Die Schmerzhure

TaugeniX

Mitglied
Es verschlug Petr Lwowjitsch nach einigem rastlosen Ortswechsel ins böhmische Marienbad, wo er in einer Kuranstalt Quartier nahm. Er bekam von gelehrten doctores der Anstalt mehrere Diagnosen, die einen bodenständigen statthaften Grund für seinen Verbleib und Erklärung für sein Leiden angaben, und konnte sich so zur Ruhe setzen. Die vorwiegend deutsche Badegesellschaft empfand den russischen Exoten als willkommene Zerstreuung der tagtäglichen Langeweile, wobei er bei abendlichen Mahlzeiten, die gemeinschaftlich im großen Salon eingenommen wurden, vor allem über die politischen Missstände seiner Heimat Rede und Antwort stehen musste, als träfe ihn am „beschämenden Brauch der Sklaverei“ eine höchst persönliche Schuld.

Zur Entrüstung seiner Opponenten zeigte sich Petr Lwowjitsch in keinster Weise beschämt. Eloquent und gestützt auf mühelos deklamierte Zitate spannte er in scholastischer Manier seinen Argumentenbogen auf, vom Sündenfall der Menschheit und Verlust der natürlichen Freiheit über die staatsrechtliche Überlegungen des Aristoteles, der Barbaren aufgrund ihrer sittlichen Minderwertigkeit als „naturgegebene Sklaven“ ansah, über den missionarischen Auftrag der christlichen conquistadores zu seinem eigenen allgemeinen erzieherischen Auftrag über die kindlichen Gemüter seiner Leibeigenen. „Es ist aber durchaus möglich, dass sich eine Seele durch ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Selbstverantwortung aus dem Sklavenstand in die Freiheit erhebt.“ Darauf berichtete er mit bebender Stimme und Tränen in den Augen die Geschichte seines Mädchens. Nach seinem vorhin so beredten klassischen Vortrag wirkte diese Erzählung, in der fühlbar sein hilfloser Liebeskummer mitschwang, fast unglaubwürdig simpel. „Wie kann man bloß bei solch glänzender Bildung diese unfassbare Naivität behalten? Ist dies vielleicht die berühmte russische Seele?“, wollte eine der Damen von ihrem Tischnachbar wissen...

Nach dem Tische wurde Petr Lwowjitsch vom dr. Krall, einem jungen Arzt, der durch asthmatische Beschwerden selber in die Patientenstellung gezwungen der Kurgesellschaft angehörte, beiseite gerufen. „Was Sie, liebster Petr Lwowjitsch, über jenes junge Weib berichten, ist vom hohen Interesse, doch crede mihi, es handelt sich dabei nicht um ihren Sinn für Gerechtigkeit. – Es ist ein seltenes, aber bereits wissenschaftlich beschriebenes Phänomen, phlagellantismus, eine Verirrung des Geschlechtstriebes, von der manche Patienten so heftig ergriffen werden, dass ihre vita sexualis davon gänzlich beherrscht wird.“ „Wie kommen Sie bloß auf einen so absurden Gedanken?“, echauffierte sich Petr Lwowjitsch, denn diese Vermutung ging ihm sehr nahe, „Maschenjka ist doch das reinste unschuldigste Geschöpf, sie begehrte Erlösung von ihrem Schuldgefühl und keinen sinnlichen Exzess. Denken Sie doch an all die katholischen Heiligen, die Sie, ein Deutscher, besser kennen sollten als ich! Wie sie sich aufs Blut kasteiten und welche Seligkeit sie dabei empfunden haben!“ „Gerade an diese exaltierten Nonnen, liebster Petr Lwowjitsch, denke ich dabei. Bei streng anerzogener Sittsamkeit kann die Psyche um eine solche Empfindungsabweichung bizarre Konstrukte bilden, gleich einer Kruste, die eine Wunde schützt. So erscheint das perverse Gelüst nach Flagellierung als religiöse Ekstase oder wie bei Ihrem Schützling als Bedürfnis nach Buße. Wenn Sie aber diese Symptomatik in ihrer Reinform betrachten wollen, kann ich Ihnen einen wunderbaren Fall ad exemplum führen. So es Ihre moralischen Grundsätze erlauben, mein Lieber“, da grinste der doctor und flüsterte Petr Lwowjitsch mit obszöner Vertraulichkeit ins Ohr: „sie ist nämlich eine hetaere.“

Im Zug nach Prag, den sie für diese Exkursion genommen hatten, dozierte Krall über die geschlechtliche Hörigkeit des Weibes, die zwar zu einem Exzess und Perversion hochsteigen kann, jedoch in ihrer natürlichen Unterwürfigkeit wurzelt. „Diese Hörigkeit, liebster Kollege“, trug er vor, als wähnte er sich im Kreis der Fachgenossen, „mag zum willigen Erdulden vieler Misshandlungen und Rohheiten führen, sodass beim Laien der Eindruck einer masochistischen Neigung entsteht. Doch ist bei diesen Fällen der Schmerz niemals der Zweck und wird nicht explizite gewünscht. Ein endogener, echter Masochismus ist geradezu das Gegenteil der Hörigkeit, er begehrt keine Unterwerfung unter den Willen des Geliebten, sondern schlicht den eigenen körperlichen Exzess, der durch den Schmerz verursacht wird. Seine Wurzeln liegen nicht in weiblicher Anpassung an die Herrschaftsstellung des Mannes, sie sind vielmehr rein organisch, es ist eine Nervendegeneration infolge erblicher Belastung, Trunksucht der Eltern und anderer noch unklarer Umstände.“

Auf dem Weg vom Bahnhof sah Petr Lwowjitsch seinem Führer mit einem kleinen überheblichen Lächeln zu: „Du bist mir aber ein feiner Geselle“, dachte er, „wie sicher und zielstrebig du da durch die Stadt rennst, - der Weg ins Freudenhaus ist dir wohl geläufig. Bloß um eine Droschke zu nehmen bist du plötzlich zu schamhaft. Obwohl man eigentlich auch zwei Straßen davor aussteigen könnte.“Das Bordell befand sich in einer engen schlecht beleuchteten Sackgasse und war schäbig von außen, doch noch viel elender von innen, wo modrige in blutrotem Plüsch gepolsterte Möbel mit schwarzlackierten Holzlehnen und geschmacklose riesige Kerzenständer einen düsteren Luxus darstellen wollten. Empfangen wurden sie von einem männlichen Luderich, der geschminkt und mit maßlos pomadisierten Haaren einem Provinzschauspieler übelster Sorte glich. „Ob er nicht gar einen Mephisto abgeben will mit seiner teuflischen Operettenfratze“, lächelte Petr Lwowjitsch.

