„Die Yamaha bleibt besser stehen, wo sie steht.“ dachte ich mir, als ich den Laden nach 20:00 Uhr verließ. Im Gegensatz zu mir konnte sie das noch. Ich nahm mir ein Taxi - man gönnt sich ja sonst nichts – und döste vor mich hin. Stillschweigendes Abkommen zwischen mir und dem Fahrer: Er lässt mich in Ruhe, bis wir vor der Haustür stehen.
„Das sieht man ja auch selten!“ meinte der Taxifahrer plötzlich.
Ich blinzelte. Wir waren noch nicht ganz zuhause, standen als Rechtsabbieger auf der Schanze („Auf der Schanze“, Grenze zu Herdecke). Musste ja sehr interessant gewesen sein.
„Hmh?“
„Ja, dass hätten Sie sehen müssen. Ein nagelneuer Pullmann. Ein weißer auch noch. Ein Traum von einem Auto! Kam uns gerade entgegen.“
Der Wachmacher des Abends! Ich schaute mich um. Nichts zu sehen.
„Getönte Scheiben, Kennzeichen DO – LP 1, LP 2 oder LP 3?“
Der Taxifahrer sah mich erstaunt an und ich wieder nach hinten. Alles klar, das waren die Glatzen. Hatten sie gewendet, oder ließen sie es für heute bei einem Besuch bewenden?
„Kam der Pullmann von rechts?“ fragte ich nur der Vollständigkeit halber.
„Äh, ja, die Scheiben waren getönt, stimmt. Und das Kennzeichen, hmh, ein Dortmunder auf jeden Fall, ein klitzekleines. LP nochwas kann schon sein. Und ja. Der kam vom Vaerstenberg. Ein Freund von Ihnen?“
Ich verdrehte mir zum dritten Mal den Hals. Kein Pullmann am Horizont. Ich beruhigte mich etwas.
„Ein Bekannter. Nicht weiter tragisch, dass wir uns verpasst haben. Hier können Sie mich rauslassen. Ich brauche noch etwas frische Luft.“
Ich setzte mich an die Bushaltestelle und wartete, bis das Taxi abgerauscht war. Als es außer Sicht war, ging ich die 200 Meter den Vaerstenberg entlang nach Hause. Alle 10 Meter schaute ich mich um, bereit über irgendeine Hecke zu springen.
*
Wenn ich die quietschende Haustür öffnete, ging jedes Mal auch im Parterre links die Wohnungstür auf, und die neugierige alte Hauswirtin, die sich meinen Namen nicht merken konnte, steckte ihren hageren Hals durch den Türspalt. So auch diesmal.
„Ach Herr Messick, schade, dass Sie jetzt erst kommen.“ fiepte sie. „Ihr Bruder war hier und wollte Sie besuchen.“
„Was? Aus Bosnien?“ dachte ich. „Der wusste doch gar nicht, wo ich wohnte!“ Ich starrte sie einen Moment lang irritiert an. Dann machte es bei mir Klick.
„Ach so, ja, … macht nichts, Frau Menke, wir sind uns noch auf der Straße begegnet.“ sagte ich im Vorbeigehen. Vor der Treppe blieb ich dann aber doch stehen. Vielleicht spuckte sie ja noch mehr aus, auch wenn es mich in den Ohren schmerzte. Sie nahm das zum Anlass, die Sicherungskette zu entfernen und an einem Stock langsam schwankend vor die Tür zu treten. Wenn ich Pech hatte, berichtete sie mir nur von ihrem letzten Arztbesuch. Sie ging oft zum Arzt und genauso oft erzählte sie davon. Sie wissen doch, Herr Messick, meine Arthrose… Oder sie erinnerte mich daran, dass ich versprochen hatte, den Rasen hinterm Haus zu mähen.
„Also, ich wusste ja gar nicht, dass Sie einen Bruder haben.“ meinte sie vorwurfsvoll. „Warum haben Sie ihn mir nicht mal vorgestellt? Dann hätte ich ihn glatt rein gebeten, damit er hier auf Sie wartet.“
Sie hob ihren Zeigefinger, um dem ganzen Nachdruck zu verleihen.
