bisher hatten sie nirgends gefehlt.
Dieses Schiff aber wies nichts dergleichen auf und hauptsächlich war es das, was dem Piraten aufgefallen war. Allerdings konnte er sich des Eindrucks nicht verwehren, dass gerade diese Schlichtheit, diese Schmucklosigkeit, ein Schmuck besonderer Art war. Er glaubte sogar, dass diese Schlichtheit, ein Wesensmerkmal der Menschen auf diesem Schiff, eine Homogenität ausstrahlte, die jeden anderen Schmuck überflüssig machte, ja, ihn geradezu verbot.
Er war jetzt auch nicht mehr weiter erstaunt, als er – die Schiffe waren nähergekommen – einzelne Besatzungsmitglieder des anderen Schiffes erkennen konnte. Sie waren auf gleiche Weise fremdartig wie ihr Schiff. Die Kleidung bestand augenscheinlich aus einer fest um den Oberkörper geschlungenen Jacke, die jedoch Bewegungen in keiner Weise zu behindern schien, und einer Art weiter Hose. Insgeheim nahm sich Santas-Gor vor, ähnliche Kleidungsstücke auch bei seinen Leuten einzuführen, denn die Wämser und anderen Dinge, die sie trugen, waren zuweilen recht hinderlich.
Doch er zwang sich dazu, die fremden Magiraner weiter zu beobachten und nicht in Gedanken abzuschweifen. Die Gesichter wirkten etwas maskenhaft, was teilweise von den schräg gestellten Augen herrühren mochte, die jedoch harmonisch in den Gesamteindruck passten. Die Augen selbst konnte Santas-Gor nur selten erkennen; es musste sich schon ein kurzer Sonnenstrahl zu ihnen verirren. Irgendwie erinnerten sie ihn an die Ao-Lai, die bis vor kurzem eben-falls in dieser Gegend unterwegs waren.
Die Gesichter wirkten leicht rundlich – nichts Besonderes auf Magira. Die Sonne bemühte sich inzwischen, Licht in die ganze Sache zu bringen und vertrieb allmählich die Wolken und damit auch den Sturm.
Doch viel mehr als die äußeren Unterschiede störte ihn das Verhalten der fremden Besatzung. Es schien sie in keiner Weise zu interessieren, dass in unmittelbarer Nähe von ihnen ein fremdes Schiff heranglitt. Nun gut, der eine oder andere setzte seinen Helm auf, aber sonst machte niemand Anstalten, sich auf einen Kampf vorzubereiten.
Santas-Gor schloss daraus, dass sich die Fremden nicht in einen Kampf einlassen wollten, aus welchen Gründen auch immer. Nun, es sollte ihm recht sein. Einen leichten Sieg konnte er immer gebrauchen, wenn auch seine Leute die Kampfesfreude vermissen würden.
„Rudergänger!“ Der Pirat hob den Kopf und sah seinen Chef abwartend an. „Angriffskurs! Zum Beidrehen auf Kommando bereithalten!“ Nur wenig drehte der Pirat das Rad, dann stand es wieder still. „Auf Gefechtsstationen!“ Der Befehl seines Stellvertreters gellte durch alle Decks und löste kurzfristig hektische Aktivität aus. Das Feuer in der Kombüse wurde gelöscht, einige Reffs wurden gesteckt und das Enterkommando für den ersten Angriff sammelte sich an der Reling.
Immer näher kamen sich die beiden Schiffe und immer noch dachte keiner der Fremden daran, Kampfformation einzunehmen. Sie wirkten vollkommen desinteressiert, vielleicht sogar etwas überheblich, so als hätten sie es nicht nötig zu kämpfen, wenn ihnen nicht danach war. In Santas-Gors Achtung waren sie schon erheblich abgesunken.
Dann waren die beiden Rümpfe so dicht zusammen, dass die Enterhaken flogen. Sie verbissen sich im Holz und wurden herangezogen. Die beiden Schiffe glichen ihre Bewegungen gezwungenermaßen einander an und hatten dann gleichen Kurs.
