Dichterflüsse

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James Blond

Mitglied
Kein Neckar wird als Moldau ziehn:
Franz Kafka war kein Hölderlin,
doch wo das Leiden Blüten treibt,
gibt es den einen, der sich schreibt.

Der seines Lebens Schicksalsgüsse
verfüllt in lange Tintenflüsse,
die still durch ihre Täler strömen:
Das gilt in Schwaben wie in Böhmen.

Doch sucht im Ausblick auf Genesung
der Dichter sich bei einer Lesung,
dann sprudeln hörbar blaue Fluten
aus eines Geistes flauem Bluten.

Fehlt solchem Strom des Wehres Hemmung,
kommt es im Saal zur Überschwemmung.
Es bleibt da nur ein rasches Sputen
im Abgesang der Nebeltuten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo James!

Ein ironisch-bissiger Seitenhieb gegen Larmoyanz, Dichtersofties, Confessional Poets und nervigem Seelenstriptease! Amüsante Aufforderung, solche Verse tunlichst zu meiden. Besonders gelungen die letzte Strophe, wie ich finde. "Blaue Fluten" eine Anlehnung an den englischen Ausdruck "to be blue" (traurig sein) - montiert mit dem schönen Bild des "flauen Blutens": Dem lyrischen Ich graut es vor solchen Ergüssen und das mit Recht!

Gruß,
Artbeck
 

Scal

Mitglied
Schlängelt sich meisterhaft, dein Fluss.

Inhaltlich:
Mag sich so darstellen, der Fluss, blickt man auf ihn mit dem übergestülpten Auge des Argos vom Balkon im dritten Stock.
Spaziert man aber mit seinen Mitmenschen an einem Sommertag einen bläulichen Fluss entlang, fällt einem beim Fortschreiten vielleicht die Zeile ein: "Nichts Menschliches sei mir fremd."

Lieben Gruß
Scal
 

James Blond

Mitglied
Lieber Artbeck, lieber Scal,

habt vielen Dank für eure Worte zu diesem Gedicht. Es ist ja nicht frei von selbstironischer Betrachtung. Manchmal können auch die Leidensflüsse aus blauer Tinte zu breiten Strömen anschwellen, denen kein Wehr mehr Halt zu gebieten vermag. Möge ein trockeneres Seelenklima uns davor bewahren. ;)

Liebe Grüße
JB
 

Scal

Mitglied
Eine kurze Wanderung in eine vergangene Landschaft, in eine Erinnerung.
So also färbten einst die blauen Wasserwege an manchen Tagen die inneren Daseinswogen. Und ich saß nicht nur am Ufer und plätscherte mit den Füßen darin, nein, ich schwamm.
Zahllose Reisen später. Man hat sich in anderen Gefilden beheimatet, dort sein Haus errichtet. Aber das innere Verständnis für jene, zeitweilig ganz verloren geglaubte Landschaft, es verebbt nicht. Ein Rinnsal von dort plätschert heran mit einer Stimme, die fragt, ob sie als Getränk kurz verweilen dürfe.

 

Pennywise77

Mitglied
Moin James Blond,

ich weiß, Du magst keine Sternchen. Und dennoch möchte ich hier eine Wertung vornehmen.
Mir gefällt hier der Klang und die absolut nicht in den 0815 Bereich gehörenden Reime.
Ich hatte ehrlich gesagt mit der letzten Strophe am Anfang ein paar Probleme, weil das Gedicht durch die
vier Endreime ein Tempo aufgenommen hat, mit dem ich mich zunächst nicht anfreunden konnte. Ich habe es ein paar
Mal gelesen und mittlerweile gefällt mir die Wahl dieses Wechsels. Am Stärksten ist die erste Strophe.

Gruß

Pennywise
 

James Blond

Mitglied
Lieber Pennywise,

ich weiß nicht, ob du es auch so erlebst, aber der reimenden Fraktion, der wir beide angehören, kann es passieren, dass ein Gedicht wie von selbst einen anderen Lauf einschlägt. Das ist wie mit den blauen Flüssen, die ihr Flussbett erst noch ergründen müssen.

Hier war es eben so, dass nach den ersten Strophen sich plötzlich die Richtung änderte und auf einmal floss es zu haufengereimtem Spott. Ein Wechsel, der mir nicht unbedingt zusagt, sich aber auch als Warnung vor einem Übermaß tintengetränkter Egomanie rechtfertigt.
Vielleicht folgt noch eine andere Version.

Liebe Grüße
JB
 

sufnus

Mitglied
Hey James,
hm... die neue Fassung ist zwar irgendwie "korrekter" - aber vergleichseise auch etwas langweiliger. Die Originalversion war gerade durch die finale Reimballung im Abgang schwungvoller. :)
Ansonsten verstehe ich aber weder in der alten noch in der neuen Fassung warum Du ausgerechnet Kafi und Höldi vor einen gemeinsamen Eselskarren spannst, gibts da irgendwie einen verborgenen tieferen Sinn oder soll gerade die Sinnlosigkeit dieser Paarung das (humoristische?) Prinzip sein?
LG!
S.
 

James Blond

Mitglied
Nun, ähm - ein schwungvoller Abgang ist (zumindest bei mir) nicht unbedingt das Maß aller Dinge. Und Haufenreime ziehen nicht nur nach vorne, sondern auch (und das ganz besonders) nach unten.