„Aber ich lass doch keine wildfremden Leute in meine Wohnung!“
„Hat mein Bruder hier lange gewartet? Ich meine, als wir uns auf der Straße trafen, hatte er keine Zeit mehr, um groß zu reden. Er musste schnell weg. Sagte nur, er hätte sich kurz mit Ihnen unterhalten. War da noch was?“
„Also, so richtig viel geredet hat er nicht. Nur gefragt, wann und wie er Sie am besten erreichen kann. Er solle vorher doch einfach anrufen, habe ich ihm geraten. Das sei besser, als einfach so hier rein zu platzen.“ meinte sie mütterlich. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Aber darauf hat er gar nicht geantwortet. Er hat wohl irgendwas überlegt. Na ja, ich habe ihm noch einmal gesagt, dass Sie ein Telefon haben, aber dass man auch schon von weitem sehen kann, ob Sie da sind oder nicht.“
Ich schaute sie fragend an. Frau Menke grinste zahnlos.
„Wegen dem knallgelben Motorrad, das dann vor dem Haus steht!“
„Danke, Frau Menke. Ich geh jetzt erstmal hoch.“
Das Telefon war also tabu.
*
Die Sache mit den Glatzen hatte mich nüchtern gemacht. Völlig klar im Kopf überdachte ich die neue, zugespitzte Situation:
Vermutlich hatte der Jugo am Roulettetisch geplaudert. Sollte ich nun das Geld abdrücken oder mit Ljubiša Katz und Maus spielen sollte? Ihn darauf hinweisen, dass eine Sondertilgung nicht vereinbart war, machte keinen Sinn. Auf so was schiss der König. Und dann war da ja noch der Marokko-Deal. Der mögliche Marokko-Deal! Bis ich nicht sicher wusste, dass die Sache garantiert im Grab endete, wollte ich die Kohle auf jeden Fall behalten. Bezahlen konnte ich immer noch, in drei oder vier Tagen, wenn ich dem Autohändler auf die Finger geschaut hatte.
Diesen Abend hatte ich Ruhe vor der Katz. Am nächsten Tag würde ich das Quartier wechseln. Entweder zu Lui, oder zu meinem alten Vermieter Karl in Selm. Ich zog Selm grundsätzlich vor. Lui hatte sich in Bork in einer Art Wohnklo eingemietet, das gerade mal Platz für ihn alleine bot. Na gut, ich konnte notfalls in seiner Badewanne schlafen, wenn beim Bauern nichts frei war.
Ich ging aber stark davon aus, dass die möbilierte Dachkammer in Selm frei war. Karl hatte bestimmt nie einen anderen Mieter oder Knecht gehabt als mich. Gülle und Dreck hatten auch ihr Gutes! Meine Wohnung wollte ich in der nächsten Zeit nur im Notfall betreten, um Mitternacht durch die Kellertür hinter dem Haus und vorsichtig die knatschenden Treppen rauf. Dann suchte ich meinen Reisepass und steckte ihn in die Innentasche meiner Jacke. Für alle Fälle.