„Entern!“ Die Männer hatten auf diesen Befehl gewartet. Sie nahmen einen, zwei Schritte Anlauf und sprangen in großen Sätzen über die beiden Relings. Auf dem anderen Schiff gelandet, wollten sie sich sofort auf ihre Gegner stürzen, doch schon nach zwei Schritten blieben sie verwirrt stehen. Niemand aus der Besatzung war zu sehen. Da erreichte sie auch schon der nächste Befehl ihres Kapitäns: „Segel reffen und alle Niedergänge besetzen! Rasch!“
Gleichzeitig mit dem letzten Wort öffneten sich vier Türen, aus denen jeweils fünf Bogenschützen quollen. Sie eröffneten augenblicklich das Feuer. Eine unangenehm hohe Schussgeschwindigkeit hatten sie, musste der Pirat anerkennen, dazu trafen sämtliche Pfeile ihr Ziel: Arme, Hälse und Beine seiner Leute. Die ersten Reihen stürzten schon.
In das entstehende Durcheinander sprangen aus den verschiedensten Deckungen die Mannschaften, die sich beim Entern wie durch Zauberei unsichtbar gemacht hatten.
Santas-Gor fluchte. Jetzt rächte sich seine Überheblichkeit, in den Fremden Unterlegene gesehen zu haben, nur weil sie ihn scheinbar nicht beachteten. Mit zusammengebissenen Zähnen stürmte er an der Spitze seiner Leute, welche die zweite Welle hatten bilden sollen, auf das Deck. Mit einem wilden Schrei warf er sich auf die Feinde und attackierte sie mit kurzen Hieben, fast ohne Ansatz.
Zwei von ihnen konnte er auf diese Weise ausschalten, dann wurde er auf die Seite gedrängt. Wie ein Feldherr suchte er sich einen überhöhten Platz, um seine Leute, die ihren Feinden mindestens achtfach überlegen waren, besser leiten zu können.
Doch je weiter die Zeit fortschritt, desto weniger von ihnen fand er, denen er noch Anweisungen zurufen konnte.
Zu viele fielen unter blitzschnellen Hieben der schwach gekrümmten Klingen der Fremden. Zwar wurden auch diese erbarmungslos niedergemacht, aber auf jeden der gefallenen Gegner kamen mehr als vier seiner eigenen Leute.
Langsam nur gewann er die Oberhand. Auf dem Großteil des Decks war es inzwischen ruhig geworden, lediglich am Großmast tat sich noch Wesentliches.
Dort stürmten etwa acht seiner Jungs gegen eine Stelle an, an der er nur einen einzigen Mann erkennen konnte. Und dieser schien sich seine Gegner vom Leibe halten zu können.
Santas-Gor näherte sich dieser Stelle. Nahe genug herangekommen, fiel ihm auf, dass dieser Mann nur einen Arm benutzte, um seine Waffe zu führen. Mit dem linken Arm hielt er ein Kleinkind auf seinem Rücken fest, welches er auf diese Weise äußerst wirksam von Hieben schütze, denn an seinem Schwert kam keiner vorbei.
Dabei wandte er eine Technik an, die Santas-Gor noch nicht kannte. Blitzschnelle Hiebe, die scheinbar nur die Luft zerteilten und erst nach Sekunden erkennen ließen, dass sie getroffen hatten, ließen ihn aber sehr schnell Respekt davor bekommen.
Fasziniert sah er dem Kampf zu und achtete kaum auf die Leichen seiner Männer, die sich immer höher um den Kampfschauplatz türmten. Dieser Fremde musste sich geraume Zeit gegen eine Übermacht zur Wehr setzen, hatte aber bisher nur einige leichte Schnittwunden davongetragen. Er bewegte sich immer noch mit einer Leichtigkeit und Eleganz, als handle es sich bei diesem Kampf um einen Spaziergang und nicht um eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Dabei stand ihm jedoch der Schweiß in dicken Tropfen auf der Stirn. Seine Rüstung, ein seltsam anmutender Plattenpanzer, war blutbespritzt und bot einen merkwürdigen Anblick.