Diesem Operettenmephisto folgten sie mehrere Steinstufen hinunter, wo sich im Kellergeschoss die hetaera dolorosa befand. Es war ein angealtertes, mageres, kurz geschorenes Weib, das völlig nackt, ohne wenigstens Schmuck oder Schminke anzulegen mit angezogenen Knien im Eck eines überdimensionalen Bettes saß. „Auspeitschen“, keifte sie anstatt dem Gruß und warf sich mit einem Sprung bäuchlings über die Kissen, „bitte, Herren, auspeitschen.“ Der Luderich fasste sie am Hals, zwang sie aufzustehen und zerrte zu einer Vorrichtung, wo sie mit dem Rücken zur Wand an ausgespreizten Armen und Beinen befestigt wurde. „Wofür diese Grausamkeit?“ Staunte Petr Lwowjitsch, „sie widersetzt sich doch gar nicht der Züchtigung. Sie bettelt vielmehr danach!“ „Dieses Weib“, erklärte geduldig dr. Krall, „ist sexuell hochgradig hyperästhetisch. Insbesondere unter Flagellierung wird sie erregt und würde diese Erregung – so man ihr die Freiheit ließe – durch Masturbation entladen. Wir wollen aber diesem banalen Vorgang nicht beiwohnen, sondern den Paroxysmus ihrer masochistischen Störung betrachten, ich schwöre Ihnen, dass manch epileptischer Anfall harmloser aussieht!“

Als der Operettenteufel eine aus rotem Leder geflochtene Peitsche herholte und auf das Weib losschlug, war seine aufgesetzt herrische Miene zum Lachen. Petr Lwowjitsch mußte bewusst von ihm wegsehen. Das Weib wand sich zuerst recht gequält, schrie bei jedem Hieb auf und fixierte mit schmerzlich aufgerissenen Augen abwechselnd ihren Peiniger und unsere zwei Herren, doch dann beruhigte sie sich vollkommen und erschien völlig nach innen gekehrt, als würde sie erwartungsvoll in ihren Körper hineinhorchen. Sie nahm keinen Blickkontakt mehr auf, auch als Petr Lwowjitsch auf wenige Zentimeter vor sie trat und ihr fragend ins Gesicht reinschaute. „Nu, Mädchen, jetzt tut dir die Peitsche doch wohl, nicht wahr?“ „Das Weib hört Sie gar nicht“, unterbrach ihn dr. Krall. Die Entrückung des Weibes wirkte tatsächlich fast, als wäre ihre Seele ausgewandert und hätte den Körper achtlos der Züchtigung überlassen.

Doch dann – als wäre etwas explodiert in ihrem Inneren – brachen in grausamen Stößen Wut und rasende Gier aus ihr heraus. Sie kämpfte gegen ihre Fesseln mit fast unmenschlicher Energie, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand und schrie: „Do píči! Bitte! Bitte in die Fotze!“ Ihre Stimme brach zu einem gellenden Kreischen, das Gesicht färbte sich hochrot und bläulich. „Seht, meine Herren, nun ist die Teufelslust in sie gefahren! Voila!“ Verkündete der Luderich, trat zu Seite und verbeugte sich wie ein Zirkusdirektor vor dem Publikum.

„Fürwahr wie eine Besessene“, dachte Petr Lwowjitsch und ergriff den doctor am Ärmel: „Es ist doch grauenvoll! Wonach schreit sie so schrecklich?“ (Manche Worte waren ihm trotz hervorragender Sprachkenntnisse nicht geläufig.) „Ich warnte Sie doch“, erwiderte Krall mit Ausdruck großer Genugtuung, „nun nähert sie sich dem Exzess et mendicat ut coeatur.“ Das Weib schrie immer heiserer und sah so verzweifelt aus, als würde sie an ihrer Geilheit verbluten wie an aufgerissener Ader. Petr Lwowjitsch griff vom Bett eine Tuchent und drückte ihr mit aller Kraft zwischen die Beine, sie krampfte, zog mit letzter Kraft die Schenkel zusammen um den Druck zu erhöhen – ihre Knöcheln bluteten schon in den Fesseln – und fiel plötzlich völlig schlaff in sich zusammen. Nach wenigen Minuten kam sie zu sich, zermürbt, aber ruhig und gelöst: „Děkuji ti, sladky pane, Buh ti za to žehnej“, flüsterte sie und sah Petr Lwowjitsch erstaunt an.