Ich dachte über den Langen nach. Viel hatte er in der Kneipe nicht erzählt. Nur, dass ich das Auto erst einem gewissen Marty abkaufen musste, um es anschließend an einen Kunden in Marokko weiter zu verkaufen. Das Auto wäre vorbestellt, ich sollte es nur überführen. Das waren jedenfalls seine Worte. Die Adresse der betreffenden Werkstatt in Schnee (Dortmund-Schnee, an Herdecke angrenzender Stadtteil) stand auf der Visitenkarte, die vor mir auf dem Küchentisch lag. Nicht viel, was ich da wusste! Vielleicht das noch: Wenn mir das Auto gefiel, war eine Anzahlung von 500 Mark fällig. Das machte mich aber auch nicht klüger. Ich erinnerte mich daran, wie der Wirt ihn begrüßt hatte. Wenn dieser Lange also Land und Leute anquatschte, dann wussten andere vielleicht etwas mehr über diesen Job und seine Nebenwirkungen. Ich brauchte Lui als Kundschafter. Also die Treppen runter, bei Frau Menke anklingeln. Selbstverständlich öffnete sie, bevor ich den Finger wieder vom Klingelknopf nahm. Sie schaute mich fragend an
„Ach Frau Menke, ich hab´ da eine Bitte …“
„Ja, was denn, Herr Messick?“
„Mein Telefon ist doch kaputt, das hatte ich total vergessen. Dürfte ich einmal von Ihrem Apparat ein kurzes Gespräch führen? Ein Ortsgespräch.“
Sie öffnete die Tür weit und machte eine einladende Geste.
„Natürlich, Herr Messick, kommen Sie doch rein. Und fühlen Sie sich ganz und gar ungestört. Ich geh wieder ins Wohnzimmer.“
Das Telefon stand im Wohnungsflur. Lui war gleich am Apparat. Er hatte gut Kasse gemacht, er war entsprechend gut drauf. Und er war nüchtern, weil er nur nüchtern arbeitete. Ich fühlte mich zwar nüchtern, aber nicht nüchtern genug, um nach Bork zu fahren. Womit denn auch? Ich hielt mich am Telefon knapp und unverfänglich, weil Frau Menke um die Ecke stand und lauschte. Er sollte bitte zu mir nach Ost-Ende zu kommen und für alle Fälle einen zweiten Helm mitbringen. Schließlich hatte ich noch einen bei ihm gut.
Eine Stunde später fuhr Lui mit seiner BMW R 100 vor und wurde im Treppenhaus von Frau Menke begrüßt. Er brachte den Helm und ein Sixpack mit und hörte sich drei Flaschen lang die Geschichte vom Langen an. Er war bereit, am nächsten Nachmittag die Kneipen und Trinkhallen rund um den Borsigplatz und darüber hinaus abzuklappern und nach einem ca. 2,05 Meter langen blondierten Kerl zu fragen, der Autojobs vermittelte. Das Bier, dass er dafür in jeder Kneipe trinken musste, sollte auf meine Rechnung gehen.
Lui übernachtete auf dem Sofa, und als er wieder wach war, inhalierte er den Inhalt meines Kühlschranks. Vor der Zeit seiner Trennkost war er ein in jeder Beziehung teurer Freund, der Lui. Gemeinsam machten wir uns auf seiner Gummikuh vom Acker, während Frau Menke ihren Mittagsschlaf hielt. Er brachte mich nach Selm, wo meine Dachkammer erwartungsgemäß frei war.
Abends kam er zurück nach Selm und präsentierte mir eine Spesenrechnung von rund 98 Mark, 20 Mark davon für die Fahrt mit einem Taxi. Er war breit und ich stinken sauer. Aber die Informationen, die er mir rülpsend servierte, besänftigten mich bald.
Auch das gehörte zum Phänomen Lui: Selbst sturzbesoffen konnte er noch seinen außergewöhnlichen Scharfsinn und sein schauspielerisches Talent abrufen.
„Also, ich musste ein paar Leute zu Bier und Kurzen einladen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“ erzählte er mir mit schwerer Zunge. „Der Lange zieht alle paar Wochen durch die Kneipen am Borsigplatz. Möglicherweise ist er in der Zwischenzeit in anderen Gebieten tätig. Er kennt die Leute und Szenen ganz gut, denn er spricht gezielt Leute an, die neu sind oder die selten kommen oder die keiner so richtig kennt. Außerdem geht er nachmittags in die Kneipen, wenn nicht viel los ist und er den Laden überblicken kann. Der Wirt in deiner Jugo-Kneipe gestern, der hat dem einen oder anderen schon Mal auf den Zahn gefühlt, wenn der sich die Zunge locker getrunken hatte. Das waren nicht viele, denn wie gesagt, der Lange spricht nur neue Gesichter an und solche, die keine Stammgäste sind. Zumindest von drei Männern wusste der Wirt aber, wann sie einen Termin in Marokko hatten. Immer in diesem Al Hosonstwas, und es war immer dieselbe Story, die auch du mir erzählt hast. Gleich mehr!“
Lui bemühte sich, in den aufrechten Gang zu kommen, schwankte rülpsend zum Kühlschrank und erweiterte seine Spesenrechnung um ein weiteres Bier. Dann torkelte er zurück zum Sessel und sah mich schief grinsend an.
