Die Rose

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Frank Zimmermann

Junior Mitglied
DIE ROSE
Wütend rannte ich aus dem Haus. Ich hätte weiter Tapete abkratzen müssen, aber nachdem ich ihr empfohlen hatte sich einen Finger rein zu stecken, schien es mir ratsamer erst mal das Weite zu suchen. Dieses Verbalgemetzel hätte ich keine Minute länger ausgehalten. Ich setzte mir den Kopfhörer auf und drückte "play", Nirvana in Presslufthammerlautstärke. Schien mir für den Augenblick in Kombination mit einem Spaziergang in zügigem Tempo die beste Therapie zu sein. Also los, über die Ampel und dann immer geradeaus. Einfach drauflos, die Straße entlang immer geradeaus, geradeaus, immer geradeaus. Nachdem ich cirka 30 Minuten unterwegs war, ich befand mich inzwischen bereits in ländlich angehauchten Vororten, bog ich in einen Feldweg ein, weil ich hoffte dort allein zu sein ohne ständig Menschen sehen zu müssen. Doch genau das Gegenteil war der Fall: erst kam mir ein turtelndes Päärchen entgegen - das Glück anderer wollte ich nun überhaupt nicht sehen - und dann nach einem weiteren Kilometer kam mir eine Horde jugendlicher Outlaws entgegen. Ich wollte sowieso langsam wieder nach Hause, denn meine Wut war zusammen mit Nirvana in die Atmosphäre aufgestiegen, und die Outlaws waren noch weit genug entfernt, um eine Wende meinerseits nicht als Provokation oder Rückzieher deuten zu können. Also machte ich auf dem Absatz kehrt und folgte meiner leicht unterkühlten Nase Richtung Heimat.
Auf dem Rückweg besah ich mir die prachtvollen Vorortvillen mit ihren üppigen Vorgärten, die mir auf dem Hinweg überhaupt nicht aufgefallen waren. Womit, fragte ich mich, verdienen diese Leute nur soviel Geld, um sich solche Häuser leisten zu können. Seit dem Regierungswechsel 2034 waren Wohnungen kaum noch zu bezahlen und Häuser wie diese mußten unermeßlich teuer sein. Das nächste Haus wurde von einer Rosenhecke umwuchert. die mich unvermittelt an "Dornröschen" denken ließ. Eine der üppigen Blüten wagte einen Blick auf die andere Seite des massiven Zauns und zog mich mit ihrem Leuchten an. "Riech an mir", schien sie mir sagen zu wollen, "genieße meinen Duft, er kostet nichts!". Ich ging an die Hecke und sog den Rosenduft in mich ein. Dabei mußte ich wohl den Zaun berührt haben, denn plötzlich durchriß der ohrenbetäubende Lärm einer Sirene die Stille. Eine Warnlampe rotierte wie ein Eigelb auf einem Karusell und verbreitete dabei dieses hektische Licht, wie es früher die Kehrmaschine verbreitete. Suchscheinwerfer blitzten auf, summten konstant und tauchten mich in ebenso konstantes, blendendes Weiß. Ich fühlte mich völlig paralysiert, sah wie in Hypnose die Rose, die ihre Blüte hinter den Zaun zurück zog, so als wolle sie nicht die Geschichte mit reingezogen werden.
Das Reifenquietschen war wohl nicht so fern, wie es mir schien, denn nur Sekunden später spürte ich einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter. Wenigstens der gute alte Polizeigriff war immer noch der selbe. Aus den Augenwinkeln sah ich jetzt eine aufgetakelte Alte hinter dem Zaun auf der Treppe. "Das ist der Kerl", rief sie hektisch gestikulierend dem Polizisten zu, der gerade im Begriff war mich auf der Motorhaube des Wagens auftitschen zu lassen. Ich spürte wie sich kaltes Metal um meine Handgelenke legte und hörte das höhnische Kichern der Handschellen, als sie einrasteten und den Blutstrom meiner Hände stocken ließ. "Heutzutage kann man nicht mal einen gemütlichen Sonntagnachmittag verleben, ohne von solchen asozialen Subjekten angegriffen zu werden." Irgendwie erinnerte die alte mich an einen Pekinesen und ihr Redeschwall klang eher wie ein astmathisches Keuchen und weniger wie ein Artikulationsversuch. "Ist ja gut," versuchte der Polizist sie in väterlichem Ton zu beruhigen, "wir haben ihn ja und nehmen ihn mit, der macht ihnen keinen Ärger mehr!" "Ich hoffe sie sperren ihn lange ein, damit er es sich das nächste mal zweimal überlegt, ob er unbescholtene Bürger so heimtükisch angreifen soll!"
