Die Crux mit dem Alter

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Du ächzt, du stöhnst, du hast Verdruss:
Das Alter ist wohl wahrlich kein Genuss.
Es plagen dich so viele Zipperlein,
als riefest du: „Kommt nur herein!"

Und wenn man alt und brummig ist,
sagt man den Grund, das ist gewiss:
Es wird gejammert und geklagt,
erzählt, was dich so stündlich plagt.

Da ist ein Heulen und ein Jammertal,
da wird sogar der Hafer schal.
Weil er dich nicht mehr sticht
und das Altern dich so kalt erwischt,

da kommt dir endlich die Idee,
geflüstert von der Werbefee:
Anstatt dein Alter zu beklagen,
lässt du dich zu Grabe tragen.

Konserviert in kaltem Eis
(nennt man Kryonik, still und leis)
kommst du just sehr gut zur Ruhe
in sowas wie der Tiefkühltruhe.

Und wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zipperlein,
die fror man doch mit ein.

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Edit:
Fassung nach einem externen Vorschlag, den mir jemand freundlicherweise machte:

Du ächzt, du stöhnst, du hast Verdruss,
das Alter ist wohl kein Genuss,
es plagen viele Zipperlein,
als riefest du: ,,Komm nur herein!''

Und wenn man alt und brummig ist,
sagt man den Grund, das ist gewiss,
es wird gejammert und geklagt
erzählt, was einen stündlich plagt,

Das ist ein echtes Jammertal,
da wird sogar der Hafer schal.
Weil er dich nicht mehr munter sticht,
das Altern dich ganz kalt erwischt,

da kommt dir endlich die Idee,
geflüstert von der Werbefee:
Anstatt das Alter zu beklagen,
lässt du dich schlicht zu Grabe tragen.

Frisch konserviert in kaltem Eis,
nennt man Kryonik, still und leis,
da kommst du just sehr gut zur Ruhe
in sowas wie der Tiefkühltruhe.

Doch wirst du einmal aufgetaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zipperlein,
die fror man damals mit dir ein.
 
Zuletzt bearbeitet:

wirena

Mitglied
Hallo SilberneDelfine :) ...und schon wieder ist der Tag mit einem herzlichen Lachen gerettet -lieben Dank :) LG wirena
 

sufnus

Mitglied
Hey SD!
Ich mag die Idee auch - eine schön gesetzte Pointe.
Formal bin ich noch nicht so ganz happy.
Den etwas "rustikalen" Paarreim benutze ich auch ganz gerne bei humoristischen Versen, aber dann versuche ich entweder, das Metrum ganz und gar sauber einzuhalten (bei komischer Lyrik darfs dabei auch gerne ein bisschen klappern) oder aber (das ist natürlich viel schwieriger) ich versuche, eine metrische Lockergesetztheit mit einer Mindestmusikalität des Textes unter einen Hut zu bringen.
Im vorliegenden Fall sind die Holperstellen relativ unsystematisch über den Text verteilt und von krauser Vielgestalt, mal ist die Hebungszahl innerhalb einer Strophe wechselhaft (in Strophe 1 sogar in einer mit dem Reim gekreuzten Metrik mit Blickkontakt zum Contrerime bei allerdings abweichendem Reimschema), mal gibt es Sprünge in der Betonung der ersten Silbe. Auch die Kadenzen folgen keinem erkennbaren Schema. Und ein paar Formulierungen sind schon sehr reimgeschuldet.
Ich finde, die schöne Schlussbemerkung verdient noch ein bisschen sprachlich-musikalische Politur.
Man könnte sogar m. E. darüber nachdenken, ob die ganze Story nicht kreuzgereimt doch noch etwas schmissiger rüber käm. :)
LG!
S.
 
Wirena und Sufnus, Vielen Dank euch beiden! :)

@sufnus

Auf einen so schönen fachlichen Kommentar habe ich schon länger gewartet. Ich finde es nicht einfach, richtig zu reimen und freue mich, wenn da eine solche informative Rückmeldung kommt.

Im vorliegenden Fall sind die Holperstellen relativ unsystematisch über den Text verteilt und von krauser Vielgestalt, mal ist die Hebungszahl innerhalb einer Strophe wechselhaft (in Strophe 1 sogar in einer mit dem Reim gekreuzten Metrik mit Blickkontakt zum Contrerime bei allerdings abweichendem Reimschema), mal gibt es Sprünge in der Betonung der ersten Silbe. Auch die Kadenzen folgen keinem erkennbaren Schema. Und ein paar Formulierungen sind schon sehr reimgeschuldet.
Damit muss ich mich beschäftigen. Mir sagte jemand, es sei ein vierhebiger Jambus ...das hätte ich selbst nicht behauptet.

