Die Spreu vom Weizen

Die Spreu vom Weizen

Et war Anfang November und sieben Einladungen zu großen Treibjagden lagen auffem Schreibtisch. Kurz nache Jägerprüfung hätte ich mich über so viele Einladungen riesig gefreut. Heute beäuge ich gewisse Jagdeinladungen anders – viel kritischer.
Vier Treibjagden hab ich „schweren Herzens“ abgesagt. Warum? Weil die Absender null Ahnung von gut organisierten Gesellschaftsjagden hatten! Man durfte jedet Mal froh sein, wenne deine Schwarte bis zum Abblasen der Jagd über die Treiben gerettet hattes. Nur Lebensmüde sagten da noch zu!
Und ob Se dat nun glauben oder nich, genauso hab ich den Pächtern dat gesteckt, allerdings etwat lustig verpackt. Ich hab se auch noch gefragt, ob se diesma vor der Jagd Stahlhelme und schusssichere Westen anne Treiber und Schützen verteilen würden. Die haben dann nur gelacht und überhaupt nich geschnallt, dat ich et ernst meinte.
Die waren über meine Absagen auch nich böse. So iss mir dat auch am liebsten, denn Streit unter Jägern iss unserer grünen Sache nich förderlich. Ich freue mich immer, wenn ich mit diesen Revierinhabern ab und zu noch freundschaftlich en Bier trinken kann. Dat sind ja keine üblen Kerle. Am Stammtisch sind dat meist die gemütlichsten und lustigsten. Knauserig waren die bei Treibjagden auch nich! Da gab et für Leib, Leber und Lunge immer nur dat Feinste. Gastlichkeit und Brauchtumspflege standen dort an erster Stelle.

Nach nem üppigen Frühstück inne Dorfkneipe, wurden dort zuerst ma dicke Habanas anne Raucher verteilt. Und nach der Begrüßung bekam jeder Alkoholiker en paar Zielwässerchen eingeschenkt. Als eiserne Reserve mussten Treiber und Jäger auch en Überlebenspäckchen mit Mettwürstchen, Müsliriegel, Käsekniften und en paar kleine hochprozentige Seelentröster in ihre Taschen packen. Man war stets besorgt, dat die Damen und Herren während der Treiben zu schnell weiche Knöchelkes kriegten
Mittags gab et dann en leckeret Erbsensüppken mit viel Eisbein-Einlage. Selbstverständlich wurden anschließend auch wieder hochgeistige Getränke gereicht – diesma ausse Hand vonne netten Frau Pächtergemahlin. Da konnte man ja unmöglich „Nein“ sagen. Auch Glühwein mit Rum und Fassbier flossen in Strömen durch die immer durstigen Jäger- und Treiberkehlen. Kaffee oder Tee – Fehlanzeige. Dat wär nur wat für alte Weiber, und von Mineralwasser kriegten die Jäger bekanntlich Nasenbluten.
Könnte et sein, dat diese „überzeugenden“ Argumente auch die Gründe für die vielen Fehl- und Krankschüsse in diesen Revieren waren? Vielleicht sogar auch vonne tödlichen Unfälle? Wer weiß dat schon so genau? Vielleicht weiß dat dann der Staatsanwalt, wenn son bitterböser Schaden passieren tut, der auch beim besten Willen und Beziehungen nich mehr untern Teppich gekehrt werden kann.

Berta und ich wurden vor zwei Jahren auf sonne herrliche Chaosjagd im Taunus eingeladen. Als Berta entsetzt mitkriegte, wie sich die meisten Jagdgäste schon beim Frühstück die Kannte mit Korn und Bier gaben, wurde se erst blass und dann ösig.
„Willi!“, schrie se, „Du wirst doch hoffentlich diese Sauferei nich mitmachen. Diese Jagd iss ja lebensgefährlich, ich hau hier ab. Du kommz hoffentlich mit!“ Die umstehenden Jäger lachten sich kaputt.
Ich bin ihr nich gefolgt, weil ich zu feige war. Ich wollte nich zum Gespött vonne gesamten Jagdgesellschaft werden. Natürlich sprach sich ihr Gemecker schnell herum, und sie wurde dort nie wieder eingeladen. Aber bei nachträglicher Beäugung war Berta die einzige, die Verstand im Schädel hatte und vor versammelter Mannschaft Rückrat zeigen tat.

