Die Hochzeit

TaugeniX

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So ging er zum Pfaffen und ließ sich einen braven, frommen Mann empfehlen, der weder trank noch spielte und in einem guten Handwerk angelernt war. Diesen ließ er dann zu sich ins Haus rufen. Er besah prüfend das breite ehrliche Bauerngesicht, seine weizenfarbenen Locken auf breite Schultern fallend, seine kräftigen Arme und stämmige fest bodenständige Gestalt. Ein schmerzhafter Stich der Eifersucht deutete ihm, dass es ein guter Mann werden könnte für sein Mädchen. Petr Lwowjitsch sprach mit ihm ein wenig über sein Elternhaus und Handwerk und machte ihm geradeaus den Vorschlag sein liebes Herzenskind zur Frau zu nehmen samt Freibrief für Beide und einem kleinen Schmiedehof als Mitgift für das Mädchen. Der Mann wurde starr vor Verwunderung und wollte sein Glück nicht glauben. „Dafür musst Du mir in die Hand versprechen, dass Du auf sie aufpasst, mehr als auf Dein eigenen Augenapfel und dass Du gut bist zu ihr“, fügte Petr Lwowjitsch hinzu und fasste den Mann an den Schultern.

Einige Tage darauf befahl er dem Mädchen am nächsten Morgen, mitten in der Woche, in ihrem Sonntangskleid zu erscheinen, da es eine Feier geben wird. „Siehe, Kind, ich habe für dich einen Mann ausgewählt“, sagte er als sie reinkam und schob den Burschen vor sich. „Das ist doch Vasilij, Schmieds Sohn!“ Rief sie. Sie warf die Händchen vors Gesicht und tat sehr verschämt, doch durch die Finger lugte sie neugierig und froh, war doch dieser Vasilij einer der besten Freier im Dorf. Vor allem mußte sie an den Neid denken, den ihre Schwestern und ihre dummen Freundinnen haben werden. Also nahm sie die Hände nach angemessener Pause wieder runter, ging auf den jungen Mann zu und ließ sich auf die schamglühende rote Wange küssen. Darauf gab in der Gartenlaube ein Essen, bei dem die Verlobten neben Petr Lwowjitsch saßen und wie Herrschaften bedient wurden. Vasilij genoß darin vor allem den Vorgeschmack eines freien Lebens als Herr am Hofe und Schmiedemeister, aber auch das liebe Gesichtchen und reizendes Lächeln der Braut waren nicht zu verachten.

Während der Verlobungszeit, die sich Petr Lwowjitsch als zweimonatige Galgenfrist einräumte, nahm er das Mädchen ganz zu sich um sie zu erziehen und auf den Ehestand und den Stand einer freien Bäuerin am Hof vorzubereiten. Während sie sich vergnügt an seine Beine lehnte und moralischen Geschichten lauschte, überkam ihren armen Lehrer in heftigen Schüben der Kummer. Da legte er das Buch beiseite und drängte in sie mit Vorwürfen: „Ach, wie schnell, liebe Maschenjka, wirst du mich, alten Mann, in deinem jungen Glück vergessen! Ach, wie schnell… Und“, er mußte auf Latein ausweichen um das Unaussprechbare anzudeuten, „concupiscentiale Gedanken hast du wohl jetzt schon, indes du zerstreut dasitzt und an unserer erbaulichen Lektüre ganz vorbeihörst.“ Das komische lange concupi-Wort verstand das Mädchen nicht, aber Gedanken, bei denen sie erröten mußte, hatte sie tatsächlich. Also neigte sie reuig ihren Kopf und wand sich mit lieblichster Grazie aus ihrer Bluse um eine Züchtigung zu empfangen. Erst dann, gesättigt durch die süßen Ruten, umfing sie seine Knie und wollte ihm bei ihrem Seelenheil schwören, „niemals niemals werde ich Sie, vergessen, Väterchen“. Doch den Wunsch für immer bei ihm zu bleiben, den er so sehnlich gerne von ihr gehört hätte, äußerte sie nie…