Man könnte sogar m. E. darüber nachdenken, ob die ganze Story nicht kreuzgereimt doch noch etwas schmissiger rüber käm. :)
Das hat mir auch jemand gesagt. Ich werde es mir überlegen, obwohl ich eigentlich den Paarreim bevorzuge.

LG SilberneDelfine
 

anbas

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

auch mir gefällt die Überarbeitung deutlich besser.

Allerdings ist das Reimpaar "sticht-erwischt" für mich fast schon eine Körperverletzung ;).

Und an der folgenden Stelle würde ich eine kleine Änderung vorschlagen:
Und Doch wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man doch dereinst mit ein.
Ansonsten eine schöne Idee, gern gelesen!


Liebe Grüße

Andreas
 
Hallo @SilberneDelfine

Die Neufassung gefällt mir besser, klingt schöner nach.

LG Aniella
Danke, allerdings verdanke ich die Neufassung einem netten User, der geglättet hat. Ich habe mich ein wenig geärgert, dass ich selbst nicht noch einmal drüber geschaut und wenigstens die Silben gezählt habe.

Hallo SilberneDelfine,

auch mir gefällt die Überarbeitung deutlich besser.

Allerdings ist das Reimpaar "sticht-erwischt" für mich fast schon eine Körperverletzung ;).

Und an der folgenden Stelle würde ich eine kleine Änderung vorschlagen:


Ansonsten eine schöne Idee, gern gelesen!


Liebe Grüße

Andreas
Vielen Dank, lieber anbas! Deinen Vorschlag werde ich direkt umsetzen. Allerdings hat man dann zweimal „doch" in der gleichen Strophe. Aber rhythmisch klingt es besser.

LG SilberneDelfine
 

Aniella

Mitglied
Danke, allerdings verdanke ich die Neufassung einem netten User, der geglättet hat. Ich habe mich ein wenig geärgert, dass ich selbst nicht noch einmal drüber geschaut und wenigstens die Silben gezählt habe.
Der größte Irrtum im Leben ist, dass man immer alles allein schaffen kann. Ab und zu Hilfe (geben und nehmen) ist doch ein sehr schönes Mittel, um miteinander zu kommunizieren. Nur wer gar nichts macht, macht keine Fehler. Das könnte dann der größte Fehler sein. :cool:
Vermutlich wird Dir das nie wieder passieren. :)
 

wirena

Mitglied
Und doch, wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man doch dereinst mit ein.
...mein Vorschlag:

Doch wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man dereinst auch mit ein.

...andererseits sehe ich soeben, dass dann zweimal "auch" zu lesen ist - ob das besser ist, ist für mich ein ? :)

LG wirena
 

anbas

Mitglied
Liebe SilberneDelfine,
ich versuche es nochmal:
Doch wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man dereinst gleich mit ein.
oder
Doch wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
fror man zusammen mit dir ein.
oder noch etwas mehr geändert:
Doch wirst du einmal aufgetaut,
dann ist dein Leben auch versaut.
Denn all die fiesen Zimperlein,
fror man zusammen mit dir ein.
oder
Doch wirst du einmal aufgetaut,
dann ist dein Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man damals mit dir ein.
So, das soll jetzt aber auch reichen :cool:. Ich hoffe, dass Dir eine der Varianten gefällt.
Liebe Grüße
Andreas
 
Der größte Irrtum im Leben ist, dass man immer alles allein schaffen kann. Ab und zu Hilfe (geben und nehmen) ist doch ein sehr schönes Mittel, um miteinander zu kommunizieren.
Da hast du recht, Aniella :)


mein Vorschlag:

Doch wenn du irgendwann getaut,
ist dir das Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man dereinst auch mit ein.
Vielen Dank für deinen Vorschlag, wirena! Wäre auch gut, nur leider halt auch doppelt, wie du schon schriebst ...

@anbas

. Doch wirst du einmal aufgetaut,
dann ist dein Leben auch versaut.
Denn alle fiesen Zimperlein,
die fror man damals mit dir ein.
Vielen Dank für deine Vorschläge, den hier nehme ich!

