Die Geschichte mit Ihr

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PinkJ

Mitglied
Ich muss sie sterben lassen, so feingekleidet wie sie in dem Flimmern meiner Gedanken steht, so breitgrinsend wie sie die Noten auf der Gitarre findet, so großgeistig wie sie den Kopfhörern auf ihren Ohren lauscht. In den letzten Tagen zog sie mich in ihren Bann, ich wüsste nichtmal, wie ich sie rufe. Ihre Äußerlichkeit wanderte durch Farben, Formen und Stile wie der höhnisch lachende Pinsel eines abstrakten Malers. Gehen wir den Pinsel genauer entlang, betrachten welche ängstlichen Finger ihn in einer zitternden Ode greifen, so sehen wir: Der Maler bin ich. Der Maler, der seine Hand in der Tracht des Weglaufens in einen Eimer Kleber steckte und diesen Pinsel für immer umklammern wollte. Doch wie auch Momente im Fluch der Zeit stehen, lernen Farben Stück für Stück ihren blassen Nachfolger kennen. Bald wird sie nicht mehr im Schleier der Unsichtbarkeit sichtbar sein, sie wird vergilben und nur mit seltenen Gedanken wiederbelebt werden. Ja, vielleicht muss ich sie gar nicht umbringen.

Doch später wird es eine andere sie geben. Und diese andere sie, sie wird wieder den Kreislauf aus Realitätsentzug und Selbsthass in Bewegung setzen, wird mit neuen Mischverhältnissen arbeiten und für den kurzgeatmeten Augenblick ein Dach bieten, das brüchig wie seine modernden Latten schreien, den prachtvollen Eindruck eines ewig-jährenden Palastes in meiner Netzhaut hinterlassen wird.
Nein, ich darf nicht sie umbringen, ich muss die Hand umbringen. Ich muss den Kleister in Flammen stellen, mir eine neue Extremität wachsen lassen. Eine Hand, die mit den Farben der Realität spielt, sie zu türmenden Konstrukten stapelt und die geisterbehafteten Gerüche der Imagination in dreigittrig bewachsene Kerke pustet.

Und als ich dies tat, nahm ich meinen Augapfel in die Hand und kehrte den Blick nach außen. Ab sofort verstummte das Jammern über die Fehlerhaftigkeit der Realität, ein realistisches Wesen setzte sein Auge in meinen Kopf und ließ mich mit bloßer Akzeptanz in die erst so schlammig und unentzifferbaren Reize der echten Welt hinaus.

Auch wenn der Schlamm säuerlich dafür sorgt, dass ich mich in Zeitlupe fortbewege, will ich das als meine Welt. Denn hier ist es, wo meine Werke ihre Rahmung finden, hier ist es, wo wichtige Stimmen mein Ohr berühren und hier ist es wo ein Kribbeln auf der Haut die nächste Hochfahrt ankündigt. Hier ist es nicht unbedingt farbenfroh, aber hier bricht wenigstens kein Dach mehr über mir zusammen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 34085

Gast
Hallo, teilweise anachronistische, aber schöne, poetische Formulierungen dabei. Und was es erzählt, die Beziehung eines Künstlers zu seinem Werk, gefällt mir sehr gut. Bin gern zwei mal eingetaucht darin. Grüße
 
G

Gelöschtes Mitglied 34085

Gast
Zum Beispiel "zitternden Ode" oder "Schleier der Unsichtbarkeit" klingen in meinen Ohren etwas wie 19. Jahrhunderts. Kann aber auch an meiner Leseerfahrung liegen, maße mir hier kein allgemeines Urteil. Aber es passt zum Text insgesamt und macht ihn stimmig.
 

PinkJ

Mitglied
Ja ich glaube ich mag diese ausschweifenden Beschreibungen, das kenne ich auch mehr aus alten Büchern.
Mein Ziel war es übrigens die Beziehung zwischen mir und einer imaginären Träumerei darzustellen, die mir nicht gut tut und nicht nur die Beziehung zwischen Künstler und Werk.
 



 
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