Der Wirbel im Zuber

Der Wirbel im Zuber

Hirschhorn am Neckar wohnt im Herbst ein Zauber inne: Wenn sich, am Rand des südlichen Odenwaldes, das Laub in warmes Gold und Kupfer färbt, scheint die alte Ritterstadt für einen Moment wieder in ihre eigene Vergangenheit zurückzugleiten.

An den Ufern des Neckars steigt dann oft ein sanfter Nebel auf, der die Fachwerkhäuser einhüllt und Hirschhorn ein fast märchenhaftes, altes Antlitz verleiht.

Zur Geschichte:

Über dem Fluss thront die 1260 von Johann von Hirschhorn erbaute Burg wie ein stiller Wächter. Die Herren von Hirschhorn waren eine Familie aus Edlen und Ministerialen, die ihren Stammsitz über viele Jahrhunderte in der Burg Hirschhorn hatte.

Sie besaßen umfangreiche Güter im Neckartal, Odenwald, Kraichgau und am Rhein und galten als bedeutendes deutsches Rittergeschlecht. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Burg stets erweitert.

Die Familie starb 1632 im Mannesstamm aus, als Friedrich von Hirschhorn verstarb. Doch die Burg ist bis heute sehr gut erhalten.

Im neuzeitlichen Hirschhorn entwickelte sich in den 80iger Jahren ein Ritterfest. Anfang September — die Tage waren noch warm, und abends wurde es schon etwas frisch im Neckartal — verwandelte sich die Altstadt jährlich in ein kleines mittelalterliches Königreich.
Zwischen Fachwerk, Burgmauern und Kopfsteinpflaster lachten die Menschen, brummte der Bordun der Drehleiern, dudelten die Sackpfeifen und es roch nach Rauch, heißem Met, Bier und gebratenem Fleisch.

Und so begab es sich vor nahezu 25 Jahren dass...

ich, die Wölfin von Lupus Rex, natürlich mittelalterlich gewandet – meine Freundin Pia besuchte. Die Silberschmiedin, an ihrem Stand im Händlerlager, wie jedes Jahr.

Ich trug einen winzigen Brillanten im Nasenflügel, ein kleines Funkeln im Fackelschein.

Wir waren eine große, fröhliche Truppe: Bekannte, Freunde, Weggefährten. Und wir hatten schon ordentlich einen im Tee, lange bevor die Sonne ganz untergegangen war.

Zur späten Stunde – irgendwie rutschte man immer mitten hinein, ob man wollte oder nicht – beschlossen wir, den großen Zuber zu besuchen. Den riesigen, dampfenden Badebottich, in dem Männlein und Weiblein bunt gemischt und gänzlich unbekleidet saßen, lachten und sangen. Es war jedes Jahr ein einziges, gut gelauntes Durcheinander, und dieser Abend war keine Ausnahme.

Also kletterten wir hinein, einer nach dem anderen, bis wir da zu mehreren hockten wie eine überdimensionale, etwas beschwipste Suppeneinlage. Die Stimmung war ausgelassen, ein paar sehr hübsche junge Damen waren auch dabei, alle gut gelaunt, kichernd, mit roten Backen vom heißen Wasser.

Irgendwann, während ich halb eingelullt im warmen Sud saß, griff ich mir kurz an die Nase – eine unbedachte Bewegung – und plötzlich: plopp. Mein kleines weißgoldenes Nasenpiercing mit dem echten Brillanten sprang heraus und verschwand im Wasser. Einfach so. Ein winziges Ding in einem Bottich voller Menschen.

„Alle suchen!“, rief Friederum von Aquitum, mein alter Kumpel, und wir begannen das gute Stück zu suchen. Wir suchten alle, doch ohne Erfolg.

Dann hob Magus Magister seinen Zeigefinger wie ein Magier, der das Element des Wassers beherrscht, ein ernstes Gesicht, sehr theatralisch (das kann er echt gut) und rief: „Wirbel! Wirbel! Wirbel! Ich beschwöre dich. Wirble und zeige Dich, damit das Kleinod auftauche!“

Und weil wir alle schon überdreht und ziemlich albern waren, hakte sich tatsächlich jeder ein – Arm in Arm und wir begannen, uns im Kreis zu drehen. Erst langsam, dann schneller, bis das ganze Becken zu einem schäumenden Strudel wurde.

Wir drehten und drehten – und ich überlegte schon, ob der Brillant wohl für immer in den Tiefen des Zubers verschwunden bliebe ---, als ich plötzlich mitten im Wirbel eine kleine Bewegung machte: Daumen, Zeigefinger, ein Reflex.

Und zack – ich hielt etwas zwischen den Fingern.

Meinen Brillanten.

Das Ganze geschah so überraschend, dass ich erst einmal blöde auf meine Hand starrte, während ringsum die Kumpanen Laute des Erstaunens von sich gaben, als hätten wir den heiligen Gral gefunden.

Die Schönheit neben mir grinste breit, nahm mir das Piercing aus der Hand, beugte sich nah heran und sagte leis zu mir „Na komm, ich setz dir das wieder ein.“

Und mitten im Gejohle und Gelächter verankerte sie mir den kleinen Stein wieder im Nasenflügel, ganz vorsichtig und schön langsam, als wäre es ein königlicher Akt.
Ich habe diesen Moment sehr genossen.

Was soll ich sagen: Das war der Wirbel des Jahrhunderts.

Und ein Abend, den ich nie vergessen werde.

Liebe Grüße an Friederum von Aquitum und Magus Magister von den Armati Equites aus Illertissen. Die können das bezeugen. ;-)
 



 
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