Die Geschichte vom bösen Wolfram

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Heinrich VII

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1. Ob der Wolfram früher vielleicht ein besserer Mensch war, ist nicht bekannt.
Jedenfalls musste er da noch nicht im Rollstuhl sitzen und diese bitteren Gedanken denken. Viele Tage hatte er, nach dem Zwischenfall, zuhause in seinem Zimmer verbracht. Er redete mit niemandem und verstrickte sich immer mehr in verhängnisvolle Grübeleien: Warum er? Warum musste ihm das passieren? Was hatte er getan, dass man ihn so strafte?

Wutentbrannt fuhr er mit dem Rollstuhl an diesem Morgen von Zimmer zu Zimmer in seiner Wohnung, stieß Flüche aus und haderte nach Herzenslust mit seinem Schicksal. Seiner Frau oder seinen Kindern gegenüber, hätte er sich nie so gezeigt. Aber die Kinder waren in der Schule und die Frau beim Einkauf, so dass er derartigen Gefühlen freien Lauf lassen konnte. Die verdammte Welt da draußen hatte ihm das eingebrockt. In Person eines Verrückten, der sich an ihn ran gemacht und auf ihn geschossen hatte. Und dabei hatte Wolfram noch Glück gehabt, wie die Ärzte sagten, überhaupt mit dem Leben davon gekommen zu sein. Tod wäre vielleicht die bessere Option gewesen, ging es ihm durch den Kopf. Jetzt saß er da, im wahrsten Sinne des Wortes und musste dieses Leben, das man ihm noch gelassen hatte, aushalten. Kaum zu glauben, dass jemand, der immer ganz selbstverständlich herum gelaufen ist, es auf einmal nicht mehr konnte. Für den Rest seines Lebens an einen verdammten Stuhl gekettet blieb. War das vielleicht gerecht?
Er griff in die Räder und rollte weiter. Von der Küche in den Flur, ins Wohnzimmer, wo er fast die große Vase, die gleich neben der Tür stand, umgefahren hätte. Warum eigentlich nicht, durchzuckte es ihn. Er fuhr zurück, ergriff sie mit beiden Händen, hob sie hoch und ließ sie auf den Boden knallen. Ein befreiendes Gefühl, als die Scherben nach allen Seiten spritzten, toll, wie es krachte und schepperte. Das war die Rache für seine miesen Gefühle. Doch die Freude hielt nur kurz. Gleich danach übermannte ihn die Wut wieder und er schrie: „Scheiß auf mein Leben, scheiß auf mein Schicksal, auf die ganze Welt scheiße ich, jawohl.“
Noch bevor seine Frau nach Hause kam, hatte er sich wieder beruhigt, hatte die Scherben mühsam eingesammelt und auf einen Haufen gelegt. „Ich bin mit dem Rollstuhl versehentlich dagegen gefahren“, sagte er. Seine Frau sah ihm das nach und machte die Scherben weg. Sie sah ihm viel zu viel nach, das nervte ihn auch. Nahm ihn nicht mehr für voll, sah den Krüppel in ihm. Er verzog das Gesicht und ballte heimlich die Faust bei dem Gedanken.

Als die Ärzte es erlaubten, ging er zurück zu seiner Arbeit. Er hatte eine wichtige Tätigkeit inne, als Politiker und war deswegen auch öfter im Fernsehen. So sichtbar, gewöhnte sich die Nation wohl am schnellsten daran, dass er nun nicht mehr stehen und laufen konnte, sondern im Rollstuhl saß, aber tapfer weiter machte. Seine Pläne waren immer noch dieselben, sich zum Kanzler aufstellen zu lassen. Trotz der Tatsache, dass seine politischen Mitstreiter, einen der im Stuhl sitzt, für so einen Posten nicht mal vorschlagen würden. Er würde ihnen beweisen, dass er noch was drauf hatte, würde ihnen zeigen, dass sein Geist und sein Ehrgeiz immer noch ungebrochen waren. Er würde heimlich Pläne schmieden, sie alle verblüffen und auf seine Weise ans Ziel gelangen. Es würden ihnen die Augen raus fallen vor Verwunderung.

