Die Sprache ist das Gefängnis des Seins

seefeldmaren

Mitglied
Lieber Trivial,

ich würde das Gedicht zunächst auf sein sprachliches Minimum reduzieren - sozusagen ein Gerüst aus Notwendigkeiten - und von dort aus weiterdenken.

Einige Begriffe bereiten mir persönlich Schwierigkeiten, das ist keine allgemeingültige Kritik, sondern Ausdruck individueller Vorlieben. Jeder hat seine eigenen ästhetischen Schwellen. Um es etwas konkreter zu machen:

Begriffe wie „Ewigkeit“, „sanft“, „zart“, „unendlich“ u. Ä. wirken auf mich häufig wie poetische Platzhalter. Streiche probeweise alles, was wie ein Füllsel erscheint, und frage dich dann:

Wie lässt sich das Gedicht weiter aufladen? Benötigte es überhaupt eine weitere Aufladung?

– schwarze Wand.

Neue Worte für Altes.
Alte Worte: neues Leben.

Neue Begriffe - neue Sicht?

Schwarze Wand: unendliche Wörter.
Jedes schwer an Bedeutung.
Jedes: alles.

Am Anfang war das Wort –

Vielleicht helfen Dir meine grundsätzlichen Gedanken weiter.

Maren
 

trivial

Mitglied
Liebe Maren,

danke für deinen Kommentar und den Vorschlag.

Mag sein, dass dir der Text aufgeblasen erscheint – ich sehe es eher umgekehrt: Würde ich ihn auf ein sprachliches Minimum reduzieren, wäre er für mich selbst nur noch ein „poetischer Platzhalter“. Es ging mir um Extreme, um das Übermaß, das Paradoxe zwischen Wissen und Erkenntnis, um das Unmögliche – und um den Verlust des Wesentlichen mit jedem weiteren Wort.

Die absolute Wahrheit – das eine Wort, das eine Zeichen, das alles enthält – ist unaussprechlich.
Aus ihm entspringt das Sein, das erst Verstehen ermöglicht. Doch dieses Verstehen ist immer schon ein Zerfall jener ursprünglichen Wahrheit.

Absolutes Verstehen hieße: Alles wurde benannt. Doch dieses Benennen steht in Ambivalenz zur totalen Sprachverwirrung – denn wenn jedes Wort alles bedeuten kann, bleibt nichts mehr eindeutig.

Am Ende steht eine Welt, in der alles geordnet ist, jedes Ding hat seinen Namen, jede Bedeutung ihren Platz – und genau darin geht Erkenntnis verloren. Es bleibt keine Differenz, kein Verhältnis, kein neues Wissen – nur noch reine Präsenz.

Eine schwarze Wand.

Und aus ihr brechen wir – rückblickend – das erste Wort heraus.

Würde ich den Text reduzieren, käme es mir vor, als würde ich ihn unterlaufen – oder gar ins Gegenteil verkehren.

Am Ende war es auch nur ein Nachdenken über die Aussagen von Hansz, die er unter Deinem "eva" - Gedicht schrieb:

"...einer der wichtigsten Aspekte der modernen Lyrik und aller Lyrik überhaupt ist das Finden seltener Begriffe, ungewöhnlicher also nicht allzu ausgelutschter Wörter,..."

Liebe Grüße
Rufus
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Rufus,

was für tiefgründige Gedanken!
So kann man das sehen. Aber ich sehe es so: Wir können nur denken, wofür wir Worte haben.
Ich kann die 'Sehnsucht' verstehen, etwas mit neuen Worten wiederauferstehen zu lassen - oder erst zu erschaffen, aber ich halte das für eine Unnmöglichkeit - vielleicht sogar eine intellektuelle Falle.
Ich bin davon überzeugt, dass am Anfang die Laute waren, die für Gefühle standen und dann hat sich das immer weiter entwickelt und wurde rationaler und abstrakter.
Ist der Tisch ein Tisch, weil wir ihn Tisch nennen?
Und müssten wir nicht uns neu erschaffen, bevor wir neue Worte erschaffen können? Alles auf Anfang?

