Die Glühlinge am Bach

sabine simon

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Die Glühlinge hatten sich endlich am Apfelbaum in ihrer kleinen, aber kuscheligen Höhle eingerichtet. Frau Schnecke hatte sie in den ersten Tagen gut mit Apfelblättern versorgt. Der Chef brachte den kleinen Glühlingen bei, nicht mehr dauernd durcheinanderzulaufen. Es passierte jetzt kaum noch, nur, wenn sie einen kleinen Schreck bekamen.

Eines schönen Morgens, die Sonne schien einfach zu freundlich durchs Apfelbaumloch, fasste der Chef den kühnen Entschluss, heute mit allen zusammen das erste Mal nach draussen zu gehen. Ganz wohl war ihm nicht dabei, aber die wuseligen Kleinen mussten es halt lernen. Er hatte Frau Schnecke gebeten zu helfen, sie klebte deshalb schon ganz früh an diesem netten Morgen vor dem Apfelbaumloch und streckte ihre Fühler rein.

Ganz artig klingelten die Kleinen zur Begrüßung, wie sie es gelernt hatten, Höflichkeit musste sein. Und wie immer, sobald Frau Schnecke das lustige Geklingel hörte, schmunzelte sie ganz fein und wackelte mit den Fühlerspitzen.Sofort fing Rudolph an, noch lauter zu klingeln. Irgendwie hatte er die Hoffnung, dass die Fühler dann noch mehr wackeln würden. Eine Schnecke im Turbo-Wackel-Tempo zu erleben, das wollte er versuchen, und wie jeden Tag war er bestens auf jeden Unfug vorbereitet.

Aber der Chef machte ihm einen dicken Strich durch die Rechnung. "Ruhe, Randolph!" sagte er."Stellt euch alle bei Frau Schnecke an, immer vier auf einmal. Romeo und Julia machen den Schluss und passen auf, dass niemand zurückbleibt. Kleopatra und Nofretete schauen von oben und unten am Apfelbaum nach, dass keiner runter fällt und jeder richtig bei Frau Schnecke auf dem Rücken sitzt. Fitzwilliam ist unten verantwortlich, dass alle zusammen bleiben." Er schaute in die Runde: "Alles klar?"

Randolph murrte: "Wofür bin ich den verantwortlich?" Frau Schnecke schmunzelte: "Für Randolph natürlich." Das fand der aber gar nicht lustig. Er schmollte. Und der Chef seufzte: "Das fängt ja gut an. Wenn Randolph schmollt, bricht gleich das Chaos aus."
Aber Randolph wollte auch raus und riss sich deshalb zusammen. Er musste unbedingt als erster runter. Damit er Ruhe gab und weil der Chef glaubte, ihn dann besser unter Aufsicht zu haben, geschah es auch so.

Zunächst ging alles gut. Fitzwilliam passte bestens auf, der Chef hatte ihn ausgesucht, weil er ein wenig größer war und das Rumkommandieren lag ihm, das hatte Fitzwilliam schon am kleinen schusseligen Finchen geübt. Wenn er sie nicht in die richtige Richtung stupste, verlief sie sich sofort. Der Chef hatte schätzen gelernt, wie gekonnt und wirksam der Große das machte.

Alles klappte wie geschmiert, mit der letzten Schneckenpost kamen Kleopatra sowie Romeo und Julia als Schlusslichter herunter.
Der Chef klingelte alle zusammen:"Wir gehen jetzt zu dem großen Baum da drüben, den hab ich von unserer Höhle aus gesehen, das sah nach zarteren Blättern aus, das ist bestimmt ein Leckerbissen."
Die Glühlinge waren zu zweit aufgestellt, der Chef vorweg, Fitzwilliam hinten, das sollte doch locker klappen. Frau Schnecke rollt sich unter dem Baum zusammen, sie war völlig erschöpft von der Kletterei. So sehr sie die kleinen Glühlinge mochte, jetzt konnte sie nicht mehr, sie brauchte ein Schläfchen.

Kaum war der Chef hinter dem nächsten Busch abgebogen, da hört er schön Fitzwilliam hinter sich aufgeregt schreien: "Chef, Chef, Randolph ist weg."
Am liebsten wollte er fragen, wie jemand nach 10 Schritten schon verschwunden sein könnte, als ihm klar wurde, dass er Randolph jeden, aber wirklich jeden Blödsinn zutrauen musste.
Eigentlich war es sein Plan, den Weg zunächst nur vier oder fünf Büsche weiter zu versuchen, dort am Apfelbaum ein Picknick zu machen, den kleinen Glühlingen ein Mittagsschläfchen zu gönnen. Wenn dann jeder ein zartes Apfel-Blatt mitgenommen hätte, die Kleinen ein Kleines und die Großen vielleicht auch zwei, dann wären nach dem Rückweg alle für zwei Tage in der Apfelbaumhöhle versorgt gewesen.