Die Zeit schritt voran, die Regierung wechselte und Wolfram´s Partei erhielt weiterhin das Regierungsmandat. Zum Kanzler wurde er, wie vorauszusehen war, nicht gewählt, aber eine andere Chance tat sich für ihn auf, deren Bedeutung ihm sofort klar wurde.
„Ich mache dich zum Innenminister“, verkündete die frisch gebackene Bundeskanzlerin.
„Ja, das ist gut“, antwortete Wolfram. Und unversehens hatte er ein Instrument in die Hand bekommen, mit dem sich gewiß einiges anfangen ließ. Computer sollten dabei eine große Rolle spielen. Ein ganzes Computerzentrum stellte er sich vor, mit neuartigen, blitzschnellen Rechnern. Und er, als Minister des Inneren, hatte die Herrschaft darüber. Wolfram hatte nämlich George Orwell gelesen. Aber nicht so wie andere, die das - im Sinne des Autors - als Warnung auffassten. Nein, ganz anders. Wolfram hatte es einfach zum Handbuch umfunktioniert. Und neuerdings dachte er folgerichtig darüber nach, wie es wohl wäre, so eine Welt Wirklichkeit werden zu lassen. Er träumte von einem Staat, der alles mithört, liest und über alles Bescheid weiß, was seine Bürger tun. Ob nun einer telefoniert, faxt, oder im Internet surft, alles würde minutiös protokolliert. Bewegungsprofile würden erstellt, Dateien von jedem angelegt. Das Ende jeglicher Privatheit, nicht offiziell, das war der Trick, aber faktisch. Supercomputer würden die Datenflut auswerten und in überschaubare Segmente aufteilen.
Polizei, Finanzamt, Gerichte, sogar Ärzte und Versicherungen würden sich mit ein paar Mausklicks bedienen, alles über jeden erfahren und entsprechend handeln können. Iris scannen, Fingerabdruck im Ausweis, Sprachrhythmus und Kopfform erfassen, man würde nach und nach alles in die Wege leiten. Genetischer Fingerabdruck, zur Speicherung in einer nationalen Datenbank, würde Pflicht für jeden werden. Keine Autofahrt mehr, ohne dass der Staat weiß: Wann, mit wem und wohin man gefahren ist. Wolfram sah ihn vor seinem geistigen Auge ganz deutlich: Den gläsernen Bürger. Und ER, ja ER, würde als großer Mann in die Geschichte eingehen. Als einer, der das Land und das Leben der Menschen sicherer gemacht hatte.


2. Ein geeigneter Haken musste als erstes entwickelt werden, um das Volk an die Angel zu kriegen. Angst war natürlich das beste Mittel. Und da kam ihm auch schon das Wort Terror in den Sinn. Das war gut, das rüttelte an Urängsten. Erinnerte an Jahrhunderte, in denen man ständigem Terror ausgesetzt war, durch Kriege, Willkür, Epidemien. Dahin wollte keiner mehr zurück und Wolfram würde geeignete Hilfe anbieten, nachdem die Angst wirksam verbreitet war.
Das Echo in der Presse auf seine Sicherheits-Vorschläge, auch im Fernsehen, war zwiespältig. Natürlich gab es auf der einen Seite genug Leute, die ihr Privatleben sofort im Sinne der Sicherheit eingeschränkt hätten. Aber auch genügend andere, die den Braten rochen und klug genug waren, um zu wissen, dass ein Terrorist genug andere Möglichkeiten hatte, wenn er etwas plante. Die werden sich nicht gerade zuhause hinsitzen und mit ner zurückverfolgbaren IP–Adresse im Netz surfen. Da kam berechtigtes Mißtrauen auf.
Das Wort Vorratsdatenspeicherung fiel Wolfram in den nächsten Tagen ein. Ein Wort, das niemand so leicht als Bedrohung auffassen würde. Zumindest nicht solange, wie man brauchte, um die Sache in Gesetzesform zu gießen. Dem Bundespräsident legen wir das Ding ganz offiziell, natürlich pro forma, auf den Tisch. Und wenn er zustimmt, was so sicher ist wie das Amen in der Kirche, er will schließlich wiedergewählt werden, ist zumindest der Teil der Bevölkerung beruhigt, der uns alle vier Jahre die Stimmen sichert.
„Wegen dem Terrorismus halt“, werden sie sagen, „und zu verbergen haben wir schließlich nichts.“

