Die Frau im Spiegel

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rotkehlchen

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Die Frau im Spiegel



Am 25. August wurde der IT-Fachinformatiker Hago W. vom Schwurgericht in L. zu siebeneinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Große Strafkammer hatte ihn für schuldig befunden, am 13. März desselben Jahres seine Frau mit einer Marmorfigur erschlagen zu haben. Hago W. beteuerte bis zum Schluss seine Unschuld und äußerte sich auch nicht zu den Umständen, die zum Tod seiner Frau geführt haben könnten.

Obwohl die Beweislage mehr als dürftig war – das angebliche Tatwerkzeug wies keinerlei Blutspuren oder Hautreste der Toten auf, die Platzwunde am Hinterkopf des Opfers war zwar erheblich, doch nach Aussagen des Gerichtsmediziners nicht unbedingt tödlich gewesen – war die Kammer am Ende von der Schuld des Beklagten überzeugt.

Am zweiten Verhandlungstag rief Hago W. plötzlich in den Saal: „Der Spiegel ist schuld! Ja, der Spiegel ist schuld!“, ein Zwischenruf, der allgemeine Verwunderung erregte, leider jedoch, wie sich später herausstellen sollte, von Seiten des Gerichts, keinerlei Beachtung fand.

Hago W. wirkte zwar verstört, aber keineswegs debil. Weil Zeugen ihm einen tadellosen Leumund bescheinigten, verzichtete das Gericht auf ein psychiatrisches Gutachten.

Da man ihm weder Vorsatz noch niedere Motive nachweisen konnte, plädierte der Staatsanwalt auf Totschlag im Affekt. Dem schloss sich das Gericht an. Auf die Frage der Vorsitzenden, ob er noch etwas zu sagen habe, antwortete Hago W. spontan: „Nein!“

Sein Strafverteidiger Dr. Pfefferkorn legte sofort Widerspruch ein, und das Verfahren ging in die nächste Instanz. Es waren bei der Urteilsbegründung nämlich mehrere Umstände unberücksichtigt geblieben, weil sie das Gericht nicht für der Wahrheitsfindung dienlich erachtet hatte: Als die Polizei die Tote fand, war sie von den Scherben eines Spiegels bedeckt, der an einer Wand des Badezimmers, in dem die Tote lag, angebracht gewesen war. Da man dieses mögliche Beweismittel nicht sichergestellt hatte, war es vom Besitzer der Wohnung kurzerhand entsorgt worden. Pfefferkorn führte nun an, dass er in seiner langjährigen Praxis noch nie von einer Leiche gehört habe, auf der Spiegelscherben lagen. Also müsse man dem Spiegel bei diesem Todesfall eine besondere Rolle zuweisen. Diesem Sachverhalt sei das Gericht in keinster Weise nachgegangen.

Ferner lag die schwere Marmorfigur laut Protokoll der Polizeiinspektion nicht am Boden neben der Toten, wie man doch annehmen würde, sondern im Schrank hinter dem Spiegel. Drittens deutete das Gericht Blutspuren am Sockel der Duschkabine als sekundär; sie wurden später beim Reinigen des Badezimmers vernichtet. Aus dem Protokoll ging außerdem hervor, dass die Beamten, als sie das Badezimmer betraten, Hago W. fassungslos und totenbleich auf den WC-Deckel sitzend vorfanden.

Das OLG folgte der Argumentation Pfefferkorns und wies das Verfahren zur Neuverhandlung an. In der zweiten Verhandlung sprach die Kammer Hago W. wegen fehlerhafter Beweisaufnahme frei.



Wieder ein Verbrecher, der wegen schlampiger Beweissicherung ungestraft davonkommt?

So einfach liegt dieser Fall nicht, und er war auch noch nicht abgeschlossen, als Hago W. als freier Mann das Gerichtsgebäude verließ. Zumindest nicht für Dr. Pfefferkorn.

Dieser erfahrene Strafverteidiger nämlich hatte es schon lange aufgegeben, die Antriebe menschlichen Fehlverhaltens lediglich mit den Mitteln des so genannten klaren Menschenverstandes und der juristischen Logik zu ergründen. Einige Fälle – so auch dieser – meinte er, seien in einem Bereich anzusiedeln, in dem das Alltägliche mit dem Absurden verschmelze, in einer Art metaphysischer Grauzone also, und aus diesem Grunde letztlich nicht aufklärbar. Dem zufolge wertete er Hago W.´ spontanen Ausruf: „Der Spiegel ist schuld! Ja, der Spiegel ist schuld!“ nicht als unverständliche Äußerung eines verwirrten Geistes, sondern als Hinweis auf das tatsächlich Geschehen.

Da ihn der Fall auch privat interessierte – er schrieb gerade an einem Buch mit dem Titel: 'Die Vernachlässigung des Absurden im Gerichtswesen und die Folgen für die Rechtsprechung', versuchte er, das Zutrauen des Hago W. zu gewinnen, was ihm auch endlich gelang. Er ließ sich von ihm seine Version des Geschehens erzählen und erhielt von ihm die Erlaubnis, diese Version als Exempel und Beleg in seinem Manuskript zu verwenden.