Stinksauer auf Randolph drehte sich der Chef um, da zupfte ihn das kleine Finchen an der Pfote."Ich glaube, Randolph ist beleidigt. Weil er nicht vorne gehen kann. Hinten zu gehen , das ist ihm zu blöd."
Schmunzelnd beugte sich der Chef zu dem niedlichen Finchen. Sie war zwar schusselig,aber nicht dumm, kein Wunder , dass Fitzwilliam sie so mochte."Und was meinst du, was er gemacht hat?" Finchen grinste: "Das ist ganz einfach. Immer wenn er schmollt, rollt er sich zusammen. Er will, dass wir alle lange suchen müssen." Interessiert sah der Chef, das Finchen über beide Bäckchen grinste und nur mühsam an sich halten musste, nicht laut loszuklingeln.

"Was ist los?" fragte er. Finchen sprach auf einmal sehr leise und der Chef beugte sich zu ihr. "Wenn wir einfach ein Stückchen weitergehen bis hinter den nächsten Busch, dann kommt er vielleicht ganz von alleine. Er liegt zusammengerollt dort hinter dem braunen Blatt. Ihm wird schnell langweilig."

Der Chef grinste verschmitzt. "Weiter geht es!" Leise schlichen alle um den nächsten Busch. Fitzwilliam versteckte sich, um Randolph zu beobachten. Sobald sich alle zu einem kleinen Päuschen gesetzt hatte, schickte der Chef Romeo und Julia los, um die Gegend vorsichtig zu erkunden.
Es dauerte gar nicht lange, da kamen die beiden zurück. Atemlos waren sie. "Wir kommen hier nicht zum Apfelbaum, das ist etwas im Weg. Das macht Krach und man kann nicht drüber."
Langsam kam der Chef ins Schwimmen. Erst Randolph und jetzt der Krach.War das Getöse gefährlich, und wo blieb Randolph?

Er ließ erst alle Busch zurück und wanderte allein in Richtung Bach. Schnell hörte er das Bachrauschen, das war zumindest kein gefährlicher Krach, auch wenn das Hindernis blöd war.. Das war für heute zu kompliziert. Den Apfelbaum, den er sich ausgesucht hatte, konnte er nicht erreichen. Langsam musterte er Baum für Baum. Ob sie zuerst das Gras am Bach versuchen sollten? Das sah sehr zart aus.
Langsam lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Das wäre schon mal eine Abwechslung nach all den vielen Apfelblättern.

So recht traute er sich dann aber doch nicht, denn wenn Finchen nicht in den Bach fiel, dann garantiert Randolph. Und ob sich Romeo und Julia zurückhalten konnten, Wasser bedeutete sicher Spaß, aber auch Unsinn, und bevor die kleinen Glühlingen keinen Schwimmunterricht hatten, war das tabu.
Vorsichtig ging er zurück und fand alle vergnügt am Rasenstück direkt unter dem Busch. Ein wenig war er stolz. Das machte doch einen friedlichen Eindruck, und selbst Randolph war zurückgekommen.

Er ließ das Gras-Picknick hier beginnen und bracht den Kleinen bei, erst einmal die Superlupe einzuschalten, damit niemand eine Ameise oder einen Käfer verschluckte.

Aber genau das passierte. Ein Riesenaufschrei von Randolph, alle Kleinen schreckten auf und fingen unmittebar an, durcheinander zu sausen.
"Mach das weg, mach das weg!" schrie Randolph. "Das krabbelt im Hals."
Fitzwilliam stellte ihn auf den Kopf und klopfte ihn durch. Jetzt schrie Randolph noch lauter. Das war gut, denn die Kleinen hörten auf durcheinanderzulaufen und wollten alle ganz genau sehen, was jetzt passierte. Randolph wand und drehte sich, aber Fitzwilliam ließ ihn nicht los, obwohl der Schreihals schon ganz rot im Gesicht war.

Da hörte der Chef hinter sich ein großes Gepuste und klingelte laut vor Erleichterung, Frau Schnecke keuchte wie eine Dampflok.
"Was- pust,pust- ist- pust-pust-los- pust,pust-?"
Schnell hatte Fitzwilliam ihr alles erzählt. "Natürlich Randolph,"kicherte die Schnecke. Und jetzt kicherten die anderen auch, aber der Chef sah sie streng an.
"Wir müssen aber etwas tun," sagte er. "Der Käfer kann nicht in ihm drin bleiben."

Frau Schnecke gab ihm recht. Sie überlegte. "Ihr seid doch etwas schneller als ich. Wer von euch ist denn so vernünftig, hier oben in dem Busch zu dem Nest nach oben zu klettern, und Herrn Doktor Meise Bescheid zu sagen?"
Romeo und Julia standen gleichzeitig auf. Der Chef nickte. "Das kann gehen. Fitzwilliam kanni ch nicht schicken, der muss Randolph festhalten."