„Die elektronischen Medien dürfen nicht zum Tabugebiet werden“, polterte Wolfgang in einer Talkshow im Fernsehen. „Die Behörden müssen darauf Zugriff erhalten, wenn der Staat seine Bürger wirksam schützen soll.“ Die geladenen Gäste applaudierten, wie sie immer applaudieren, wenn einer etwas so schön daher sagt. Der gleiche verblendete Mob, der auch schon bei Goebbels „Hurra“ geschrieen hat, als er den „totalen Krieg“ ausrief.Wolfram war in Hochstimmung. Er würde der Welt zeigen, was einer im Rollstuhl noch alles fertig bringen konnte. Ich werde diesen Staat zu einem mundtoten Zombiefriedhof umgestalten, dachte er, das soll mein erklärtes Ziel sein. Demokratie nur noch auf dem Papier, faktisch abgeschafft. Und wer dagegen opponiert, läuft Gefahr, sich als Gesinnungsgenosse von Terroristen oder als Nazi verdächtig zu machen. Die Welt hat mir viel angetan, zu viel, und jetzt werde ich der Welt etwas antun.
Der Große Bruder aus Orwells Roman, wäre er nicht erfunden, würde ihn dafür freundschaftlich in die Arme schließen. Küssen würde er ihn, links und rechts auf die Wangen.„Genialster Demagoge deiner Zeit, Brüderchen“, würde der Große Bruder ihn loben. So befeuert, rotteten sich weiter alle Gifte in Wolfram zusammen, vereinigten sich in seinem Blut zu einer Art Curare und nahmen den Weg zu seinem Herzen; vermengten sie sich dort weiter mit Hass und Bosheit und stiegen weiter auf, den Verstand zu besetzen, langsam, schleichend, aber unaufhaltsam und ein ungeahntes Hochgefühl erzeugend.

Es lief nicht ganz so glatt wie gedacht. Es ließen sich keine Terroristen blicken und auch keine Anschläge passierten. Neidisch fast, sah Wolfgang zu anderen Ländern rüber, in denen tag-täglich etwas passierte: Den USA, Spanien, Pakistan, Afghanistan, Irak, Naher Osten. „Die Machthaber dort haben´s gut“, murmelte er. Wenn das hier so liefe, wären meine Vorschläge längst alle Gesetz. Man würde mich vielleicht sogar auf Knien darum bitten, mir noch mehr auszudenken, um die fleißigste Nation der Welt in Sicherheit zu wiegen. Im dritten Reich und in der DDR wurde mit Erfassung und Überwachung ja auch so gut wie alles erreicht. Im Mittelalter bereits, fanden Zählungen statt, um gegebenenfalls alles zusammen treiben zu können, was irgendwann in die Folterkammer oder auf den Scheiterhaufen musste. „Was kann ich tun, um die Sache zu beschleunigen?“ Das war der Gedanke mit höchster Priorität, der ihn am Tag und sogar nachts im Traum umtrieb.


3. Eine Gelegenheit ergab sich dann doch. Ein paar Amateure hatten ihren Keller mit Sprengstoffzutaten voll gestellt und außerdem über Telefon und Internet kommuniziert. Die Polizei hatte die dämlichen Anfänger erwischt und die Sache wurde von den Medien als ein verhinderter Anschlag im großen Stil hingestellt. Na ja, ein eher kümmerlicher Versuch. Keiner im Volk wurde dadurch groß beunruhigt. Man konnte leicht mit bekommen, dass es sich nur um ein paar unausgegorene Anfänger handelte. Mit so etwas konnte man die Angst im Lande nicht anheizen, da mußte schon mehr kommen. Und genau an der Stelle, hatte Wolfram seine Idee. Und je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm der Einfall. Das würde für Aufruhr sorgen, würde die Grundfesten der ganzen Republik erzittern lassen, und zudem an eine gute, alte Tradition anknüpfen. Bum – dachte er und sah es vor seinem geistigen Auge aufblitzen. Er rieb sich die Hände vor Freude.

Leute mit einschlägiger Erfahrung, die zusagten den Job bei entsprechender Bezahlung zu übernehmen, fanden sich. Wolfram lieferte ihnen, über angeworbene Mittelsmänner, den verlangten Grundriß und ein paar zusätzlich benötigte Informationen über das Parlamentsgebäude.
„Ihr werdet als Putzkolonne auftreten“, weihte er sie in seinen Plan ein, „abends nach Feierabend. Entsprechende Türen werden geöffnet sein, der Wachdienst bekommt Anweisung euch passieren zu lassen, die Kameras werden ausgeschaltet.“
Ich werde der Guy Fawkes der Neuzeit werden, dachte Wolfram und konnte sich ein Grinsen nicht verbeissen. Mit dem Unterschied, dass es mir gelingen wird.