Zur kirchlichen Trauung zwang sich Petr Lwowjitsch hin und stand dort blass und gequält lächelnd und segnete noch das Brautpaar. Die ausgelassene Bauernhochzeit aber mit ihren derben Witzen und laut ausgesprochenen Obszönitäten hielt er nicht aus und kehrte früh heim. Er ließ sich eine Karaffe Vodka hinstellen und trank gierig und düster ohne aufzuschauen. Seine Ehegattin – Gott habe sie selig – war eine gläubige, züchtige, anständige, sehr anständige Person. Er wußte noch, mit welcher Abscheu sie seine eheliche Pflicht entgegennahm, wie erlahmt und abgewandten Gesichtes sie von ihm die Kinder empfing und wie schlecht und erniedrigt er sich vorkam mit seiner Lust, die bei der Zeugung unentbehrlich war. Er dachte an den großen russischen Seelenkenner Tolstoj, dessen bittere Wahrheit über das Ehebett:

»Natürlich?« sagte er. »Natürlich! Nein, ich will Ihnen sogar sagen: ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß dies durchaus nicht natürlich ist. Fragen Sie die Kinder, fragen Sie die unverdorbenen Mädchen! Meine Schwester heiratete sehr jung einen Mann, der doppelt so alt wie sie und ein arger Lüstling war. Ich erinnere mich noch, wie verblüfft wir alle in der Hochzeitsnacht waren, als sie bleich und in Tränen von ihm fortlief und am ganzen Leibe zitternd zu uns sagte, sie werde um keinen Preis zu ihm zurückkehren und sie könne es gar nicht aussprechen, was er von ihr verlangt habe. Sie sagen: ›natürlich‹. Natürlich ist es, zu essen. Essen bereitet Genuß, ist angenehm und leicht und ruft auch nicht einen Augenblick das Gefühl der Scham hervor; hier aber handelt es sich um etwas, das zugleich widerlich, beschämend und schmerzlich ist. Nein, das ist einfach unnatürlich! Und ich bin überzeugt: ein unverdorbenes Mädchen wird dies stets hassen.«***

Dass dieser verdammte klobige, kräftige Tölpel gerade jetzt seinem Herzenskinde dieses Leid antat, war ihm unerträglich. Doch noch unerträglicher war ihm der Gedanke, dass diese Wahrheit nicht für alle stimmen muss und das Mädchen vielleicht in Lüsternheit und Ausschweifung versinkt, während er allein da sitzt und so schrecklich leidet. Er soff weiter bis er endlich heulen konnte. Völlig betrunken verlor er den Gedankenfaden und wußte nur noch, dass er arm ist, unendlich verlassen und arm. Dann wurde ihm übel und der alte Diener musste dem Besinnungslosen das Erbrochene wegputzen bevor er ihn wie ein Kind zu Bett brachte.
Erwacht mit zerreißendem Kopfweh ließ er für sich einen Koffer packen und reiste ohne Anweisungen zu hinterlassen ab. Erst von der Poststation vor Petersburg sandte er einen Eilbrief, in dem er die Absicht kundtat, mehrere Monate im Ausland zu verbringen und einen der Dorfältesten zum Verwalter über sein Gut bestellte.

Die lärmenden Hochzeitsgäste haben seine Abwesenheit gar nicht bemerkt. Auch unsere Maschenjka nicht, denn die Weiber haben ihr gegen den alten Brauch, nach dem die Braut nüchtern bleiben soll, einen Apfelwein zu trinken gegeben und sie lief angeheitert rum, ohne ihre Neugier und Freude auf die Hochzeitsnacht zu verbergen. Als sie aber ins Schlafzimmer geführt wurde um auf ihren Ehegatten zu warten, besann sie sich ihrer Pflicht und tat verzagt und um ihre Jungfrauschaft trauernd. Dann setzte sie sich aufs Bett, richtete die Rüschen auf ihrem Hochzeitskleid und legte die Hände demütig in den Schoß.

Vasilij ängstigte sich ein wenig, denn davor hatte er es nur mit schlimmen Dirnen zu tun, - wie man mit einer Jungfrau umgeht, wußte er nicht recht. Er löschte gleich die Kerzen aus um sich und ihr die Scham zu ersparen und fand tastend zum Bett. Er umarmte sie, presste sie ganz fest an sich und küsste ihren Hals. „Du bist stark!“ Sagte das Mädchen, „dass ein Mann nur so stark sein kann! Wie schön ist es für mich, Vasilij!“ Er fasste Mut, riss ihr das Kleid ab, ohne auf den teuren Stoff Acht zu geben und zwang ihre Schultern in die Kissen. „Wie gefesselt liege ich da“, sinnierte sie, „ganz überwältig hat er mich, dass ich mich gar nicht rühren kann.“ Ihr Unterleib war noch nicht aufgewacht für die Lust, da spürte sie nur ein bisschen Weh und Spannung, aber ums Herz war ihr süß und selig und ihr Kopf war voller glücklicher Gedanken.