„Jetzt haben Sie mir, Liebster, meine ganze Vorführung zunichte gemacht“, ärgerte sich dr. Krall, „ich verstehe ja, dass Sie den Anblick nicht gewohnt sind und über Maßen emotional beteiligt waren. Aber wir sind doch hingereist um die fallsuchtähnliche neuropathische Natur dieses Leidens in Betracht nehmen. Und was haben Sie getan? Den Eintritt der Konvulsionen haben sie erfolgreich vereitelt, mein Lieber, weil es sie so unzeitig erbarmt hat.“ Da packte Petr Lwowjitsch ein richtiger Zorn. „Für was sind Sie eigentlich Arzt geworden“, brüllte er, „Anfälle auszulösen oder zu verhindern? Es ist doch eine unnötige widerliche Menschenquälerei, was Sie da betreiben! Ich sage Ihnen offen ins Gesicht, dass ich es für vivi sectio am Menschen halte!“
„Ich verstehe die Aufregung“, beschwichtigte ihn Krall, „doch crede mihi, was Sie da als noblen Rettungsversuch geliefert haben, verschafft ihr Erlösung für weniger als einen Abend. Im Grunde erschweren Sie ihren Zustand noch, wenn Sie ihrer Sucht nachgeben, die es zu unterdrücken gilt. In manchen Irrenanstalten werden Fälle dieser Art seit Jahren mit Mitteln der modernen Psychiatrie behandelt, doch bis jetzt haben ihre Kuren mit Elektrizität und Eiskompressen keine signifikanten Erfolge gezeigt. Ich für mein Teil bin mit dem englischen Kollegen Dr. Isaac Baker Brown Anhänger der radikalen chirurgischen Methode: durch Klitoridektomie und in besonders resistenten Fällen auch Entfernung der Adnexien läßt sich eine vollständige Beruhigung der überreizten geschlechtlichen Empfindung und Rückgang der hysterischen und masochistischen Symptomatik erreichen.“

So viel medizinische Autorität nahm unserem Petr Lwowjitsch den Wind aus seiner Zornsegel. Verunsichert fragte er nur: „Und wenn man sie doch einem guten sittsamen Leben zuführen würde? Wie sie da haust, so einsam, eingesperrt in einem stinkenden Keller, könnte ja jeder auf Dauer irre werden. Ich würde sie in eine Ehe geben, wo sie Liebe und Gemeinschaft erfährt, wo sie eine Beschäftigung im Haushalt findet und so Gott will auch Kinder gebären darf. Würde die süße Last der Mutterschaft sie nicht von allem reinigen und erlösen, was ihr anhaftet? Und wenn das arme Weib von Schlägen in solche Raserei verfällt, dann soll man sie ihr vielleicht doch verwehren, auch wenn sie Sehnsucht danach hat?“

„Ach“, stöhnte Krall händeringend auf, „es ist nicht leicht mit einem Laien zu sprechen. Ich sagte Ihnen doch, Masochismus ist ein organischer Nervenschaden, der so stark ist, dass man die Überreizung nicht mal mit hohen Opiumdosierungen zu beruhigen vermag, sondern allein mit der Amputation des erkrankten Gewebes. Würden Sie einen gangränösen Fuß auch mit guter Ehe und Mutterfreuden kurieren?“

„Wie verhält es sich denn, wenn so ein Mensch länger keine Schläge bekommt?“ Fragte Petr Lwowjitsch sehr beunruhigt. „Nun, so bizarre Symptomatik liefern sie in diesem Falle nicht, doch was die schwere des Zustandes anbelangt, so hat der Entzug der schmerzhaften Reizung für sie eine sehr ungünstige Prognose. Sie werden depressiv, verhalten sich im höchsten Grade selbstverletzend und im Endeffekt auch suizidär. Wie schon gesagt, man muss die Ursache behandeln.“
„Lieber doctor“, Petr Lwowjitsch sprach plötzlich kleinlaut und veränstigt, „sagen Sie mir um Gottes Willen, kann es sein, dass mein Mädchen, dass Maschenjka doch auf irgendeine verwandte Weise krank ist und jetzt leiden muss?“ „Wie Sie die Weibsperson beschrieben haben, ist sie mit höchster Wahrscheinlichkeit masochistisch und leidet ergo durch den Entzug, so sich niemand anderer ihrer Suchtgelüste angenommen hat. Ich kann Ihnen aber in Rußland leider keinen guten Spezialisten empfehlen.“
 

TaugeniX

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Es ist sonst nicht meine Art, den eigenen Text ungefragt zu erläutern und in Schutz zu nehmen. Hier aber möchte ich anmerken, dass keiner der unsäglichen Therapievorschlägen und Diagnosebegründungen meiner Fantasie entstammt. Ich habe mich treuherzig an die medizinische Realität damaliger Zeit gehalten.
 

TaugeniX

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Es verschlug Petr Lwowjitsch nach einigem rastlosen Ortswechsel ins böhmische Marienbad, wo er in einer Kuranstalt Quartier nahm. Er bekam von gelehrten doctores der Anstalt mehrere Diagnosen, die einen bodenständigen statthaften Grund für seinen Verbleib und Erklärung für sein Leiden angaben, und konnte sich so zur Ruhe setzen. Die vorwiegend deutsche Badegesellschaft empfand den russischen Exoten als willkommene Zerstreuung der tagtäglichen Langeweile, wobei er bei abendlichen Mahlzeiten, die gemeinschaftlich im großen Salon eingenommen wurden, vor allem über die politischen Missstände seiner Heimat Rede und Antwort stehen musste, als träfe ihn am „beschämenden Brauch der Sklaverei“ eine höchst persönliche Schuld.

Zur Entrüstung seiner Opponenten zeigte sich Petr Lwowjitsch in keinster Weise beschämt. Eloquent und gestützt auf mühelos deklamierte Zitate spannte er in scholastischer Manier seinen Argumentenbogen auf, vom Sündenfall der Menschheit und Verlust der natürlichen Freiheit über die staatsrechtliche Überlegungen des Aristoteles, welcher die Barbaren aufgrund ihrer sittlichen Minderwertigkeit als „naturgegebene Sklaven“ ansah, über den missionarischen Auftrag der christlichen conquistadores zu seinem eigenen allgemeinen erzieherischen Auftrag über die kindlichen Gemüter seiner Leibeigenen. „Es ist aber durchaus möglich, dass sich eine Seele durch ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Selbstverantwortung aus dem Sklavenstand in die Freiheit erhebt.“ Darauf berichtete er mit bebender Stimme und Tränen in den Augen die Geschichte seines Mädchens. Nach seinem vorhin so beredten klassischen Vortrag wirkte diese Erzählung, in der fühlbar sein hilfloser Liebeskummer mitschwang, fast unglaubwürdig simpel. „Wie kann man bloß bei solch glänzender Bildung diese unfassbare Naivität behalten? Ist dies vielleicht die berühmte russische Seele?“, wollte eine der Damen von ihrem Tischnachbar wissen...