Es dauerte einige Wochen bis alle Vorbereitungen getroffen waren, bis man eine handverlesene Wachmannschaft versammelt und angeworbene Leute aus BKA und einem Terrorabwehrkommando vergattert hatte. Wichtige Mitglieder aus der Partei waren von Wolfram ins Vertrauen gezogen worden. Sie schworen mit zu machen, aber nur unter der Bedingung, anonym zu bleiben. Wenn etwas bekannt werde, würden sie ihre Kenntnis und Beteiligung daran abstreiten.

Schließlich brach der große Tag an. Die Putzkolonne kam pünktlich nach Feierabend, gewisse Türen waren offen, die Kameras ausgeschaltet, alles wie vereinbart. Die Leute begannen sofort mit der Arbeit unten im Keller, um sich dann nach und nach bis ins oberste Stockwerk vorzuarbeiten. Die Wachmannschaft befolgte derweil die Anweisung, diese Vorgänge einfach zu dulden. Wegzuhören, wenn Löcher gebohrt wurden und sich nicht einzumischen, wenn die Putzkolonne diese Löcher auffüllte und Drähte verlegte. An allen wichtigen Eckpunkten waren vergatterte Beamte in Zivil aufgestellt.
Ins Vertrauen gezogene Polizisten durchkämmten in der Zeit die Büroetagen des Gebäudes, um eventuelle Abgeordnete zum Gehen zu bewegen, die noch Überstunden machten. Man wollte keine Verluste an Menschenleben zu beklagen haben, obwohl es die Sache vorteilhaft dramatisiert hätte. Aber dafür hatte es von den Beteiligten keine Rückendeckung gegeben. Auf ein vereinbartes Signal hin, sollten sich später alle zurückziehen und in Sicherheit bringen.

Wolfram wollte hautnah dabei sein und hatte sich deshalb mit seinem Rollstuhl an einem der Hintereingänge aufgestellt. Diesen Bums lasse ich mir nicht entgehen, sagte er sich. Und wenn ich verrückt genug wäre, würde ich sogar die Lyra spielen, wie es Nero damals tat; als er ein Rom singend beweinte, das er selbst angezunden hatte. Man konnte überhaupt von diesem Mann lernen. Hatte er die Schuld nicht anschließend den Christen in die Schuhe geschoben? Und wir geben sie einfach den Terroristen. Wir werden ein Bekennerschreiben verfassen und es groß im Fernsehen und im Internet unter die Leute bringen. Wir werden ihnen Verdächtige präsentieren, auf die man die Sache abwälzen kann. Wenn die Terroristenorganisationen dementieren, „wir haben nichts damit zu tun“, wird man das als Beweis für ihre Niederträchtigkeit zur Kenntnis nehmen.

„Sie müssen wenigstens 500 Meter die Straße runter“, sagte einer der Sicherheitsleute, „wenn sie zusehen wollen. Es werden Trümmerteile, Glas, Chrom und Eisen weit verstreut wie Geschosse umher sausen.“ Wolfram nickte. Am liebsten wäre er geblieben, an diesem Ort, ganz vorne in der ersten Reihe. Eine gewisse Todessehnsucht mochte da mit eine Rolle spielen. Doch schließlich ließ er seinen Fahrer mit der gepanzerten Limousine kommen und folgte den Sicherheitsanweisungen, zumindest hatte er das vor.
Der Wagen hatte ihn noch erreicht. Der Fahrer war ausgestiegen, öffnete die Tür, wollte ihm behilflich sein und dann den Rollstuhl im Kofferraum verstauen. Die Frühzündung verhinderte das. Es krachte im selben Moment so fürchterlich, wie man es seit dem zweiten Weltkrieg hier nicht mehr gehört hatte. Es gab einen Blitz, der sich mehrfach wiederholte und eine riesige Rauchsäule aufsteigen ließ; doch das bekam Wolfram nicht mehr mit. Klein gesprengte Trümmerteile sausten durch die Luft, als würde Napolen´ s Grande Armee aus allen Kanonenrohren schießen. Wolfram war samt seinem Rollstuhl in die Luft geflogen. Ebenso sein Fahrer und die schwere, gepanzerte Limousine. Als alle drei kurz danach auf dem Boden aufschlugen, war das Auto nur noch ein Blechknäuel und die beiden Männer tot.