Dem Verf. dieses liegt das Manuskript vor, das als wissenschaftliche Arbeit den Sachverhalt korrekt, aber ohne erzählerische Raffinesse wiedergibt. Verf. dieses erlaubt sich nun, wegen der Besonderheit des Falles und mit ausdrücklicher Erlaubnis des Dr. Pfefferkorns, eine lebendige Version vorzulegen.



1

Um halb acht warf Frau Charlotte Werringlör den Bademantel ab und stieg unter die Dusche. Sie regelte die Wassertemperatur und begann, sich einzuseifen. Plötzlich überkam sie das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Obwohl es absurd war – niemand außer ihr war noch in der Wohnung, ihr Mann war schon längst auf der Autobahn, und die Putzfrau kam erst um elf – blickte sie sich suchend um. Doch das kleine Badezimmer war außer ihrer Person menschenleer.

Allerdings, das Gefühl, beobachtet zu werden blieb, ja, es verstärkte sich noch, denn Frau Charlotte meinte, eben aus den Augenwinkeln heraus ein Gesicht gesehen zu haben, das sie unverwandt anstarrte.

Frau Charlotte drehte den Wasserhahn zu, verließ die Dusche und frottierte sich ab. Dann rieb sie sich mit einer ph-neutralen Bodylotion ein und trat, in Gedanken verloren, vor den großen Spiegel, der hinter der Duschkabine hing, um ein leichtes Peeling aufzutragen und sich anschließend zu frisieren. Früher, als sie noch jünger war, hatte sie dies unbekleidet getan und den Anblick ihrer festen Formen genossen. Doch jetzt, da ihr Fleisch an Spannkraft verlor, frisierte sie sich nur noch im Bademantel und schaute kaum mehr hin.

Das war auch der Grund, warum sie erst jetzt merkte, dass ihr Spiegelbild ihre Bewegungen nicht mitmachte.

Aufs höchste verblüfft, legte sie Kamm und Bürste beiseite und starrte den Spiegel an. Es war ein alter Spiegel, ein bodentiefes Erbstück, mit Schlieren im Glas und verschnörkeltem Goldrahmen. Ursprünglich stammte das gute Stück aus der Schneiderwerkstatt ihrer Großmutter väterlicherseits. Nach dessen Tod wanderte er in den Keller des elterlichen Hauses, wo er in Vergessenheit geriet. Vor ein paar Tagen war das Haus verkauft worden, und der Spiegel sollte entsorgt werden. Frau Charlotte, von einer unerklärlichen Ahnung, die fast an Panik grenzte, getrieben, rettete ihn und ließ ihn an die Tür eines in die Wand eingelassenen Badezimmerschrank montieren.

Und jetzt geschah etwas, das unter anderen Umständen undenkbar gewesen wäre: Frau Charlotte Werringlör, 46, bisher glücklich verheiratet, Mutter einer erwachsenen Tochter, sonst nicht zu Albernheiten neigend, begann, alberne Grimassen zu schneiden, sich mit dem Finger immer wieder an die Stirn zu tippen, sich zu drehen und zu wenden wie eine Tanzpuppe.

Doch was sie auch anstellte, das verflixte Spiegelbild blieb unbeweglich wie die Marmorstatue auf der Fensterbank.

Jetzt bemerkte sie auch erstaunt, dass es gar nicht ihr Gesicht war, das sie mit leicht ironischem Grinsen aus dem Spiegel anstarrte, sondern das einer viel jüngeren Frau, nicht unbedingt schön, aber auch nicht unbedingt hässlich, ein weibliches Durchschnittsgesicht eben, dem Ihren zwar ähnlich, aber mit erheblich weniger 'Gebrauchsspuren'.

Und wieder tat Frau Charlotte etwas, das man wohl einem kleinen Kind milde lächelnd vergeben würde, nicht aber einer fest im Leben stehenden Frau, Gattin und Mutter: Sie klappte die Spiegeltür auf, um festzustellen, ob sich die Person möglicherweise in dem Schrank dahinter verberge. In diesen Hohlraum also blickte die Frau, und wir müssen ihr zugute halten, dass sie diesen Versuch, auf diese Weise hinter das Geheimnis der fremden Person zu kommen, selbst ziemlich albern fand.

Sie klappte die Tür wieder zu und blickte in der Hoffnung in den Spiegel, einer Sinnestäuschung erlegen zu sein – was schlimm genug wäre, aber immer noch besser als das, was jetzt durch ihren Kopf ging. Denn das Gesicht war immer noch da und grinste sie höhnischer denn je an.

Im Flur läutete die Hausglocke – Frau Charlotte hörte es nicht. Es läutete erneut – sie rührte sich nicht. Sie befand sich jetzt in einer ganz eigenartigen, nie gekannten Geistesverfassung, vergleichbar mit der eines Tieres, dessen Fluchtdistanz plötzlich unterschritten ist und das nicht weiß, ob es angreifen oder fliehen soll.

Frau Charlotte ließ sich auf einen Hocker nieder und dachte angestrengt nach.

Natürlich! Die Frau im Spiegel, schoss es ihr durch den Kopf – eine andere Erklärung kam nicht infrage – war eine junge Geliebte ihres Mannes! Der Spiegel hat eine Moment aus dem Besuch dieser unseeligen Person konserviert, wie sie sich mit höhnischem Grinsen zurechtmacht, um sich anschließend zu ihrem Mann ins Ehebett zu werfen!