Nach dem Tische wurde Petr Lwowjitsch vom dr. Krall, einem jungen Arzt, der durch asthmatische Beschwerden selber in die Patientenstellung gezwungen der Kurgesellschaft angehörte, beiseite gerufen. „Was Sie, liebster Petr Lwowjitsch, über jenes junge Weib berichten, ist vom hohen Interesse, doch crede mihi, es handelt sich dabei nicht um ihren Sinn für Gerechtigkeit. – Es ist ein seltenes, aber bereits wissenschaftlich beschriebenes Phänomen, phlagellantismus, eine Verirrung des Geschlechtstriebes, von der manche Patienten so heftig ergriffen werden, dass ihre vita sexualis davon gänzlich beherrscht wird.“ „Wie kommen Sie bloß auf einen so absurden Gedanken?“, echauffierte sich Petr Lwowjitsch, denn diese Vermutung ging ihm sehr nahe, „Maschenjka ist doch das reinste unschuldigste Geschöpf, sie begehrte Erlösung von ihrem Schuldgefühl und keinen sinnlichen Exzess. Denken Sie doch an all die katholischen Heiligen, die Sie, ein Deutscher, besser kennen sollten als ich! Wie sie sich aufs Blut kasteiten und welche Seligkeit sie dabei empfunden haben!“ „Gerade an diese exaltierten Nonnen, liebster Petr Lwowjitsch, denke ich dabei. Bei streng anerzogener Sittsamkeit kann die Psyche um eine solche Empfindungsabweichung bizarre Konstrukte bilden, gleich einer Kruste, die eine Wunde schützt. So erscheint das perverse Gelüst nach Flagellierung als religiöse Ekstase oder wie bei Ihrem Schützling als Bedürfnis nach Buße. Wenn Sie aber diese Symptomatik in ihrer Reinform betrachten wollen, kann ich Ihnen einen wunderbaren Fall ad exemplum führen. So es Ihre moralischen Grundsätze erlauben, mein Lieber“, da grinste der doctor und flüsterte Petr Lwowjitsch mit obszöner Vertraulichkeit ins Ohr: „sie ist nämlich eine hetaere.“

Im Zug nach Prag, den sie für diese Exkursion genommen hatten, dozierte Krall über die geschlechtliche Hörigkeit des Weibes, die zwar zu einem Exzess und Perversion hochsteigen kann, jedoch in ihrer natürlichen Unterwürfigkeit wurzelt. „Diese Hörigkeit, liebster Kollege“, trug er vor, als wähnte er sich im Kreis der Fachgenossen, „mag zum willigen Erdulden vieler Misshandlungen und Rohheiten führen, sodass beim Laien der Eindruck einer masochistischen Neigung entsteht. Doch ist bei diesen Fällen der Schmerz niemals der Zweck und wird nicht explizite gewünscht. Ein endogener, echter Masochismus ist geradezu das Gegenteil der Hörigkeit, er begehrt keine Unterwerfung unter den Willen des Geliebten, sondern schlicht den eigenen körperlichen Exzess, der durch den Schmerz verursacht wird. Seine Wurzeln liegen nicht in weiblicher Anpassung an die Herrschaftsstellung des Mannes, sie sind vielmehr rein organisch, es ist eine Nervendegeneration infolge erblicher Belastung, Trunksucht der Eltern und anderer noch unklarer Umstände.“

Auf dem Weg vom Bahnhof sah Petr Lwowjitsch seinem Führer mit einem kleinen überheblichen Lächeln zu: „Du bist mir aber ein feiner Geselle“, dachte er, „wie sicher und zielstrebig du da durch die Stadt rennst, - der Weg ins Freudenhaus ist dir wohl geläufig. Bloß um eine Droschke zu nehmen bist du plötzlich zu schamhaft. Obwohl man eigentlich auch zwei Straßen davor aussteigen könnte.“Das Bordell befand sich in einer engen schlecht beleuchteten Sackgasse und war schäbig von außen, doch noch viel elender von innen, wo modrige in blutrotem Plüsch gepolsterte Möbel mit schwarzlackierten Holzlehnen und geschmacklose riesige Kerzenständer einen düsteren Luxus darstellen wollten. Empfangen wurden sie von einem männlichen Luderich, der geschminkt und mit maßlos pomadisierten Haaren einem Provinzschauspieler übelster Sorte glich. „Ob er nicht gar einen Mephisto abgeben will mit seiner teuflischen Operettenfratze“, lächelte Petr Lwowjitsch.