Auf dem Weg zum Präsidium fragte mich der Cop durch das Gitter: "Also, du Vogel, was hattest du in dieser Gegend zu suchen?" "Ich wollte nur spazieren gehen." "Spazieren, an einem Sonntag Nachmittag, in den Klamotten?" "Ich hatte einen Streit mit meinem Weib, wir renovieren gerade unsere neue Wohnung und als dann die Fetzen flogen bin ich wütend abgehauen um mich abzukühlen." "Wieso glaubt so ein abgerissener Typ wie du, er könnte in eine solche Trutzburg eindringen, wie du es eben versucht hast?" "Ich wollte nicht eindringen, ich wollte lediglich an ihren Rosen schnuppern und dabei muß ich wohl an diesen Zaun gekommen sein." "Also das mit dem Spaziergang war ja schon ein dicker Hund, aber das du jetzt noch versuchst dich als Blumenfreund und unschuldiges Opfer darzustellen setzt dem Ganzen wohl die Krone auf. Kannst du dich eigentlich ausweisen?" Konnte ich natürlich nicht, wer nimmt schon seine Papiere mit wenn er wutschnaubend aus dem Haus rennt. "Nein! Aber ich wohne nur zwei Straßen weiter, wenn wir kurz da vorbei fahren, kann ich ihnen meine Papier zeigen." "Damit du aus dem Wagen kommst und dich dünn machen kannst was, nein nein, du kommst schön mit in den Sicherheitsbereich." Wir passierten die den vier Meter hohen Elektrozaun, wurden von Wachen mit Maschinenpistolen durchgewunken und gelangten so auf das Polizeikasernengelände. Ich mußte aussteigen, wurde in Richtung Gebäude geschubst und die Sonne verschwand hinter der schwarzen Eisentür, die mit einem dumpfen Knall hinter meiner Eskorte zufiel.
Meine Fingerabdrücke wurden eingescannt, meine Fotos auf CD-Rom gespeichert und meine Klamotten verschwanden in einer Metalbox mit der Nummer 1984. Danach brachten sie mich in eine sogenannte Wartezelle, ein Gitterkäfig, der so klein ist, das eine Person aufrecht stehend hineinpaßt. Nicht mal umdrehen, geschweige denn setzen konnte man sich in dem Ding. Als nach einigen Stunden ein Wachmann vorbei kam, fragte ich ihn verzweifelt, ob die Regel noch gelte, daß jeder das Recht auf einen Anruf habe. "Die Regel gilt noch, natürlich, wir sind doch kein Polizeistaat und erst recht keine Unmenschen!" Er brachte mir ein kleines Handy und gab es für ein Gespräch frei. Ich wählte die Nummer meiner neuen Wohnung. Meine Lebensgefährtin würde herkommen und meine Geschichte bestätigen können, dann war ich bestimmt bald draußen, schließlich lebte ich nicht in einem Polizeistaat... Nach zweimaligem Tuten nahm sie ab:"Hallo?" "Hallo Baby, ich bin es!" "Du Arschloch!" "Warte, hör mir zu..." Sie hatte aufgelegt; hatte wohl noch unsere kleine Meinungsverschiedenheit in den Knochen. "Das war's sagte der Wachmann und wollte mir das Handy abnehmen. "Nein, warten sie, ich hab' mich verwählt!" "Tja, wenn du zu blöd zum Telefonieren bist, dann ist das ja wohl nicht mein Problem!" Seine schmale Hand umschloß das Telefon und entzog es mir mit einer Kraft, die man diesem schmächtigen Kerlchen nicht zugetraut hätte. "Wie geht es jetzt weiter?" "Siehst du dir manchmal die Nachrichten an?" "Ja, warum?" "Na dann weißt du ja, daß wir hoffnungslos überlastet sind. Aber keine Sorge, das Essen hier ist ganz gut und im Moment ist die Warteliste des Staatsanwaltes nicht so lang. Im Rahmen des Programms "Zum Schutze des Bürgers" bleibst du also hier, bis der Staatsanwalt deinen Fall überprüfen kann. Mit ein bißchen Glück wird in ein zwei Tagen eine Regelzelle frei, in der kannst du dann gemütlich die paar Monate warten, bis du ins Verhandlungszentrum verlegt wirst. Alles halb so wild!" Durch die surrende Belüftungsanlage glaubte ich einen Hauch von Rosenduft wahrzunehmen. fz

(Übernommen aus der 'Alten Leselupe'.
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