Die naturwissenschaftliche Unmöglichkeit ihrer Überlegungen interessierte sie nicht. Wann hat sich schon jemals eine Frau, welcher der Verdacht allmählich zur Gewissheit wird, dass ihr Mann sie betrügt, um die Gesetzte des Universums gekümmert?

Frau Charlotte war bis ins Mark getroffen. Mit ungelenken Bewegungen kleidete sich an und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu bereiten. Während die Kaffeemaschine friedlich vor sich hin röchelte, begann sie, das bisher Undenkbare weiter auszudenken. Jetzt fiel ihr auch wieder ein, dass sie vor zwei Wochen für einige Tage nach Düsseldorf zu ihrer Mutter gefahren war, die in diesen Tagen ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag feierte. In dieser Zeit muss es geschehen sein, grübelte sie verzweifelt, er hat meine Abwesenheit benutzt, um sich eine junge Frau ins Bett zu holen und unsere Ehe in den Dreck zu ziehen.

Erschüttert legte sie den Kopf in die Hände. Die absurdesten Gedanken, vermischt mit den abstrusesten Selbstvorwürfen, tobten zwischen ihren pochenden Schläfen. Hat er das denn nötig, fragte sie sich immer wieder, habe ich mich seinem Ansturm denn jemals verweigert? Und war es nicht eine Liebesheirat, die uns zusammengeführt hat, und ist diese Ehe, bis auf wenige Ausnahmen, nicht immer harmonisch verlaufen?



Der Kaffee war fertig, und sie goss sich eine Tasse ein. Während sie bedächtig den Zucker umrührte, fasste sie einen kühnen Entschluss. Ich werde ihn zur Rede stellen, noch heute Abend, sowie er abgelegt aber noch bevor er sich hingesetzt hat! Wenn er gesteht, werden wir einen Ausweg aus der Krise finden, und ich werde ihm verzeihen.

Wenn nicht, bringe ich mich um!

Doch als sie zwei Stunden später das kleine Badezimmer betrat – in dieser Wohnung war alles klein, aber erlesen, sodass die Besucher schon von einer 'Puppenstube' sprachen – war die Vision verschwunden. Der Spiegel zeigte wieder ihr Gesicht, machte wieder ihre Bewegungen mit, erwiderte in aller Unschuld, als wäre nichts gewesen, ihr zaghaftes Lächeln. Erleichtert atmete sie auf, denn dieser Gang vor den Spiegel hatte sie viel Überwindung gekostet. Jetzt war sie sich überhaupt nicht mehr sicher, die fremde Frau wirklich gesehen zu haben. War´s vielleicht nur ein Tagtraum gewesen? Eine optische Täuschung? Eine Wahnvorstellung? Konnte es sein, dass das Schmerzmittel, das sie gestern Abend wegen eines Migräneanfalls genommen hatte, ihr Wahrnehmungsvermögen kopfstehen ließ?

Sofort nahm sie den ellenlangen Beipackzettel heraus und überflog ihn atemlos. Tatsächlich, da stand es schwarz auf weiß:



Welche Nebenwirkungen sind möglich?

Sehr häufig: Benommenheit, Schwindel

...

Bewusstseinstrübungen, Halluzinationen...



Frau Werringlör sank mit einem Stoßseufzer der Erleichterung auf ihren Stuhl zurück. Bewusstseinstrübungen, Halluzinationen! Na klar, das war der Grund!



Deshalb stellte sie ihn nicht zur Rede, weder am diesem Abend, noch am nächsten, noch am übernächsten. Sie brachte es einfach nicht übers Herz, den häuslichen Frieden auf einen bloßen Verdacht hin, der noch dazu auf tönernen Füßen stand, zu brechen. Zu sehr war ihr an einem harmonischen Zusammensein gelegen. Wie sollte sie diesen Verdacht denn auch begründen? Dass sie am Morgen eine fremde Frau im Badezimmerspiegel gesehen hatte?

Lächerlich!

Als er am Abend, von der Arbeit und endlosem Stopp und Go auf der Autobahn ermüdet, die Wohnung betrat, sah sie seine erschöpften Augen, spürte kurz darauf seine warmen Lippen auf ihrer Stirn – und schwieg.



2

Doch ganz sicher, dass ihr Mann in puncto eheliche Treue ein blütenweiße Weste hatte, war sie sich nicht mehr. Ein Verdacht, einmal aufgekeimt, lässt sich nicht so einfach aus der Welt schaffen. Je unbegründeter er ist, desto hartnäckiger hält er sich. Und schon finden sich Hinweise, die den Verdacht bestärken.