Diesem Operettenmephisto folgten sie mehrere Steinstufen hinunter, wo sich im Kellergeschoss die hetaera dolorosa befand. Es war ein angealtertes, mageres, kurz geschorenes Weib, das völlig nackt, ohne wenigstens Schmuck oder Schminke anzulegen mit angezogenen Knien im Eck eines überdimensionalen Bettes saß. „Auspeitschen“, keifte sie anstatt dem Gruß und warf sich mit einem Sprung bäuchlings über die Kissen, „bitte, Herren, auspeitschen.“ Der Luderich fasste sie am Hals, zwang sie aufzustehen und zerrte zu einer Vorrichtung, wo sie mit dem Rücken zur Wand an ausgespreizten Armen und Beinen befestigt wurde. „Wofür diese Grausamkeit?“ Staunte Petr Lwowjitsch, „sie widersetzt sich doch gar nicht der Züchtigung. Sie bettelt vielmehr danach!“ „Dieses Weib“, erklärte geduldig dr. Krall, „ist sexuell hochgradig hyperästhetisch. Insbesondere unter Flagellierung wird sie erregt und würde diese Erregung – so man ihr die Freiheit ließe – durch Masturbation entladen. Wir wollen aber diesem banalen Vorgang nicht beiwohnen, sondern den Paroxysmus ihrer masochistischen Störung betrachten, ich schwöre Ihnen, dass manch epileptischer Anfall harmloser aussieht!“

Als der Operettenteufel eine aus rotem Leder geflochtene Peitsche herholte und auf das Weib losschlug, war seine aufgesetzt herrische Miene zum Lachen. Petr Lwowjitsch mußte bewusst von ihm wegsehen. Das Weib wand sich zuerst recht gequält, schrie bei jedem Hieb auf und fixierte mit schmerzlich aufgerissenen Augen abwechselnd ihren Peiniger und unsere zwei Herren, doch dann beruhigte sie sich vollkommen und erschien völlig nach innen gekehrt, als würde sie erwartungsvoll in ihren Körper hineinhorchen. Sie nahm keinen Blickkontakt mehr auf, auch als Petr Lwowjitsch auf wenige Zentimeter vor sie trat und ihr fragend ins Gesicht reinschaute. „Nu, Mädchen, jetzt tut dir die Peitsche doch wohl, nicht wahr?“ „Das Weib hört Sie gar nicht“, unterbrach ihn dr. Krall. Die Entrückung des Weibes wirkte tatsächlich fast, als wäre ihre Seele ausgewandert und hätte den Körper achtlos der Züchtigung überlassen.

Doch dann – als wäre etwas explodiert in ihrem Inneren – brachen in grausamen Stößen Wut und rasende Gier aus ihr heraus. Sie kämpfte gegen ihre Fesseln mit fast unmenschlicher Energie, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand und schrie: „Do píči! Bitte! Bitte in die Fotze!“ Ihre Stimme brach zu einem gellenden Kreischen, das Gesicht färbte sich hochrot und bläulich. „Seht, meine Herren, nun ist die Teufelslust in sie gefahren! Voila!“ Verkündete der Luderich, trat zu Seite und verbeugte sich wie ein Zirkusdirektor vor dem Publikum.

„Fürwahr wie eine Besessene“, dachte Petr Lwowjitsch und ergriff den doctor am Ärmel: „Es ist doch grauenvoll! Wonach schreit sie so schrecklich?“ (Manche Worte waren ihm trotz hervorragender Sprachkenntnisse nicht geläufig.) „Ich warnte Sie doch“, erwiderte Krall mit Ausdruck großer Genugtuung, „nun nähert sie sich dem Exzess et mendicat ut coeatur.“ Das Weib schrie immer heiserer und sah so verzweifelt aus, als würde sie an ihrer Geilheit verbluten wie an aufgerissener Ader. Petr Lwowjitsch griff vom Bett eine Tuchent und drückte ihr mit aller Kraft zwischen die Beine, sie krampfte, zog mit letzter Kraft die Schenkel zusammen um den Druck zu erhöhen – ihre Knöcheln bluteten schon in den Fesseln – und fiel plötzlich völlig schlaff in sich zusammen. Nach wenigen Minuten kam sie zu sich, zermürbt, aber ruhig und gelöst: „Děkuji ti, sladky pane, Buh ti za to žehnej“, flüsterte sie und sah Petr Lwowjitsch erstaunt an.

„Jetzt haben Sie mir, Liebster, meine ganze Vorführung zunichte gemacht“, ärgerte sich dr. Krall, „ich verstehe ja, dass Sie den Anblick nicht gewohnt sind und über Maßen emotional beteiligt waren. Aber wir sind doch hingereist um die fallsuchtähnliche neuropathische Natur dieses Leidens in Betracht nehmen. Und was haben Sie getan? Den Eintritt der Konvulsionen haben sie erfolgreich vereitelt, mein Lieber, weil es sie so unzeitig erbarmt hat.“ Da packte Petr Lwowjitsch ein richtiger Zorn. „Für was sind Sie eigentlich Arzt geworden“, brüllte er, „Anfälle auszulösen oder zu verhindern? Es ist doch eine unnötige widerliche Menschenquälerei, was Sie da betreiben! Ich sage Ihnen offen ins Gesicht, dass ich es für vivi sectio am Menschen halte!“
„Ich verstehe die Aufregung“, beschwichtigte ihn Krall, „doch crede mihi, was Sie da als noblen Rettungsversuch geliefert haben, verschafft ihr Erlösung für weniger als einen Abend. Im Grunde erschweren Sie ihren Zustand noch, wenn Sie ihrer Sucht nachgeben, die es zu unterdrücken gilt. In manchen Irrenanstalten werden Fälle dieser Art seit Jahren mit Mitteln der modernen Psychiatrie behandelt, doch bis jetzt haben ihre Kuren mit Elektrizität und Eiskompressen keine signifikanten Erfolge gezeigt. Ich für mein Teil bin mit dem englischen Kollegen Dr. Isaac Baker Brown Anhänger der radikalen chirurgischen Methode: durch Klitoridektomie und in besonders resistenten Fällen auch Entfernung der Adnexien läßt sich eine vollständige Beruhigung der überreizten geschlechtlichen Empfindung und Rückgang der hysterischen und masochistischen Symptomatik erreichen.“

