Desculpa

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Aomame

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Desculpa

In der flimmernden Hitze des Hochlandes wehte ein böiger Wind immer wieder Staub in Wirbeln über den fast verlassenen Dorfplatz. 'Als würden die Staubkörner miteinander tanzen.', dachte Nick. Am Ende des Platzes sah er das Zirkuszelt, an dem der Wind in Böen rüttelte. So wie der Wind hin und wieder an seinen Stoffhosen rüttelte und sie aufblähte. So fuhr der Wind auch unter das Zelt und blähte es auf. Es sah aus wie... „Papi, schau mal, das Zelt atmet!“, rief Nick zu seinem Vater hoch. Der lächelte ihn an, verstand aber nicht, was Nick damit sagen wollte. Sie gingen weiter. 'Warum sehen Erwachsene so etwas nicht?', dachte Nick und nahm seinen Teddybären fester in den Griff, so wie sein Vater ihn an der linken Hand weiter zog.

Sein Vater suchte im Gehen mit der freien Hand in seinen Taschen nach ein paar Escudos. Er hatte seinem Sohn erklärt, dass mit dem Zirkus auch das „fahrende Volk“ käme. Das seien sehr arme Menschen. Sie wohnten nicht in so einem festen Haus wie sie. Das „fahrende Volk“ wohne in Häusern auf Rädern. Mit denen zögen sie im Sommer von Dorf zu Dorf um dort ihre Kunststücke aufzuführen. Sie hätten auch kein Kindermädchen, wie ihre Tina. Für das „fahrende Volk“ wäre das Kindermädchen die Straße, sagte sein Vater. Das hatte Nick nicht verstanden.

Auf dem Weg zum Zirkuszelt standen sie, die Häuser auf Rädern. Sie waren in einem Kreis aufgestellt. Nick dachte an den Kindergarten und wie sie sich immer an den Händen hielten, im Kreis tanzten und dabei sangen. Er sang gerne, auch wenn er am Anfang in diesem fremden Land die Worte noch nicht verstanden hatte. Fast glaubte er, ja, hoffte fast, dass die Wagen sich gleich im Kreis bewegen würden und dazu ein Lied singen würden.

Aus dem Wagenkreis kamen nun jedoch ein paar lärmende Kinder gerannt. Sie waren barfuß, ihre Kleider waren voller Löcher und Flecken, ihre schwarzen Haare zerzauselt und voller Staub des Festplatzes. Nick schaute an sich herunter, an den feinen Hosen mit der sauberen Bügelfalte, seine weißen Socken, die in schwarzen Lackschuhen steckten. Nick trug auch lieber sein abgewetzte kurze Hose aus Hirschleder und dazu Sandalen. Vor allem in dieser Hitze. Aber heute war eben Sonntag und sie hatten sich schick gemacht für den Zirkus.

Aus den neugierigen, braungebrannten Gesichtern der anderen Kinder blitzten frech grinsend weiße Zähne. Die Jungen umringten Nick und ihren Vater und riefen etwas. Ihre Sprache verstanden Vater und Sohn nicht, aber die Sprache der offenen Hände, die sie anbettelten schon. Ihr Vater hatte die Münzen in seiner linken Hosentasche gefunden und schmiss sie nun in den Wind. Ein ebenso heftiger Wirbelwind von triumphierend schreienden Kinder folgte ihnen. „Miúdos! Kinder!“, lachte sein Vater und lächelte zu ihm hinunter. Er konnte viele Sprachen, sein Vater, dachte der Junge.

Vor einem der Häuser auf Rädern saß eine Frau auf einer kurzen Treppe. Sie hatte lange schwarze Haare, die sich immer wieder im Wind wie Schlangen von ihrem Kopf erhoben und ihn umzüngelten. Sie rupfte ein Huhn, aus dessen abgeschlagenen Kopf noch das Blut in den Staub tropfte. Nick betrachtete die fremde Frau fasziniert.

Sein Vater war stehen geblieben und suchte nun nach den Karten für den Zirkus, die er in der Paderia, der Bäckerei des Dorfes gekauft hatte.

Die Frau mit den „Schlangenhaaren“ schaute auf und lächelte den Jungen mit einem breiten Grinsen freundlich interessiert und ein wenig fragend an. Ihr Grinsen erinnerte Nick an die Kinderhorde, die gerade ein paar Meter weiter im Staub um das Kleingeld zankte. Der Frau fehlte ein Eckzahn, stellte Nick gedankenverloren fest. Dafür hatte sie einige Goldzähne. Ihre Augen waren schwarz und musterten ihn. Meine sind blau, dachte Nick. Die Frau lies nun das Huhn in ihren Schoß sinken und betrachtete Nick mit leicht geneigtem Kopf.