Tipp: Wenn dir diese Version zu langweilig erscheint, könntest du ja noch ein wenig über das Eselsgespann grübeln ... ;)

Danke für deine Eindrücke
JB
 

sufnus

Mitglied
Tipp: Wenn dir diese Version zu langweilig erscheint, könntest du ja noch ein wenig über das Eselsgespann grübeln ... ;)
Kafka wechselt umständlich die Räder bei einem Eselskarren, während Hölderlin die Freiheit besingt und der Esel geduldig wartet. Da kommt Brecht vorbei, betrachtet den Radwechsel mit Ungeduld und meint schließlich: "Ihr hättet besser den Käfer genommen.".
 

mondnein

Mitglied
dann sprudeln hörbar blaue Fluten
aus eines Geistes flauem Bluten
selten einen so trefflichen Schüttelreim gelesen!

Aber Dein Lied geht an die Wurzel des "üblichen" Dichtungs-Verständnisses: Mir blutets immer flau im Herzen, wenn das "Gefühl" der Dichterinnenschmerzen zum Hauptkriterium der narzistischen Selbstbespiegelung gemacht wird, auch dann, wenn das verliebte Auge nicht erkennt, daß es sein eigenes Bild ist, das von den Tränentropfenringen auf dem Seelensee verwackelt wird.
Oder die "Betroffenheit".
Oder, am schlimmsten von allen: das "Ehrliche", will meinen das kunstlos Primitive derer, die ein Faß aufmachen, wenn sie einen dritten Gitarrenakkord gefunden haben, es sei denn, daß sie den elitären Musenküsser aus der Band schmeißen. (Es geht natürlich auch mit einem penetranten Orgelton ohne Stilfiguren-Schischi.) Übertragen gesprochen, mir fehlen die germanistischen Entsprechungen im philologischen Kunst-Feld. Die "Worte", wie man so sagt.

Ist es ein "Gefühl", die Scheißgefühle zu hassen?

qwertz

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:

James Blond

Mitglied
kann ich nicht bestätigen
ich liebe AAAA-Ruba'iyat
Nun, bezeichnend ist ja schon, dass du dazu in die Persische Dichtung ausweichen musst.

In der Deutschen Dichtung führen die Haufenreime ein Schattendasein. Ihr Platz ist in der komischen Lyrik, in Kinderversen, Abzählreimen, denn zu leicht führt ein monotoner Reim, der stets in die gleiche Kerbe schlägt, ansonsten zu Ermüdungserscheinungen. Es fehlt dann der belebende Kontrast des Reimwechsels.

Abhilfe sehe ich nur bei längeren Metren, in deren Versen der Reim stärker in den Hintergrund tritt. Doch bei Vierhebern ist mir der Haufenreim zu aufdringlich und eigentlich nur im ironisch-spöttischen Gebrauch passend.

Ähnliches gilt m. E. auch für den Schüttelreim. Dennoch gibt es viele Beispiele, in denen Schüttelreime in nahezu jedes Reimpaar gepackt werden, was ihre Wirkung schwächt und worunter der Inhalt zumeist erheblich leidet. Nur selten findet man dort wirklich Gelungenes.

Was die "ehrliche lyrische Betroffenheit", bzw. "Ergriffenheit" anbelangt, so warne ich vor der Verwurstung von Emotionen. Denn was der Autor verinnerlicht hat, wird ganz von selbst in seine blauen Flüsse hinein getragen werden. Absichtslosigkeit geht hier vor "Ehrlichkeit" oder "Authentizität". Kafka und Hölderlin sind hierfür gute Beispiele. Das gilt auch für öffentliche Lesungen. Während Letzterer seine Werke nie vorgetragen hat, blieb Kafka bei Lesungen im privaten Bereich. Mit zwei Ausnahmen, 1912 in Prag und 1916 in München, allerdings mit negativer Resonanz in der Presse.

Wer sich mit seinen inneren Dämonen auseinandersetzen muss, wird öffentliche Auftritte nach Möglichkeit meiden.

Gern geantwortet.
JB
 

mondnein

Mitglied
die Persische Dichtung
ach was, das ("ruba'iyat")ist nur ein Name, der Sachverhalt ist doch schlicht ein vierfacher Paarreim.

Ich muß zugeben, schon mal das Prinzip gehört zu haben: "Alles höchstens dreimal, nicht öfter". Das paßt gut auf die klassische Musik, wo ein Motiv, sei es in gleicher Tonlage, sei es in einer Sequenz-Stufung, nicht häufiger als eben drei mal hintereinander vorkommen sollte. Dem steht allerdings offensichtlich die häufige Vierfach-Wiederholung in Bruckners Sinfonien entgegen. Donnerndes Tutti in der Penetranz der Vierfach- :||

Was einem allerdings gehörig auf den Geist gehen kann.

grusz. hansz
 

James Blond

Mitglied
ach was, das ("ruba'iyat")ist nur ein Name, der Sachverhalt ist doch schlicht ein vierfacher Paarreim.
... allerdings ein persischer Name, der neben der aaaa- zugleich auch für die aaba-Reimform steht. Und vor allem bei persischen Dichtern Verwendung fand.
Die schnöde deutsche Bezeichnung "Haufenreim" sagt im Grunde schon alles: Ein penetranter Haufen Reime! ;)

Ich fand es jetzt einfach nicht mehr ok, dass ein Gedicht, das mit Kafka und Hölderlin beginnt, in einem solchen Haufen endet. :)

Grüße
JB
 



 
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