„Und nun pass mal auf, Alter!“ Er beugte sich über den Tisch und drückte mir den Zeigefinger fast auf die Nase.
„Dieser Wirt, der meinte, dass die Leute, die beim Langen anbeißen, nach dem Trip nicht mehr auftauchen. Das muss natürlich nichts heißen, weil das sowieso keine Stammkunden waren, und es gibt ja viele, die siehst du nur ein- oder zweimal am Tresen und danach nie wieder. Aber wie Wirte so sind: Die haben einen guten Riecher, wenn´s um Menschen geht, und der Lange mit seinem Marokkokram stinkt ihm gewaltig. Denk da mal drüber nach! Prost!“
Lui setzte zum finalen Schluck an, stoppte dann so abrupt, dass er sich verschluckte. Husten, Schlucken, Kleckern, sich hinstellen, die Flasche abstellen und in seine Hosentasche greifen war eins. Er reichte mir einen speckigen Zettel mit einer Telefonnummer und sah mich wie ein großer Junge an.
„Das hätte ich jetzt fast vergessen. Du sollst diesen Typen da anrufen. Ein Marokkaner. Der hat Jahre lang Autos in seine Heimat importiert, nicht für den Langen, versteht sich. Der weiß angeblich, wie der Hase läuft. Die Nummer hat mir sein Schwager gegeben. Soll, so viel ich gehört habe, eine saubere Sache gewesen sein. Der Typ hat wohl in Marokko tüchtig geschmiert. Also doch nicht 100%ig sauber, das Ganze, aber er hat wenigstens seine Fahrer nicht verheizt. Ich nehm´ mir noch ´ne Flasche, ja?“
„Das sieht man ja auch selten!“ meinte der Taxifahrer plötzlich.
Ich blinzelte. Wir waren noch nicht ganz zuhause, standen als Rechtsabbieger auf der Schanze („Auf der Schanze“, Grenze zu Herdecke). Musste ja sehr interessant gewesen sein.
„Hmh?“
„Ja, dass hätten Sie sehen müssen. Ein nagelneuer Pullmann. Ein weißer auch noch. Ein Traum von einem Auto! Kam uns gerade entgegen.“
Der Wachmacher des Abends! Ich schaute mich um. Nichts zu sehen.
„Getönte Scheiben, Kennzeichen DO – LP 1, LP 2 oder LP 3?“
Der Taxifahrer sah mich erstaunt an und ich wieder nach hinten. Alles klar, das waren die Glatzen. Hatten sie gewendet, oder ließen sie es für heute bei einem Besuch bewenden?
„Kam der Pullmann von rechts?“ fragte ich nur der Vollständigkeit halber.
„Äh, ja, die Scheiben waren getönt, stimmt. Und das Kennzeichen, hmh, ein Dortmunder auf jeden Fall, ein klitzekleines. LP nochwas kann schon sein. Und ja. Der kam vom Vaerstenberg. Ein Freund von Ihnen?“
Ich verdrehte mir zum dritten Mal den Hals. Kein Pullmann am Horizont. Ich beruhigte mich etwas.
„Ein Bekannter. Nicht weiter tragisch, dass wir uns verpasst haben. Hier können Sie mich rauslassen. Ich brauche noch etwas frische Luft.“
Ich setzte mich an die Bushaltestelle und wartete, bis das Taxi abgerauscht war. Als es außer Sicht war, ging ich die 200 Meter den Vaerstenberg entlang nach Hause. Alle 10 Meter schaute ich mich um, bereit über irgendeine Hecke zu springen.
