Die Schlacht um das weiße Gold

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hein

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Ein Supermarkt in einer beliebigen Stadt, nicht übermäßig besucht, ja vielleicht sogar leerer wie früher üblich. Die Kunden, Männer und Frauen jeden Alters, schieben ihre Einkaufswagen in gebührendem Abstand durch die Gänge, nehmen hier und dort etwas aus dem Regal und legen es in den Korb.

Eine Frau mittleren Alters, Typ Angestellte, dem Schlabberlook nach derzeit in Homeoffice oder Kinderbetreuung, schiebt ihren Wagen vorbei am Obststand, an den Getränken und den Nonfood-Sonderangeboten, biegt ein in die Reihe mit Putzmittel und Sanitärartikel, nimmt eine Flasche Glasreiniger aus dem Regal, schaut kurz auf und stutzt: am Ende des Ganges, ganz in der Ecke einer großen leeren Fläche, ein längliches Paket, bunt bedruckt, aber klar zu erkennen: Klopapier! Mit langsamen unauffälligen Bewegungen legt sie den Glasreiniger in ihren Korb, schiebt bemüht unauffällig den Wagen weiter und nähert sich so der begehrten Ware. Ein beherzter Sprung überbrückt den letzten Meter, ihr Arm schnellt vor und ihre Hand umfasst das Paket. Gleichzeitig, aus heiterem Himmel, legt sich eine andere, eine grobe Männerhand, auf das gegenüberliegende Ende des begehrten Artikels. Ein Kerl, Typ älterer Angestellter, 5-Tage-Bart, dem Äußeren nach zur Zeit auch nicht aktiv im Büro, hatte die begehrte Packung ebenfalls erspäht, sich unbemerkt von der anderen Seite angeschlichen und in nicht zu überbietender Impertinenz im gleichen Augenblick die Hand darauf gelegt.

Beide Beteiligten, jeweils ein Ende fest in der Hand, fast Gesicht an Gesicht, ohne jeden Gedanken an Tröpfcheninfektion und Sicherheitsabstand, zerren und ziehen, der Mann, kräftiger, scheint zu obsiegen, die Frau, die zweite Hand jetzt am Regal festgekrallt, kann einen Moment gegenhalten, rutscht dann aber ab und muss, um nicht zu fallen, das Paket loslassen. Das überraschte Gegenüber strauchelt rückwärts, gibt dabei seinen Wagen einen Schubs, wäre fast mit dem Hinterkopf gegen das Regal geprallt, und landet schließlich auf seinem Arsch. Sein Einkaufswagen rollt einige Meter, touchiert mit dem Handgriff das gegenüberliegende Regal und räumt dabei einen guten Meter an Dosen und Glasflaschen mit Deodorant ab. Das Geschepper und Geklirr irritiert ihn einen Moment und gibt der Gegnerin damit die Gelegenheit, ihm das Paket aus der Hand zu reißen.

Der durch den Lärm aufmerksam gewordene Filialleiter findet am Ort des Aufruhrs: eine triumphierend lächelnde Frau, mit beiden Armen krampfhaft eine Stange Klopapier an die Brust drückend und einen auf dem Boden sitzen Mann mit dämlichem Gesicht, umgeben von Spraydosen und Glasscherben.

Mit dem gebührenden Abstand sieht er sich die Sache einen Moment an und stellt dann die Frage in den Raum, wer von den beiden Kontrahenten den Schaden übernimmt. Der Mann, er hat sich inzwischen mühsam aufgerappelt, hebt sofort die Hand und zeigt auf die Frau. Diese löst einen Unterarm von dem Siegerpreis und richtet ihren Zeigefinger auf das Gegenüber.

Der Filialleiter bietet an: „Also, ich rufe jetzt die Polizei, die macht ein Protokoll, und der Richter kann dann anhand der Videoaufzeichnungen entscheiden, wer die Schuld hat! Oder wir einigen uns hier und jetzt auf halbe-halbe! Jeder von ihnen bekommt die Hälfte der Klopapierrollen und trägt dafür auch den gleichen Anteil am Schaden“.

Nach einigem Zögern, der sichtlich genervte Marktleiter hat inzwischen bereits das Handy gezückt, stimmen beide dem Deal zu. Da eine genaue Aufnahme des Schadens zu lange dauern würde, einigt man sich auf eine geschätzte Summe von 200 Euro. Alle drei gehen zur Kasse, die beiden Kunden zahlen jeweils 100 Euro, und der Marktleiter übergibt mit grimmigem Gesicht jeweils 6 Rollen Dreilagig. Den Satz: „schenk ich ihnen“ kann er sich dabei nicht verkneifen. Nebeneinander, die Beute fest im Arm, verlassen die Widersacher das Geschäft und verlieren sich auf dem Parkplatz.

Der Filialleiter schaut ihnen einen Moment hinterher und wendet sich dann lächelnd an die Kollegin an der Kasse: „Bitte rufen sie Frau Meyer an. Sie soll den Schaden wegmachen und dann die Palette Klopapier aus dem Lager holen und in das Regal einräumen“.

Und die Kassiererin denkt bei sich: „Schlagen sich hier um dieses Zeug, und hinterher wischen sie sich damit den Hintern ab!“
 

Ji Rina

Mitglied
Tja, das Klopapier zu Corona Zeiten...
Übrigens: Keinesfalls nur ein deutsches Phänomen!
Mit Gruss, Ji
 

ahorn

Mitglied
Hallo Hein!

