schreibfuchs
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Prinzessin Shakira stand, wie fast an jedem Morgen, im östlichen Vorhof des Palastes, dicht an seinen mächtigen Einfassungen aus sorgsam verfugten riesigen Sandsteinquadern und wartete auf den Sonnenaufgang. Sie hatte ihre beiden Hände auf die, etwas nach hinten fallende, Balustrade gestützt, verharrte regungslos und öffnete leicht, wie für einen Kuss, ihre vollen Lippen.
„Gleich muss es soweit sein. Gleich wird mich die Sonne küssen!“, dachte sie voller Vorfreude, als ihre anmutigen Mandelaugen auf den Horizont blickten, der bereits in ein feuriges Rot getaucht war. Und wirklich begannen nun die roten Sonnenvorboten ihr samtenes Licht, immer stärker und heller über die gesamte Wüste, bis hin zu dem Sultanpalast und darüber hinaus auszugießen. Die Prinzessin hob ihre beiden Arme und ein belebender Windstoß durchfuhr ihr pechschwarzes, gelocktes Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte und dass sie ganz schlicht und offen trug. Der kräftige Windstoß erfasste ihr Haar und trug es, wie ein Banner nach oben. Das war der Augenblick, den sie so liebte, der Augenblick, der sie aus ihren muffigen Gemächern an die frische Luft trieb, der Augenblick, den sie jeden Morgen in vollen Zügen genoß! Sie vergaß dabei sogar, dass sie die Prinzessin war. Und dass diese Ausflüge in den östlichen Vorhof auch noch kleine Abenteuer in sich bargen, machten diese Ausflüge auch nicht gerade langweilig! Im Gegenteil: Es stachelte sie umso mehr, auch gegen den Willen ihres Vaters, an, denn in ihrem Blut rauschten Abenteuer- und Unternehmungsgeist ihrer Mutter mit ihrer eigenen Leidenschaftlichkeit um die Wette. Sie konnte nur nachsichtig und fast müde lächeln, wenn ihr Vater, der Sultan, mit aufgesetzter Strenge und erhobenen Zeigefinger, sagte: „Liebes Töchterchen, es geziemt sich für eine Prinzessin einfach nicht, wie eine Gemeine aus unserer niedersten Kaste, durch den gesamten Palast in den Vorhof zu schleichen, dort möglicherweise noch mit Sklaven Kontakt zu bekommen, nur, um dem ewiglich langweiligen Spiel der Sonne beizuwohnen!“ , dabei seufzte er immer tief, senkte sein weishaariges Haupt und schüttelte es betont lange.
Die Prinzessin dachte nicht daran auf die Worte ihres Vaters zu hören. Stattdessen ließ sich täglich etwas einfallen, um dem Willen ihres Vaters, der Aufsichtspflicht ihrer Amme Aischa und den Wachen zu entfliehen. Sie nahm es als lustigen Frühsport und als Wettstreit. Ein Wettstreit, den sie, immer auf neuen Wegen in den östlichen Vorhof, in der Regel sechs bis sieben Mal in der Woche, gewann. Sie brauchte diese morgendliche Stunde. Sie verschaffte ihr einen guten Start in den Tag, gab ihr einen inneren Ausgleich zu dem öden Alltagsgeschäft einer Prinzessin und hielt das junge, ungestüme Mädchen in ihr wach, das, genau wie eine junge Stute, den freien Auslauf einer straffen Laufleine vorzog.
Endlich, die ersten Sonnenstrahlen trafen gleißend auf ihr ebenmäßiges Gesicht, erleuchten die verwegene, leicht gekrümmte Nase und irrlichterten in ihren braunen, Augen, so dass sie diese für den Moment geblendet schließen musste. Der, von vollendet ebenmäßigen Brauen überschattete Blick, spannte sich dann, gemeinsam mit ihren vollen, sinnlichen Lippen, zu einem wunderschönen Lächeln. Dabei entstanden zwei tiefe Wangengrübchen, die ihr Entschlossenheit verliehen und ihr fröhliches Wesen, nur noch verstärkten. Prinzessin Shakira war wie eine Anbetende, die ihre beiden Arme euphorisch hob und senkte und dabei die morgendliche Sonnenenergie, wie eine eben geborene Kreatur, tief und genüsslich in sich einsog.
Dieser Energie schien es auch geschuldet oder gedankt, dass sich das 17jährige Mädchen plötzlich und wild, wie zu den Klängen einer lautlosen Musik, um sich selbst zu drehen begann. Sein einfaches Morgenkleid breitete sich unter ihm zu einer Glockenform aus, die mit jeder Drehung weiter wurde und höher schwang. Shakiras Atem ging keuchend und ihr Busen schien ihr das Mieder sprengen zu wollen, doch sie schonte sich nicht bei diesem Tanz, der immer schneller und ekstatischer wurde, und der in einem Lachen gipfelte, das ganz leise glucksend begann, lauter wurde, und in einem langen glücksseligen Schrei verebbte…
Shakira fing sich, sie atmete mehrmals tief durch und blickte sich, wie ernüchtert, im östlichen Vorhof des Palastes, um. Eben im Tanz hatte sie doch etwas gesehen, was ihr unbekannt war. Oder hatte sie sich getäuscht und der Tanz gaukelten ihr Bilder vor, die nicht wirklich waren? Doch, mit prüfenden und misstrauischen Blick suchten ihre Augen weiter. Plötzlich hielt sie inne und rief siegessicher:
„ Ha, habe ich mich doch nicht getäuscht. Bei Allah, ein Haufen Lumpen am Brunnen in unserem wunderschönen östlichen Vorhof. Sind den die Sklaven des Vorhofes mit Blindheit geschlagen. Nur gut, dass das der Großwesir noch nicht gesehen hat! Ich glaube, da werde ich mich jetzt mal selbst kümmern müssen. So eine Unordnung! Der Großwesir löst, normalerweise schon bei kleineren Vergehen bei den Verantwortlichen, eine gewisse Kopflosigkeit aus!“
Sie schüttelte den Kopf, wie ihr Vater und trat einige Schritte auf das Ärgernis zu. Plötzlich sah sie etwas, sprang einen Schritt zurück und stieß einen spitzen Schrei aus:
„Hilfe, die Lumpen bewegen sich, beim Scheitan, was geht hier vor!“
Die, wie Lumpenhaufen anmutende, Unordnung war Mukhtar, der durch die Schreie der Prinzessin unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Er räkelte sich genüsslich und zeigte sofort ein blitzendes Lachen, dass die Prinzessin den ersten Schreck schnell vergessen ließ.