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Wenn ich die quietschende Haustür öffnete, ging jedes Mal auch im Parterre links die Wohnungstür auf, und die neugierige alte Hauswirtin, die sich meinen Namen nicht merken konnte, steckte ihren hageren Hals durch den Türspalt. So auch diesmal.
„Ach Herr Messick, schade, dass Sie jetzt erst kommen.“ fiepte sie. „Ihr Bruder war hier und wollte Sie besuchen.“
„Was? Aus Bosnien?“ dachte ich. „Der wusste doch gar nicht, wo ich wohnte!“ Ich starrte sie einen Moment lang irritiert an. Dann machte es bei mir Klick.
„Ach so, ja, … macht nichts, Frau Menke, wir sind uns noch auf der Straße begegnet.“ sagte ich im Vorbeigehen. Vor der Treppe blieb ich dann aber doch stehen. Vielleicht spuckte sie ja noch mehr aus, auch wenn es mich in den Ohren schmerzte. Sie nahm das zum Anlass, die Sicherungskette zu entfernen und an einem Stock langsam schwankend vor die Tür zu treten. Wenn ich Pech hatte, berichtete sie mir nur von ihrem letzten Arztbesuch. Sie ging oft zum Arzt und genauso oft erzählte sie davon. Sie wissen doch, Herr Messick, meine Arthrose… Oder sie erinnerte mich daran, dass ich versprochen hatte, den Rasen hinterm Haus zu mähen.
„Also, ich wusste ja gar nicht, dass Sie einen Bruder haben.“ meinte sie vorwurfsvoll. „Warum haben Sie ihn mir nicht mal vorgestellt? Dann hätte ich ihn glatt rein gebeten, damit er hier auf Sie wartet.“
Sie hob ihren Zeigefinger, um dem ganzen Nachdruck zu verleihen.
„Aber ich lass doch keine wildfremden Leute in meine Wohnung!“
„Hat mein Bruder hier lange gewartet? Ich meine, als wir uns auf der Straße trafen, hatte er keine Zeit mehr, um groß zu reden. Er musste schnell weg. Sagte nur, er hätte sich kurz mit Ihnen unterhalten. War da noch was?“
„Also, so richtig viel geredet hat er nicht. Nur gefragt, wann und wie er Sie am besten erreichen kann. Er solle vorher doch einfach anrufen, habe ich ihm geraten. Das sei besser, als einfach so hier rein zu platzen.“ meinte sie mütterlich. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Aber darauf hat er gar nicht geantwortet. Er hat wohl irgendwas überlegt. Na ja, ich habe ihm noch einmal gesagt, dass Sie ein Telefon haben, aber dass man auch schon von weitem sehen kann, ob Sie da sind oder nicht.“
Ich schaute sie fragend an. Frau Menke grinste zahnlos.
„Wegen dem knallgelben Motorrad, das dann vor dem Haus steht!“
„Danke, Frau Menke. Ich geh jetzt erstmal hoch.“
Das Telefon war also tabu.
*
Die Sache mit den Glatzen hatte mich nüchtern gemacht. Völlig klar im Kopf überdachte ich die neue, zugespitzte Situation:
Vermutlich hatte der Jugo am Roulettetisch geplaudert. Sollte ich nun das Geld abdrücken oder mit Ljubiša Katz und Maus spielen sollte? Ihn darauf hinweisen, dass eine Sondertilgung nicht vereinbart war, machte keinen Sinn. Auf so was schiss der König. Und dann war da ja noch der Marokko-Deal. Der mögliche Marokko-Deal! Bis ich nicht sicher wusste, dass die Sache garantiert im Grab endete, wollte ich die Kohle auf jeden Fall behalten. Bezahlen konnte ich immer noch, in drei oder vier Tagen, wenn ich dem Autohändler auf die Finger geschaut hatte.