Danke an alle für Kommentare und Sterne!

LG SilberneDelfine
 

sufnus

Mitglied
Hey SD!
In der aktualisierten Fassung sind die metrischen Stolperstellen entschärft. :)
Wie ich schon angedeutet habe, gibt es da eine gewisse Hierarchie der Kunstfertigkeit:

- Beim Einsteigerlevel passieren die Rhythmusholperer und -Unregelmäßigkeiten "einfach so" und verteilen sich entsprechend ziemlich wahllos über das ganze Gedicht.
- Auf Fortgeschrittenenniveau wird das Metrum geglättet und alles schön regelmäßig gestaltet, wobei aber häufig etwas "billige" Mittel eingesetzt werden, d. h. es werden relativ blasse Füllwörter eingesetzt, wo ein oder zwei Silben fehlen, oder es werden überzählige Silben durch inhaltlich unmotivierte Wortverkürzungen eingespart.
- In der Routinierreimungsliga werden die Angleichungen eleganter vorgenommen, d. h. es wird auch notfalls so lange umformuliert, bis alles einigermaßen "zwanglos" zum gewünschten Inhalt passt.
- Auf dem nächsthöheren Erfahrungs-Niveau kommen dann wieder Irregularitäten vor, jetzt werden die aber sehr bewusst als gezielte Hallo-Wach-Effekte oder zur Erzielung besonderer Wirkungen eingesetzt.
- Und was auf einem noch höheren Level passiert, kann ich nicht sagen, weil mir da beim Lesen immer der Kopf wegfliegt und sich das Geschehen daher einer Beschreibung entzieht. :)

Nach dieser ernst-unernst gemeinten Überlegung wollt ich jetzt noch ein paar beispielhafte Punkte zur "Gedankenführung" Deiner letzten Version loswerden:

es plagen viele Zipperlein,
als riefest du: ,,Komm nur herein!''


Der Zipperlein-Zweizeiler ist an sich ganz schön, tickt aber in der aktuellen Form inhaltlich noch nicht ganz "sauber". Wenn die Zipperlein schon kräftig dabei sind zu "plagen", müssen sie ja den Hereinkomm-Prozess schon eine mehr oder weniger lange Weile hinter sich gelassen haben. Ja, selbst wenn sie so Aggro-mäßig drauf sind, dass sie lyrische Du direkt nach dem Hereinkommen plagend anfallen, vergeht ein kurzer Wimpernzuckmoment zwischen dem "herein" und dem "Geplage". Daher müsste hier, gemäß einer Zeitenfolge das "riefest" (Konjunktiv 2, Präsens) gegenüber dem "plagen" (Indikativ Präsens) vorzeitig konjugiert sein, also in einer Vergangenheitsform stehen, was aber an der Stelle metrisch ziemlich unmöglich ist (glaube ich).
Statt "plagen" wäre also etwas wie "besuchen" (das zeitlich zum "Herein" gleichgeordnet sein kann) wesentlich schöner.
Da aber auch das "besuchen" sich etwas dagegen sträubt, in der aktuellen Fassung metrisch unfallfrei in die Zipperleinzeile eingepasst zu werden, würde ich vorschlagen, die beiden Zeilen umzudrehen:

Als riefest du: "Kommt nur herein!",
besuchen dich die Zipperlein.


Dann hätt ich auch noch was zur Haferstrophe, die mit dem klangschönen (mit Jammertal beinahe doppelgereimten) "Hafer schal" und dem verschmitzten hierauf aufbauenden "nicht mehr sticht" eigentlich einer der Höhepunkte des ganzen Gedichts ist. :)

Das ist ein echtes Jammertal,
da wird sogar der Hafer schal.
Weil er dich nicht mehr munter sticht,
das Altern dich ganz kalt erwischt,


An sich wäre das so eine Strophe, die pointentechnisch ein bisschen nach einem nicht paargereimten Vorgehen verlangt. In dem Fall wäre z. B. ein umarmender Reim sehr sinnfällig mit der "sticht"-Zeile als Strophenrausschmeißer mit Knalleffekt. Jetzt meintest aber ja, dass Dir halt der Paarreim i. A. besser gefällt, also bleiben wir ruhig bei Selbigem. Das ist ja nun auch wirklich Geschmackssache.
Jenseits dieser subjektiven Geschmackszone gibt es aber drei objektive Probleme: Am schlimmsten ist die Inversion in der letzten Zeile, bei der das Verb "erwischt" üblichkeitswidrig hinter das Akkusativobjekt "dich" gerückt wurde, damit Ersteres als Reimwort ans Zeilenende findet. Und dann, zweites Problem, ist es noch nicht einmal ein besonders eleganter Reim - anbas hat schon darauf hingewiesen. Das dritte Problem: Dieses "munter" in der sticht-Zeile ist ziemlich deutlich als ein metrisches Füllwort erkennbar, das man eigentlich nicht gebraucht hätte und das der Zeile einiges von ihrer Schelmizität nimmt.

