Die kleine Brücke

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Da liegt sie,
zwischen den Atemzügen des Bachs,
ein Gedanke aus Stein. Tags
und nachts ein kleines
Hochgehobensein zu den Sternen,
zu den fernen, die
uns hinüberführen wollen
wie sie.

Eine Hand,
die hinüberreichen will.
Sie trägt uns still,
von Land zu Land,
spürt frohgesinntes Gehen,
verträumtes Innehalten, Stehen,
dunkles Vergehen sehnsuchtsvoller Blicke
ins dunkelblaue Band
der Zeit.

Jeder ihrer Steine ist Geleit.
Es gibt kein Verirren.
Ein Kind lässt flache Steine schwirren,
lacht.
Doch kommt die Nacht,
zieht sie die dunklen Schatten an.
Schau sie dir an –
du siehst das Leid nicht mehr
der Hand, die sie geschaffen hat.

Grad tanzt auf ihr ein kleines Blatt
im Schatten grauer Gänse.
Wie ein begnadeter Pianist,
der die Finger tanzen lässt,
bis ein Wunder aufsteigt.

Nichts verbindet
wie das, was bleibt,
wenn alles
gegangen ist.

Text DvE
Musik ki Vertonung

 
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mondnein

Mitglied
Das ist, Dionysos von Enno,

leicht, springt trotz des hohen Tons, der von den Nüchternheits-Pädagogen als pathetisch aufgefaßt werden kann, gefällig, amüsant, nett dahin.

das "dunkelblaue Band der Zeit"
- die Zeit ist immer zu groß oder zu leicht genutzt in der Lyrik. Da Lyrik eigentlich tiefer greifen sollte, tiefgründiger, als die Philosophie, ist es unpassend, wenn sie flacher wird als die Philosophie. Das "blaue Band" kann eher Attribut zu einer Jahreszeit sein, oder - noch immer etwas (zu) groß - des Jahres. Nicht: "des Lebens", denn auch das wäre zu groß und platzte leicht.

Gute Schlußsentenz, "das, was bleibt" als die substantielle Brücke über die Abgründe des großen Vergessenwerdens

grusz, hansz
 

Frodomir

Mitglied
Hallo Dionysos von Enno,

deine kleine Brücke ist ein großer Wurf, wie ich finde. Ich liebe es so sehr, wenn ich in Gedichten Details finden kann, die mir als Leser wie Geschenke dargereicht werden und die ich beim ersten Lesen vielleicht sogar übersehen habe und die mir dann beim wiederholten Betrachten des Textes doch noch auffallen und mir ihre Schönheit oder auch Tiefgründigkeit geben. Und bei deinen Gedichten ist dies immer der Fall :)

Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll. Die erste Strophe direkt, die ein eigentlich profanes Bauwerk wie eine Brücke in einen Kontext des Individuellen bzw. menschlichen Fortkommens zu setzen vermag - das rührt mich an. Das macht die Brücke zu einem Wegweiser, ich fühle mich als Leser gewissermaßen geborgen, wenn ich dem weiteren Verlauf des Gedichtes folge. Es ist ein beinahe christlicher Kontext, welcher die Welt und das Leben nicht als rein evolutionär und von Zufällen geprägt versteht, sondern in Gottes Händen gewissermaßen den Mensch mit einem Telos ausgestattet versteht - fortschreitend auf einem mehr oder minder vorgegebenen Weg.

Und die Brücke ist ein Gedanke aus Stein. Eine unglaubliche Metapher! Die zweite Strophe beschreibt dann diesen Gedanken in all seiner Güte. Wer eine Brücke errichtet, reicht dem Menschen die Hand. Es ist nicht die eher beängstigende Version eines Totenflusses wie den Acheron, auf dem man von einem greisen Fährmann auf die andere Seite, also ins Jenseitige, gebracht wird. Nein, in deinem Gedicht geschieht die Reise in einem lichtvollen Umfeld, es fühlt sich an, als hätte alles seinen Sinn und seine Richtigkeit.

Jeder Stein ist Geleit auf dieser Brücke, es gibt keinen Fehltritt, aber nur, und das steht ungeschrieben in deinem Text, wenn man die Brücke nicht verlässt. Bleibt man auf dem Weg, bleibt man geborgen, doch links und rechts des Pfades droht möglicherweise das Ertrinken.

Die letzte Strophe ist dann einfach klasse. Es ist ja gleichzeitig eine Anerkennung an die Leistung menschlicher Baukunst, eine philsophische Frage nach dem, was der Mensch auf seinem irdischen Wege eigentlich am Ende hinterlassen hat und implizit lese ich da eine Aufforderung zur Liebe. Denn was ist es, wenn nicht sie, dass Mensch und Mensch und Welt und Welt miteinander verbinden kann? Die sprachliche Umsetzung mit den Verben verbinden und gehen - was soll ich sagen? Deutsch ist eine unglaubliche Sprache, um den tiefsten Tiefgang zu erreichen und du beherrschst diese Sprache meisterhaft!

Vielen Dank, dass ich dieses Gedicht lesen durfte.

Liebe Grüße
Frodomir
 
das "dunkelblaue Band der Zeit"
- die Zeit ist immer zu groß oder zu leicht genutzt in der Lyrik. Da Lyrik eigentlich tiefer greifen sollte, tiefgründiger, als die Philosophie, ist es unpassend, wenn sie flacher wird als die Philosophie.
Wieso wird sie "flacher" ? Der Einsatz des Gleichnisses ist doch gerade nicht reduzierend auf eine "Idee" oder eine "Prämisse", sondern hat gerade eine sinnlich erfahrbare Weite, oder "wasserhafte Tiefe".

Das "blaue Band" kann eher Attribut zu einer Jahreszeit sein, oder - noch immer etwas (zu) groß - des Jahres. Nicht: "des Lebens", denn auch das wäre zu groß und platzte leicht.
Wieso das denn ? Ich meine, ja könnte sie AUCH, aber dann wäre es ein anderes Gedicht..
 
Zuletzt bearbeitet:
Und bei deinen Gedichten ist dies immer der Fal
Das freut mich, weil ich diesen "doppelten Boden" bei Gedichtren selber so mag

Das macht die Brücke zu einem Wegweiser, ich fühle mich als Leser gewissermaßen geborgen, wenn ich dem weiteren Verlauf des Gedichtes folge.
schönes Bild

Wer eine Brücke errichtet, reicht dem Menschen die Hand.
eine sehr schöne "Weiterempfindung, Weiterdenkung". Das gefällt mir außerordentlich gut !


Die letzte Strophe ist dann einfach klasse. Es ist ja gleichzeitig eine Anerkennung an die Leistung menschlicher Baukunst, eine philsophische Frage nach dem, was der Mensch auf seinem irdischen Wege eigentlich am Ende hinterlassen hat und implizit lese ich da eine Aufforderung zur Liebe. Denn was ist es, wenn nicht sie, dass Mensch und Mensch und Welt und Welt miteinander verbinden kann?
Das ist wirklich sehr geschmeidig und gekonnt ausgedrückt. Hier hat sich das Gedicht fast schöner entfaltet, als es aus dem Kokon gekrochen ist. Danke dafür !!
 



 
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