Meckie Pilar
Mitglied
Die Träume des Unteroffiziers (5)
Fortsetzung 5
Als Herbert und Margot sich zwei Jahre kannten, planten sie ihre Verlobung. Es war nun schon mehrere Jahre lang Krieg und man durfte nicht zu lange mit dem Leben zu warten. Die Ausbildung zur Kindergärtnerin näherte sich dem Ende und sie hatten vor, zu heiraten, sobald Margot eine Stelle bekommen haben würde. Sie hofften, dass dann auch der Krieg aus und Hitlers Regime zerstört wäre.
Als Herbert vorschlug, die Verlobung bei seiner Familie in Gelsenkirchen zu feiern, musste Margot schlucken. Aber schließlich lebte er seit Jahren hier bei ihr, teilte ihre Stadt und ihre Welt. Warum sollte sie sich zieren und nicht auch einmal in diesem Gelsenkirchen auftauchen und denen zeigen, dass es hier im Osten Deutschlands schöne und patente Frauen gäbe? Sie willigte ein. Sie würde es mit diesen westfälischen Dünkelheinis schon aufnehmen, glaubte sie.
Es kam anders. Margot war nach drei Tagen froh, dass sie wieder abreisen konnte. Die rußige Stadt mit den planlos und scheinbar lieblos aneinander gereihten Häusern deprimierte sie. Sie fühlte sich fremd unter den Menschen mit ihrer rohen Sprache. Seine Eltern und Geschwister hatten sie zwar durchaus freundlich empfangen. Aber sie spürte vom ersten Moment an, dass Herbert in seiner eigenen Familie nicht besonders wichtig war, dass man ihn in gewisser Weise durchaus liebte und sich für ihn freute, dass es aber weitaus Wichtigeres gab und dass das Schicksal und die Leistungen der anderer Geschwister deutlich mehr bewundert und geschätzt wurden. Das empörte sie. Herbert jedoch lachte, als sie ihn darauf ansprach. Er nahm das alles scheinbar hin wie ein unabwendbares Schicksal. Das kränkte sie noch mehr.
“Wann wollt ihr denn heiraten?“, flötete die kleine Schwester von Herbert zum Abschied. “Ist es in Dresden eigentlich üblich, als Jungfrau zu heiraten oder habt ihr da andere Sitten?“, fragte sie mit unschuldigem Augenaufschlag.
„Na, mal sehen, ob wir das so lange aushalten!“, hatte Margot schnippisch geantwortet. Aber als sie ihren Liebsten ansah, war der vor Scham über und über rot geworden.
Hier in seiner Heimat war Herbert seine wundervolle Liebste merkwürdig fremd geworden. Sie benahm sich auffällig und extravagant. Manchmal kam es ihm so vor, als fänden die anderen sie unbescheiden oder auch lächerlich. Das alles beunruhigte ihn. Erst als sie beide schon wieder fast 100 Kilometer weit weg waren von seinem Heimatort, löste Herbert sich aus seiner Verkrampfung und konnte sich seiner Margot wieder so liebevoll und aufmerksam zuwenden, wie sie es von ihm gewohnt war.
Nach ihrer Verlobung waren die beiden für viele Monate getrennt. Margot machte ihre Ausbildung in Freiburg im Breisgau und Herbert musste öfter auf Lehrgänge fahren. In dieser Zeit schrieben sie sich endlose Briefe, in denen sie sich seitenweise ihre Liebe versicherten und in denen sie ihre Träume und die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft beschworen. In dieser Zukunft würden sie im gegenseitigen Vertrauen, in Treue und Verstehen für einander alle Aufgaben und Prüfungen gemeinsam meistern. Davon waren sie überzeugt.
Im Jahr 1944 war Herbert noch immer in Dresden stationiert. Er rechnete jetzt aber damit, dass er bald an die Front geschickt würde. Den Sommer diesen Jahres erlebten sie wie eine Gnadenfrist. Es war ein wunderbarer Sommer: Schäfchenwolken segelten über den veilchenblauen Himmel, das Gras in der Heide duftete und summte und alle Blumen blühten nur, um ihre Liebe zu feiern. Und während die Nachrichten über den Krieg jeden Tag erschreckender wurden, während viele Familien bereits Söhne und Väter beweinten und alle Menschen die Kriegsfolgen bitter zu spüren bekamen, erlebten Herbert und Margot diesen Sommer mit seinen lauwarmen Abenden wie eine Auszeit aus dem täglichen Wahnsinn. Auf die Zukunft war kein Verlass. Sie mussten sich an die Gegenwart halten.
Damals schliefen sie auch miteinander. Für beide war es das erste Mal. Margot genoss es, in Herbert Armen zu liegen und seine Liebe und Zärtlichkeit zu spüren. Ihre Erziehung und ihr katholisches Bekenntnis verbot den beiden eigentlich jede Sexualität vor der Ehe. Aber sie trösteten sich gegenseitig damit, dass in Kriegszeiten solche strengen Gebote sicherlich etwas anders verstanden werden müssten. Außerdem schien ihnen ihr überwältigendes Bedürfnis, sich ihre Liebe gegenseitig auch mit dem Körper zu zeigen und sie mit allen Sinnen zu erleben, nur als Beweis dafür, dass sie es ernst miteinander meinten. Sie hatten sich, so versicherten sie sich gegenseitig immer wieder, auf diese Weise schon vor Gott gebunden bis an ihr Ende. Und sie wollten es so. Sie beschlossen, noch in diesem Jahr zu heiraten, auch wenn der Krieg andauern sollte.