Santas-Gor sog jede Bewegung des Kämpen in sich auf, begierig, soviel wie möglich da-von für seine eignen Belange später benutzen zu können.
Allmählich wurde ihm aber auch bewusst, dass der Kreis seiner Leute um den Fremden herum langsam, aber stetig lichter wurde. Er zählte mit Schrecken, dass dieser Mann schon vierzehn Piraten außer Gefecht gesetzt hatte.
Hier musste etwas geschehen. Santas-Gor griff zu einer List: langsam bewegte er sich seitwärts, ganz langsam, um nicht aufzufallen. Weder durfte einer seiner Leute bemerken, dass er einen Plan hatte, denn sie durften nicht abgelenkt werden, sondern mussten weiterkämpfen. Und schon gar nicht durfte dieser Mann argwöhnen, dass er etwas gegen ihn im Schilde führte. Santas-Gor traute ihm ohne Weiteres zu, dass er sofort erkennen würde, was der Pirat vorhatte, bekäme er auch nur die kleinste Gelegenheit dazu. Und ein zu frühes Erkennen der Gefahr nähme ihm die letzte Möglichkeit, gegen diesen Meister im Umgang mit dem Schwert zu agieren.
Ganz langsam gelangte er so in die Nähe einiger Blöcke, die über verschiedene Taue einen Mastbaum arretierten. Derweilen fielen die Hiebe des gegnerischen Schwerts weiterhin sehr schnell und ebenso schnell waren wieder einige seiner Mannschaft niedergemacht.
Santas-Gor musste sich zwingen, langsam weiter zu gehen und nicht im letzten Augenblick zu hasten und dadurch alles zu verderben.
Da – einer der Angreifer sah einen winzigen Moment zu ihm hinüber – hatte er aus den Augenwinkeln seinen Kapitän gesehen und hoffte nun auf die Wende? Doch auch der Verteidiger hatte die Unaufmerksamkeit ausgemacht und nutzte sie zu einem Hieb, dessen Schnelligkeit Santas-Gor nur erahnen konnte.
Der Pirat sah die Wunde nicht, die der Merune, es war sein zweiter Steuermann, erhielt, aber er sah die Wirkung, als dieser langsam in sich zusammensackte, ohne zu wissen, warum ihn plötzlich die Kräfte verließen. Wieder musste sich der Kapitän beherrschen.
Jetzt war er nahe genug! Er dreht sich etwas zur Seite und griff verstohlen zu seinem Schwert, das er noch nicht wieder blank gezogen hatte. Mit einem Ruck riss er es aus der Scheide und führte einen, zwei schnelle Hiebe gegen die Taljen. Einen Moment musste er seine Aufmerksamkeit auf dieses Vorhaben lenken und konnte nicht auf dem Fremden achten.
Dieser jedoch, durch die schnelle Bewegung an seine Seite gewarnt, reagiert blitzschnell, schneller noch, als Santas-Gor seine Waffe zog.
Er vollendete einen Hieb gegen einer seiner Bedränger und holte gleichzeitig das Kind hinter seinem Rücken hervor. In einer Körperdrehung nach rechts warf er den Kleinen aus dem Gefahrenbereich zum Hauptmast. Dadurch waren sowohl die Piraten als auch deren Kapitän nicht mehr in der Lage, das Kind, welches dem Krieger von sehr großer Wichtigkeit zu sein schien, als Geisel zu benutzen. Der Krieger dachte nämlich keinen Augenblick daran, nun sein Wüten einzustellen.
Im Gegenteil: nachdem er jetzt auch den linken Arm frei hatte, führte er seine Klinge beidhändig. Die Hiebe wurden noch kraft-voller und noch schneller. Das Auge konnte kaum noch folgen.
Santas-Gor, noch immer durch seine eigene Aktion in Anspruch genommen, wurde von dem Angriff völlig überrascht.