Frau Werringlör nahm sich vor, ihren Mann genau zu beobachten. Sollte er ein schlechtes Gewissen haben, würde er sich bestimmt irgendwann verraten. Sie meinte ihn so gut zu kennen, dass ihr auch die kleinste Veränderung in seinem Verhalten ihr gegenüber auffallen würde. Doch wie immer nahm er sie bei seiner Rückkehr in die Arme und drückte ihr einen heißen Kuss auf die Stirn. Wie immer stand am ersten Sonntag jeden Monats ein Strauß roter Rosen auf dem Tisch. Wie immer führte er sie am Wochenende zum Essen aus. Und auch in seinem sonstigen Verhalten gab es nicht die kleinste Veränderung. Schon spielte sie mit dem Gedanken, ihm die ganze Angelegenheit zu beichten und ihm um Verzeihung für ihre Zweifel an seiner Treue zu bitten. Doch dann unterließ sie es doch. Der letzte Beweis für seine Treue fehlte noch. Zu groß waren die Versuchungen für den gut aussehenden Mann in den angeblich 'besten Jahren'. Sie selbst würde ihn immer noch ohne viel zu überlegen vom Fleck weg heiraten.

Frau Charlotte beschloss, noch ein Weilchen abzuwarten. Sie beschloss ferner, keine Schmerzmittel mehr zu nehmen. Sie wollte ganz sicher gehen.



3

Die zweite Erscheinung der fremden Frau stellte sich etwas sechs Wochen nach der ersten ein. Wieder war da das ironische Grinsen, nur erschien das Gesicht noch jünger als beim letzten Mal.

Man kann nun nicht sagen, dass Frau Charlotte schon damit gerechnet hätte. Aber sie stellte mit Verwunderung fest, dass sich ihre Erschütterung zunächst in Grenzen hielt. Ja, es stellte sich kurzzeitig sogar so etwas wie Siegerlaune ein, nach dem Motto: Hab´ ich´s doch geahnt! Na warte, komm du erst mal nach Hause!

Doch dann kam die Enttäuschung, und zwar mit Macht.

Wieder hatte ihr Mann ihre Abwesenheit benutzt, um sie zu betrügen! Zorn und Wut stiegen in ihr auf, Zorn über die Schande, die er ihr antat, und Wut über sein scheinheiliges Verhalten. Wieder stand nämlich ein üppiger Rosenstrauß im Wohnzimmer, und die Einladung zum Essen war schon ausgesprochen. Sie ging ins Wohnzimmer, nahm die Rosen und warf sie in den Mülleimer. Doch dann besann sie sich; sie nahm die Rosen wieder heraus und legte sie neben die Vase, als sichtbares Zeichen, dass etwas Wichtiges aus dem Gleichgewicht geraten war.

Die Knie wurden ihr weich, und sie musste sich setzen. Benommen versuchte sie, über ihr weiteres Vorgehen nachzudenken. Selbstmord war natürlich keine Option. Warum sollte sie sich umbringen? Denn innerlich war sie ja bereits so gut wie tot. Aus Selbstmord wurde nun Trennung, endgültige Trennung von Tisch und Bett. Sie stand wieder auf, nahm ein Branchenverzeichnis zur Hand und suchte nach einem Scheidungsanwalt. Doch da war wieder das Problem der Begründung. Auf einen Verdacht hin, der sich auf ein Spiegelbild stütze, würde natürlich kein Anwalt tätig werden, und, sollte es tatsächlich zu einer Verhandlung vor Gericht kommen – bei diesem Gedanken überfiel sie eine Gänsehaut – was wäre, wenn ihr Mann den Spieß umdrehte und sie für unzurechnungsfähig erklärte?

Nein, erst muss ein handfester Beweis her!

Sie rief ihre Freundin Gisela an und ließ sich die Adresse der Privatdetektei geben, die damals, als sie mit ihrem Mann ähnliche Probleme hatte, tätig geworden war.



4

Der junge Mann hörte sich die Worte der Frau, die mit bekümmerter Miene vor ihm saß, geduldig an. Wie oft hatte er dergleichen schon gehört! Doch dieser Fall war eigenartig. Diese Frau wollte um alles in der Welt nicht mit der Sprache heraus, worauf sich ihr Verdacht stützte. Ein fremder Geruch am Hemd des Gatten? Nein. Ein Lippenstiftrest an der Wange? Nein. Striemen auf dem Rücken oder sonst wo? (Da habe er noch ganz andere Sachen gesehen, gnädige Frau!) Nein. Ein kompromittierender Anruf? Auch nein. Eine angebrochene Packung Kondome in der Hosentasche? Nein, nein, nein!

Der Privatdetektiv schüttelte ratlos den Kopf. Also, um Himmelswillen, gnädige Frau, was denn nun? Dass Ihr Mann immer öfter angeblich im Büro über Nacht bleibt – na ja, verdächtig ist´s schon, aber, mit Verlaub, das kann doch auch ganz andere Gründe als einen Seitensprung haben!

Also wieder eine Frau, dachte er, die das Altwerden nicht verträgt, und die Verrat wittert, wo keiner ist. Nun ja, alt werden ist auch nichts für Weicheier. Wahrscheinlich hat sie ihren Göttergatten in Begleitung einer jüngeren Frau gesehen und verliert jetzt die Nerven. Midlifekrise vom Feinsten!