„Ah, ich habe gut geschlafen! Jetzt eine Zahnbürste und ein kräftiges Frühstück und dann sieht die Welt gleich wieder besser aus!“
Mukhtar schaute sich um, sah zu der Prinzessin, ließ seinen Blick durch den Vorhof wandern und verzog sein Gesicht zu einer angestrengten und nachdenklichen Miene. Er kratzte sich den Hinterkopf und fragte:
„Wo bin ich?“
Prinzessin Shakira schien plötzlich die Sache unter Kontrolle zu haben. Sie maß das fremde Subjekt mit staunenden Blicken und erwiderte, getreu seiner Frage, kess und ebenso knapp:
„Im Palast des Sultans!“ Mukhtar, kratzte sich verlegen oder um
„Oh, du Göttin der Morgenröte, Tochter der Sonne, wer bist Du?“
Das klang ziemlich tölpelhaft und ungeschickt. Das war nichts, überhaupt nichts! Im Stillen schalt er sich einen Dummkopf, der jetzt alles, gleich zu Anfang, zerstört zu haben glaubte. Doch, was er dann hörte, machte ihm wieder Mut:
„Man nennt mich Nefa, ich bin eine Sklavin des Sultans.“, log die Prinzessin, die ihrerseits auch plötzlich das unbestimmte Gefühl verspürte, Zeit gewinnen zu müssen!
Mukhtar, dessen Herz bei dem Wort Sklavin einen Sprung gemacht hatte, wurde plötzlich vollkommen gelassen und fand sofort Geduld und Spucke, um zu seiner alten und gewohnten Form zurückzufinden:
„Ich hätte gedacht, dass du Prinzessin Shakira bist, die mit ihrer sagenumwobenen Schönheit ganz schön Furore im Volk und besonders im männlichen Teil des Volkes macht, denn, wie eine Sklavin siehst du nun wirklich nicht aus!“
Prinzessin Shakira, die plötzlich, nicht wegen ihrer Lüge, nicht wegen der richten Fährte, auf der sich Mukhtar befand, sondern aus einem völlig anderen, sich unheimlich gut anfühlenden, Grund, ganz heiße Ohren bekommen hatte, versuchte, etwas aus der Fassung gebracht, seine Vermutung, wie beiläufig, zu hinterfragen:
„Wieso, kennst du etwa Sklaven?“
„Ja, natürlich in der Karawanserei, eine Meile hinter unserem Dorf, habe ich mal welche gesehen. Die hatten kaum einen Fetzen auf dem Leib. Dieses Bild, will einfach nicht zu dir, als Sklavin passen!“
Das war und klang ehrlich. Mukhtar redete, jetzt wo er nicht Shakira, sondern die Sklavin Nefa vor sich glaubte, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
„...Ich bin aber eine Sklavin des Sultans!“, erklärte sie fast entschuldigend, fuhr jedoch fröhlich plappernd fort:
„Weißt du eigentlich, was der Name Nefa bedeutet?“
Der Prinzessin begann das kleine Spiel mit Mukhtar Spaß zu bereiten. Sie wollte sich nur noch mit dem jungen Mann mit dem klugen Gesicht unterhalten, weil sie spürte, dass von ihm etwas ausging, was sie nicht kannte, aber unbedingt kennen lernen wollte. Mukhtar schien ihr so ein interessanter Gesprächspartner, dass sie plötzliche, ohne das sie es so rechte wollte, versuchte, ihm ebenbürtig zu sein. Der junge Mann, der ihre Wandlung wohl bemerkte, sich jedoch keine Zeit nahm, nach ihrer Ursache zu forschen, meinte geradezu:
„Ich habe keinen blassen Schimmer!“
„Na, die Nützliche! Nefa bedeutet, die Nützliche!“
Prinzessin Shakira ärgerte sich, dass sie in ihrem Überschwang, ihm etwas Neues zu verraten, dieses Neue gleich zweimal gesagt hatte, doch Mukhtar, der darauf gar nicht geachtet hatte, ritt sein Steckenpferd, denn er trompetete fröhlich:
„Gib nicht so an!“
Jetzt tat es Shakira Mukhtar nach, wandte sich rauschend von ihm ab, drehte sich ebenso schnell wieder zurück und schaute ihm herausfordernd in die Augen:
„Ich und angeben? Bah, das ich nicht lache! Reden wir doch einmal zur Abwechslung über dich! Wer bist du, dass du hier so große Töne spuckst? Tauchst hier einfach so auf, begehst Palastfriedensbruch und nächtigst an fremden Brunnen in fremden Vorhöfen! Bist du etwa ein Prinz? Nein, dafür sind deine Kleider zu schäbig! Oder bist du vielleicht ein Gemeiner aus dem Volk, ein Halunke oder vielleicht nur ein einfacher Sklave?“