Noch ehe der Mastbaum, den er durch seine Schnitte gelöst hatte, auf das Deck und auf den Fremden stürzen konnte, war dieser schon mit einem gewaltigen Satz aus der gefährdeten Region gesprungen. Er stürzte sich sofort auf Santas-Gor. Es war für den Piratenchef ein seltsames Gefühl, plötzlich unmittelbare Bekanntschaft mit einem Schwert machen zu müssen, das sich seiner Kehle bis auf weniger als einen Zentimeter genähert hatte.
Zwar hatte die Situation selbst nichts Neues für ihn, nur waren die Rollen in allen bisherigen Fällen immer vertauscht gewesen: stets war er derjenige gewesen, der die Hand am Griff des Schwertes gehabt hatte und damit die Bedingungen hatte diktieren können.
Sich jetzt in der Rolle des Bedrängten sehen zu müssen, war völlig neuartig für den Merunen. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Hatte es Sinn zu versuchen, seinem Gegner die Waffe zu entreißen und womöglich den Spieß umzudrehen? Die unangenehme Nähe der Schneide sprach allerdings nachdrücklich dagegen und Santas-Gor entschloss sich, dieses Argument nicht zu ignorieren. Es war einfach zu gewichtig. Aber was dann?
So weit war er mit seiner Überlegung gekommen, als sich der Mastbaum, den er gelöst hatte, in Bewegung setzte und mit Vehemenz auf das Deck krachte.
Der Fremde sah ihn zwar auf sich zukommen, hatte aber durch den Piraten unter seinem Schwert keine Möglichkeit, diesem Geschoss auszuweichen. Der Mastbaum landete auf seinen Beinen, er hatte nur sehr wenig ausweichen können.

Wenn Santas-Gor aber darauf gehofft hatte, jetzt eine Chance zu bekommen, sich seines Widersachers zu entledigen, wurde er jetzt gründlich enttäuscht.
Er hatte mit einem Zusammenzucken seines Gegners gerechnet und wollte diese Gelegenheit benutzen, um das Schwert von seiner Kehle zu bekommen. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht.
Der Griff um seinen Hals, der auch vorher schon fest gewesen war, versteifte sich sogar noch. Wohl wurde das Schwert an seinem Hals ein wenig verschoben, weil die Hand, die es hielt, nicht mehr so locker war. Doch selbst dadurch erhielt der Kapitän nicht die kleinste Chance, diesen für ihn mehr als ungemütlichen Zustand auch nur im Geringsten zu verbessern.
Nicht zu übersehen war allerdings, dass jetzt Schmerzwellen den Körper des Fremden schüttelten, so dass dieser seine ganze Beherrschung aufbieten musste, um ruhig zu bleiben.
Sowohl der Fremde aus auch Santas-Gor wussten, dass die zerschmetterten Beine das Todesurteil für den Verletzten bedeuteten. Lange konnte er nicht mehr leben, dann musste sich der Griff um Santas-Gor lockern, dann endlich würde er sich befreien können. Bis dahin musste er versuchen, den Fremden nicht zu reizen, damit dieser nicht in einer Kurzschlusshandlung die Schärfe seiner Klingen an Santas-Gors eigener Kehle unter Beweis stellte.
Doch es kam anders als erwartet.
Der Fremde dreht sich herum und zwang den Merunen, es ihm gleich zu tun.
Dort, wohin er jetzt sehen konnte, lag das kleine Kind, das der Verwundete während des gesamten Kampfes auf dem Rücken vor Schwerthieben geschützt hatte. Der Kaperkapitän starrte auf das Kind, ohne es recht zu sehen. Seine Gedanken vollführten wilde Sprünge, aber er konnte keinen Sinn erkennen. Und doch wusste er, dass der Fremde diese Bewegung, die ihn viel Kraft gekostet hatte, nicht ohne triftigen Grund gemacht hatte.