So viel medizinische Autorität nahm unserem Petr Lwowjitsch den Wind aus seiner Zornsegel. Verunsichert fragte er nur: „Und wenn man sie doch einem guten sittsamen Leben zuführen würde? Wie sie da haust, so einsam, eingesperrt in einem stinkenden Keller, könnte ja jeder auf Dauer irre werden. Ich würde sie in eine Ehe geben, wo sie Liebe und Gemeinschaft erfährt, wo sie eine Beschäftigung im Haushalt findet und so Gott will auch Kinder gebären darf. Würde die süße Last der Mutterschaft sie nicht von allem reinigen und erlösen, was ihr anhaftet? Und wenn das arme Weib von Schlägen in solche Raserei verfällt, dann soll man sie ihr vielleicht doch verwehren, auch wenn sie Sehnsucht danach hat?“

„Ach“, stöhnte Krall händeringend auf, „es ist nicht leicht mit einem Laien zu sprechen. Ich sagte Ihnen doch, Masochismus ist ein organischer Nervenschaden, der so stark ist, dass man die Überreizung nicht mal mit hohen Opiumdosierungen zu beruhigen vermag, sondern allein mit der Amputation des erkrankten Gewebes. Würden Sie einen gangränösen Fuß auch mit guter Ehe und Mutterfreuden kurieren?“

„Wie verhält es sich denn, wenn so ein Mensch länger keine Schläge bekommt?“ Fragte Petr Lwowjitsch sehr beunruhigt. „Nun, so bizarre Symptomatik liefern sie in diesem Falle nicht, doch was die schwere des Zustandes anbelangt, so hat der Entzug der schmerzhaften Reizung für sie eine sehr ungünstige Prognose. Sie werden depressiv, verhalten sich im höchsten Grade selbstverletzend und im Endeffekt auch suizidär. Wie schon gesagt, man muss die Ursache behandeln.“
„Lieber doctor“, Petr Lwowjitsch sprach plötzlich kleinlaut und veränstigt, „sagen Sie mir um Gottes Willen, kann es sein, dass mein Mädchen, dass Maschenjka doch auf irgendeine verwandte Weise krank ist und jetzt leiden muss?“ „Wie Sie die Weibsperson beschrieben haben, ist sie mit höchster Wahrscheinlichkeit masochistisch und leidet ergo durch den Entzug, so sich niemand anderer ihrer Suchtgelüste angenommen hat. Ich kann Ihnen aber in Rußland leider keinen guten Spezialisten empfehlen.“
 

TaugeniX

Mitglied
Es verschlug Petr Lwowjitsch nach einigem rastlosen Ortswechsel ins böhmische Marienbad, wo er in einer Kuranstalt Quartier nahm. Er bekam von gelehrten doctores der Anstalt mehrere Diagnosen, die einen bodenständigen statthaften Grund für seinen Verbleib und Erklärung für sein Leiden angaben, und konnte sich so zur Ruhe setzen. Die vorwiegend deutsche Badegesellschaft empfand den russischen Exoten als willkommene Zerstreuung der tagtäglichen Langeweile, wobei er bei abendlichen Mahlzeiten, die gemeinschaftlich im großen Salon eingenommen wurden, vor allem über die politischen Missstände seiner Heimat Rede und Antwort stehen musste, als träfe ihn am „beschämenden Brauch der Sklaverei“ eine höchst persönliche Schuld.

Zur Entrüstung seiner Opponenten zeigte sich Petr Lwowjitsch in keinster Weise beschämt. Eloquent und gestützt auf mühelos deklamierte Zitate spannte er in scholastischer Manier seinen Argumentenbogen auf, vom Sündenfall der Menschheit und Verlust der natürlichen Freiheit über die staatsrechtliche Überlegungen des Aristoteles, welcher die Barbaren aufgrund ihrer sittlichen Minderwertigkeit als „naturgegebene Sklaven“ ansah, über den missionarischen Auftrag der christlichen conquistadores zu seinem eigenen allgemeinen erzieherischen Auftrag über die kindlichen Gemüter seiner Leibeigenen. „Es ist aber durchaus möglich, dass sich eine Seele durch ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Selbstverantwortung aus dem Sklavenstand in die Freiheit erhebt.“ Darauf berichtete er mit bebender Stimme und Tränen in den Augen die Geschichte seines Mädchens. Nach seinem vorhin so beredten klassischen Vortrag wirkte diese Erzählung, in der fühlbar sein hilfloser Liebeskummer mitschwang, fast unglaubwürdig simpel. „Wie kann man bloß bei solch glänzender Bildung diese unfassbare Naivität behalten? Ist dies vielleicht die berühmte russische Seele?“, wollte eine der Damen von ihrem Tischnachbar wissen...

Nach dem Tische wurde Petr Lwowjitsch vom dr. Krall, einem jungen Arzt, der durch asthmatische Beschwerden selbst in die Patientenstellung gezwungen der Kurgesellschaft angehörte, beiseite gerufen. „Was Sie, liebster Petr Lwowjitsch, über jenes junge Weib berichten, ist vom hohen Interesse, doch crede mihi, es handelt sich dabei nicht um ihren Sinn für Gerechtigkeit. – Es ist ein seltenes, aber bereits wissenschaftlich beschriebenes Phänomen, phlagellantismus, eine Verirrung des Geschlechtstriebes, von der manche Patienten so heftig ergriffen werden, dass ihre vita sexualis davon gänzlich beherrscht wird.“ „Wie kommen Sie bloß auf einen so absurden Gedanken?“, echauffierte sich Petr Lwowjitsch, denn diese Vermutung ging ihm sehr nahe, „Maschenjka ist doch das reinste unschuldigste Geschöpf, sie begehrte Erlösung von ihrem Schuldgefühl und keinen sinnlichen Exzess. Denken Sie doch an all die katholischen Heiligen, die Sie, ein Deutscher, besser kennen sollten als ich! Wie sie sich aufs Blut kasteiten und welche Seligkeit sie dabei empfunden haben!“ „Gerade an diese exaltierten Nonnen, liebster Petr Lwowjitsch, denke ich dabei. Bei streng anerzogener Sittsamkeit kann die Psyche um eine solche Empfindungsabweichung bizarre Konstrukte bilden, gleich einer Kruste, die eine Wunde schützt. So erscheint das perverse Gelüst nach Flagellierung als religiöse Ekstase oder wie bei Ihrem Schützling als Bedürfnis nach Buße. Wenn Sie aber diese Symptomatik in ihrer Reinform betrachten wollen, kann ich Ihnen einen wunderbaren Fall ad exemplum führen. So es Ihre moralischen Grundsätze erlauben, mein Lieber“, da grinste der doctor und flüsterte Petr Lwowjitsch mit obszöner Vertraulichkeit ins Ohr: „sie ist nämlich eine hetaere.“

