Die alte Freundin

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Gestern traf ich sie beim Einkaufen. Sie kam auf mich zu, erzählte mir, was sie kaufen wollte und fragte tatsächlich, wie es mir ging.
„So ein schöner Tag heute, da muss ich nach Hause, in den Garten, Unkraut von den Beeten hacken.“
„Beikräuter sagt man ja heute“, erwidert sie, „hast du mal nachgesehen, was es für Kräuter sind? Meist sind es ja wichtige heimische Kräuter, die man super in der Küche verwenden kann.“
Besserwisserisch wie immer. Wie hatte ich das alle die Jahre nur ausgehalten, als wir befreundet waren! Und wie nervig, dass sie mich immer anquatschte, wenn wir uns irgendwo sahen. Hatte sie nicht gemerkt, dass ich sie nie mehr eingeladen hatte nach unserem Streit? Hatte sie nie gemerkt, wie sehr sie mich verletzt hatte?
Ich drehte mich genervt um und sagte dabei: „Tschüss, ich gehe dann jetzt Beikräuter hacken.“
 
Lohnendes Thema, Franziska. In der ersten Hälfte ist das Auftreten einer solchen Person gut getroffen. Doch ist mir der Text insgesamt angesichts dieses Stoffs etwas zu kurz geraten. Es könnten schon noch ein oder zwei weitere typische Äußerungen von ihr kommen. Dann erst würde sich der Leser dem Urteil "nervig" vorbehaltlos anschließen.

Umgekehrt erscheint mir der innere Monolog der Ich-Erzählerin in der zweiten Hälfte bei der Kürze des Gesamtbeitrags im Verhältnis zu lang. Das könnte schon ein guter Schluss als Resümee sein, wenn das Vorangegangene etwas ausführlicher wäre. Das Problem ist doch, dass der Leser von einem früheren verletztenden Streit liest, aber keine Details dazu erfährt. Muss er ja auch nicht, wenn jetzt die alte Freundin allein durch ihr Auftreten stärker konturiert wird.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
Vielen Dank, für deine Rückmeldung. Eigentlich möchte ich gar nicht, dass der Leser sich dem Urteil "nervig" anschließt, sondern auch die Ich-Erzählerin soll ihn irritieren. Der Leser soll sich fragen, ob sie so sehr im Recht ist, wie sie sich fühlt.
Ich möchte, dass der Leser selbst an einen ähnlichen Streit denken muss, den bestimmt viele schon hatten. Darum der Inhalt des Streits bewusst als Leerstelle.
Im Mittelpunkt des kleinen Textes steht für mich das Spiel mit der positiven bzw. negativen Konotierung der Wörter "Unkraut" und "Beikraut".
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die Erklärungen, Franziska. Ich denke, die Wirkung des Textes und die naheliegende Parteinahme des Lesers für die eine Seite hängt damit zusammen, dass Letztere die Ich-Erzählerin ist. Diese Position ist im Normalfall die stärkere und der Leser neigt eher dazu, sich mit ihr zu identifizieren. Es würde vielleicht die von dir beabsichtigte Wirkung unterstützen, wenn ein objektiver Erzähler die Äußerungen und inneren Regungen der Kontrahentinnen neutral präsentieren würde. Und, wie schon gesagt, noch ein klein wenig mehr ausgebreitetes Material könnte nicht schaden.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
Vielen Dank! Das ist ein guter Hinweis. Ich werde den Text hinsichtlich der Erzählperspektive (und anderem) überarbeiten und bin gespannt, wie er dann wirkt.
 



 
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