Er brauchte indes nicht lange auf des Rätsels Lösung zu warten. Der Fremde begann zu sprechen. Es waren zwar bekannte Worte, aber in einer ungewohnten Betonung und Aussprache von einer ungeübten Zunge. Zunächst verstand der Kaperer nicht, was sein Gegner von ihm erwartete bzw. forderte. Nach und nach gewöhnte er sich aber an die fremden Laute und bekam endlich mit, was von ihm erwartet wurde.
Der Fremde wollte seinen Namen wissen und Santas-Gor, um ihn nicht zu reizen, tat ihm den Gefallen. Daraufhin erfuhr er, dass er es mit einem Angehörigen des Volkes der CHOSON zu tun hatte. Von diesem Volk hatte der Merune noch nie etwas gehört. Doch er bekam keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken, denn der Fremde sprach weiter und er musste sich bemühen, ihn zu verstehen.
Der Fremde stellte sich vor. „Erlaube mir, dass ich Euch meinen Namen nenne. Man nennt mich HOSHEI Hirokazu. Wisse, dass dieser Name in unserem Volk Ansehen genießt. Das Kind, das du dort drüben am Mast liegen siehst, ist mein Sohn. Er trägt den Namen HOSHEI Rikyu.“ Der CHOSON unterbrach sich und ließ eine erneute Welle des Schmerzes vorübergehen, dann sprach er weiter.
„Du wirst diesem Kind, meinem Sohn, ein Zuhause geben. Es wird dein eigenes Haus sein.“ Santas-Gor wollte aufbegehren und unwillkürlich richtete er sich auf, doch die Klinge, noch immer unverrückbar an seinem Hals, belehrte ihn schnell eines Besseren. Mit absoluter Ruhe sprach der tödlich Verwundete weiter.
„Es wird dein eigenes Haus sein und Du wirst ihn wie deinen eigenen Sohn behandeln und erziehen. Wenn es an der Zeit ist, wird mein Sohn dich verlassen. Dann wird er zu seinem eigentlichen Volk und seiner eigentlichen Familie zurückkehren.“ „Warum sollte ich das tun?“ wagte Santas-Gor einzuwerfen. Der CHOSON lachte nicht einmal darüber. „Wenn Du nicht wie ein Tier sterben möchtest, wirst Du mir dein Wort darauf geben.“
Der Kapitän wusste, dass der CHOSON unvorstellbare Schmerzen aushalten musste, doch war ihm nichts anzumerken. Welch eine Selbstbeherrschung musste dieser Mann besitzen!
Santas-Gor begann, Achtung vor ihm zu empfinden. Dennoch zögerte er, in das erwartungsvolle Schweigen des Anderen hineinzusprechen. Er dachte nach. Doch nicht das Verlangen des CHOSON war Thema seiner Überlegungen, sondern die Frage, über welche innere Kraft ein Mensch verfügen musste, um angesichts solcher Schmerzen und der Gewissheit des baldigen Todes in der Lage zu sein, dem Gegner den eigenen Sohn zur Erziehung anzuvertrauen. Welch eine unerschütterliche Überzeugung musste dahinterstecken!
Sants-Gor begann allmählich zu ahnen, wie sich die Lage entwickeln würde. Der Fremde drängte ihn nicht, er ließ ihn überlegen und abwägen und plötzlich war es für den Piraten nicht mehr wichtig, zu erfahren, was für ihn selbst dabei herausspränge, falls er auf den Handel einginge. Es kam jetzt nur noch darauf an, das Kind zu retten.
Langsam nickte er. „Ich will tun, was Du von mir verlangst; aber nicht, weil das Schwert an meiner Kehle sitzt, sondern nur deshalb, weil ich dem Kind helfen möchte.“ Er brach ab und räusperte sich, sprach dann aber weiter.