„Sagen Sie, Frau Werringlör, was macht Ihr Mann beruflich?“

„Er ist IT-Sachverständiger beim Hamburger Senat.“

„Hmm... Da hat er doch bestimmt viele junge Kolleginnen... Haben Sie irgendeine Idee, wer die betreffende Person sein könnte? Vielleicht haben Sie die junge Dame ja schon einmal auf einem Empfang gesehen, oder Ihr Mann hat sie sogar mit nach Hause gebracht und sie als harmlose Kollegin vorgestellt! Denken Sie nach! Manche Männer schätzen es, wenn ihre Ehefrauen die Auserwählte sympathisch finden! Alles ist möglich, alles ist schon mal da gewesen!“

„Nein. Bisher hatte ich auch keinen Grund, mir darüber den Kopf zu zerbrechen. Bis dann vor etwa sechs Wochen...“ Frau Werringlör brach ab und schwieg.

Der junge Sherlok Holmes kritzele irgendwelche Zahlen auf einen Schreibblock. „Gnädige Frau, es ist so: Ohne einen konkreten Anfangsverdacht können sich unsere Ermittlungen unvorhersehbar in die Länge ziehen. Das kann dann teuer werden.“

Frau Werringlör lächelte müde. „Junger Mann, darüber machen sie sich mal keine Gedanken! Finanziell bin ich hervorragend aufgestellt!“

„Nun gut.“ Er dachte: Schließlich macht auch Kleinvieh Mist, griff hinter sich und legte mehrere Formulare auf den Tisch. „Das hier füllen Sie bitte aus und unterschreiben es anschließend. Und das hier “ – er runzelte die Stirn – „ist die neue EU-Datenschutzverordnung. Danach müsste ich ihren Mann eigentlich erst fragen, ob ich gegen ihn ermitteln darf.“ Er lachte grob. „Aber wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Es geht um Folgendes: Mit Ihrer Unterschrift erlauben Sie mir, Informationen, die ich von Ihnen erhalte, an Dritte weiterzugeben.“

„An Dritte? Wieso das? Führen Sie die Ermittlungen denn nicht selbst durch?“

„Nein. Sie sagten doch, Ihr Gatte arbeite in Hamburg. Meistens beginnen solche... hmm...Vorkommnisse am Arbeitsplatz. Die Recherche vor Ort wird ein dortiger Kollege übernehmen.“

„Verstehe! Benötigen Sie einen Vorschuss?“

„Sie meinen am Finanzamt vorbei?“ Der junge Mann schüttelte energisch den Kopf. „Gnädige Frau, ich bitte Sie! Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen und schreiben Rechnungen nur nach handwerklich sauber erbrachter Leistung. Allerdings, darauf muss ich hinweisen: Leistung bedeutet nicht von vornherein Erfolg!“

„Verzeihen Sie...“

„Gerne! Dann bräuchte ich jetzt ein paar Angaben über die täglichen Gewohnheiten Ihres Gatten.“



5

Die dritte Erscheinung zeigte sich genau einen Tag vor ihrem fünfundzwanzigsten Hochzeitsjubiläum. Diesmal empfand Frau Charlotte weder Zorn noch Wut, sondern nur abgrundtiefe Verachtung. „Hat der Mann denn überhaupt keinen Anstand mehr!“ rief sie aufgebracht, „diese Frau könnte seine Tochter sein!“

Und in der Tat, das Ding da im Spiegel war noch jünger als die letzte Frau, ein junges Mädchen. Frau Charlotte stutzte. Irgendwie kam ihr das Gesicht bekannt vor. Erst neulich hatte sie die Frau doch noch gesehen! Aber sie kam nicht darauf, wo und bei welcher Gelegenheit. Und im Grunde interessierte es sie auch nicht wirklich, dazu war die ganze Angelegenheit zu schmerzlich. Jetzt quälten sie andere Sorgen.

Aus Enttäuschung bekam sie wieder einen Migräneanfall. Sie ging in die Küche und nahm eine ordentliche Dosis von dem Schmerzmittel. Darauf kam es ja jetzt nicht mehr an...

Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl und überlegte. Zunächst ging es darum, den morgigen Hochzeitstag zu überstehen. Schon seit einiger Zeit ertrug sie die Annäherungen ihres Mannes nur noch mit äußerster Willensanstrengung. Morgen würde er sich wahrscheinlich vor Gunstbeweisen überschlagen. Es war sowieso ein Wunder, dachte sie, wieso er noch nicht Lunte gerochen hatte und nichts sagte. So blind-verliebt kann doch kein normaler Mann auch nach zehn Jahren Ehe sein! Entweder ist es das schlechte Gewissen, das ihm den Mund verschließt, oder er führt meine abweisende Art auf die Wechseljahre zurück und schwieg deshalb mit Nachsicht.

Frau Charlotte richtete sich auf. „Ha! Die Wechseljahre!“, rief sie, „das ist die Lösung! Wechseljahre und Migräne – die idealen Ausreden für die Frau! Ich werde mich mit Migräne ins Bett legen und den Hochzeitstag dort verbringen! Er wird der letzte sein, der Verdacht schöpft! Er wird es auf die Wechseljahre schieben und so, wie er gestrickt ist, keine Fragen stellen! Außerdem stimmt´s ja wirklich!“

Die Uhr zeigte halb zehn. Ihr Mann würde – bei freier Fahrt – frühestens gegen siebzehn Uhr zurück sein. Also blieb noch reichlich Zeit, die Wohnung in Unordnung zu bringen. In einem Anfall spontaner Rachelust war ihr nämlich eben eine Idee gekommen, wie sie ihrem Mann die Jubiläumslaune gründlich verderben könnte.