Mukhtar, von dieser Frage überrascht, versuchte nun auch wieder Zeit zu schinden. Er erhob sich und begann, um die Antwort auf ihre Frage möglichst spannend klingen zu lassen, eine Wanderung durch den Hof. In Wirklichkeit, wusste er nicht, ob er ihr seine wahre Geschichte erzählen soll oder lieber nicht. Da fielen ihm seine Pantoffeln ein:
„Ich bin Mukhtar aus einem Dorf, vor den Toren Maons. Mein Vater war ein rechtschaffener Schuhflicker, Gott sei seiner armen Seele gnädig! Und außerdem bin ich ein professioneller Schnellläufer. Man nennt mich auch den schnellen Mukhtar! Ich will es mit Murad aufnehmen und werde ihn im Zweikampf besiegen!“
Prinzessin Shakira hielt sich erschrocken beide Hände vor den Mund und weitete erstaunt ihre Augen:
„Bei Allah, du Kugelfisch willst ein Schnell-Läufer sein? So siehst du aber nicht aus! Oh, ich kenne diese Typen, die sich unten an den Stadtmauern herumdrücken! Ich weiß auch, wie sie sich nennen Schlangenbeschwörer, Gaukler, Fakire Wahrsager und neuerdings kommen noch die Schnellläufer hinzu! Weißt du wie ich die alle nenne?“
Mukhtar schaute die traurig wirkende Prinzessin kopfschüttelnd an:
„Ich nenne sie Lebenskünstler! Wenn sie Glück haben und in keiner Ehe- oder eheähnlichen Gemeinschaft leben, werden sie in der heutigen Zeit schnell zu Hartzallah-Almosen-Empfänger. Dein Vater übte noch einen ehrbaren Beruf aus! Warum hast du ihn nicht einfach von ihm gelernt? Flickschuster werden bestimmt immer gebraucht! Gerade in der Zeit, wo der Sultano nicht mehr so locker sitzt um sich jedes Jahr ein paar neue Schuhe bei Oner oder Reichmann zu leisten. Gerade in dieser Zeit, wo selbst ein rechtschaffener Mann sein Schuhwerk immer noch einmal flicken lässt. Handwerk besitzt eben, obwohl mein Va… äh ich meine der Sultan schon vieles aus dem Reich der Mitte, aus dem Land der Untergehenden Sonne oder aus Übersee kommen lässt, immer noch Goldenen Boden. Weil es billiger ist, meint der Sultan! Damit wird den Handwerkern zwar gründlich die Luft abgedreht, aber sie können überleben - immerhin!“
Shakira hatte sich in Rage geredet und Mukhtar wurde nach jedem Wort von ihr immer blasser. Er wollte nicht als Lebenskünstler gelten, obwohl er, wenn man es genau nimmt, einer war. Er wusste, dass er sich seine Zauberdinge mit ehrlicher Arbeit und ohne niedere Absichten, so wie sein ehemaliger Dorfältester, verdient hatte, und dass er diese einmalige Chance einfach nutzen musste, um mit ihnen sein Kapital und Glück zu machen, darum war er schließlich hier. Er hatte sich, mit seiner stummen Rechtfertigung, alle aufkommenden Ängste von der Seele geschoben und schaute Shakira nun freundlich und offen an und erklärte im Brusttone der Überzeugung.
„Natürlich hast du Recht, Nefa, aber jeder braucht, um erfolgreich zu sein, sein kleines Geheimnis. Die Handwerker haben auch ihre kleinen Geheimnisse! Da verriet mir zum Beispiel mal ein Zimmermann sein Erfolgsgeheimnis! Er sagte: „Wenn du einen Job annimmst und Fehler dabei machst, musst du diese Fehler so geschickt verbergen können, dass es der Kunde nicht merkt! Eigentlich ganz einfach! Oder? Ja, und mein Geheimnis, unter uns, ich dürfte dir mein Geheimnis überhaupt nicht anvertrauen, aber, da ich dir, aus mir unbekannten Gründen, vertraue…! Also: Meine Gegner unterschätzen mich alle. Das ist ihr Pech! Sie sehen in mir einen fußkranken, lahmen Sonderling und keine Konkurrenz! Doch ich entwickle plötzlich eine Geschwindigkeit, die mir keiner zutraut! Und dann erringe ich jeden Sieg, und das ist mein Kapital!“, erklärte Mukhtar schlicht, ohne mit einer Wimper zu zucken!
„Sag mal!“, Shakira versuchte ruhig zu bleiben.