Nick konnte seinen Blick nicht abwenden. Er sah und hörte nichts mehr. Die Welt um ihn herum blieb irgendwie … stehen. Nur für sie nicht. Die Frau nahm nun langsam einen dürren Ast aus dem Reisigbündel neben der Feuerstelle. Wie in Zeitlupe und ohne den Blick von Nick zu nehmen, ging sie mit einer geschmeidigen Bewegung mit dem Stock auf den Boden zwischen ihre nackten, schwarzen Füßen, die unter ihrem bunten aber abgetragenen Rock hervor lugten. Dort, wohin das Blut des Huhnes getropft war. In dieses Gemisch aus Blut und Staub malte sie nun ein paar seltsame Zeichen. Der Junge glaubte ihre dunkle, weiche Stimme zu hören: „Was willst du, Junge? Was willst Du wirklich!“... hatte Nick das gehört? In seinem Kopf? In einer fremden Sprache, die er dennoch verstand...

Der heftige Schlag traf Nick am rechten Oberarm. Sein Vater hatte seine linke Hand bei der Suche nach den Eintrittskarten losgelassen. Beide hatten den Rempler nicht kommen sehen. Der andere Junge hatte im Vorbeirennen den freien Arm von Nicks Teddybär geschnappt und riss den Teddy nun mit einem heftigen Ruck aus Nicks Griff. Nick hielt die Luft an und fiel in den Staub. Fassungslos im Staub kniend, starrte er dem davon laufenden Jungen hinterher. DER hatte ihm den Teddy geklaut! DEN Teddy! Einfach so...Wut, Verwirrung, Erstaunen wirbelten durch Nicks Gedanken.

Sein Vater rief dem Flüchtenden noch etwas hinterher, aber der hatte schon das Ende des Platzes erreicht. Er verschwand in einer Wolke lärmender Kinder hinter der nächsten Hausecke. Vater und Sohn schauten sich völlig konsterniert an. Dann lachte der Vater auf und half seinem Sohn wieder auf die Beine. Sie klopften den Staub aus seinen Sachen und gingen weiter zum Eingang des Zirkus. „Weißt Du, mein Junge, es ist nur ein Teddy. Wir werden einen neuen finden!“, sagte sein Vater. 'Nein', dachte Nick,'es ist DER Teddy! Der von meinem Bruder! SEIN Teddy! Und nicht irgend ein Teddy!', sagte aber nichts. Das würde sein Vater sowieso nicht verstehen. Sein Bruder würde ihn hingegen dafür hassen.

Nick drehte sich noch einmal zu der seltsamen Frau mit dem gerupften Huhn um. Die Stufen zum Wagen waren leer. Sie war verschwunden. Im Staub davor lag noch der Stock. Das Blut war in der Hitze schon so weit eingetrocknet, dass man es kaum noch erkennen konnte. 'Was will ich wirklich?', dachte Nick und folgte seinem Vater in das Zirkuszelt.
 

Ji Rina

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Hallo Aomame,

Mir hat deine Geschichte gefallen. Du hast das alles sehr bildlich beschrieben und besonders die Szene mit der Frau auf der Treppe – da war ich mittendrin. Nicht ganz habe ich das mit dem Stock und dem Blut verstanden. Desculpa ist Portugiesisch und bedeutet auf Spanisch (Disculpa): Entschuldigung; tut mir leid. Auch der Titel bleibt mir in Verbindung mit der Geschichte ein Rätsel. Na vielleicht klärst du es ja noch ein wenig auf. Ich hab deine Geschichte auf jedenfall gern gelesen.

Mit Gruss, Ji
 

hein

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Die Jungen umringten Nick und ihren Vater und riefen etwas. Ihre Sprache verstanden Vater und Sohn nicht, aber die Sprache der offenen Hände, die sie anbettelten schon. Ihr Vater hatte die Münzen in seiner linken Hosentasche gefunden und schmiss sie nun in den Wind.
Hallo Aomame,

ist hier das Geschlecht des Kindes ein wenig durcheinander geraten?

Ansonsten gerne gelesen.

LG
hein
 



 
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