Der Zählende

4,30 Stern(e) 3 Bewertungen

Max Neumann

Mitglied
Am Leben zählte er vorbei
Fraß bunte Scheine
Tagein tagaus
Verwundet

Niemals anwesend
Raumgreifend
Beherrscher
Weit weg

Auf Schollen trieb er
Verwunschen
180
Puls aus Moskitohaut

Etwas zerstörte sich
In gelogenen Jahren
Auf glänzenden Bildchen
Schweigen inmitten von Schreien

Etwas verschwand
Der Zählende wurde zu Staub
Wo Züge ziellos fuhren
Verschwunden

Engel traten an seine Stelle
Zu sehen und zu fühlen
Als Sterbliche
Zählende

Am Leben zählten sie vorbei
Versteckten bunte Scheine
Tagein tagaus im Engelsbauch
Benommen
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Max,
mir gefällt dein ganzes Gedicht:)
Es ist ein Gedicht zum Hineinlesen.
Meine Lieblingsstrophen:

Etwas zerstörte sich
In gelogenen Jahren
Auf glänzenden Bildchen
Schweigen inmitten von Schreien
genauso wie diese:
Am Leben zählten sie vorbei
Versteckten bunte Scheine
Tagein tagaus im Engelsbauch
Benommen
Ach, iwo, nicht nur die! Ich habe hier sieben wunderschöne Strophen - nicht (nur) gezählt, sondern mit Nachdenklichkeit gelesen.
Scal hat es bereits so treffend formuliert: bemerkenswerte Verse.
Ein bemerkenswertes Gedicht!

Lieben Gruß ubertas
 

Max Neumann

Mitglied
Hallo Ubertas,

erst einmal danke für deine Rückmeldung!
Inzwischen wird mir klar, dass der „Zählende“ in meinem Gedicht ein Alter Ego ist. Er steht für den Anteil in mir, der nicht loslassen kann, der sich ständig um Geld und Zukunft sorgt, anstatt einfach im Moment zu leben und zu vertrauen.

Im Gedicht zeigt sich das auch: Der Zählende verliert irgendwann seine Richtung – das wird in der Metapher der ziellos fahrenden Züge deutlich. An seine Stelle treten dann die Engel, die zunächst für Licht, Liebe und Erfüllung stehen. Doch auch sie werden vom Zählen besessen, sie werden korrumpiert – und am Ende sind sie es, die mit der Zeile „benommen“ beschrieben werden.

Das Gedicht zeigt mir, wie wichtig es ist, loszulassen – und darauf zu vertrauen, dass sich die Dinge zum Guten entwickeln können, wenn man den Kontrollzwang aufgibt.

Danke nochmal fürs Lesen und deine Gedanken dazu und danke Scal und Petrasmiles für eure Bewertungen

Herzliche Grüße
Max
 

Ubertas

Mitglied
Lieber Max,
danke für deine ehrlichen Worte. Ich glaube, es geht uns oft so. Während wir 'zählen', leben wir nicht. Loslassen ist eine der schwierigsten Auf-gaben. Selten lässt uns etwas los, wenn wir es wünschen und versuchen. Daneben gibt es sovieles, das nicht abzählbar ist: Gesundheit, Liebe, ein einfaches Lächeln. Vielleicht sogar unser eigenes.
Ob sich etwas zum Guten wendet, wir wissen es nicht. Aber was wäre, wenn niemand mehr darauf vertrauen würde?
Herzliche Grüße an dich zurück
ubertas
 



 
Oben Unten