„Einfach so? Murad ist noch nie geschlagen worden! Ich meine, da kamen schon wahre Lauf-Koryphäen…! Und jetzt kommst du einfach so daher… Nein! Willst du etwa im Zweikampf neben dem schnellen Murad herrollen, willst es wie ein Igel machen, wenn der Fuchs kommt. Ist das vielleicht dein Erfolgsgeheimnis? Ha, ha, ha, entschuldige bitte, schon bei der Vorstellung muss ich mich köstlich amüsieren. Doch jetzt mal im Ernst! Weißt Du, dass der Sultan jedem Verlierer den Kopf abschlagen lässt!“
Mukhtar, der keine Ahnung hatte, wie er weiter verfahren sollte, musste nun, Wohl oder Übel, sein Spiel fortsetzen
„Ich weiß!“, konterte er so selbstbewusst er nur konnte:
„Der Kopf Murads wackelt schon verdächtig. Er weiß es bloß noch nicht!“
Die Ruhe der Prinzessin war dahin. Sie dachte bei sich:
„Da hat sich plötzlich das Leben vor mir aufgetan und bietet mir so einen Mann an! Ein Mann mit dem ich super reden kann, der mir einfach zuhört und der zuweilen auch noch putzige und gelegentlich recht tiefsinnige ist! Und dieser Mann will sich dann einfach so aus sportlichem Ehrgeiz heraus oder aus Jux oder Tollerei, umbringen lassen?“
Sie ließ hilflos beide Arme baumeln, schaute ihn ernst an und flüsterte mit drohendem Unterton:
„Gut! Wenn du mich nicht hören kannst, so lies von meinen Lippen ab: Kennst du die Bedeutung des Satzes: „Alle Verlierer werden hingerichtet? Kopf kürzer, Rübe ab! Verstehst du?“
Dann schrie sie laut und unbeherrscht:
„Bei allen Teufeln! Welcher von denen hat dich nur geritten!“
Mukhtar stand vor ihr mit einem feinen Lächeln im Gesicht und sagte, mit heißerer und begeisterter Stimme, so, als ob sie überhaupt nichts gesagt hätte:
„Wenn du mir hilfst bis zum Sultan vorzudringen, wirst du meine Frau und wir teilen uns die Siegesprämie, denn ich werde der Gewinner sein!“
Prinzessin Shakira verschlug es die Sprache. Sie ließ Mukhtar einfach stehen und lief Gedankenversunken zur Balustrade, drehte sich zu ihm um und schüttelte erneut den Kopf. Mukhtar hatte stumm beide Arme ausgestreckt und schaute sie flehendlich an:
„Was ist das nur für ein sonderbarer Mensch? Will der sich einfach so umbringen lassen oder hütet er irgendein Mysterium, ein Zauber oder sonst irgendwas, was ihm wirklich zum Gewinner macht? Rätsel über Rätsel! Taucht hier jäh, so mir nicht, dir nichts, auf und versucht ohne Umschweife, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, ins Allerheiligste des Sultanpalastes vorzudringen und will obendrein noch den Großen Murad zum Wettlauf herauszufordern! Ich fasse es nicht.“
Sie drehte sich von der Balustrade weg, ging auf ihn zu und fragte mit todernstem Gesicht:
„Sag mal, was hast du dir bloß gedacht? Musst du diesen Nervenkitzel haben?“
Sie setzte sich auf den Rand des Brunnens und schaute ihn, da er ihr die Antwort schuldig blieb, lange und unverwandt an.
„Schau mal“, fuhr sie fort, „da ist eine Stelle als Küchenjunge frei, die könntest du haben und wir hätten jeden Abend Zeit zum Reden oder so! Ich hörte auch von einem freien Job in den hängenden Gärten des Sultans. Auch dort wäre dein Tagwerk am Abend beendet und uns bliebe jede Menge Zeit zum small talk, bei einem Krug Wein oder so!“
Mukhtar schaute sie an, als sei sie von einem anderen Stern:
„Arbeitest du jetzt als Jobvermittlerin?“
Mukhtar ärgerte sich über seinen rüden Ton und schaute sie schnell fast flehendlich an, doch sie wandte sich ab und schüttelte traurig ihren Kopf:
„Nein, das kann ich so nicht stehen lassen!“, schoss es ihn durch den Kopf, sprang auf und rief:
„Küchenjunge, das ist doch öde! Den ganzen Tag nur an der Geschirrspülmaschine abhängen und sich das hohle Geschwätz der blasierten Dienerschaft anhören zu müssen, dazu habe ich keinen Bock. Und arbeiten in den hängenden Gärten, da wird mir speiübel, schließlich bin ich nicht schwindelfrei! Nein, Nefa, ich will es mir und dir beweisen, den schnellen Murad im Wettlauf besiegen und uns für die Siegesprämie ein Häuschen kaufen!“
Nefa, mein Morgenstern, warum glaubst du nicht an mich? Ich will doch alles für dich tun, nur nicht als Küchenjunge im Kopf oder sonst wo aufweichen oder mich in den Sicherheitsleinen in den Hängenden Gärten des Sultans strangulieren!“
Er sprang auf, fasste sie bei der Taille, sah ihr tief in die Augen und flüsterte:
„Dein Körper ist gleich einem Tautropfen am Morgen!
Deine Brüste sind wie zwei saftige Granatäpfel!
Dein sinnlicher Mund gleicht dem Rot des Feuerfisches!
Deine Augen besitzen das alles verzehrende Feuer der Achate!
Und dein Verstand ist so scharf wie ein Diamant und schnell wie ein Wiesel!
