Die besten Geschichten kommen einem in den Sinn, wenn gar keine Zeit zum Schreiben da ist

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Papiertiger

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Schreibsitzung. Schreibwunsch. Schreibkrampf. Schreibkampf. Schreikrampf. Schreibsitzung. Schreibfortschritt. Schreibfrust. Schreiberfolg.

Es war ein typischer Sonntagmorgen für Peter. Die ganze Arbeitswoche hatte er sich auf das Wochenende gefreut, denn dort konnte er kreativ sein, er durfte schreiben und konnte beweisen, dass er mehr kann und trotz fehlendem akademischen Abschluss das Zeug dazu hatte, mal mindestens den Bachelor in Psychologie zu schaffen, Lehrer für Deutsch und Geschichte zu werden, den Studiengang Technischer Redakteur zu meistern, ein sehr guter Erzieher und Sozialarbeiter zu sein, aber fürs erste doch schon mal ein erfolgreicher Autor und bestimmt auch ein guter Komiker zu werden. Wäre da bloß nicht die harsche, ernüchternde Realität seiner echten Wochenenden. Alle genialen Ideen überfluteten ihn Montags im Bus, auf dem Weg zur Arbeit. Zuverlässig kamen ihm so viele, überzeugende Geschichten in den Sinn, wenn er körperlich aktiv war, besonders bei Spaziergängen, am liebsten allein.

Es braucht nur einen zeitlosen Song. Ein geniales Buch. Einen bahnbrechenden Comic. Eine nützliche Erfindung. Und das wäre dann der Eintritt in die Welt von Ruhm, Reichtum und seine Chance, eine bezaubernde Frau für sich zu gewinnen. Dachte Peter. Aber der Moment des Durchbruchs kam nicht. Sondern offenbar immer später. Oder nie? Dann traf er Marie. Welch eine Ironie. Es klang wie ausgedacht. Aber wenn man ihm schon etwas andichtete, dann lieber so etwas erfreuliches statt etwas ganz und gar abscheuliches.

Her mit der Marie. Das ist Österreichisch und meint: Gib mir das Geld. Es ist eine Abkürzung für den Maria-Theresien-Taler, eine seit 1741 geprägte Silbermünze mit dem Bild der Kaiserin – das wusste ich bisher nicht, habe es aber gerade so im Internet gefunden und es klingt nach einer schlüssigen Erklärung.

Scherzkekse können in Wien also ihre Hündin Marie nennen und damit im Bankenvietel spazieren gehen und so im ungünstigsten Fall einen Großeinsatz der Polizei auslösen, einfach nur, weil sie ihren Hund gerufen haben. Die Fernsehsendung „Geld oder Liebe“ bekäme ein besonderes Schmankerl wie Semantiker, wenn die Frau des Herzens eine Marie wäre. Jawohl, solche Gedanken strömen durch mein Gehirn und nehmen mich lange in Beschlag. So lange das nun bereits Montag 10 Uhr ist und ich längst wieder Buchungen durchführen und auf den nächsten Sonntag warten muss. An dem wird mir dann ganz bestimmt DIE überzeugende Kurzgeschichte einfallen, welche mir den Durchbruch beschert. Und dann klappt’s auch mit Peter und der Marie, so oder so.
 



 
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