Aber da gab et ja zum Glück noch andere Einladungen. Zum Beispiel die vom Landesforst. Hier waren echte Jagdprofis am Werk. Die Organisation klappte wie am Schnürchen, und um ne verirrte Kugel brauchte man sich hier keine Sorgen machen. Alle Schusswinkel waren anne Bäume markiert und et gab klare Vorgaben für den Abschuss. Alkoholgenuss war erst beim abendlichen Schüsseltreiben erlaubt. Gut, dat gesellschaftliche Drum und Dran war wesentlich steifer als bei die fidelen Jagdpächter – dafür fühltesse dich beim Jagen aber erheblich sicherer.
Die Jagdgäste waren handverlesen. Normalerweise wären wir da nie eingeladen worden, weil wir nich zu die Akademikers gehörten und bei uns auch kein blauet Blut inne Adern fließen tut. Aber weil Hubertus ma gut gelaunt war, durfte auch unsereins hier mitjagen.
Und dat kam so:
Vor Jahren war ich als Treiber dem Forstdirektor Hofmann aussem Westerwald aufgefallen. Er beobachte, wie ich mich bei ner Treibjagd unheimlich int Zeug legen tat und kam beim abendlichen Schüsseltreiben zufällig neben ihm zu sitzen. Ich hab ihm so manch nettet Döneken aussem Ruhrpott erzählt, über die er sich vor Lachen ständig auffe Schenkel kloppte.
Von meiner bestandenen Jägerprüfung hab ich ihm später berichtet und war seitdem jedet Jahr sein Jagdgast. Mittlerweile sind wir Freunde. Unsere Duzerei löst noch heute bei die adeligen und studierten Jagdgäste regelmäßig en pikinierten Augenaufschlag aus. Dat juckt uns aber nich. Jagdfreundschaft hat doch nix mit die Herkunft, Stand oder mein profanöset Ruhrpottdialekt zu tun – oder? Dat geht einfach nich in die feudalen Köppe rein.
Passionierte einfache Jäger sind auf deren Jagden nich gern gesehn – vielleicht werden die noch so eben als Durchgehschützen oder Flintenspanner geduldet. In welchem Jahrhundert leben diese „Edelmänner“ eigentlich? Bei ner Jagd im Staatsforst blies man sogar noch den „Fürstenruf“ für son blaublütigen Fürstling. Der erwartete da auffe Jagd tatsächlich, dat man ihn als Durchlaucht anquatschen tat. Den Titelanspruch iss er doch schon 1918 losgeworden! Und wieso war der durchleuchtet? Da kriegt man doch ne Krise im Kopp!

Genug davon.
Ich plante im Dezember ne Drückjagd, um gründlich mit die Wutzen abzurechnen, die mir acht Tonnen Weizen- und fünf Hektar Wiesenschaden beschert hatten. Ich nahm mir vor, diesma keine schlumpschützigen Jäger, die ständig Nachsuchen und Unfälle produzierten, einzuladen. Ich hatte von diesen Herrschaften die Nase voll.
Diese gefährlichen Jagdnieten vermehrten sich inne letzten Zeit wie Unkraut. Ob dat schon die unheilvollen Auswirkungen vonne kastrierten,so Kurzlehrgänge von 14 Tagen, waren?