Lass mich nur machen, dann machen wir auch unser Glück!“
Prinzessin Shakira, versuchte sich, im Wechselbad ihrer Gefühle, seinen Betörungen zu entziehen, sie löste sich sanft aus seiner Umklammerung und taumelte wie betäubt einen Schritt zurück. Sie fasste sich, so wie es Prinzessin tun, ehe sie in Ohnmacht fallen, an den Kopf und versuchte ein krampfhaftes Lächeln:
„Halt, halt nicht so schnell!“, hauchte sie benommen, straffte sich aber kurz darauf, trat noch einen Schritt zurück und rief empört:
„Sag mal, bist du immer so schnell? Na, dass könnte ja eventuell heiter werden! Aber wahrscheinlich bist du toll, verrückt oder übergeschnappt ! Alle Zeichen sprechen dafür ! Heißt es nicht immer: Verrückten sollte man nicht widersprechen? Gut, ich widerspreche dir nicht mehr und werde dir auch, nach meinen Möglichkeiten als Sklavin, helfen. Du wirst bis zum Beginn des Wettlaufes, in einer Kammer im Lakaiensaal Unterschlupf finden, denn hier am Brunnen kannst du natürlich nicht bleiben! Ich werde ein Gerücht streuen, dass Murad einen neuen Herausforderer hat, da wird es nicht lange dauern und du wirst vor dem Sultan Gehör finden! Aber glaube nicht, dass ich mich bei Murad persönlich, nur um deiner Gewinnsucht willen, für dich verwende, dass ficht mal schön alleine aus! Ich wasche meine Hände in Unschuld…!“
„Gleich muss es soweit sein. Gleich wird mich die Sonne küssen!“, dachte sie voller Vorfreude, als ihre anmutigen Mandelaugen auf den Horizont blickten, der bereits in ein feuriges Rot getaucht war. Und wirklich begannen nun die roten Sonnenvorboten ihr samtenes Licht, immer stärker und heller über die gesamte Wüste, bis hin zu dem Sultanpalast und darüber hinaus auszugießen. Die Prinzessin hob ihre beiden Arme und ein belebender Windstoß durchfuhr ihr pechschwarzes, gelocktes Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte und dass sie ganz schlicht und offen trug. Der kräftige Windstoß erfasste ihr Haar und trug es, wie ein Banner nach oben. Das war der Augenblick, den sie so liebte, der Augenblick, der sie aus ihren muffigen Gemächern an die frische Luft trieb, der Augenblick, den sie jeden Morgen in vollen Zügen genoß! Sie vergaß dabei sogar, dass sie die Prinzessin war. Und dass diese Ausflüge in den östlichen Vorhof auch noch kleine Abenteuer in sich bargen, machten diese Ausflüge auch nicht gerade langweilig! Im Gegenteil: Es stachelte sie umso mehr, auch gegen den Willen ihres Vaters, an, denn in ihrem Blut rauschten Abenteuer- und Unternehmungsgeist ihrer Mutter mit ihrer eigenen Leidenschaftlichkeit um die Wette. Sie konnte nur nachsichtig und fast müde lächeln, wenn ihr Vater, der Sultan, mit aufgesetzter Strenge und erhobenen Zeigefinger, sagte: „Liebes Töchterchen, es geziemt sich für eine Prinzessin einfach nicht, wie eine Gemeine aus unserer niedersten Kaste, durch den gesamten Palast in den Vorhof zu schleichen, dort möglicherweise noch mit Sklaven Kontakt zu bekommen, nur, um dem ewiglich langweiligen Spiel der Sonne beizuwohnen!“ , dabei seufzte er immer tief, senkte sein weishaariges Haupt und schüttelte es betont lange.
Die Prinzessin dachte nicht daran auf die Worte ihres Vaters zu hören. Stattdessen ließ sich täglich etwas einfallen, um dem Willen ihres Vaters, der Aufsichtspflicht ihrer Amme Aischa und den Wachen zu entfliehen. Sie nahm es als lustigen Frühsport und als Wettstreit. Ein Wettstreit, den sie, immer auf neuen Wegen in den östlichen Vorhof, in der Regel sechs bis sieben Mal in der Woche, gewann. Sie brauchte diese morgendliche Stunde. Sie verschaffte ihr einen guten Start in den Tag, gab ihr einen inneren Ausgleich zu dem öden Alltagsgeschäft einer Prinzessin und hielt das junge, ungestüme Mädchen in ihr wach, das, genau wie eine junge Stute, den freien Auslauf einer straffen Laufleine vorzog.
Endlich, die ersten Sonnenstrahlen trafen gleißend auf ihr ebenmäßiges Gesicht, erleuchten die verwegene, leicht gekrümmte Nase und irrlichterten in ihren braunen, Augen, so dass sie diese für den Moment geblendet schließen musste. Der, von vollendet ebenmäßigen Brauen überschattete Blick, spannte sich dann, gemeinsam mit ihren vollen, sinnlichen Lippen, zu einem wunderschönen Lächeln. Dabei entstanden zwei tiefe Wangengrübchen, die ihr Entschlossenheit verliehen und ihr fröhliches Wesen, nur noch verstärkten. Prinzessin Shakira war wie eine Anbetende, die ihre beiden Arme euphorisch hob und senkte und dabei die morgendliche Sonnenenergie, wie eine eben geborene Kreatur, tief und genüsslich in sich einsog.
Dieser Energie schien es auch geschuldet oder gedankt, dass sich das 17jährige Mädchen plötzlich und wild, wie zu den Klängen einer lautlosen Musik, um sich selbst zu drehen begann. Sein einfaches Morgenkleid breitete sich unter ihm zu einer Glockenform aus, die mit jeder Drehung weiter wurde und höher schwang. Shakiras Atem ging keuchend und ihr Busen schien ihr das Mieder sprengen zu wollen, doch sie schonte sich nicht bei diesem Tanz, der immer schneller und ekstatischer wurde, und der in einem Lachen gipfelte, das ganz leise glucksend begann, lauter wurde, und in einem langen glücksseligen Schrei verebbte…
Shakira fing sich, sie atmete mehrmals tief durch und blickte sich, wie ernüchtert, im östlichen Vorhof des Palastes, um. Eben im Tanz hatte sie doch etwas gesehen, was ihr unbekannt war. Oder hatte sie sich getäuscht und der Tanz gaukelten ihr Bilder vor, die nicht wirklich waren? Doch, mit prüfenden und misstrauischen Blick suchten ihre Augen weiter. Plötzlich hielt sie inne und rief siegessicher:
„ Ha, habe ich mich doch nicht getäuscht. Bei Allah, ein Haufen Lumpen am Brunnen in unserem wunderschönen östlichen Vorhof. Sind den die Sklaven des Vorhofes mit Blindheit geschlagen. Nur gut, dass das der Großwesir noch nicht gesehen hat! Ich glaube, da werde ich mich jetzt mal selbst kümmern müssen. So eine Unordnung! Der Großwesir löst, normalerweise schon bei kleineren Vergehen bei den Verantwortlichen, eine gewisse Kopflosigkeit aus!“
Sie schüttelte den Kopf, wie ihr Vater und trat einige Schritte auf das Ärgernis zu. Plötzlich sah sie etwas, sprang einen Schritt zurück und stieß einen spitzen Schrei aus:
„Hilfe, die Lumpen bewegen sich, beim Scheitan, was geht hier vor!“
Die, wie Lumpenhaufen anmutende, Unordnung war Mukhtar, der durch die Schreie der Prinzessin unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Er räkelte sich genüsslich und zeigte sofort ein blitzendes Lachen, dass die Prinzessin den ersten Schreck schnell vergessen ließ.