4. „Ein feiger Terrorakt!“, wetterten Politiker nächsten tags im Fernsehen. „Ein noch nie dagewesener Anschlag auf die Bundesrepublik, auf Demokratie und Freiheit.“ Man müsse jetzt endlich die richtigen Gesetze auf den Weg bringen, hieß es vor allen Dingen aus Bayern und Baden-Württemberg.
„Ich werde das auf keinen Fall hinnehmen“, ließ die Kanzlerin verlauten.
Es werde ein Jahr dauern oder länger, das Bundestagsgebäude instand zu setzen. Und es werde zu Lasten des Steuerzahlers gehen, der eh schon sehr belastet ist. Und die weitere Sicherheit des Landes könne jetzt nur noch durch einen Ausnahmezustand aufrecht erhalten werden, den sie hiermit ausrufe. Zum Tod des Innenministers sagte sie: „Die Republik hat in Wolfram S. einen ihrer fähigsten und engagiertesten Männer verloren. Er hat die Zeichen der Zeit erkannt und uns durch seinen Tod mehr als aufgerüttelt, angesichts der Ereignisse, nunmehr umgehend zu handeln.“

Experten fanden später heraus, daß die Sprengladung mit einem Handy gezündet wurde. Auf diesem Handy hatte jemand zu früh oder versehentlich auf den Knopf gedrückt und die Explosion vorzeitig ausgelöst. Das wusste man natürlich nicht. Das wussten nur die Sprengstoff Experten, die den Anschlag verübt hatten. Und die hatten ihr Wissen mit ins Grab genommen. Die Tatsache, dass Wolfram´s Leiche unmittelbar in der Nähe des Regierungsgebäudes gefunden wurde, erklärte man damit, dass er wohl Überstunden gemacht habe, im Dienste der Republik und von diesem hinterhältigen Anschlag überrascht worden sei.
Es gab einen Journalisten, der öffentlich behauptete: „Ich war an dem Abend zufällig in der Nähe des Bundestagsgebäudes und habe Wolfram S. am Hinterausgang gesehen, wie er mit Leuten gesprochen hat. Später haben diese Leute das Gebäude betreten und dann ist der ganze Laden in die Luft geflogen.“
Das könne unmöglich sein, dementierte ein Regierungssprecher im Fernsehen und man behalte sich vor, rechtliche Schritte einzuleiten, wenn der Journalist das weiter behaupte.

Ein paar Tage nach seiner Beerdigung ging Wolframs Frau Waldraut erneut zu seinem Grab, um in aller Stille nochmal Andacht zu halten. Eine Weile stand sie vor dem Grabstein und las mehrmals die Inschrift: Hier ruht Wolfram Schneider. Gestorben in Pflichterfüllung für sein Land und seine Leute. Ein Hohn, dachte sie, für jeden der wusste was wirklich passiert war. Sie ignorierte ihren Unmut und zitterte als sie sagte: „Mein Gott Wolfram. Ich weiß, dass du es zu verantworten hast, ich weiß auch warum du es getan hast.“
Sie schwieg und betrachtete erneut den Grabstein. „Du hättest mit mir reden können, dann wäre alles anderes ausgegangen. Ich weiß von deinen verzweifelten Fahrten durch die Wohnung, wenn ich nicht da war. Das dabei zerbrochene Mobiliar zeigte es deutlich.“
Sie trat auf das Blumenbeet, trampelte auf zwei der Blumen und schlug mit der Faust auf die obere Kante des Grabsteins: „Du könntest noch leben. Du könntest es nicht getan haben, weil ich es dir ausgeredet hätte. Aber – ich konnte ja nie mit dir reden. Du hast mich immer gleich unterbrochen. Sprich nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst, hast du immer gesagt und mich damit zum Schweigen gebracht.“
Sie holte tief Luft und wandte sich zum Gehen. Blieb aber unvermittelt stehen und wandte sich nochmal um in Richtung Grab. Versuchte die zertrampelten Blumen aufzurichten, die ihr ins Auge stachen. „Ich verstehe mehr als du glaubst, Wolfram. Aber jetzt kann ich nichts mehr für dich tun, jetzt sind die Würfel gefallen, jetzt nützt es nichts mehr.“
Sie riss sich los, die Blumen waren nicht zu retten. Sie verließ den Friedhof. Wischte sich draußen mit dem Taschentuch ein paar Tränen ab, bevor sie ins Auto stieg und nach Hause fuhr.
 
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