Im Zug nach Prag, den sie für diese Exkursion genommen hatten, dozierte Krall über die geschlechtliche Hörigkeit des Weibes, die zwar zu einem Exzess und Perversion hochsteigen kann, jedoch in ihrer natürlichen Unterwürfigkeit wurzelt. „Diese Hörigkeit, liebster Kollege“, trug er vor, als wähnte er sich im Kreis der Fachgenossen, „mag zum willigen Erdulden vieler Misshandlungen und Rohheiten führen, sodass beim Laien der Eindruck einer masochistischen Neigung entsteht. Doch ist bei diesen Fällen der Schmerz niemals der Zweck und wird nicht explizite gewünscht. Ein endogener, echter Masochismus ist geradezu das Gegenteil der Hörigkeit, er begehrt keine Unterwerfung unter den Willen des Geliebten, sondern schlicht den eigenen körperlichen Exzess, der durch den Schmerz verursacht wird. Seine Wurzeln liegen nicht in weiblicher Anpassung an die Herrschaftsstellung des Mannes, sie sind vielmehr rein organisch, es ist eine Nervendegeneration infolge erblicher Belastung, Trunksucht der Eltern und anderer noch unklarer Umstände.“

Auf dem Weg vom Bahnhof sah Petr Lwowjitsch seinem Führer mit einem kleinen überheblichen Lächeln zu: „Du bist mir aber ein feiner Geselle“, dachte er, „wie sicher und zielstrebig du da durch die Stadt rennst, - der Weg ins Freudenhaus ist dir wohl geläufig. Bloß um eine Droschke zu nehmen bist du plötzlich zu schamhaft. Obwohl man eigentlich auch zwei Straßen davor aussteigen könnte.“Das Bordell befand sich in einer engen schlecht beleuchteten Sackgasse und war schäbig von außen, doch noch viel elender von innen, wo modrige in blutrotem Plüsch gepolsterte Möbel mit schwarzlackierten Holzlehnen und geschmacklose riesige Kerzenständer einen düsteren Luxus darstellen wollten. Empfangen wurden sie von einem männlichen Luderich, der geschminkt und mit maßlos pomadisierten Haaren einem Provinzschauspieler übelster Sorte glich. „Ob er nicht gar einen Mephisto abgeben will mit seiner teuflischen Operettenfratze“, lächelte Petr Lwowjitsch.

Diesem Operettenmephisto folgten sie mehrere Steinstufen hinunter, wo sich im Kellergeschoss die hetaera dolorosa befand. Es war ein angealtertes, mageres, kurz geschorenes Weib, das völlig nackt, ohne wenigstens Schmuck oder Schminke anzulegen mit angezogenen Knien im Eck eines überdimensionalen Bettes saß. „Auspeitschen“, keifte sie anstatt dem Gruß und warf sich mit einem Sprung bäuchlings über die Kissen, „bitte, Herren, auspeitschen.“ Der Luderich fasste sie am Hals, zwang sie aufzustehen und zerrte zu einer Vorrichtung, wo sie mit dem Rücken zur Wand an ausgespreizten Armen und Beinen befestigt wurde. „Wofür diese Grausamkeit?“ Staunte Petr Lwowjitsch, „sie widersetzt sich doch gar nicht der Züchtigung. Sie bettelt vielmehr danach!“ „Dieses Weib“, erklärte geduldig dr. Krall, „ist sexuell hochgradig hyperästhetisch. Insbesondere unter Flagellierung wird sie erregt und würde diese Erregung – so man ihr die Freiheit ließe – durch Masturbation entladen. Wir wollen aber diesem banalen Vorgang nicht beiwohnen, sondern den Paroxysmus ihrer masochistischen Störung betrachten, ich schwöre Ihnen, dass manch epileptischer Anfall harmloser aussieht!“

Als der Operettenteufel eine aus rotem Leder geflochtene Peitsche herholte und auf das Weib losschlug, war seine aufgesetzt herrische Miene zum Lachen. Petr Lwowjitsch mußte bewusst von ihm wegsehen. Das Weib wand sich zuerst recht gequält, schrie bei jedem Hieb auf und fixierte mit schmerzlich aufgerissenen Augen abwechselnd ihren Peiniger und unsere zwei Herren, doch dann beruhigte sie sich vollkommen und erschien völlig nach innen gekehrt, als würde sie erwartungsvoll in ihren Körper hineinhorchen. Sie nahm keinen Blickkontakt mehr auf, auch als Petr Lwowjitsch auf wenige Zentimeter vor sie trat und ihr fragend ins Gesicht reinschaute. „Nu, Mädchen, jetzt tut dir die Peitsche doch wohl, nicht wahr?“ „Das Weib hört Sie gar nicht“, unterbrach ihn dr. Krall. Die Entrückung des Weibes wirkte tatsächlich fast, als wäre ihre Seele ausgewandert und hätte den Körper achtlos der Züchtigung überlassen.

Doch dann – als wäre etwas explodiert in ihrem Inneren – brachen in grausamen Stößen Wut und rasende Gier aus ihr heraus. Sie kämpfte gegen ihre Fesseln mit fast unmenschlicher Energie, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand und schrie: „Do píči! Bitte! Bitte in die Fotze!“ Ihre Stimme brach zu einem gellenden Kreischen, das Gesicht färbte sich hochrot und bläulich. „Seht, meine Herren, nun ist die Teufelslust in sie gefahren! Voila!“ Verkündete der Luderich, trat zu Seite und verbeugte sich wie ein Zirkusdirektor vor dem Publikum.