„Ah, ich habe gut geschlafen! Jetzt eine Zahnbürste und ein kräftiges Frühstück und dann sieht die Welt gleich wieder besser aus!“
Mukhtar schaute sich um, sah zu der Prinzessin, ließ seinen Blick durch den Vorhof wandern und verzog sein Gesicht zu einer angestrengten und nachdenklichen Miene. Er kratzte sich den Hinterkopf und fragte:
„Wo bin ich?“
Prinzessin Shakira schien plötzlich die Sache unter Kontrolle zu haben. Sie maß das fremde Subjekt mit staunenden Blicken und erwiderte, getreu seiner Frage, kess und ebenso knapp:
„Im Palast des Sultans!“ Mukhtar, kratzte sich verlegen oder um
„Oh, du Göttin der Morgenröte, Tochter der Sonne, wer bist Du?“
Das klang ziemlich tölpelhaft und ungeschickt. Das war nichts, überhaupt nichts! Im Stillen schalt er sich einen Dummkopf, der jetzt alles, gleich zu Anfang, zerstört zu haben glaubte. Doch, was er dann hörte, machte ihm wieder Mut:
„Man nennt mich Nefa, ich bin eine Sklavin des Sultans.“, log die Prinzessin, die ihrerseits auch plötzlich das unbestimmte Gefühl verspürte, Zeit gewinnen zu müssen!
Mukhtar, dessen Herz bei dem Wort Sklavin einen Sprung gemacht hatte, wurde plötzlich vollkommen gelassen und fand sofort Geduld und Spucke, um zu seiner alten und gewohnten Form zurückzufinden:
„Ich hätte gedacht, dass du Prinzessin Shakira bist, die mit ihrer sagenumwobenen Schönheit ganz schön Furore im Volk und besonders im männlichen Teil des Volkes macht, denn, wie eine Sklavin siehst du nun wirklich nicht aus!“
Prinzessin Shakira, die plötzlich, nicht wegen ihrer Lüge, nicht wegen der richten Fährte, auf der sich Mukhtar befand, sondern aus einem völlig anderen, sich unheimlich gut anfühlenden, Grund, ganz heiße Ohren bekommen hatte, versuchte, etwas aus der Fassung gebracht, seine Vermutung, wie beiläufig, zu hinterfragen:
„Wieso, kennst du etwa Sklaven?“
„Ja, natürlich in der Karawanserei, eine Meile hinter unserem Dorf, habe ich mal welche gesehen. Die hatten kaum einen Fetzen auf dem Leib. Dieses Bild, will einfach nicht zu dir, als Sklavin passen!“
Das war und klang ehrlich. Mukhtar redete, jetzt wo er nicht Shakira, sondern die Sklavin Nefa vor sich glaubte, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
„...Ich bin aber eine Sklavin des Sultans!“, erklärte sie fast entschuldigend, fuhr jedoch fröhlich plappernd fort:
„Weißt du eigentlich, was der Name Nefa bedeutet?“
Der Prinzessin begann das kleine Spiel mit Mukhtar Spaß zu bereiten. Sie wollte sich nur noch mit dem jungen Mann mit dem klugen Gesicht unterhalten, weil sie spürte, dass von ihm etwas ausging, was sie nicht kannte, aber unbedingt kennen lernen wollte. Mukhtar schien ihr so ein interessanter Gesprächspartner, dass sie plötzliche, ohne das sie es so rechte wollte, versuchte, ihm ebenbürtig zu sein. Der junge Mann, der ihre Wandlung wohl bemerkte, sich jedoch keine Zeit nahm, nach ihrer Ursache zu forschen, meinte geradezu:
„Ich habe keinen blassen Schimmer!“
„Na, die Nützliche! Nefa bedeutet, die Nützliche!“
Prinzessin Shakira ärgerte sich, dass sie in ihrem Überschwang, ihm etwas Neues zu verraten, dieses Neue gleich zweimal gesagt hatte, doch Mukhtar, der darauf gar nicht geachtet hatte, ritt sein Steckenpferd, denn er trompetete fröhlich:
„Gib nicht so an!“
Jetzt tat es Shakira Mukhtar nach, wandte sich rauschend von ihm ab, drehte sich ebenso schnell wieder zurück und schaute ihm herausfordernd in die Augen:
„Ich und angeben? Bah, das ich nicht lache! Reden wir doch einmal zur Abwechslung über dich! Wer bist du, dass du hier so große Töne spuckst? Tauchst hier einfach so auf, begehst Palastfriedensbruch und nächtigst an fremden Brunnen in fremden Vorhöfen! Bist du etwa ein Prinz? Nein, dafür sind deine Kleider zu schäbig! Oder bist du vielleicht ein Gemeiner aus dem Volk, ein Halunke oder vielleicht nur ein einfacher Sklave?“