Lösungsvorschlag:

Das ist ein echtes Jammertal,
da wird sogar der Hafer schal,
weil er dich nicht mehr sticht
(warum - das steht im Arztbericht).


Die Inversion wäre damit beseitigt und der -icht-Reim ist jetzt regelkonform. Aus der ersatzlosen Streichung von "munter" hat sich außerdem eine Hebungsverkürzung in der dritten Zeile ergeben. Die ist jetzt also sozusagen irregulär, was aber m. E. gerade aufgrund der in dieser Zeile gesetzten Pointe ganz effektvoll ist. :)

Und ein bisschen Gemecker hätt ich noch bei der Kryonik-Strophe:

Frisch konserviert in kaltem Eis,
nennt man Kryonik, still und leis,


Hier fällt die pleonastische Formulierung "kaltes Eis" etwas negativ auf. Zwar gibt es unter exotischen Druckverhältnissen auch durchaus "heißes Eis", aber davon willst Du Dich vermutlich eher nicht abgrenzen. Es ist letztlich schon klar, dass die kalt-Attribuierung von "Eis" hier nur aus metrischen Gründen erfolgt ist. Und das "still und leis" wirkt auch noch sehr deutlich reimgeschuldet. Nach dem "kalten Eis" ist das dann der zweite Doppelgemoppeltismus und auch wenn der umgangssprachlich etabliert ist, wirkt das m. E. hier nicht sehr elegant, zumal es ein wenig unbequem zwischen die Aussagen der zweiten und dritten Ziele eingezwängt wurde (es bezieht sich ja offensichtlich auf die Zur-Ruhe-Kommung der Folgezeile und nicht auf die Kryonik-Benamsung).

Vorschlag:

In Flüssigstickstoff überführt
wirst du kryonisch archiviert


Wichtiger als die Einzelstellen ist mir hier aber das Prinzip: Es geht (idealerweise) am Ende auch darum, zu einer sprachlich einigermaßen eleganten Formulierung zu gelangen und den Inhalt nicht dem Metrum oder Reim zu offensichtlich unterzuordnen. :)

LG!

S.
 
Am schlimmsten ist die Inversion in der letzten Zeile, bei der das Verb "erwischt" üblichkeitswidrig hinter das Akkusativobjekt "dich" gerückt wurde, damit Ersteres als Reimwort ans Zeilenende findet. Und dann, zweites Problem, ist es noch nicht einmal ein besonders eleganter Reim -
Hallo sufnus,

danke für die ausführlichen Hinweise!

Zuallererst möchte ich aber sagen, dass da gar keine Inversion ist:

Das ist ein echtes Jammertal,
da wird sogar der Hafer schal.
Weil er dich nicht mehr munter sticht,
das Altern dich ganz kalt erwischt,
Das ist doch keine Inversion in der letzten Zeile. Da ist nichts verdreht, wie es z.B. bei „das Alter kalt dich erwischt" der Fall wäre. Oder in: „Das Altern erwischt kalt dich."
(Auf die anderen Punkte gehe ich noch ein.)

Etwas verwirrte Grüße

SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Zuallererst möchte ich aber sagen, dass da gar keine Inversion ist:

Das ist ein echtes Jammertal,
da wird sogar der Hafer schal.
Weil er dich nicht mehr munter sticht,
das Altern dich ganz kalt erwischt,
Das ist doch keine Inversion in der letzten Zeile. Da ist nichts verdreht, wie es z.B. bei „das Alter kalt dich erwischt" der Fall wäre. Oder in: „Das Altern erwischt kalt dich."
Ja... Ich gebrauche den Ausdruck Inversion gerne, im linguistischen Sinne etwas leichtfertig, mit der Bedeutung "stilistisch gruselige Wortstellung" und ich fürchte, in die Richtung tendiert der Satz "das Altern dich ganz kalt erwischt" leider wirklich.
Zur Erklärung: Im Deutschen werden Hauptsätzen in Bezug auf das konjugierte Verb nach der sogenannten V2-Position gebildet.
Das bedeutet: In einem Hauptsatz darf an erster Stelle ein Funktionsteil (der aus mehreren Wörtern bestehen kann) stehen, der relativ frei wählbar ist - hauptsache es ist nicht das konjugierte Verb. Üblicherweise steht am Anfang entweder das Subjekt des Satzes oder ein Satzteil, der Kontext (Zeit, Ort, sonst. Umstände) näher erklärt oder bewertet. Dann kommt, also sozusagen an der "zweiten Stelle", das konjugierte Verb (nochmal: Weil die "erste Stelle" aus mehreren Worten bestehen kann, bedeutet "zweite Stelle" nicht "zweites Wort"). Ein sehr kurzer Satz könnte dann schon zu Ende sein, aber normalerweise kommen nach dieser zweiten Stelle noch allerlei Objekte und ggf auch das Subjekt, wenn es nicht ganz am Anfang stand. Auch unkonjugierte Verbformen wie Partizipien werden dann noch nachgereicht. Keinesfalls dürfen in stilistisch sauberem Schrieb (oder Sag) aber dem konjugierten Verb sowohl das Subjekt des Hauptsatzes als auch Objekte, Adverbiale und allerlei anderes Gedöns vorangehen, so dass die Zweitpostion des Verbs nicht mehr realisiert ist.

Beispiele:

"Erlaubte" Sätze mit V2-Position sind z. B.

Der Ball rollt. (Erste Position: Subjekt = Der Ball, V2: das konjugierte Verb = rollt)
Karl trinkt gerne Schnaps. (Erste Position: Subjekt = Karl, V2: konj. Verb = trinkt)
Gerne trinkt Karl mal einen Schnaps (Erste Position: Adverb = gerne, V2: konj. Verb = trinkt)
Auf seiner wunderbar schattigen Terasse trinkt Karl ein Erfrischungsgetränk (Erste Position: Ein ziemlich langatmiges Adverbial = Auf ... Terasse, V2: konj. Verb)
Bis zu seinem plötzlichen Leberversagen hat Karl immer gerne seinen sebstgebrannten Schnaps getrunken. (Erste Position: Adverbial = Bis ... Leberversagen, V2: konj. Verb = hat).

In Deinem Text, liebe SD, ist "das Altern dich ganz kalt erwischt" ein Hauptsatz, bei dem das konjugierte Verb, nämlich "erwischt", nach Subjekt und Akkusativobjekt steht, also nicht mehr an zweter Position. Wäre "erwischt" nicht das konjugierte Verb, sondern ein unjonjugiertes Partizip, dann dürfte es sich, analog dem letztaufgeführten Karl-Beispielsatz, durchaus so weit hinten herumtreiben. Insofern ist der Fehler hier sehr leicht korrigierbar: "Das Altern hat dich kalt erwischt".

LG!

S.
 
Hallo sufnus! :)

Danke für die Erklärung, aber in Bezug auf die gemeinte Zeile kann ich nicht zustimmen, denn die zweite Zeile

Weil er dich nicht mehr munter sticht,
das Altern dich ganz kalt erwischt,
ist ja kein eigenständiger Satz, also auch kein Hauptsatz, sondern gehört noch zu der Zeile davor und bezieht sich auf das „weil". Weil das Altern dich ganz kalt erwischt. Man könnte auch ein „und" dazwischen setzen:
„Weil er dich nicht mehr munter sticht und das Altern dich ganz kalt erwischt" und dann ist der Satz immer noch nicht zu Ende, sondern geht weiter mit „da kommt dir endlich die Idee" etc.

In meiner ursprünglichen Fassung hieß es:
Weil er dich nicht mehr sticht
und das Altern dich so kalt erwischt,
da kommt dir endlich die Idee,
geflüstert von der Werbefee:

Anstatt dein Alter zu beklagen,
lässt du dich zu Grabe tragen.
In welcher Form würdest du denn diesen Satz in einem normalen Gespräch formulieren? Wie anders kann man ihn denn formulieren, Metrik jetzt mal außen vor gelassen? Deiner Argumentation kann ich wirklich nicht folgen, tut mir leid. Grammatisch ist der Satz in Ordnung. Elegant ist er nicht, da gebe ich dir Recht.