Von künstlicher Beatmung zu sprechen, find in diesen Zeiten von Covit-19 nicht angebracht, daher vergleich ich dein Werk mit einem Sprint auf den Brocken – atemraubend.

Ein Supermarkt in einer beliebigen Stadt, nicht übermäßig besucht, ja vielleicht sogar leerer wie früher üblich.
Bereits der erste Satz hat es in sich.
In einer beliebigen Stadt! Sao Paolo, Durban, Mumbai oder Nuuk.
Beliebig ist nicht beliebig.
In einem deutschen Supermarkt - wenn die Stadt beliebig, lasse ich sie weg.
Nicht übermäßig besucht!
Freitagnachmittags vor den Beschränkungen drängelten sich im Markt 200 Kunden pro Stunde, zurzeit verlaufen sich 50 Kunden.
Montagmorgens vor den Beschränkungen verliefen sich im Markt 20 Kunden pro Stunde, zurzeit drängeln sich 50 Kunden.
Hat es geklingelt.
Bitte kein ‚vielleicht sogar‘ entweder oder!


Eine Frau mittleren Alters, Typ Angestellte, dem Schlabberlook nach derzeit in Homeoffice oder Kinderbetreuung, schiebt ihren Wagen vorbei am Obststand, an den Getränken und den Nonfood-Sonderangeboten, biegt ein in die Reihe mit Putzmittel und Sanitärartikel, nimmt eine Flasche Glasreiniger aus dem Regal, schaut kurz auf und stutzt: Am Ende des Ganges, ganz in der Ecke einer großen leeren Fläche, ein längliches Paket, bunt bedruckt, aber klar zu erkennen: Klopapier!
Das ist wahre Kunst.
Sechsundneunzig Wörter in einem Satz. Das Schummeln mit dem Doppelpunkt habe ich gemerkt.
Schauen wir einmal, ob der Satz einen Sinn ergibt. Denn den letzten Rest verstehe ich nicht, da die Grammatik verbogen ist.
1. Satz
Eine Frau mittleren Alters, Typ Angestellte, dem Schlabberlook nach derzeit in Homeoffice oder Kinderbetreuung, schiebt ihren Wagen vorbei am Obststand.
2. Satz
An den Getränken sowie den Nonfood-Sonderangeboten angekommen, biegt sie in die Reihe mit Putzmittel und Sanitärartikel ein.
3. Satz
Sie nimmt eine Flasche Glasreiniger aus dem Regal, schaut kurz auf und stutzt.
4. Satz
Am Ende des Ganges, in der Ecke einer leeren Fläche, steht ein längliches Paket.
5. Satz
Es ist Bunt bedruckt, trotzdem klar zu erkennen.
6. Satz
Klopapier!

Geh in dich.;)

Gruß
Ahorn
 

hein

Mitglied
@ahorn

Über deinen ausführlichen Kommentar freue ich mich. Mir ist jede Reaktion lieber als gar keine. Damit weiß man wenigstens woran man ist, und kann vielleicht noch etwas dazulernen. Dazu sind wir doch letztendlich hier.

Den ersten Satz kann man positiv oder negativ interpretieren. In Anbetracht der folgenden Anmerkungen gehe ich mal vom Zweiten aus.

Beim dem Punkt "Ein Supermarkt ...." hast du recht. Das hätte man besser machen können, ich werde in Zukunft mehr auf so etwas achten.

Mit dem Satz "Eine Frau mittleren Alters ...." bin ich auch ich nicht ganz zufrieden. 96 Wörter sind doch gar nicht so schlecht, für mich hätten es aber noch mehr sein können.
In einem Buch habe ich mal einen Satz gefunden, der über fast eine ganze Seite eine komplette Familiengeschichte erzählte. Ich mag so etwas, das ist mein Vorbild und Ziel. Es ist natürlich Geschmacksache und das Urteil darüber bleibt dem Leser überlassen.

Kritik zur Grammatik ist bei mir wahrscheinlich immer angebracht. Davon habe ich nämlich keine Ahnung. Ich richte mich nach meinem Gefühl beim Schreiben und möglichen Beanstandungen des Editors. Außerdem ist meine Muttersprache Niederdeutsch. Das führt auch nach über 50 Jahren immer noch zu Verwerfungen in meinem Hochdeutsch.

LG
hein
 

ahorn

Mitglied
Hallo hein,
In einem Buch habe ich mal einen Satz gefunden, der über fast eine ganze Seite eine komplette Familiengeschichte erzählte. Ich mag so etwas, das ist mein Vorbild und Ziel.
Schlechte Vorbilder sind ebenfalls Bilder. :rolleyes:
Überlange Sätze haben drei Nachteile.
1. Der Schreiber weiß am Ende nicht mehr, was er sagen will.
2. Der Leser weiß am Ende nicht mehr, was er gelesen hat.
3. Versuch so einen Bandwurm vorzulesen. Ein Sprint auf den Brocken ist nichts dagegen. Somit ist der Vorleser an einer Stelle gezwungen, einen Punkt zu setzten, an dem du als Autor keine gesetzt hast.

Gruß
Ahorn
 



 
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