Mukhtar, von dieser Frage überrascht, versuchte nun auch wieder Zeit zu schinden. Er erhob sich und begann, um die Antwort auf ihre Frage möglichst spannend klingen zu lassen, eine Wanderung durch den Hof. In Wirklichkeit, wusste er nicht, ob er ihr seine wahre Geschichte erzählen soll oder lieber nicht. Da fielen ihm seine Pantoffeln ein:
„Ich bin Mukhtar aus einem Dorf, vor den Toren Maons. Mein Vater war ein rechtschaffener Schuhflicker, Gott sei seiner armen Seele gnädig! Und außerdem bin ich ein professioneller Schnellläufer. Man nennt mich auch den schnellen Mukhtar! Ich will es mit Murad aufnehmen und werde ihn im Zweikampf besiegen!“
Prinzessin Shakira hielt sich erschrocken beide Hände vor den Mund und weitete erstaunt ihre Augen:
„Bei Allah, du Kugelfisch willst ein Schnell-Läufer sein? So siehst du aber nicht aus! Oh, ich kenne diese Typen, die sich unten an den Stadtmauern herumdrücken! Ich weiß auch, wie sie sich nennen Schlangenbeschwörer, Gaukler, Fakire Wahrsager und neuerdings kommen noch die Schnellläufer hinzu! Weißt du wie ich die alle nenne?“
Mukhtar schaute die traurig wirkende Prinzessin kopfschüttelnd an:
„Ich nenne sie Lebenskünstler! Wenn sie Glück haben und in keiner Ehe- oder eheähnlichen Gemeinschaft leben, werden sie in der heutigen Zeit schnell zu Hartzallah-Almosen-Empfänger. Dein Vater übte noch einen ehrbaren Beruf aus! Warum hast du ihn nicht einfach von ihm gelernt? Flickschuster werden bestimmt immer gebraucht! Gerade in der Zeit, wo der Sultano nicht mehr so locker sitzt um sich jedes Jahr ein paar neue Schuhe bei Oner oder Reichmann zu leisten. Gerade in dieser Zeit, wo selbst ein rechtschaffener Mann sein Schuhwerk immer noch einmal flicken lässt. Handwerk besitzt eben, obwohl mein Va… äh ich meine der Sultan schon vieles aus dem Reich der Mitte, aus dem Land der Untergehenden Sonne oder aus Übersee kommen lässt, immer noch Goldenen Boden. Weil es billiger ist, meint der Sultan! Damit wird den Handwerkern zwar gründlich die Luft abgedreht, aber sie können überleben - immerhin!“
Shakira hatte sich in Rage geredet und Mukhtar wurde nach jedem Wort von ihr immer blasser. Er wollte nicht als Lebenskünstler gelten, obwohl er, wenn man es genau nimmt, einer war. Er wusste, dass er sich seine Zauberdinge mit ehrlicher Arbeit und ohne niedere Absichten, so wie sein ehemaliger Dorfältester, verdient hatte, und dass er diese einmalige Chance einfach nutzen musste, um mit ihnen sein Kapital und Glück zu machen, darum war er schließlich hier. Er hatte sich, mit seiner stummen Rechtfertigung, alle aufkommenden Ängste von der Seele geschoben und schaute Shakira nun freundlich und offen an und erklärte im Brusttone der Überzeugung.
„Natürlich hast du Recht, Nefa, aber jeder braucht, um erfolgreich zu sein, sein kleines Geheimnis. Die Handwerker haben auch ihre kleinen Geheimnisse! Da verriet mir zum Beispiel mal ein Zimmermann sein Erfolgsgeheimnis! Er sagte: „Wenn du einen Job annimmst und Fehler dabei machst, musst du diese Fehler so geschickt verbergen können, dass es der Kunde nicht merkt! Eigentlich ganz einfach! Oder? Ja, und mein Geheimnis, unter uns, ich dürfte dir mein Geheimnis überhaupt nicht anvertrauen, aber, da ich dir, aus mir unbekannten Gründen, vertraue…! Also: Meine Gegner unterschätzen mich alle. Das ist ihr Pech! Sie sehen in mir einen fußkranken, lahmen Sonderling und keine Konkurrenz! Doch ich entwickle plötzlich eine Geschwindigkeit, die mir keiner zutraut! Und dann erringe ich jeden Sieg, und das ist mein Kapital!“, erklärte Mukhtar schlicht, ohne mit einer Wimper zu zucken!
„Sag mal!“, Shakira versuchte ruhig zu bleiben.