Diesen Abend hatte ich Ruhe vor der Katz. Am nächsten Tag würde ich das Quartier wechseln. Entweder zu Lui, oder zu meinem alten Vermieter Karl in Selm. Ich zog Selm grundsätzlich vor. Lui hatte sich in Bork in einer Art Wohnklo eingemietet, das gerade mal Platz für ihn alleine bot. Na gut, ich konnte notfalls in seiner Badewanne schlafen, wenn beim Bauern nichts frei war.
Ich ging aber stark davon aus, dass die möbilierte Dachkammer in Selm frei war. Karl hatte bestimmt nie einen anderen Mieter oder Knecht gehabt als mich. Gülle und Dreck hatten auch ihr Gutes! Meine Wohnung wollte ich in der nächsten Zeit nur im Notfall betreten, um Mitternacht durch die Kellertür hinter dem Haus und vorsichtig die knatschenden Treppen rauf. Dann suchte ich meinen Reisepass und steckte ihn in die Innentasche meiner Jacke. Für alle Fälle.
Ich dachte über den Langen nach. Viel hatte er in der Kneipe nicht erzählt. Nur, dass ich das Auto erst einem gewissen Marty abkaufen musste, um es anschließend an einen Kunden in Marokko weiter zu verkaufen. Das Auto wäre vorbestellt, ich sollte es nur überführen. Das waren jedenfalls seine Worte. Die Adresse der betreffenden Werkstatt in Schnee (Dortmund-Schnee, an Herdecke angrenzender Stadtteil) stand auf der Visitenkarte, die vor mir auf dem Küchentisch lag. Nicht viel, was ich da wusste! Vielleicht das noch: Wenn mir das Auto gefiel, war eine Anzahlung von 500 Mark fällig. Das machte mich aber auch nicht klüger. Ich erinnerte mich daran, wie der Wirt ihn begrüßt hatte. Wenn dieser Lange also Land und Leute anquatschte, dann wussten andere vielleicht etwas mehr über diesen Job und seine Nebenwirkungen. Ich brauchte Lui als Kundschafter. Also die Treppen runter, bei Frau Menke anklingeln. Selbstverständlich öffnete sie, bevor ich den Finger wieder vom Klingelknopf nahm. Sie schaute mich fragend an
„Ach Frau Menke, ich hab´ da eine Bitte …“
„Ja, was denn, Herr Messick?“
„Mein Telefon ist doch kaputt, das hatte ich total vergessen. Dürfte ich einmal von Ihrem Apparat ein kurzes Gespräch führen? Ein Ortsgespräch.“
Sie öffnete die Tür weit und machte eine einladende Geste.
„Natürlich, Herr Messick, kommen Sie doch rein. Und fühlen Sie sich ganz und gar ungestört. Ich geh wieder ins Wohnzimmer.“
Das Telefon stand im Wohnungsflur. Lui war gleich am Apparat. Er hatte gut Kasse gemacht, er war entsprechend gut drauf. Und er war nüchtern, weil er nur nüchtern arbeitete. Ich fühlte mich zwar nüchtern, aber nicht nüchtern genug, um nach Bork zu fahren. Womit denn auch? Ich hielt mich am Telefon knapp und unverfänglich, weil Frau Menke um die Ecke stand und lauschte. Er sollte bitte zu mir nach Ost-Ende zu kommen und für alle Fälle einen zweiten Helm mitbringen. Schließlich hatte ich noch einen bei ihm gut.
Eine Stunde später fuhr Lui mit seiner BMW R 100 vor und wurde im Treppenhaus von Frau Menke begrüßt. Er brachte den Helm und ein Sixpack mit und hörte sich drei Flaschen lang die Geschichte vom Langen an. Er war bereit, am nächsten Nachmittag die Kneipen und Trinkhallen rund um den Borsigplatz und darüber hinaus abzuklappern und nach einem ca. 2,05 Meter langen blondierten Kerl zu fragen, der Autojobs vermittelte. Das Bier, dass er dafür in jeder Kneipe trinken musste, sollte auf meine Rechnung gehen.