Liebe Grüße
Petra
 

Scal

Mitglied
Die absolute Wahrheit – das eine Wort, das eine Zeichen, das alles enthält – ist unaussprechlich.
Aus ihm entspringt das Sein, das erst Verstehen ermöglicht. Doch dieses Verstehen ist immer schon ein Zerfall jener ursprünglichen Wahrheit.
Lieber Rufus,

wie die Bewegung einer forschend tastend unterwegs seienden Hand, erscheint mir Dein Text, bildhaft ausgedrückt.
Worte sind - zunächst mal - Bewusstwerdungswesen im jetzt anwesenden Denker, die Bedeutungsverhältnisse bezeugen ins vorläufig noch Unabsehbare hinein. In jedem Wort ereignen sich Blickverhältnisse.
Von dieser "Einsichtsstelle" ausgehend lässt sich fragen: woher, wohin? = Auftakt für ein phänomenologisch-philosophisches Forschen = Stehen mit der Kreide vor einer schwarzen Wand.

LG
 

trivial

Mitglied
Liebe Petra,

danke für die netten Worte.
Ich denke, ein Tisch ist ein Tisch, weil wir an ihm sitzen, essen, etwas darauf abstellen – und dann nennen wir ihn Tisch.

Ich sehe auch, dass der Ursprung der Sprache aus direkter sinnlicher Wahrnehmung stammt. Nur eben auch, dass sie sich von diesem Bezug lösen musste, um abstrakt werden zu können – um jenen Raum (dieses Gefängnis) zu schaffen, in dem wir denken.

Grundsätzlich sehe ich es, glaube ich, ähnlich wie du – eventuell andersherum, aber in der Konsequenz wohl gleich:
Können wir nur denken, wofür wir Worte haben – oder haben wir nur Worte für das, was wir denken können?
Sind Gedanken vielleicht rückwirkende Konstruktionen der Worte – oder die Worte derer der Gedanken?

Was oder wie es auch ist – es bleibt alles immer innerhalb der Mauern des Seins.

Deshalb war genau diese Frage der einzige Satz meines Textes, der als Frage formuliert war:
Wäre es möglich, jenseits dieser Mauer zu erkennen, sie zu durchbrechen – kann es etwas dahinter geben? Und wenn ja, kann es nur innerhalb dieser Mauern gedacht werden?

Vielleicht liegt genau darin jene intellektuelle Falle, die du meinst – im vergeblichen Versuch, durch Sprache etwas jenseits ihrer selbst zu erschaffen.
Und so bleibt die Erkenntnis die Verwesung der Wahrheit.

Liebe Grüße
Rufus
 

trivial

Mitglied
Lieber Hansz, danke für die Vielzahl an Verlinkungen. Bei Gelegenheit und mit etwas Muße werde ich mal reinschauen – auf den ersten Blick wirkt es etwas erschlagend.

Liebe Grüße
Rufus
 

trivial

Mitglied
Lieber Scal,

Ich möchte Dir für Deine schönen Worte danken – über die ich wohl noch einige Zeit nachdenken werde und möchte. Darüber wie sie in Inhalt und Form sich ins Verhältnis zu meinen Gedanken setzen.

Lieben Dank und Grüße
Rufus
 

mondnein

Mitglied
Lieber Hansz, danke für die Vielzahl an Verlinkungen. Bei Gelegenheit und mit etwas Muße werde ich mal reinschauen – auf den ersten Blick wirkt es etwas erschlagend.
gewiß.
Alles hat sein eigenes Wort,
und jedes meint alles.
im Grund kann jedes einzelne Wort das Ganze des "Alles" bedeuten, eben nur darum ging es bei den per Inhaltsverzeichnis aufgeführten Beispielen.
Die einzelnen Stücke im "apollofalter" standen natürlich nicht in ihrer vollen Länge im Inhaltsverzeichnis-Beitrag, sondern nur deren Titel, die allesamt mit "die welt ist ..." anfangen: es sind exakt 82 "eigene Wörter" des "Alles", von denen jedes zu einer Monade singularisiert die ganze Welt in sich enthält.
Die Verlinkung mit der apollofalter-Seite genügt:
http://12koerbe.de/hansz/1900lieb.htm#1824.

und daran knüpft sich die ganze Diskussion oben gewissermaßen an. ein nachgereichtes Präludium

grusz, hansz
 



 
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