An der Schulter ihres Ehegatten schlief sie ein und träumte lüsterne leidenschaftliche Dinge, die ihr Körper noch gar nicht mitfühlte. Erst in der Früh als sie aufwachte, fühlte sie ein leichtes sehnendes Ziehen und Feuchtigkeit zwischen den Beinen, sie umklammerte ihren Mann mit den Schenkeln, weckte ihn und verlangte nach seiner Ehepflicht. – Auf solche Ausdrücke, die sie aus moralischen Gesprächen mit Petr Lwowjitsch kannte, war sie sehr stolz. Vasilij lachte laut auf, hob sie wie ein Federchen von sich weg, warf sie auf den Rücken und gab ihr die „Ehepflicht“ recht heftig, da sie ja keine Jungfrau mehr war, vor der er Scheu hatte. Es tat um Einiges mehr weh, als vorhin, da sie noch wund war, doch sie empfand zum ersten Mal Lust und schrie leise jubelnd auf.

Vasilij brannte darauf, seinen Hof und Schmiede in Besitz zu nehmen und verließ die junge Ehefrau recht schnell. Sie lief gelangweilt durchs Haus und machte sich Gedanken darüber, ob nicht doch irgendwie Schuld und Sünde dabei waren in dieser Nacht, denn sie hatte großen Hunger nach Ruten. – Und woher sollte er kommen, wenn nicht vom gestörten und beunruhigten Gewissen? Also lief sie zu Petr Lwowjitsch um ihr Glück mitzuteilen und ihre Portion Strafe zu holen. Doch als sie ankam, war das Herrschaftshaus verschlossen und leer.

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*** Lew Tolstoj "Die Kreutzersonate", Kap. 11
 
M

Metino

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Hallo, diese Geschichte (finde ich)- war sehr ansprechend undzwar auch ohne eine gehörige Por-tion.
 

TaugeniX

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Ich habe nicht viel Erfahrung in Beschreibung intimer Szenen. Es freut mich, dass der Text Dir gefällt und hoffe, dass er eben nicht grob, nicht allzu naturalistisch geraten ist.
 
M

Metino

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Ich finde ihn ,perspektivgerecht,
Einerseits grob genug und andererseits empfindsam, was die meisten Leser/Kritiker in der LL unterschreiben dürften. Man könnte meinen, es ist eine Geschichte aus den alten Schulbüchern die uns das Leben der Zeit unserer Vorfahren näher bringen sollte.
Es könnte auch als Weihnachtsmärchen durchgehen sagt meine Einschätzung.
Gruß
Me!
 

TaugeniX

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Diese Art Sprache ist meine Komfortzone, so schreibe ich am leichtesten und mit Freude an der Sache.

Inzwischen haben mir aber einige erfahrene Kollegen geraten, diese Komfortzone zu verlassen und doch etwas "moderner" zu schreiben, - der Lesbarkeit zuliebe.
 
M

Metino

Gast
Du musst das selbst wissen!
Meine ganz eigene Meinung ,die bescheiden bleibt, ist dass es keine moderne, stylistische Art gibt denn Geschmäcker sind verschieden!
Wenn es eine Art gäbe, die für einen Autor zutrifft dann nur die, mit der er sich wohl fühlt und in der er seine Gefühle rüber bringt, sonst könnte jeder Mensch schreiben. Manche Menschen schließen gerne von sich auf andere. Eine Psycho-Story wird anders geschrieben als zB. eine Erotikgeschichte oder ein Kinderbuch.
Gruß
Me!
 

TaugeniX

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Natürlich gibt es nicht die eine moderne Sprache, bewahre! Vielmehr hat jeder ordentliche Schriftsteller seine eigene, am liebsten unverwechselbare Art zu schreiben.

Diese eigene erkennbare Art habe ich noch nicht. Ich bin wie ein Schwamm vollgesogen mit vielen klassischen Büchern, die ich gelesen habe.

Langsam muss ich darüber nachdenken, wie ich mich emanzipiere und wirklich etwas Eigenes schreibe. Derweil ist es nur der fortgeschrittene Deutschkurs, was ich von mir gebe.
 



 
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