Die Sonnenblume oder: "Stirb wohl, kleine Sonja!"

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So morgentaufrisch sah sie aus, als ich sie mir nach Hause holte!
Im Blumenladen hatte ich sie unter vielen ihrer Schwestern als die Schönste ausgesucht.
Zu Hause steckte ich sie in einen tönernen Übertopf, um die Sonnenblume wohl zu kleiden.
Sie war wunderbar gerade gewachsen.
Kräftiger Stängel in der Mitte, gekrönt von einem prächtigen Kopf, flächig braun, seinerseits umrandet vom sattgelben Strahlenkranz.
Anmutige Blattarme, die sich waagrecht und selbstbewusst ausstreckten.
Die Stiele, das faszinierte mich besonders, waren allesamt bedeckt von feinen, weißen, streichelzarten Härchen.
Voller Lebenssaft war die Pflanze. Eine kleine Sonne in meinem Zimmer.
Ich nannte sie Sonja.
Unterhalb von Sonjas Sonnenhaupt schliefen vorerst drei ihrer Kinder. Kleinere, ungeöffnete Köpfchen, die das Licht der Welt noch nicht wirklich erblickt hatten.

Keine Frage, ich hatte nur die besten Absichten.
Diesmal wollte ich alles richtig machen und wollte auch gar nicht mehr an die vielen verwelkten Kräuter, Narzissen, Rosen… denken, die ich schon auf dem Gewissen hatte.
Ich stellte Sonja ins Fenster, wo sie ihre Lichtnahrung erhalten sollte. Nicht zu viel, aber genügend Sonne für die Blume.
Täglich spürte ich nach, ob das Erdreich zu Sonjas Füßen auch ausreichend befeuchtet war. Nicht zu nass, sonst gibt es todbringenden Schimmel, pfui.
Ich fing an, mit dem Gewächs zu reden: „Guten Morgen, liebe Sonja!“ hauchte ich ihr einen Kuss auf den Hinterkopf und „Träum was Schönes“ strich ich sanft einen Gutenachtgruß über eins ihrer hellgrünen Blattarme.
Lächerlich, keine Frage, aber man hört ja immer wieder, dass es hilft, wenn man den Pflanzen gut zuredet.

Sonja sollte sich nicht einsam fühlen.
Jeden Morgen durfte Sonja live dabei sein, wenn die Taube Frieda zu Besuch kam.
Frieda, die weiße Taube, kommt schon seit vielen Jahren einmal täglich zu mir.
Sie landet draußen vorm Fenster und wartet, bis ich ihr öffne.
Ich dachte, das würde einer Sonnenblume gefallen, wenn etwas Lebendiges, Natürliches von draußen hereinkommt.
Und wirklich hatte ich oft das Gefühl, Sonja würde ihren Kopf ein wenig drehen, um mir zuzuschauen, wie ich die liebe Frieda mit Körnern aus der Hand fütterte.

Nur leider: All meinen Bemühungen zum Trotz entwickelte sich Sonja gar nicht gut.
Ihren Blättern schien nach und nach der Saft auszugehen. Nicht mehr ausgestreckt stolz waren sie, sondern bald schon traurig nach unten hängend.
Die Blattränder wurden fransig und braun.
Die Kinderköpfe verkümmerten.
Sonja selbst machte irgendwann völlig zu. Der gelbe Sonnenblumenkranz legte sich nach innen über Sonjas Gesicht, als wollte sie mich nicht mehr sehen.
Ich konnte nichts tun, nur den langsamen Verfall hilflos bemerken.
„Was hast du denn?“ fragte ich die Blume mehrfach, natürlich, ohne eine Antwort zu erhalten.
Zwecklos.

Gestern dann beschloss ich, dass es Zeit wäre für einen Schnitt.
„Sonja“, sagte ich traurig, „Ich weiß nicht, was falsch läuft mit uns. Es tut mir so leid. Du kannst mir nicht sagen, was dich so krank macht, schon klar. Ich komm nicht dahinter.
Aber langsam erkenne ich dich nicht wieder.
Ich mein, du solltest eine Zierde sein und mein Zuhause schöner machen. Aber ehrlich, das schaffst du nicht, nicht mehr. Glaub mir, es ist besser so…“
So sprach ich und zog den Bio-Müll näher an Sonja heran.
Sonja verstand wohl, dass dies nun ihr Grab werden würde.

Und dann, das müsst ihr mir glauben, geschah das Wunder. Das Unerwartete.
Als ich mich wieder zu Sonja umdrehte - ich schwöre es! - lag ihr braunes Köpfchen urplötzlich wieder frei. Als hätte sie noch einmal die Augen aufgemacht. Aufgerissen! Erschreckt standen die schrumpeligen Blütenreste von Sonjas Kopf ab wie eine sehr zerzauste gelbe Frisur.
Ich staunte.
Einer von Sonjas Blattarmen war hochgeschnellt und zeigte nun, ebenso wie Sonjas Kopf, exakt in jene Richtung, in der das Vogelfutterglas im Regal stand.
Die feinen Härchen auf Sonjas Armen hatten sich aufgerichtet, als hätte sie Gänsehaut.
Da hatte ich endlich verstanden.
Sonja hat es mir dann doch noch erklärt.
Sie wollte sagen:
„Sieh hin: SONNENBLUMENKERNE!
Du verfütterst die Ungeborenen!
Wie könnte ich das mitansehen, Tag für Tag?
Du Monster!“

So mussten wir uns trennen.
Es tat mir wirklich sehr leid.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bo-ehd

Mitglied
Was hat es für eine Bewandtnis, dass du jeden Satz in den oberen 2/3 mit einer neuen Zeile beginnst?
Sag mal, wo hat denn dein Prota die Bio-Tonne stehen?
 
Moin Bo-ehd!

„Bio-Tonne“ sag ich auch zum Bio-Müll, der in der Küche steht.
Aber hast recht, ist vielleicht irreführend und nicht ganz korrekt.
Ist geändert, danke für den Hinweis.

Das mit dem Zeilenumbruch hingegen ist ein bewusster Versuch, den Text leserlicher und lesefreundlicher zu gestalten.
Jeder Satz eine neue Zeile statt unübersichtlich dahingewurschtelt.
Ein bisschen in Anlehnung an die um sich greifende „Leichte Sprache“, um auch ungeübte Leser zu ködern, die lange Absätze anstrengend finden.
Kann ich aber auch gerne wieder ändern, wenn es den Lesern hier mehrheitlich missfällt.

Lieben Gruß an den aufmerksamen Bo-ehd,


Erdling
 

Bo-ehd

Mitglied
Hi Dichter Erdling,
hab mir schon sowas gedacht mit der Tonne. Klar, dann ist das okay.

Mit den vielen Absätzen hadere ich nach wie vor. Deine Schreibe ist zu gut für solche Experimente. Neue Absätze sollten immer einen neuen Gedanken o.ä. indizieren. Wenn du damit den Fließtext ständig unterbrichst, leidet der Lesefluss. Mir jedenfalls geht es so.
Das Problem hier ist, dass die Zeilen zu lang sind. Das macht das Lesen anstrengend. Eine Zeitung hat Spalten von 45 und 60mm, ein Taschenbuch von 100-110. Hier haben wir glatt das doppelte.
Gruß Bo-ehd
 



 
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