In der Küche fing sie an. Der Abwasch von gestern blieb unabgewaschen, die Flecken auf den Bodenfliesen wurden noch um einige vermehrt, das benutzte Frühstücksgeschirr bleib stehen. Mit höhnischer Miene verstreute sie hier Salz, da Pfeffer, dort Mehl...

Dann ging sie ins Schlafzimmer, um ihr Werk fortzusetzen. Zunächst brachte sie die Betten gründlich durcheinander. O, wie sie sich schon auf sein dummes Gesicht freute! Dieser pedantische Ordnungsmensch, der jeden bedeutsamen Papierschnipsel archivierte und ärgerlich die Stirn runzelte, wenn Messer und Gabel nicht parallel zueinander neben dem Teller lagen – o, wie wird er sich ärgern! Sie bückte sich, um eine Bettlade aufzuziehen. Dabei fiel ihr Blick auf eine Fotografie, die auf seinem Nachttischchen stand. Sie zeigte zwei junge Leute, die eng umschlungen vor einem blühenden Rosenstock standen.

Frau Charlotte erstarrte.

Ihr Verlobungsfoto!

Sie erkannte die junge Frau sofort.

Frau Charlotte richtete sich keuchend auf und griff sich ans Herz. Eine heiße Röte glitt über ihre Wangen. Diese junge Frau da... Es war die Frau im Spiegel, und diese Frau war sie selbst! Sie war damals zweiundzwanzig Jahre alt, als sie sich mit ihrem Traummann verlobte...

Völlig verstört hastete sich ins Badezimmer, um diese Entdeckung zu überprüfen. Doch die Erscheinung war schon wieder verschwunden. Jetzt war ihr auch klar, warum ihr alle diese Spiegelbildnisse bekannt vorgekommen waren. Aber weil sie mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet hatte – und mein Gott, seien wir gerecht, auch nicht rechnen konnte – hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht.

Jetzt dämmerte ihr: Obwohl es allen Gesetzen der Logik widersprach – der Spiegel hatte Momentaufnahmen ihres früheren Lebens konserviert und gab sie jetzt ab und zu wieder von sich!

Diese Tatsache war bestürzend und faszinierend zugleich. Frau Charlotte ließ sich auf einen Stuhl fallen. Es stand zu befürchten, dass in diesem Spiegel Dinge gespeichert waren, die am besten nicht ans Tageslicht kommen sollten. Frau Charlotte hatte, wenn sie sich unbeobachtet wusste, schon als ganz junges Mädchen, in ihre eigene Figur verliebt, davorgestanden und sich kokett gedreht und gewendet, zuweilen sogar nackt. Ihr Spiegelbild hatte eine geradezu erotische Anziehungskraft besessen. Und jetzt empfand sie auch ein eigenartiges Gefühl wieder, das sie damals bei den Verrenkungen vor dem Spiegel erfasst hatte: Es war ungebändigte Lebenslust und das Gefühl, richtig nur als Spiegelbild zu existieren. Mit den Jahren war dieses Gefühl schwächer geworden, wie mit den Jahren im Menschenleben alles schwächer wird, aber manchmal tauchte die Erinnerung an diese herrliche Zeit für Sekunden wieder auf.

Doch da war ein anderer Gedanke, der sie jetzt mehr beschäftigte: Die Gewissheit seiner Unschuld, die alle Bedenken verscheuchte und sie unendlich heiter stimmte. Vor ihren Augen erschien ihr Mann, milde lächelnd und mit einem riesigen Strauß roter Rosen im Arm, rein und schuldlos wie der Phönix, der gerade aus der Asche steigt. Weggewischt waren alle Zweifel und Vorwürfe.

Frau Charlotte lief ins Wohnzimmer und rief das Detektivbüro an, das natürlich nichts herausgefunden, aber schon eine fette Liquidation geschickt hatte. Das Ganze habe sich als heilloser Irrtum erwiesen, erklärte sie munter, und sie bäte um die noch ausstehende Abrechnung. Dann brachte sie die Wohnung wieder in Ordnung. Zu guter Letzt stellte sie eine besonders kostbare Vase auf, für den riesigen Strauß roter Rosen, den er ihr heute Abend überreichen würde.

Doch plötzlich nahm sie eine andere Überlegung gefangen, ein unheimlicher Gedanke, und sie musste sich wieder setzen.

Ihr Mann hatte ihr einmal erklärt, das die Welt, wie wir sie sehen, nichts anderes sei als eine optische Täuschung. Je weiter man sich in den Bereich der Elementarteilchen vorwage, desto mehr verschwänden die festen Konturen. Schließlich blieben nichts als abstrakte Kraftfelder übrig.

Obwohl diese Überlegungen allen Alltagserfahrungen widersprachen, erfasste sie eine Art metaphysischer Schwindel.

Wenn ich also in Wirklichkeit nichts anderes als eine Ansammlung abstrakter Kraftfelder bin, grübelte sie in ihrem wissenschaftlich ungeübten Gehirn, was bewirkt dann meine sichtbare Existenz? Würde das nicht bedeuten, dass ich nicht realer bin als mein Spiegelbild, denn der Spiegel ist ja auch nur eine Ansammlung abstrakter Kraftfelder? Wäre es dann nicht möglich – und hier stockte ihr Atem – dass ich nicht realer bin als mein Spiegelbild? Und was wäre mit mir, wenn er zerbricht?