Nur noch Jagdgäste, die son Nachweis ihrer Schießkünste vom Schießkino oder Kreisgruppen-Schießstand erbringen konnten, wollte ich auf meiner Drückjagd sehn. Ich hab dann fünfunddreißig Einladungen mit die entsprechende Forderung an meine Jagdfreunde rausgeschickt.
Meine oberschlaue Berta meldete sofort Zweifel an: „Willi, wat meinze wohl, wie viele von den fünfunddreißig Leuten zusagen?“
„Berta, ich weiß, zehn Absagen hab ich einkalkuliert. Mach Dir bitte nich meinen Kopp und mal den Deubel nich anne Wand.“
„Willi, dat wird die größte Einladungspleite, die en Pächter je erlebt hat, da kannze Gift drauf nehmen.“
Berta sollte leider Recht behalten. Sonst bekam ich höchstens drei plausible Absagen, diesmal einundzwanzig ohne jede Begründung. Mein Jagdhüter hatte sogar mit noch mehr Ausfällen gerechnet.
Dat war doch wohl die Höhe! Die drei Damen, die mit auf der Einladungsliste standen, sagten erfreut zu. Dat en Jagdpächter endlich son Nachweis fordern tat, hatte sie angenehm überrascht. Aus Dankbarkeit würden sie je einen Kuchen backen und Berta bei die Arbeit zur Hand gehn. Dat positive Echo von elf männlichen Jagdgästen baute mich ebenfalls auf.
Waren die anderen Jagdkerle zu faul oder zu blöd, ihre Schussfertigkeit zu beweisen?
Klar! Wat meinen Se wohl, wat ich da so hintenrum allet zu hören kriegte. Ob ich jetz total durchgeknallt wär? Dat wär ja wohl ne Unverschämtheit, so wat von altgedienten Jägern zu verlangen, dat würde man sich merken.
Ich merkte mir dat auch. Die Aasjäger wurden von mir nich mehr eingeladen. Basta!
Mit vierzehn Gästen konnte ich keine erfolgreiche Drückjagd veranstalten. Dat war mir klar.
Berta tröstete mich auf ihre unvergleichliche Art: „Willi, mach Dir nix draus, warum bisse enttäuscht? Dat war doch abzusehn, Du wirss nie gescheit, Du müsstest doch Deine Jagdkameraden kennen.“ Und dann tat se mir en knallharten Elfmeter rein: „Sach ma, Willi, hass Du eigentlich schon diesen Schießnachweis erbracht?“ Rumms, Tor!
Sie wusste genau, dat ich vor vier Jahren dat letzte Mal auffen laufenden Keiler geschossen hatte. Berta hatte mich kalt erwischt.
„Berta, reiz mich nich, ich bin schon geladen genug! Hoffentlich erinnersse Dich noch daran wie ich vor zwei Jahren den Hasen mit nur einem Schuss roulieren ließ, dat iss doch wohl Nachweis genug, verdammt noch ma! Son Hase iss bekanntlich wesentlich kleiner als ne Wutz!“
„Willi, Du muss gar nich fluchen, Du kriss sowieso bei mir kein Recht. Du biss genau son Banause, wenn et um Weiterbildung in Deinem Beruf geht. Du biss keinen Deut besser als Deine sogenannten Jagdfreunde.“
Ich hab mich inne Werkstatt verdrückt, weil sonst dat eine Wort dat andere ergeben hätte – bis zum ausgewachsenen Krach.

Sie hatte leider Recht, und wie Recht sie hatte! Noch am selben Tag hab ich beim Schießstand vonne Kreisgruppe angerufen und mich für dat Schießen auffen laufenden Keiler angemeldet.
Bei so wenig Schützen kam jetz nur noch ne Ansitzjagd in Frage. Alle Gäste, die zugesagt hatten, wurden über die Abänderung der Jagdart informiert, niemand sagte deshalb ab. Sie fanden meine Entscheidung sogar lobenswert.
Die Spreu hatte sich vom Weizen getrennt.
Nach der anfänglichen Enttäuschung, stellte sich bei mir son Gefühl vonne Befreiung ein.
Ich hatte mit die wochenlangen nervigen Vorbereitungen nix mehr am Hut. Die ständige Angst vor Jagdunfällen war von mir abgefallen. Ich hatte die Gewissheit, dat vom Ansitz sauberer geschossen wurde und deshalb Nachsuchen nur ganz selten vorkamen. Ich brauchte auch keine Hundemeuten und keine Treiberwehr, und beim Schüsseltreiben saß ich mit vernünftigen, passionierten Jägern inne Runde. Meine saustarken Erkenntnisse ließen in mir große Freude aufkommen.

Und – wat soll ich Ihnen sagen, bei die Ansitzjagd mit sechzehn belegten Kanzeln wurden sieben Sauen, fünf Rehe und drei Füchse erlegt. Ich war hochzufrieden! Fast jeder Gast kam zu Schuss oder hatte guten Anblick, et gab keine Nachsuchen, dat Wildbret war nich zerschossen, und et war niemandem wat passiert.
Jagdkönigin war ne Jungjägerin und passionierte Jagdhornbläserin aus Wuppertal mit einem Keiler und zwei Stück Rehwild.
Waidmannsheil!
 



 
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