Aber Fitzwilliam hatte schon weitergedacht. "Wie soll Doktor Meise das denn schaffen?"
Frau Schnecke war optimistisch: "Er ist ja nicht umsonst Doktor, dem wird schon was einfallen, ich frag ihn ja auch immer, wenn meine kleinen Schneckchen Bauchweh haben."

Romeo und Julia machten sich sogleich auf ihren Kletterweg. "Aber schaltet eure Glitzerbrillen ein," rief Frau Schnecke hinter ihnen her, "sonst hält er euch für Vogelfutter, denn ihr seid ja doch ganz schön klein."
Den Chef gruselte es, Randolph schrie, Fitzwilliam grinste und Finchen kniff ihm ein Äugsken und flackerte mit der Glitzerbrille.

Es dauerte ein Weilchen, und die Kleinen hatten sich an Randolphs Geknatsche gewöhnt und fingen an, sich weiter zarte Grashalme auszusuchen. Denn solange Randolph knatschte und maulte, ging es ihm ja gut, und vielleicht tat ihm der Käfer nichts.

Schließlich kam Doktor Meise angeflattert:"Ihr seid aber lustige kleine Kerlchen, so was hab ich ja noch nie gesehen."
Der Chef begrüßte ihn höflich und erklärte das Problem. Randolph hatte wieder mit dem Gekreische begonnen.
Als Fitzwilliam sich dafür entschuldigte, lachte Doktor Meise: "Solange er schreit, geht es ihm gut. Und er hat den Mund auf. Schaltet mal sein Glitzerdings ein, das ist toll, so kann ich prima in seinen Hals gucken."

Vor Schreck hörte Randolph auf zu schreien, denn Doktor Meise war mit seinem spitzen Schnabel immer näher an sein Mäulchen gekommen. Dann war der Schnabel in seinem Hals, und damit konnte er nicht mehr kreischen. Nur noch ein dumpfes Gegurgel war zu hören. Offensichtlich tobte Randolph vor Wut, da er von Doktor Meise zum Schweigen gebracht war, fing er jetzt an zu klingeln.
Da ruckelte Doktor Meises Kopf und sein Schnabel war aus dem Hals heraus.

Inder Spitze zappelte eine kleine Ameise. Doktor Meise schmunzelte und setzte sie auf den Boden. "Das ist der Übeltäter, ein zarter Bissen." Und schwapp, hatte er die Ameise verschluckt.
Randolph fiel in Ohnmacht.

Als der Chef besorgt nach ihm sehen wollte, klopft ihm Doktor Meise beruhigend mit dem Flügel auf den Rücken. "So ein Schreihals kommt schnell wieder zu sich..." schmunzelte er. "Danke für den Leckerbissen, Randolph."
Der schlug vor Wut die Augen auf und versuchte, was zu sagen. Es kam aber nur heiseres Gekrächze. "Du hast durch dein Gebrüll den Hals gereizt, das verschwindet von selber." Jetzt lachte auch der Chef. "Randolph muss also mal eine Weile den Mund halten."

Finchen setzte sich dicht neben den Doktor und sah ihn bewundernd an. Sie hatte eine Ameise auf ihrem Grashalm entdeckt und der Doktor pickte sie weg. "Das ist praktisch," grinste sie. "Wir laden Sie öfter zum Picknick ein."
Jetzt wollte sich auch der Chef wieder beruhigt zum Essen setzen, aber vorher zählte er durch, denn nach dem Durcheinander hatte er keine Ruhe, bis er wusste, das alle an Ort und Stelle waren.

Da kam der Schock: "Wo sind Romeo und Julia?" Aber Doktor Meise beruhigte ihn schnell:" Frau Meise ist mit ihnen über den Bach zum Apfelbaum geflogen, Apfelblätter holen." Und so war es auch: Sie hatte ein paar Meisenfreunde alarmiert, denn Romeo und Julia hatten von dem Apfelblattproblem erzählt. Und erst jetzt bemerkt der Chef den Flugverkehr über seinen Köpfen.

Nach ein paar Minuten landeten die Meisenfreundinnen und berichteten, wieviel Apfelblätter vor der Höhle lagen.
Der Chef wusste vor Dankbarkeit gar nicht, was er sagen sollte.
Doch dann fiel ihm schnell etwas ein: Die Kleinen mussten sich aufstellen und fingen an zu summen und zu klingeln. Da hatte Frau Meise Tränen in den Augen, so gerührt war sie.

Es wurde ein ganz ruhiges Picknick, denn der Chef konnte sich entspannen. Die Meisen passten auf, das die Kleinen nicht davonliefen, und bei dem zarten Gesumme piepsten sie den Refrain mit.

Als die Glühlinge nach dem richtig gemütlichen Nachmittag alle wieder in der Höhle waren, waren sie so müde, dass sie fast sofort einschliefen.

Der Chef dachte vorm Einschlafen: "Randolph wird morgen bestimmt besonders unmöglich sein, wo er so lange den Mund halten musste." Und er schmunzelte.
 



 
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