Auf einmal bekam sie Angst.

Allmählich beruhigte sie sich wieder, denn diese Überlegungen waren dann doch zu fantastisch.



6

Die fünfundzwanzig langstieligen roten Rosen, die er ihr am Abend freudestrahlend überreichte, und auf die jetzt die Strahlen der Abendsonne fielen, füllten den kleinen, aber gemütlich gestalteten Raum mit einem betörenden Feuerwerk aus Duft und Farbe. Zum ersten Mal nach langer Zeit warf sie sich wieder in seine Arme und küsste ihn auf den Mund. Nun, da das Geheimnis der fremden Frau endlich gelöst war, sollte nichts mehr Trennendes zwischen ihnen stehen. Zu lange schon hatte die eheliche Eiszeit gedauert.

Doch alle guten Vorsätze täuschten nicht darüber hinweg, dass einiges nicht mehr so war wie noch vor wenigen Monaten. Sein Kuss fiel flüchtig aus, und er wirkte müde und abgespannt. Es ließ sich nicht länger leugnen: Im letzten halben Jahr war er sichtlich gealtert.

Doch Frau Charlotte war wild entschlossen, ihm endlich reinen Wein einzuschenken, sich zu erklären und ihn um Entschuldigung zu bitten.

Noch bevor er sich frisch machen konnte, zog sie ihn zu sich aufs Sofa und sagte: „Mein Lieber, ich muss dir etwas gestehen!“ Dann erzählte sie ihm von dem seltsamen Spiegelbild, von den Irritationen, die sie daraufhin heimgesucht, von dem Verdacht, den sie gegen ihn gehegt, von der erlösenden Entdeckung heute morgen.

Er hörte eine Weile verblüfft zu, dann sprang er auf.

„Was redest du da!“, rief er hochrot im Gesicht, „der ganze Kummer soll für nichts und wieder nichts gewesen sein, die durchwachten Nächte erlitten nur wegen einer hysterischen Einbildung?“ Er sah seine Frau argwöhnisch an. „Du bist doch durchgedreht, total übergeschnappt! Wegen eines Spiegelbildes hast du mich ein halbes Jahr gequält! Ja, schau mich nur an! Wie sehe ich denn aus? Wie mein eigener Tod! Sogar auf dem Amt haben sie schon gefragt!“

Er ließ seine Frau sitzen, tappte bärenschwer, ohne noch ein Wort zu sagen, ins Badezimmer und stellte sich vor den Spiegel.

Diesen Spiegel hatte er nie gemocht. Zu antiquiert, zu überdimensioniert für den engen Raum. Und er hatte auch nie verstanden, warum ihn seine Frau aufhängen ließ. Manchmal, wenn er sie beobachtete, wie sie sich im Spiegel betrachtete, hatte er in ihrem Blick so etwas wie eine heilige Scheu zu erkennen geglaubt. Und jetzt, dachte er bitter, ist die heilige Scheu in unheiligen Wahnsinn umgeschlagen. Schade! Wie gerne wäre ich mit ihr ohne diese Verwirrungen alt geworden!

Er beugte sich vor und betrachtete sein verhärmtes, faltiges Gesicht mit den Hamsterbacken, sah seine grauen Schläfen, seine müden Augen, und eine maßlose Wut erfasste ihn. Er hatte jetzt das unbezwingbare Bedürfnis, etwas zu zerschlagen, zu zerstören, kaputt zu machen. Da stand die schwere Marmorfigur auf dem Fensterbrett, die Kopie einer klassischen Vorlage. Ohne zu überlegen warf er sie in den Spiegel hinein, Glas splitterte und flog in alle Richtungen.

In diesem Moment brach Frau Charlotte, die von ihrem Mann unbemerkt hinter ihn getreten war und noch versucht hatte, seinen Wurfarm aufzuhalten, mit einem hohen Wehlaut tot zusammen. Im Fallen schlug sie mit dem Hinterkopf heftig gegen den Sockel der Duschkabine.
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Rotkehlchen,
eine spannende Geschichte. Ich mag den mystisch angehauchten Inhalt, auch wenn am Ende keine Erklärung für die Erscheinungen im Spiegel und den Tod von Charlotte erfolgt. Die Reaktion von Charlotte halte ich allerdings schon für krankhaft. Solch eine Erklärung für Untreue zu konstruieren und sich selbst nicht wiederzuerkennen, sehr unwahrscheinlich.

Ich würde die überflüssigen Leerzeilen aus dem Text entfernen und die Nummerierung ist unnötig.

Erst habe ich ja gedacht du bist in einem Beruf tätig, der mit der Justiz zu tun hat, weil es sich gerade am Anfang wie schönstes Beamtendeutsch anhört, doch dann hättest du gewusst, dass das Rechtsmittel im Strafverfahren die Berufung ist und nicht der Widerspruch. ;)

Warum schreibst du immer Frau Charlotte?