Ich werde mich jetzt in mein Grammatikbuch vertiefen, weil mir das keine Ruhe lässt. :)

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
Hey SD!
*Klönker!* Der Groschen ist jetzt endlich bei mir gefallen! Hätte ich da mal noch einen Blick in die Ursprungsfassung geworfen, wärs schneller gegangen ... ich hatte tatsächlich nicht kapiert, dass Du den kalt-erwischt-Satz zum Hafer-sticht-Satz beigeordnet hast (mit dem "und" in der OV ist das natürlich direkt klar).
Also: Wenn der kalt-erwischt-Satz, genau wie der Hafer-sticht-Satz, als Nebensatz fungiert und der Hauptsatz, auf den sich die beiden Nebensätze beziehen, erst in der nächsten Strophe folgt, dann ist die Verb-Stellung von "erwischt" natürlich genau richtig. :)
Von der Kausalität her finde ich zwar "Das Alter hat dich kalt erwischt, weil dich der Hafer nicht mehr sticht" ein wenig logischer als "Dir kommt endlich eine Idee, weil dich das Alter kalt erwischt". Aber "weil" kann ja auch Beziehungen jenseits reiner Kausalität knüpfen. Die naheliegenste Gedankenverbindung wäre m. E. eh "Der Hafer wird schal, weil er dich nicht mehr sticht" (und auch dabei stünde das "weil" eher für ein "und das ist so, weil" als für ein "und der Grund dafür liegt darin, dass".
Egal... ich schweife ab... die Hauptfrage der Verbstellung ist hiermit geklärt: SD liegt Wortpositionierungsmäßig völlig richtig und ich hab den Satz einfach nicht kapiert. ;)
Danke also fürs Aufklären! Sehr anregend das! :)
LG!
S.
 
Hallo Sufnus! :)

Gut, dann ist das ja geklärt :).

Noch zu einem anderen Punkt weiter oben in deinem Kommentar:
- Beim Einsteigerlevel passieren die Rhythmusholperer und -Unregelmäßigkeiten "einfach so" und verteilen sich entsprechend ziemlich wahllos über das ganze Gedicht.
- Auf Fortgeschrittenenniveau wird das Metrum geglättet und alles schön regelmäßig gestaltet, wobei aber häufig etwas "billige" Mittel eingesetzt werden, d. h. es werden relativ blasse Füllwörter eingesetzt, wo ein oder zwei Silben fehlen, oder es werden überzählige Silben durch inhaltlich unmotivierte Wortverkürzungen eingespart.
- In der Routinierreimungsliga werden die Angleichungen eleganter vorgenommen, d. h. es wird auch notfalls so lange umformuliert, bis alles einigermaßen "zwanglos" zum gewünschten Inhalt passt.
- Auf dem nächsthöheren Erfahrungs-Niveau kommen dann wieder Irregularitäten vor, jetzt werden die aber sehr bewusst als gezielte Hallo-Wach-Effekte oder zur Erzielung besonderer Wirkungen eingesetzt.
Da hast du zwar völlig recht. Allerdings kann es bei mir vorkommen, dass ich mal wirklich bei einem Gedicht im Rhythmus bleibe und beim nächsten trotzdem wieder völlig daneben haue. Auch wenn ich es mir laut vorlese. Vor kurzem habe ich gelesen, das Ohr gewöhnt sich an den Klang, je öfter es die gleichen Worte hört. Deswegen fällt es einem selbst nicht mehr auf, wenn es holpert.

LG SilberneDelfine
 

sufnus

Mitglied
Hey SD!

Noch zu dem Holperpunkt:

Da hast du zwar völlig recht. Allerdings kann es bei mir vorkommen, dass ich mal wirklich bei einem Gedicht im Rhythmus bleibe und beim nächsten trotzdem wieder völlig daneben haue. Auch wenn ich es mir laut vorlese. Vor kurzem habe ich gelesen, das Ohr gewöhnt sich an den Klang, je öfter es die gleichen Worte hört. Deswegen fällt es einem selbst nicht mehr auf, wenn es holpert.
Dieser innerliche Gewöhungseffekt an Holperstellen ist glaube ich ein Problem, das sehr viele kennen (ich kenne es jedenfalls sehr genau! :) ). So eine 100% Abhilfe dagegen habe ich auch noch nicht gefunden - was ein bisschen hilft ist, das Gedicht ein paar Tage ruhen zu lassen und dann nochmal frisch zu lesen. Und bei mir ist es übrigens so, dass lautloses Lesen bei mir besser funktioniert, um Stolperstellen zu erkennen als lautes Vorlesen, weil ich da dann zu häufig und leider ganz unbewusst zu "Tricks" greife, mit denen die Holperung unhörbar gemacht wird.
Übrigens egal ob laut oder lautlos "vorgelesen" wird: Auf keinen Fall sollten dabei Betonungen um einer vermeintlichen Deutlichkeit zu stark überakzentuiert werden und auf noch viel weniger als keinen Fall sollten kleine Pausen zwischen den Wortsilben eingebaut werden. Es gibt doch - typischerweise in so Sci-Fi-Zeichentrickfilmen - eine Art Roboterstimme, bei der zwi-schen je-der Sil-be im-mer so ei-ne klei-ne Pau-se ge-macht wird. Bei so einem Duktus werden Betonungen fast beliebig setzbar und man hat keine Chance mehr den "natürlichen" Betonungsflow rauszuhören. Das also auf keinen Fall machen. Dann wird's Mist. ;)

LG!

S.

P.S.:
Und um noch der lästigen Frage der Besternung nicht auszuweichen: Ich hab bei mehreren Beiträgen bei anderen Dichterinnen und Dichtern schon darauf hingewiesen, dass ich versuchsweise auch mal "untersternige" Bewertungen abgeben werde, weil ich aktuell eine gewisse Tendenz beobachte, dass sich bei vielen Gedichten nur noch (oft knapp formulierte) Gefallfindungen in Tateinheit mit 5-Sterne-Wertungen finden, wohingegen im Falle des Wenigergefallens der Text einfach ignoriert wird. Ich glaube aber, dass ein begründetes Äußern von Nicht-ganz-so-einverstanden sein ggf. auch in Verbindung mit entsprechender Sternespärlichkeit den Diskurs hier sehr beleben könnte (es kann ihn natürlich auch in einen Hauen-und-Stechen-Modus stürzen - das wär dann natürlich nix). Ich versuche aktuell mal, ob kritischere Beimengungen (vornehmlich bei erfahreneren Hasen und Häsinnen oder - vorsichtig! - bei Neulingen, die eine gewisse Entspanntheit ausstrahlen) vielleicht belebend wirksam sind.
Wenn das nicht der Fall ist, rudere ich natürlich alsbald wieder zurück. :)
Jedenfalls: Lange Rede, kurzer Sinn: Ich finde ja nach wie vor, dass dieses Gedicht von seiner Pointen-Idee her sehr gelungen ist, dass aber die Darstellung oft so sehr auf "naheliegende" Reimzüge aufspringt, dass darüber das Gedicht nicht so recht "ansprechend" (im doppelten Wortsinn) ist. Ich hab das im Kommentar #12 schon angedeutet, dabei aber dummerweise wegen einer Fehldeutung meinerseits die Inversion ins Spiel gebracht (die ja gar keine ist, wie Du dann klarstellen konntest). Ich glaube diese Inversionsdiskussion hat leider etwas von dem weggeführt, was ich eigentlich sagen wollte, nämlich dass halt auch in der metrisch korrigierten Fassung die Entwicklung der Handlung (ich hab von "Gedankenführung" gesprochen) noch etwas schnellschüssig wirkt und daher gewisse "Verarbeitungsmängel" aufweist.
Und das wäre dann z. B. ein Punkt, wo mal jemand in den Ring springen könnte und in die Runde ruft:
Ach, ich mag es gerade, wenn ein Gedicht nicht so furchtbar verkopft ist und man es erst zehnmal lesen muss, bis man es kapiert hat und deshalb mag ich hier gerade auch die einfache Sprache ganz besonders. So. Nimm dies, Suf!
… aber ich kann ja schlecht mein eigener Diskussions-"Kontrahent" (im gänzlich unkriegerischen Sinne zu verstehen!) sein. ;)
 
Tja, Sufnus ...was die Sterne anbetrifft, hast du recht. Ich denke auch, wenn ich von jemandem, der ständig für alles 5 Sterne verteilt, 5 Sterne bekomme, ist das eigentlich kein Beweis dafür, dass ich gut gedichtet habe.
Insofern habe ich kein Problem mit deiner Bewertung, schon gar nicht, weil du lang und ausführlich die Hintergründe erklärt hast.
 



 
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