Willi Corsten
Mitglied
Die alte Tanne
Ein Weihnachtsmärchen
von Willi Corsten
Vogelstimmen wispern durch den stillverträumten Winterwald. Der Rabe hockt auf einem Ast und putzt sein schwarzglänzendes Federkleid. Nach einer Weile wendet er sich an den Dompfaff, nickt mit dem Kopf und sagt: „Es stimmt, mein Freund! Wenn der Mond bald wieder sein volles Gesicht zeigt, ist es Weihnachten überall auf der Welt.“
Die Tanne hörte neugierig dem Gespräch zu, schüttelt ein wenig Schnee von ihren Zweigen und murmelt wehmütig: „Als ich klein war, wollte ich ein Christbaum werden, bunte Kugeln tragen und fröhliche Lieder hören. Doch weil mir der raue Novemberwind die Spitze verbog, holten die Menschen meine Schwester zu sich in die gute Stube. Die Jugendzeit liegt nun weit zurück, und heute ist es leider zu spät für meinen Wunschtraum.“
In der Nacht denkt der weise Rabe lange nach und ruft am nächsten Morgen die Bewohner des Waldes zu sich. Drossel, Buchfink, Dompfaff und Buntspecht kommen. Der muntere Sperling findet sich ein, die Elster, der dunkle, geheimnisvolle Waldkauz und die Kohlmeise. Sogar der Zaunkönig kommt und bringt seine Frau gleich mit. Das putzige Eichhörnchen ist von dem ungewohnten Lärm aus der Winterruhe erwacht und hört nun aufmerksam dem schwarzen Gesellen zu, der mit krächzender Stimme vom Leid der alten Tanne erzählt. „Der Baum ist unser bester Freund“, sagt er. „Er schützt uns vor Regen und Schnee, trägt geduldig unser Nest und ist Jahr für Jahr die traute Kinderstube für manchen Piepmatz. Daher sollt ihr gut überlegen, wie wir seinen Lebenstraum erfüllen können.“
Sogleich machen sich die Tiere auf den Weg. Der Sperling schleppt feine Schafwolle heran, die sich im Weidenzaun verfangen hatte. Buchfink, Kohlmeise und Dompfaff ziehen gemeinsam los. Neben dem Forsthaus finden sie eine alte Strickweste und zupfen blaue Fäden daraus hervor. Der Rabe hüpft durch ein offenes Küchenfenster und entwendet ein rotes Seidentuch. Die Drossel fliegt zur Holzfällerhütte, besucht das Arbeitspferd dort und bittet um ein Büschel Haar. Auch Buntspecht und Waldkauz sind emsig bei der Arbeit. Sie tragen vom Futterplatz der Rehe Heu und Stroh herbei. Die Elster dachte sich etwas Besonderes aus. Auf der Suche nach glitzernden Ringen und Ketten hatte sie auf dem Dachboden der alten Schule einen Pappkarton mit Weihnachtsschmuck entdeckt. Vorsichtig schlüpft sie nun durch einen Lüftungsschacht, kommt zurück und sieht aus wie ein Jahrmarktskrämer. Lametta hängt um ihren Hals und die Krallen halten eine goldfarbene Christbaumspitze fest.
Das Eichhörnchen hat seine Vorratslager aufgesucht und schleppt Eicheln und Nüsse heran. Dann klettert es in die umliegenden Bäume, sammelt Harz und alte Spinnweben, wärmt und knetet die Masse, rollt sie zu feinen Fäden aus und klebt die harten Früchte sorgsam daran fest.
Wenige Tage später läuten die Kirchenlocken den Heiligen Abend ein. Glutrot versinkt die Sonne hinter den Bergen, der tief verschneite Winterwald hüllt sich in feierliches Schweigen. Doch als am Himmel die ersten Sterne blinken, erwacht die frostklare Vollmondnacht zu neuem Leben. In den Bäumen huschen putzmuntere Wesen umher und verrichten mancherlei ungewohnte Arbeit. Und als am ersten Weihnachtstag die Buben des Waldbauern zur Heiligen Messe eilen, entdecken sie unterwegs eine altehrwürdige Tanne, die auf wundersame Art geschmückt ist. Schafwolle hängt an ihren Zweigen, Lametta und Pferdehaar, blaue Fäden und Heu, Nüsse und Stroh. Ein rotes Seidentuch wetteifert mit der goldenen Christbaumspitze, die wie tausend Diamanten im hellen Sonnenlicht funkelt. Die Tanne wiegt sich freudig im Wind und das Rauschen ihrer Zweige klingt wie leise Musik. Und hoch oben in dem Baum sitzen Vögel ohne Zahl und singen ein Lied, wie es schöner in keiner Weihnachtsstube gesungen wurde. Das Lied berichtet von der Geburt des Herrn und erzählt vom Frieden, der da kommen soll für alle Geschöpfe auf Erden.
