Der Wolf und die sieben Geißlein

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Sammis

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Der Wolf und die sieben Geißlein

Du glaubst also zu wissen, wie das damals war?
Möchtest du erfahren, wie es sich tatsächlich zugetragen hat?

Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs, Gliby und Puh waren sieben flauschig behaarte Schwestern. Alle hatten vier Beine, kurze Puschelschwänzchen und nichts als Unsinn in ihren behörnten, weißbraun gefleckten Köpfchen.
Nun fragst du dich vielleicht, warum Puh Puh heißt, und ihr Name nicht ebenso mit einem G beginnt, wie der von Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby?
Nun, sieben Geißlein zur Welt zu bringen ist kein Vergnügen. Puh war das letzte in der Reihe und als auch sie endlich geschlüpft war, meinte ihre arg mitgenommene Mama: »Puh!, das wäre geschafft.«

Den lieben langen Tag über tollten die Sieben durchs Haus und den Garten. An und für sich führten sie ein glückliches Leben, denn sie hatten ja einander. Und jeder, der eine Schwester oder eine Brüderlein hat, weiß, wie toll das ist! Und bei sieben an der Zahl ist das natürlich ganz besonders aufregend.Da hatten die Geißlein großes Glück!
Weniger Glück hatten sie mit ihrer Mama. Eigentlich sollte eine Mama immer die beste Mama der Welt sein. Ganz so, wie es sich ein jedes Kind wünscht und verdient!
Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs, Gliby und Puhs Mama war jedoch keineswegs die beste Mama der Welt. Sie tat nur das Allernötigste und trieb sich ansonsten den lieben lange Tag im Wald umher, während sie Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs, Gliby und Puh für Stunden im Haus einschloss.

Eines Tages, Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby tollten wie gewohnt durch den Garten, während Mama sich für ihren Aufbruch rüstete, stand Puh am weiß gestrichenen Gartenzaun und unterhielt sich mit jemandem.
Gog war es, die Puh zuerst vermisste und Gliby, die sie am Gartenzaun entdeckte.
Groß und dunkel, riesig und fast schwarz ragte dieser jemand über Puh hinaus. Er hatte mächtige, mit Klauen bestückte Pranken, dunkle unergründliche Augen und ein gewaltiges Maul, in welchem messerscharfe Reiszähne aufblitzten.
Es war der Wolf.
Alle kamen sogleich herbeigelaufen, denn alle liebten ihren struppigen Freund, den etwas tollpatschigen, schüchternen Wolf.
»Kinder, schert euch ins Haus, ich muss fort!«, rief die Mutter. Der Wolf, der übrigens Herbert hieß, schlich auf leisen Sohlen davon, und die sieben Geißlein liefen artig ins Haus.

»Was hat Herbert gesagt?«, wollten Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby von Puh wissen, nachdem ihr Mutter die Tür verriegelt und sich auf den Weg gemacht hatte.
»Er hat versprochen, uns noch heute von hier fortzuholen. Auf dass wir schon morgen zusammen frei und glücklich im Wald leben können!«, antwortete Puh.
»Das ist ja wunderbar!« »Fantastisch!« »Endlich!« »Ich freu mich so!«, riefen alle durcheinander, hüpften und tanzten freudestrahlend umher.
Und schon klopfte es an der Tür.
»Scht!«, machte Puh, »Scht! Seid doch leise!«
Als sich alle beruhigt hatten, ging Puh zur Tür. »Wer ist da?«
»Ich bin es«, brummte Herbert der Wolf. Wieder riefen Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby wild durcheinander und Puh musste sie abermals zur Ruhe ermahnen: »Scht!«
»Wie kann ich die Tür öffnen?«, wollte Herbert wissen, »Es gibt keine Türklinke, nur so ein kleines, rundes, schwarzes Ding.«
»Das ist ein Mikrofon«, antwortete Puh. »Du musst laut: Tür geh auf! sagen. So macht Mama es immer.«
»Tür geh auf!«, brummte Herbert laut, aber nichts geschah. »Tür geh auf!«, sagte er noch einmal, aber auch diesmal rührte sich nichts. »Es geht nicht!«, rief Herbert durch die Tür.
»Hm«, machte Puh und dachte angestrengt nach. Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby sahen ihr ratlos dabei zu.
»Ich hab's!«, rief Puh plötzlich, »Es ist deine Stimme! Sie ist viel zu tief! Mama hat eine viel hellere Stimme.«
Nun dachte Herbert angestrengt nach, ehe er sagte: »Ich hab eine Idee! Ich komme gleich wieder!«

Herbert der Wolf lief schnurstracks zu seinem Freund Peter, der ein stattlicher Pelikan und Lehrer der Waldschule war. Von ihm borgte er sich ein große Stück Kreide, das er auf dem Weg zurück zum Haus der Geißlein zerkaute und verschlang.
Beim Haus angelangt sagte er: »Tür geh auf!« Seine Stimme klang eigenartig, sehr lustig. Aber es funktionierte. Erst rappelte es kurz, dann knackte es dreimal und schon öffnete sich ein schmaler Spalt unterhalb des Mikrofons.
»Da ist jetzt ein Loch in der Tür!«, quietschte Herbert. »Aufgehen mag sie aber noch immer nicht!« Seine Stimme klang wirklich zum Schreien komisch, so dass sich Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby vor Lachen auf dem Boden kugelten. »Scht!«, machte Puh einmal mehr. »Da musst du deine Pfote reinstecken, dann geht sie auf!«
Herbert tat, wie ihm geheißen, aber es half nicht. »Es geht nicht!«, quietschte er, wieder lachten alle. Puh aber dachte nach und kam rasch auf die Lösung. »Dein Fell ist ganz dunkel und Mamas weiß. Daran muss es liegen!«
Herbert verweilte einen Moment, dann rannte er abermals los.