Frau Charlotte ließ sich auf einen Stuhl fallen. Es stand zu befürchten, dass in diesem Spiegel Dinge gespeichert waren, die am besten nicht ans Tageslicht kommen sollten. Frau Charlotte hatte, wenn sie sich unbeobachtet wusste, schon als ganz junges Mädchen, in ihre eigene Figur verliebt, davorgestanden und sich kokett gedreht und gewendet, zuweilen sogar nackt. Ihr Spiegelbild hatte eine geradezu erotische Anziehungskraft besessen. Und jetzt empfand sie auch ein eigenartiges Gefühl wieder, das sie damals bei den Verrenkungen vor dem Spiegel erfasst hatte: Es war ungebändigte Lebenslust und das Gefühl, richtig nur als Spiegelbild zu existieren.
Was ist so schlimm, dass es am besten nicht ans Tageslicht kommt?

So blind-verliebt kann doch kein normaler Mann auch nach zehn Jahren Ehe sein!
Ich denke du meinst: So blind vor Liebe kann doch kein normaler Mann sein, erst recht nicht nach zehn Jahren Ehe.
Wie lange sind die beiden verheiratet? Hier der Hinweis auf zehn Jahre und mal 25ter Hochzeitstag?

versuchte er, das Zutrauen Vertauen des Hago W. zu gewinnen, was ihm auch endlich gelang. Er ließ sich von ihm seine Version des Geschehens erzählen und erhielt von ihm die Erlaubnis, diese Version als Exempel und Beleg in seinem Manuskript zu verwenden.
Dem Verf. dieses liegt das Manuskript vor, das als wissenschaftliche Arbeit den Sachverhalt korrekt, aber ohne erzählerische Raffinesse wiedergibt. Verf. dieses erlaubt sich nun, wegen der Besonderheit des Falles und mit ausdrücklicher Erlaubnis des Dr. Pfefferkorns, eine lebendige Version vorzulegen.
Das Unterstrichene, wer ist damit gemeint?
Ihr Mann hatte ihr einmal erklärt, das die Welt, wie wir sie sehen, nichts anderes sei als eine optische Täuschung. Je weiter man sich in den Bereich der Elementarteilchen vorwage, desto mehr verschwänden verschwinden die festen Konturen. Schließlich blieben nichts als abstrakte Kraftfelder übrig.
Obwohl diese Überlegungen allen Alltagserfahrungen widersprachen, erfasste sie eine Art metaphysischer Schwindel.
Wenn ich also in Wirklichkeit nichts anderes als eine Ansammlung abstrakter Kraftfelder bin, grübelte sie in ihrem wissenschaftlich ungeübten Gehirn, was bewirkt dann meine sichtbare Existenz? Würde das nicht bedeuten, dass ich nicht realer bin als mein Spiegelbild, denn der Spiegel ist ja auch nur eine Ansammlung abstrakter Kraftfelder? Wäre es dann nicht möglich – und hier stockte ihr Atem – dass ich nicht realer bin als mein Spiegelbild? Und was wäre mit mir, wenn er zerbricht?
Frau Charlotte kommt auf so eine Theorie? Ich würde denken ich werde verrückt.
 

rotkehlchen

Mitglied
Hey, Ilona B,
herzlichen Dank für deine klugen Hinweise!
Zitat
Ich würde die überflüssigen Leerzeilen aus dem Text entfernen

Ich denke, das Forum will es so, denn ich sehe es bei anderen Texten auch

Zitat
Warum schreibst du immer Frau Charlotte?

Weil sie mir sympatisch ist

Zitat
Was ist so schlimm, dass es am besten nicht ans Tageslicht kommt?

Weil sie nicht will, dass sie ein Fremder nackt sieht oder möglicherweise bei autoerotischen Handlungen.

Zitat
Wie lange sind die beiden verheiratet? Hier der Hinweis auf zehn Jahre und mal 25ter Hochzeitstag?

Da hast du mich bei einer unverzeihlichen Nachlässigkeit erwischt

Zitat
Das Unterstrichene, wer ist damit gemeint?

Der Erzähler. Ich fand den Ausdruck in einer alten Doktorarbeit und so herrlich verklemmt. Der Verf. schrumpft sozusagen zu einem Nichts zusammen, um den Leser dieses milde zu stimmen. Will sagen: Ich wollte den Unterschied zwischen dem trockenen Bericht und der (hoffentlich) blutvollen Erzählung betonen.

Zitat
verschwänden

Ich denke, in der indir. Rede ist es so richtig.

Zitat
Frau Charlotte kommt auf so eine Theorie?

Warum denn nicht? Sie ist doch nicht dumm, und wegen abendlicher Diskussionen mit ihrem Mann sind ihr solche Überlegungen vertraut. Ihr fehlt das Vokabular, sie zu formulieren, aber sie kann sie denken. Gut, ich gebe zu, etwas unwahrscheinlich ist es schon, aber was ist an dieser Geschichte nicht unwahrscheinlich!
Nochmal vielen Dank für deine Anteilnahme.

Herzliche Grüße,
Rotkehlchen

Es ist nicht schlimm, alt zu werden, man muss nur jung dabei bleiben.
 

Ilona B

Mitglied
Guten Abend Rotkehlchen,
vielen, lieben Dank für die Erklärungen. Wie schon gesagt, mir gefällt deine Geschichte. :)
Herzliche Grüße Ilona
 



 
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