„Du hast eine gute Art zu kämpfen, HOSHEI Hirokazu.“ Der Name wollte ihm nur schwer über die Lippen. „Ich bewundere sie.“
Der CHOSON nickte. „Ja, sie mag gut sein, doch gibt es viele, die besser mit der Waffe umzugehen verstehen.“ Santas-Gor hielt es für besser, nicht weiter darauf einzugehen. Er wechselte das Thema. „Genügt dir mein Wort?“
„Schwöre bei allem, was dir heilig ist, Santas-Gor. Sprich laut genug, damit deine Männer dich verstehen. Für sie wird der Eid in gleicher Weise gelten wie für dich.“
Santas-Gor dachte noch einige Sekunden lang nach, dann hob er den Blick und rief seine Leute zusammen, die sich auf dem Deck aufhielten. Sobald sie um ihn herumstanden, sprach er mit lauter, fester Stimme, die keine Spur von Unsicherheit verriet:
„Hört mich an! Ich gelobe, dieses Kleinkind, welches der Sohn des Kriegers hier ist, in mein Haus aufzunehmen und ihn wie einen Sohn zu behandeln und zu erziehen. Es soll ihm die beste Ausbildung gegeben werden, welche ich ihm geben kann. Es soll ihm an nichts mangeln. Dies schwöre ich bei allen merunischen Göttern!“ Für einen Augenblick senkte er seine Stimme. „Und das sind nicht gerade wenige“ raunte er dem Verletzten zu. Dieser blieb einen Augenblick regungslos liegen, dann lockerte sich der Griff um das Schwert. Er gab den Piraten frei, nachdem er sich wieder herumgewälzt hatte, und blieb einen Moment in entspannter Haltung liegen.
Der Kapitän fuhr sich mit der Hand über seinen Kehle und rappelte sich dann auf. Keinen Augenblick dachte er daran, sein soeben gegebenes Wort zu brechen und dem Gegner hinter ihm eine Klinge in den Leib zu stoßen. Stattdessen drehte er sich herum und wandte sich an den ihm nächststehenden Piraten. „Sorge dafür, dass der Mastbaum so schnell wie möglich weggeschafft wird.“ Der Angesprochene winkte einigen Kameraden und zusammen machten sie sich an die Arbeit.
Da der Baum selbst noch am Mast befestigt war, konnten sie ihn nicht ohne Weiteres anheben und fortschaffen. Der Führer der Arbeitsgruppe erkannte das auch und ging sofort einen neuen Plan an. „Einen Keil!“ – „Zwei, nein, drei schwere Hämmer!“ – „Du da, schaff eine Talje und einen Dreifach-block herbei! Vergiss auch nicht die Taue dafür!“ Er wirbelte herum und schickte den nächsten Mann mit einem neuen Auftrag unter Deck. „Zwei Böcke zum Abstützen des Baumes, aber rasch, sonst vergeht meine gute Laune!“
Es war erstaunlich, wie schnell die benötigten Geräte zur Hand waren. Der Keil wurde angesetzt, dann stellten sich drei kräftige Kerle zurecht und trieben das Holz mit schweren Schlägen unter den Mastbaum. Kaum passte der erste Bock darunter, wurde er auch schon untergeschoben, gleich darauf kam schon der zweite.
Jetzt konnte ein Schäkel um das Ende geschlungen werden und ein Block wurde daran befestigt. Am Mast war inzwischen ein weiterer Block klargemacht worden. Nun wurde ein Tau eingezogen und der Baum bekam Spannung. Langsam wurde er angehoben, bis er frei über Deck hing.
Jetzt erst war es möglich, ihn zu Seite zu schwenken und abseits des Geschehens wieder auf Deck hinabzulassen.
Die ganze Prozedur hatte eine knappe halbe Stunde gedauert und die Kräfte des Verletzten waren sichtlich am Schwinden. Immer neue Schmerzwellen ließen ihn sich aufbäumen, obwohl er es meisterhaft verstand, sich zu beherrschen.
Santas-Gor, der allmählich Mitleid mit dem Todgeweihten bekam, trat zu ihm hin. „Es wird leichter für Dich sein, wenn Du von deinen Leiden erlöst wirst. So musst Du nur unnötige Schmerzen ertragen. Lass mich Dir helfen!“ Mit diesen Worten wollte er sein Schwert ziehen und seinen Vorschlag in die Tat umsetzen.