Lui übernachtete auf dem Sofa, und als er wieder wach war, inhalierte er den Inhalt meines Kühlschranks. Vor der Zeit seiner Trennkost war er ein in jeder Beziehung teurer Freund, der Lui. Gemeinsam machten wir uns auf seiner Gummikuh vom Acker, während Frau Menke ihren Mittagsschlaf hielt. Er brachte mich nach Selm, wo meine Dachkammer erwartungsgemäß frei war.
Abends kam er zurück nach Selm und präsentierte mir eine Spesenrechnung von rund 98 Mark, 20 Mark davon für die Fahrt mit einem Taxi. Er war breit und ich stinken sauer. Aber die Informationen, die er mir rülpsend servierte, besänftigten mich bald.
Auch das gehörte zum Phänomen Lui: Selbst sturzbesoffen konnte er noch seinen außergewöhnlichen Scharfsinn und sein schauspielerisches Talent abrufen.
„Also, ich musste ein paar Leute zu Bier und Kurzen einladen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.“ erzählte er mir mit schwerer Zunge. „Der Lange zieht alle paar Wochen durch die Kneipen am Borsigplatz. Möglicherweise ist er in der Zwischenzeit in anderen Gebieten tätig. Er kennt die Leute und Szenen ganz gut, denn er spricht gezielt Leute an, die neu sind oder die selten kommen oder die keiner so richtig kennt. Außerdem geht er nachmittags in die Kneipen, wenn nicht viel los ist und er den Laden überblicken kann. Der Wirt in deiner Jugo-Kneipe gestern, der hat dem einen oder anderen schon Mal auf den Zahn gefühlt, wenn der sich die Zunge locker getrunken hatte. Das waren nicht viele, denn wie gesagt, der Lange spricht nur neue Gesichter an und solche, die keine Stammgäste sind. Zumindest von drei Männern wusste der Wirt aber, wann sie einen Termin in Marokko hatten. Immer in diesem Al Hosonstwas, und es war immer dieselbe Story, die auch du mir erzählt hast. Gleich mehr!“
Lui bemühte sich, in den aufrechten Gang zu kommen, schwankte rülpsend zum Kühlschrank und erweiterte seine Spesenrechnung um ein weiteres Bier. Dann torkelte er zurück zum Sessel und sah mich schief grinsend an.
„Und nun pass mal auf, Alter!“ Er beugte sich über den Tisch und drückte mir den Zeigefinger fast auf die Nase.
„Dieser Wirt, der meinte, dass die Leute, die beim Langen anbeißen, nach dem Trip nicht mehr auftauchen. Das muss natürlich nichts heißen, weil das sowieso keine Stammkunden waren, und es gibt ja viele, die siehst du nur ein- oder zweimal am Tresen und danach nie wieder. Aber wie Wirte so sind: Die haben einen guten Riecher, wenn´s um Menschen geht, und der Lange mit seinem Marokkokram stinkt ihm gewaltig. Denk da mal drüber nach! Prost!“
Lui setzte zum finalen Schluck an, stoppte dann so abrupt, dass er sich verschluckte. Husten, Schlucken, Kleckern, sich hinstellen, die Flasche abstellen und in seine Hosentasche greifen war eins. Er reichte mir einen speckigen Zettel mit einer Telefonnummer und sah mich wie ein großer Junge an.
„Das hätte ich jetzt fast vergessen. Du sollst diesen Typen da anrufen. Ein Marokkaner. Der hat Jahre lang Autos in seine Heimat importiert, nicht für den Langen, versteht sich. Der weiß angeblich, wie der Hase läuft. Die Nummer hat mir sein Schwager gegeben. Soll, so viel ich gehört habe, eine saubere Sache gewesen sein. Der Typ hat wohl in Marokko tüchtig geschmiert. Also doch nicht 100%ig sauber, das Ganze, aber er hat wenigstens seine Fahrer nicht verheizt. Ich nehm´ mir noch ´ne Flasche, ja?“