„Einfach so? Murad ist noch nie geschlagen worden! Ich meine, da kamen schon wahre Lauf-Koryphäen…! Und jetzt kommst du einfach so daher… Nein! Willst du etwa im Zweikampf neben dem schnellen Murad herrollen, willst es wie ein Igel machen, wenn der Fuchs kommt. Ist das vielleicht dein Erfolgsgeheimnis? Ha, ha, ha, entschuldige bitte, schon bei der Vorstellung muss ich mich köstlich amüsieren. Doch jetzt mal im Ernst! Weißt Du, dass der Sultan jedem Verlierer den Kopf abschlagen lässt!“
Mukhtar, der keine Ahnung hatte, wie er weiter verfahren sollte, musste nun, Wohl oder Übel, sein Spiel fortsetzen
„Ich weiß!“, konterte er so selbstbewusst er nur konnte:
„Der Kopf Murads wackelt schon verdächtig. Er weiß es bloß noch nicht!“
Die Ruhe der Prinzessin war dahin. Sie dachte bei sich:
„Da hat sich plötzlich das Leben vor mir aufgetan und bietet mir so einen Mann an! Ein Mann mit dem ich super reden kann, der mir einfach zuhört und der zuweilen auch noch putzige und gelegentlich recht tiefsinnige ist! Und dieser Mann will sich dann einfach so aus sportlichem Ehrgeiz heraus oder aus Jux oder Tollerei, umbringen lassen?“
Sie ließ hilflos beide Arme baumeln, schaute ihn ernst an und flüsterte mit drohendem Unterton:
„Gut! Wenn du mich nicht hören kannst, so lies von meinen Lippen ab: Kennst du die Bedeutung des Satzes: „Alle Verlierer werden hingerichtet? Kopf kürzer, Rübe ab! Verstehst du?“
Dann schrie sie laut und unbeherrscht:
„Bei allen Teufeln! Welcher von denen hat dich nur geritten!“
Mukhtar stand vor ihr mit einem feinen Lächeln im Gesicht und sagte, mit heißerer und begeisterter Stimme, so, als ob sie überhaupt nichts gesagt hätte:
„Wenn du mir hilfst bis zum Sultan vorzudringen, wirst du meine Frau und wir teilen uns die Siegesprämie, denn ich werde der Gewinner sein!“
Prinzessin Shakira verschlug es die Sprache. Sie ließ Mukhtar einfach stehen und lief Gedankenversunken zur Balustrade, drehte sich zu ihm um und schüttelte erneut den Kopf. Mukhtar hatte stumm beide Arme ausgestreckt und schaute sie flehendlich an:
„Was ist das nur für ein sonderbarer Mensch? Will der sich einfach so umbringen lassen oder hütet er irgendein Mysterium, ein Zauber oder sonst irgendwas, was ihm wirklich zum Gewinner macht? Rätsel über Rätsel! Taucht hier jäh, so mir nicht, dir nichts, auf und versucht ohne Umschweife, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, ins Allerheiligste des Sultanpalastes vorzudringen und will obendrein noch den Großen Murad zum Wettlauf herauszufordern! Ich fasse es nicht.“
Sie drehte sich von der Balustrade weg, ging auf ihn zu und fragte mit todernstem Gesicht:
„Sag mal, was hast du dir bloß gedacht? Musst du diesen Nervenkitzel haben?“
Sie setzte sich auf den Rand des Brunnens und schaute ihn, da er ihr die Antwort schuldig blieb, lange und unverwandt an.
„Schau mal“, fuhr sie fort, „da ist eine Stelle als Küchenjunge frei, die könntest du haben und wir hätten jeden Abend Zeit zum Reden oder so! Ich hörte auch von einem freien Job in den hängenden Gärten des Sultans. Auch dort wäre dein Tagwerk am Abend beendet und uns bliebe jede Menge Zeit zum small talk, bei einem Krug Wein oder so!“
Mukhtar schaute sie an, als sei sie von einem anderen Stern:
„Arbeitest du jetzt als Jobvermittlerin?“
Mukhtar ärgerte sich über seinen rüden Ton und schaute sie schnell fast flehendlich an, doch sie wandte sich ab und schüttelte traurig ihren Kopf:
„Nein, das kann ich so nicht stehen lassen!“, schoss es ihn durch den Kopf, sprang auf und rief:
„Küchenjunge, das ist doch öde! Den ganzen Tag nur an der Geschirrspülmaschine abhängen und sich das hohle Geschwätz der blasierten Dienerschaft anhören zu müssen, dazu habe ich keinen Bock. Und arbeiten in den hängenden Gärten, da wird mir speiübel, schließlich bin ich nicht schwindelfrei! Nein, Nefa, ich will es mir und dir beweisen, den schnellen Murad im Wettlauf besiegen und uns für die Siegesprämie ein Häuschen kaufen!“
Nefa, mein Morgenstern, warum glaubst du nicht an mich? Ich will doch alles für dich tun, nur nicht als Küchenjunge im Kopf oder sonst wo aufweichen oder mich in den Sicherheitsleinen in den Hängenden Gärten des Sultans strangulieren!“
Er sprang auf, fasste sie bei der Taille, sah ihr tief in die Augen und flüsterte:
„Dein Körper ist gleich einem Tautropfen am Morgen!
Deine Brüste sind wie zwei saftige Granatäpfel!
Dein sinnlicher Mund gleicht dem Rot des Feuerfisches!
Deine Augen besitzen das alles verzehrende Feuer der Achate!
Und dein Verstand ist so scharf wie ein Diamant und schnell wie ein Wiesel!
Lass mich nur machen, dann machen wir auch unser Glück!“
Prinzessin Shakira, versuchte sich, im Wechselbad ihrer Gefühle, seinen Betörungen zu entziehen, sie löste sich sanft aus seiner Umklammerung und taumelte wie betäubt einen Schritt zurück. Sie fasste sich, so wie es Prinzessin tun, ehe sie in Ohnmacht fallen, an den Kopf und versuchte ein krampfhaftes Lächeln:
„Halt, halt nicht so schnell!“, hauchte sie benommen, straffte sich aber kurz darauf, trat noch einen Schritt zurück und rief empört:
„Sag mal, bist du immer so schnell? Na, dass könnte ja eventuell heiter werden! Aber wahrscheinlich bist du toll, verrückt oder übergeschnappt ! Alle Zeichen sprechen dafür ! Heißt es nicht immer: Verrückten sollte man nicht widersprechen? Gut, ich widerspreche dir nicht mehr und werde dir auch, nach meinen Möglichkeiten als Sklavin, helfen. Du wirst bis zum Beginn des Wettlaufes, in einer Kammer im Lakaiensaal Unterschlupf finden, denn hier am Brunnen kannst du natürlich nicht bleiben! Ich werde ein Gerücht streuen, dass Murad einen neuen Herausforderer hat, da wird es nicht lange dauern und du wirst vor dem Sultan Gehör finden! Aber glaube nicht, dass ich mich bei Murad persönlich, nur um deiner Gewinnsucht willen, für dich verwende, dass ficht mal schön alleine aus! Ich wasche meine Hände in Unschuld…!“