Doch der CHOSON hob abwehrend die Hand. „Warte! Deine Worte sind gut, doch Du kannst mir nicht helfen.“ Er richtete sich etwas auf und tastete mit der Hand auf dem Deck umher. Offenbar suchte er seine eigene Waffe, die beim Wegschaffen des Mastbaums beiseite geschoben worden war. Santas-Gor sprang herbei und reichte sie ihm. HOSHEI Hirokazu nahm das Schwert entgegen und führte die flache Seite der Klinge an seine Stirn. Dann nahm er sie in die Hand. Durch eine schnelle, kaum zu verfolgenden Bewegung, die auch das schon geronnene Blut wegschleuderte, säuberte er die Waffe und schob sie dann in die Scheide, ohne auch nur hinzusehen.
Auch diese Art der Behandlung einer Waffe war für Santas-Gor neu. Er schaute wie gebannt auf den Fremden, um nur nichts von dem zu versäumen, was gleich geschehen musste. Er sah, wie sich der CHOSON auf die untergeschlagenen Beine setzte, auch wenn diese kaum mehr als solche bezeichnet werden konnten. Niemand getraute sich, ihm zu helfen. Jeder spürte, dass der CHOSON jetzt keine Hilfe mehr benötigte. Der Verletzte legt die Finger ineinander, so dass sich die Daumen fast berührten und versank in eine kurze Meditation.
Auf dem ganzen Schiff war es ruhig geworden, nur ein gelegentliches Knarren des Schiffsholzes durchbrach die Stille. Jeder der überlebenden Piraten wusste, dass dieser Mann nur noch ein paar Minuten zu leben hatte und jeder staunte über sein Verhalten. Für diese harten Männer war das ei-ne vollkommen neue Erfahrung. Kaum einer kannte etwas Ähnliches.
Jetzt kam wieder Bewegung in den CHOSON. Sein Gesicht wirkte jetzt entspannt, er schien keine Schmerzen mehr zu empfinden, ja, er schien fast gelöst und heiter.
„Eine Bitte habe ich noch an dich, Santas-Gor“ wandte er sich an den Kapitän. Dieser hob nur fragend die Augenbrauen. „Hebe diese Waffe, die ich jetzt trage, für meinen Sohn auf und gib sie ihm, wenn er bereit dazu ist. Mehr erwarte ich nicht von Dir!“
Der Merune nickte nur stumm, er wollte diesen Augenblick nicht durch Worte entweihen, die nicht dafür gedacht waren.
Der CHOSON dankte ihm durch ein leichtes Kopfnicken, zog sein Schwert und setzte es sich mit der Spitze an der linken Seite an seinen Unterleib. Er stieß sich die Klinge mit einem kräftigen Ruck in den Leib und führte langsam sie nach rechts hinüber, drehte sie dann so, dass sie schräg nach oben wies und schnitt weiter.
Die Gedärme quollen ihm schon aus der Bauchhöhle und noch immer schien er keinerlei Schmerz zu verspüren.
Der CHOSON zog das Schwert heraus und vollführte wieder jene schnelle Schleuderbewegung, die die Klinge von jeglichem Blut befreite. Auf die gleiche Art wie vorher schob er sie dann wieder in die Scheide, löste hierauf die Sicherungsschnur, mit der die Waffe an seiner Seite befestigt war und reichte diese dem Piraten.
Dann legte er wieder die Finger ineinander, verharrte etwa eine Sekunde lang regungslos und sank dann langsam in sich zusammen.
Er war tot.
Lange Minuten regte sich nichts auf beiden Schiffen. Auch die Männer, die sich noch auf dem Kaperer befanden und das Schau-spiel hatten miterleben können, waren er-griffen.