Diesmal führte ihn sein Weg zu Walter dem Waschbären. Walter war Bäckermeister und ein guter Freund von Herbert. Herbert schilderte seinem Freund mit wenigen Worten das Problem und der Bäckermeister wusste sogleich Abhilfe. Er tauchte Herberts Pfote in die Teigschüssel, danach bestäubte er sie dick mit Mehl.
In Windeseile kehrte Herbert zum Haus der Geißlein zurück, wo Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs, Gliby und Puh ihn bereits ungeduldig erwarteten. Ohne zu zögern schob er die weiß getünchte Pfote in den Spalt und rums – die Tür schwang auf.

Dumm nur, dass just in diesem Moment Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs, Gliby und Puhs Mama oben am Waldrand auftauchte, den Wolf vor der offen stehenden Tür entdeckte, und eine Sekunde später lauthals meckernd, mit gesenktem Kopf und den spitzen Hörnern voran auf Herbert zugestürmt kam. Zu Tode erschrocken liefen alle durcheinander, in Panik versuchten die Geißlein sich zu verstecken. Gig und Gag unterm Bett. Gog hinterm Stuhl. Glag und Glubs unterm Tisch. Gliby hinter der Tür und Puh schlüpfte in die große Standuhr.
Auch Herbert erschrak, denn er fürchtete sich sehr vor den spitzen Hörnern. Dennoch wollte er Wort halten und die Geißlein noch heute aus ihrer Gefangenschaft befreien. Er zwang sich zur Ruhe, dachte nach und kam auf den rettenden Einfall. In großen Sätzen sprang er mit weit aufgerissenem Maul durch die Stube. Vom Bett zum Stuhl und vom Tisch zurück zur Tür. Und hab, hab, schnapp hab schnapp, hatte er alle mit Haut und Haaren verschlungen.
In allerletzter Sekunde schaffte es Herbert durch die Tür, den Garten und über den Zaun in den Wald zu entkommen, ehe die wild schnaubende Mamageiß ihn erreichte.
Minutenlang rannte Herbert so schnell er konnte. Er wagte es nicht, sich umzusehen, rannte und rannte immer weiter, bis er außer Atem und vollkommen erschöpft unter einem Baum liegenblieb.

Was jetzt kommt, ist zugegebenermaßen ein wenig eklig. Aber so hat es sich nun einmal zugetragen. Herbert machte einen Buckel, würgte, röchelte und spuckte. Und schon purzelten Gig, Gag, Gog, Glag, Glubs und Gliby schleimbedeckt vor ihm ins hohe Gras. Herbert schüttelte sich und begann rasch die etwas benommenen Geißlein der Reihe nach sauber zu lecken. Als er fertig war und alle wohl auf schienen, stockte ihm der Atem. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Um Himmelswillen! Wo war Nummer sieben? Puh hatte sich zu gut versteckt und Herbert sie in der Eile übersehen.

Nun war Puh aber nicht nur das jüngste der sieben Geißlein, sondern auch das schlauste. Puh wartete versteckt in der Uhr den richtigen Augenblick ab, schlüpfte unbemerkt heraus und schlich auf Hufspitzen leise zur Tür. Auf der Türschwelle blieb Puh stehen. Blickte ein letztes Mal zurück zur Mama. Die saß am Küchentisch, schlürfte Kaffee und aß Kuchen. Sie sah kein bisschen traurig aus. Ganz im Gegenteil schien sie glücklich darüber, die sieben endlich los zu sein.
Puh leckte eine dicke salzige Träne fort, die ihr über die Wange in den kurzen Ziegenbart gekullert war, dann ging sie hinaus und kickte mit den Hinterläufen die Tür ins Schloss.
Nun saß Mamageiß im Haus gefangen und Puh machte sich auf die Suche nach ihren Geschwistern und Herbert.

Fröhliches Ende
 

Lokterus

Mitglied
Ich grüße dich, Sammis.

Deine Neuinterpretation des beliebten Märchens der Brüder Grimm macht gute Laune und plätschert ohne nennenswerte Hürden vor sich hin. Für ein gelungenes Märchen fehlt der Geschichte aber etwas ganz Entscheidendes: Die Zahl Drei.

Der Wolf Herbert (ein SEHR guter Name für einen Wolf) hätte traditionsgemäß drei Hürden meistern müssen, um die Türe aufzubekommen. Befänden wir uns hier im Science-Fiction-Bereich der Leselupe, wärst du mit einer zweistufigen Authentifizierung natürlich gut gefahren. Aber solche laschen Sicherheitsvorkehrungen haben in der Märchenwelt keinen Platz.

Trotz dieses nicht besonders ernst gemeinten Versäumnisses hat mich dein Text aber gut unterhalten. ^^

Bis auf Wiederlesen.
loki
 



 
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