Ein Weihnachtsmärchen
von Willi Corsten
Vogelstimmen wispern durch den stillverträumten Winterwald. Der Rabe hockt auf einem Ast und putzt sein schwarzglänzendes Federkleid. Nach einer Weile wendet er sich an den Dompfaff, nickt mit dem Kopf und sagt: „Es stimmt, mein Freund! Wenn der Mond bald wieder sein volles Gesicht zeigt, ist es Weihnachten überall auf der Welt.“
Die Tanne hörte neugierig dem Gespräch zu, schüttelt ein wenig Schnee von ihren Zweigen und murmelt wehmütig: „Als ich klein war, wollte ich ein Christbaum werden, bunte Kugeln tragen und fröhliche Lieder hören. Doch weil mir der raue Novemberwind die Spitze verbog, holten die Menschen meine Schwester zu sich in die gute Stube. Die Jugendzeit liegt nun weit zurück, und heute ist es leider zu spät für meinen Wunschtraum.“
In der Nacht denkt der weise Rabe lange nach und ruft am nächsten Morgen die Bewohner des Waldes zu sich. Drossel, Buchfink, Dompfaff und Buntspecht kommen. Der muntere Sperling findet sich ein, die Elster, der dunkle, geheimnisvolle Waldkauz und die Kohlmeise. Sogar der Zaunkönig kommt und bringt seine Frau gleich mit. Das putzige Eichhörnchen ist von dem ungewohnten Lärm aus der Winterruhe erwacht und hört nun aufmerksam dem schwarzen Gesellen zu, der mit krächzender Stimme vom Leid der alten Tanne erzählt. „Der Baum ist unser bester Freund“, sagt er. „Er schützt uns vor Regen und Schnee, trägt geduldig unser Nest und ist Jahr für Jahr die traute Kinderstube für manchen Piepmatz. Daher sollt ihr gut überlegen, wie wir seinen Lebenstraum erfüllen können.“
Sogleich machen sich die Tiere auf den Weg. Der Sperling schleppt feine Schafwolle heran, die sich im Weidenzaun verfangen hatte. Buchfink, Kohlmeise und Dompfaff ziehen gemeinsam los. Neben dem Forsthaus finden sie eine alte Strickweste und zupfen blaue Fäden daraus hervor. Der Rabe hüpft durch ein offenes Küchenfenster und entwendet ein rotes Seidentuch. Die Drossel fliegt zur Holzfällerhütte, besucht das Arbeitspferd dort und bittet um ein Büschel Haar. Auch Buntspecht und Waldkauz sind emsig bei der Arbeit. Sie tragen vom Futterplatz der Rehe Heu und Stroh herbei. Die Elster dachte sich etwas Besonderes aus. Auf der Suche nach glitzernden Ringen und Ketten hatte sie auf dem Dachboden der alten Schule einen Pappkarton mit Weihnachtsschmuck entdeckt. Vorsichtig schlüpft sie nun durch einen Lüftungsschacht, kommt zurück und sieht aus wie ein Jahrmarktskrämer. Lametta hängt um ihren Hals und die Krallen halten eine goldfarbene Christbaumspitze fest.
Das Eichhörnchen hat seine Vorratslager aufgesucht und schleppt Eicheln und Nüsse heran. Dann klettert es in die umliegenden Bäume, sammelt Harz und alte Spinnweben, wärmt und knetet die Masse, rollt sie zu feinen Fäden aus und klebt die harten Früchte sorgsam daran fest.
Wenige Tage später läuten die Kirchenlocken den Heiligen Abend ein. Glutrot versinkt die Sonne hinter den Bergen, der tief verschneite Winterwald hüllt sich in feierliches Schweigen. Doch als am Himmel die ersten Sterne blinken, erwacht die frostklare Vollmondnacht zu neuem Leben. In den Bäumen huschen putzmuntere Wesen umher und verrichten mancherlei ungewohnte Arbeit. Und als am ersten Weihnachtstag die Buben des Waldbauern zur Heiligen Messe eilen, entdecken sie unterwegs eine altehrwürdige Tanne, die auf wundersame Art geschmückt ist. Schafwolle hängt an ihren Zweigen, Lametta und Pferdehaar, blaue Fäden und Heu, Nüsse und Stroh. Ein rotes Seidentuch wetteifert mit der goldenen Christbaumspitze, die wie tausend Diamanten im hellen Sonnenlicht funkelt. Die Tanne wiegt sich freudig im Wind und das Rauschen ihrer Zweige klingt wie leise Musik. Und hoch oben in dem Baum sitzen Vögel ohne Zahl und singen ein Lied, wie es schöner in keiner Weihnachtsstube gesungen wurde. Das Lied berichtet von der Geburt des Herrn und erzählt vom Frieden, der da kommen soll für alle Geschöpfe auf Erden.