„Fürwahr wie eine Besessene“, dachte Petr Lwowjitsch und ergriff den doctor am Ärmel: „Es ist doch grauenvoll! Wonach schreit sie so schrecklich?“ (Manche Worte waren ihm trotz hervorragender Sprachkenntnisse nicht geläufig.) „Ich warnte Sie doch“, erwiderte Krall mit Ausdruck großer Genugtuung, „nun nähert sie sich dem Exzess et mendicat ut coeatur.“ Das Weib schrie immer heiserer und sah so verzweifelt aus, als würde sie an ihrer Geilheit verbluten wie an aufgerissener Ader. Petr Lwowjitsch griff vom Bett eine Tuchent und drückte ihr mit aller Kraft zwischen die Beine, sie krampfte, zog mit letzter Kraft die Schenkel zusammen um den Druck zu erhöhen – ihre Knöcheln bluteten schon in den Fesseln – und fiel plötzlich völlig schlaff in sich zusammen. Nach wenigen Minuten kam sie zu sich, zermürbt, aber ruhig und gelöst: „Děkuji ti, sladky pane, Buh ti za to žehnej“, flüsterte sie und sah Petr Lwowjitsch erstaunt an.

„Jetzt haben Sie mir, Liebster, meine ganze Vorführung zunichte gemacht“, ärgerte sich dr. Krall, „ich verstehe ja, dass Sie den Anblick nicht gewohnt sind und über Maßen emotional beteiligt waren. Aber wir sind doch hingereist um die fallsuchtähnliche neuropathische Natur dieses Leidens in Betracht nehmen. Und was haben Sie getan? Den Eintritt der Konvulsionen haben sie erfolgreich vereitelt, mein Lieber, weil es sie so unzeitig erbarmt hat.“ Da packte Petr Lwowjitsch ein richtiger Zorn. „Für was sind Sie eigentlich Arzt geworden“, brüllte er, „Anfälle auszulösen oder zu verhindern? Es ist doch eine unnötige widerliche Menschenquälerei, was Sie da betreiben! Ich sage Ihnen offen ins Gesicht, dass ich es für vivi sectio am Menschen halte!“
„Ich verstehe die Aufregung“, beschwichtigte ihn Krall, „doch crede mihi, was Sie da als noblen Rettungsversuch geliefert haben, verschafft ihr Erlösung für weniger als einen Abend. Im Grunde erschweren Sie ihren Zustand noch, wenn Sie ihrer Sucht nachgeben, die es zu unterdrücken gilt. In manchen Irrenanstalten werden Fälle dieser Art seit Jahren mit Mitteln der modernen Psychiatrie behandelt, doch bis jetzt haben ihre Kuren mit Elektrizität und Eiskompressen keine signifikanten Erfolge gezeigt. Ich für mein Teil bin mit dem englischen Kollegen Dr. Isaac Baker Brown Anhänger der radikalen chirurgischen Methode: durch Klitoridektomie und in besonders resistenten Fällen auch Entfernung der Adnexien läßt sich eine vollständige Beruhigung der überreizten geschlechtlichen Empfindung und Rückgang der hysterischen und masochistischen Symptomatik erreichen.“

So viel medizinische Autorität nahm unserem Petr Lwowjitsch den Wind aus seiner Zornsegel. Verunsichert fragte er nur: „Und wenn man sie doch einem guten sittsamen Leben zuführen würde? Wie sie da haust, so einsam, eingesperrt in einem stinkenden Keller, könnte ja jeder auf Dauer irre werden. Ich würde sie in eine Ehe geben, wo sie Liebe und Gemeinschaft erfährt, wo sie eine Beschäftigung im Haushalt findet und so Gott will auch Kinder gebären darf. Würde die süße Last der Mutterschaft sie nicht von allem reinigen und erlösen, was ihr anhaftet? Und wenn das arme Weib von Schlägen in solche Raserei verfällt, dann soll man sie ihr vielleicht doch verwehren, auch wenn sie Sehnsucht danach hat?“

„Ach“, stöhnte Krall händeringend auf, „es ist nicht leicht mit einem Laien zu sprechen. Ich sagte Ihnen doch, Masochismus ist ein organischer Nervenschaden, der so stark ist, dass man die Überreizung nicht mal mit hohen Opiumdosierungen zu beruhigen vermag, sondern allein mit der Amputation des erkrankten Gewebes. Würden Sie einen gangränösen Fuß auch mit guter Ehe und Mutterfreuden kurieren?“

„Wie verhält es sich denn, wenn so ein Mensch länger keine Schläge bekommt?“ Fragte Petr Lwowjitsch sehr beunruhigt. „Nun, so bizarre Symptomatik liefern sie in diesem Falle nicht, doch was die schwere des Zustandes anbelangt, so hat der Entzug der schmerzhaften Reizung für sie eine sehr ungünstige Prognose. Sie werden depressiv, verhalten sich im höchsten Grade selbstverletzend und im Endeffekt auch suizidär. Wie schon gesagt, man muss die Ursache behandeln.“
„Lieber doctor“, Petr Lwowjitsch sprach plötzlich kleinlaut und veränstigt, „sagen Sie mir um Gottes Willen, kann es sein, dass mein Mädchen, dass Maschenjka doch auf irgendeine verwandte Weise krank ist und jetzt leiden muss?“ „Wie Sie die Weibsperson beschrieben haben, ist sie mit höchster Wahrscheinlichkeit masochistisch und leidet ergo durch den Entzug, so sich niemand anderer ihrer Suchtgelüste angenommen hat. Ich kann Ihnen aber in Rußland leider keinen guten Spezialisten empfehlen.“
 



 
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