Langsam nur kam Santas-Gor wieder zu sich. Es war ihm, als tauche er aus tiefer Benommenheit wieder an das Licht des Tages. Seine Achtung vor diesem Mann und damit auch vor diesem Volk war ins schier Unermessliche gestiegen. Ja, er wollte diesem Kind ein guter Vater sein, er wollte ihm alles lehren, was er wusste und konnte, er wollte ihm auch das beibringen lassen, was er ihm nur über andere vermitteln konnte. Dieses Kind sollte nicht auf eine solche Weise in der Fremde den Tod finden, auch nicht auf die Art, wie die Piraten sie verübten.
Santas-Gor wollte dem Toten die letzte Ehre erweisen, indem er ihn nicht, wie er es normalerweise getan hätte, über Bord werfen ließ, sondern indem er ihn auf dem Schiff beließ und dieses versenkte.
„Alles auf unser Schiff!“ wies er seine Leute an und keiner unter ihnen murrte über Santas-Gor, obwohl er ein so mühsam erbeutetes Schiff mit einer gewiss reichen Ladung an Bord aufgab. Die meisten verstanden ihn wenigstens andeutungsweise.
Die Piraten zogen sich gegenseitig auf ihre eigenen Planken hinüber. Santas-Gor wollte schon das Zeichen geben, die Taue mit den Enterhaken zu lösen, als sich eine kleine Tür auf dem fremden Schiff öffnete, die bislang unbeachtet geblieben war. In der Tür erschien ein Mann, unzweifelhaft ein CHOSON, der seine besten Jahre jedoch schon weit hinter sich hatte. Dennoch wirkte er nicht senil, im Gegenteil, er war noch ausgesprochen rüstig. So, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, turnte er ebenfalls über ein Tau auf das Piratenschiff hinüber.
Die Piraten, ebenfalls verdutzt, schauten auf ihren Kapitän, der nach einigen Augenblicken Erstaunen befahl: „Leinen, los! Haken einholen!“ Dann erst wandte er sich an den CHOSON. Den Jungen hatte er neben das Ruder legen lassen.
„Mein Name ist MORJ Akimoto. Ich bin Krieger. Ich bitte Dich, Santas-Gor, mir den Jungen anzuvertrauen. Ich werde mich um ihn kümmern.“ So gelassen kamen diese Worte aus dem Mund des Kriegers, der zum Kampf zu alt war, dass der Pirat unwillkürlich nickte.
„Ja, Du sollst sein Erzieher sein. Du sollst einer derjenigen sein, die meinem Sohn“, die letzten beiden Worte kamen ihm noch etwas schwerfällig über die Lippen, „die meinem Sohn beibringen, wie man durch das Leben kommt.“
„Auch das werde ich ihn lehren, so es mir vergönnt sein wird.“ „Und verwahre auch das Schwert“ fügte Santas-Gor noch hinzu und reichte ihm die Waffe. Der Alte ging zum Ruder, nahm das Kind an sich und betrachtete es lange. Dabei flüsterte er ihm einige Worte zu, die so leise waren, dass nicht einmal der Rudergänger, der doch unmittelbar neben ihm stand, etwas davon bemerkte.
Dann kam er wieder auf den Kapitän zu. „Setze nun deine Pläne fort!“ forderte er ihn auf.
„Brandpfeile in das Holz und in die Segel!“ Einige Bogenschützen traten vor, legten die Pfeile ein und brannten sie an einem eilig entfachten Feuer an. Dann spannten sie und gleich darauf steckten die Geschosse in den verlangten Zielen, im Holz und im Tuch, die sofort zu brennen anfingen. Das Piratenschiff gewann wieder Fahrt, als sich die Segel mit Wind füllten und legte eine sichere Entfernung zwischen sich und den Brander, der jetzt lange Funkenregen von sich stieß.
Das Prasseln war trotzdem noch gut zu hören und Santas-Gor starrte mit unbewegter Miene auf den Riesenbrand, bis dieser schließlich durch das Meerwasser, das gierig durch die entstandenen Löcher drängte, gelöscht wurde.
Schließlich versank das Schiff mit einem hohlen Gurgeln.
Der Überfall war beendet.
 



 
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