Fortsetzung 5
Als Herbert und Margot sich zwei Jahre kannten, planten sie ihre Verlobung. Es war nun schon mehrere Jahre lang Krieg und man durfte nicht zu lange mit dem Leben zu warten. Die Ausbildung zur Kindergärtnerin näherte sich dem Ende und sie hatten vor, zu heiraten, sobald Margot eine Stelle bekommen haben würde. Sie hofften, dass dann auch der Krieg aus und Hitlers Regime zerstört wäre.
Als Herbert vorschlug, die Verlobung bei seiner Familie in Gelsenkirchen zu feiern, musste Margot schlucken. Aber schließlich lebte er seit Jahren hier bei ihr, teilte ihre Stadt und ihre Welt. Warum sollte sie sich zieren und nicht auch einmal in diesem Gelsenkirchen auftauchen und denen zeigen, dass es hier im Osten Deutschlands schöne und patente Frauen gäbe? Sie willigte ein. Sie würde es mit diesen westfälischen Dünkelheinis schon aufnehmen, glaubte sie.
Es kam anders. Margot war nach drei Tagen froh, dass sie wieder abreisen konnte. Die rußige Stadt mit den planlos und scheinbar lieblos aneinander gereihten Häusern deprimierte sie. Sie fühlte sich fremd unter den Menschen mit ihrer rohen Sprache. Seine Eltern und Geschwister hatten sie zwar durchaus freundlich empfangen. Aber sie spürte vom ersten Moment an, dass Herbert in seiner eigenen Familie nicht besonders wichtig war, dass man ihn in gewisser Weise durchaus liebte und sich für ihn freute, dass es aber weitaus Wichtigeres gab und dass das Schicksal und die Leistungen der anderer Geschwister deutlich mehr bewundert und geschätzt wurden. Das empörte sie. Herbert jedoch lachte, als sie ihn darauf ansprach. Er nahm das alles scheinbar hin wie ein unabwendbares Schicksal. Das kränkte sie noch mehr.
“Wann wollt ihr denn heiraten?“, flötete die kleine Schwester von Herbert zum Abschied. “Ist es in Dresden eigentlich üblich, als Jungfrau zu heiraten oder habt ihr da andere Sitten?“, fragte sie mit unschuldigem Augenaufschlag.
„Na, mal sehen, ob wir das so lange aushalten!“, hatte Margot schnippisch geantwortet. Aber als sie ihren Liebsten ansah, war der vor Scham über und über rot geworden.
Hier in seiner Heimat war Herbert seine wundervolle Liebste merkwürdig fremd geworden. Sie benahm sich auffällig und extravagant. Manchmal kam es ihm so vor, als fänden die anderen sie unbescheiden oder auch lächerlich. Das alles beunruhigte ihn. Erst als sie beide schon wieder fast 100 Kilometer weit weg waren von seinem Heimatort, löste Herbert sich aus seiner Verkrampfung und konnte sich seiner Margot wieder so liebevoll und aufmerksam zuwenden, wie sie es von ihm gewohnt war.
Nach ihrer Verlobung waren die beiden für viele Monate getrennt. Margot machte ihre Ausbildung in Freiburg im Breisgau und Herbert musste öfter auf Lehrgänge fahren. In dieser Zeit schrieben sie sich endlose Briefe, in denen sie sich seitenweise ihre Liebe versicherten und in denen sie ihre Träume und die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft beschworen. In dieser Zukunft würden sie im gegenseitigen Vertrauen, in Treue und Verstehen für einander alle Aufgaben und Prüfungen gemeinsam meistern. Davon waren sie überzeugt.
Im Jahr 1944 war Herbert noch immer in Dresden stationiert. Er rechnete jetzt aber damit, dass er bald an die Front geschickt würde. Den Sommer diesen Jahres erlebten sie wie eine Gnadenfrist. Es war ein wunderbarer Sommer: Schäfchenwolken segelten über den veilchenblauen Himmel, das Gras in der Heide duftete und summte und alle Blumen blühten nur, um ihre Liebe zu feiern. Und während die Nachrichten über den Krieg jeden Tag erschreckender wurden, während viele Familien bereits Söhne und Väter beweinten und alle Menschen die Kriegsfolgen bitter zu spüren bekamen, erlebten Herbert und Margot diesen Sommer mit seinen lauwarmen Abenden wie eine Auszeit aus dem täglichen Wahnsinn. Auf die Zukunft war kein Verlass. Sie mussten sich an die Gegenwart halten.
Damals schliefen sie auch miteinander. Für beide war es das erste Mal. Margot genoss es, in Herbert Armen zu liegen und seine Liebe und Zärtlichkeit zu spüren. Ihre Erziehung und ihr katholisches Bekenntnis verbot den beiden eigentlich jede Sexualität vor der Ehe. Aber sie trösteten sich gegenseitig damit, dass in Kriegszeiten solche strengen Gebote sicherlich etwas anders verstanden werden müssten. Außerdem schien ihnen ihr überwältigendes Bedürfnis, sich ihre Liebe gegenseitig auch mit dem Körper zu zeigen und sie mit allen Sinnen zu erleben, nur als Beweis dafür, dass sie es ernst miteinander meinten. Sie hatten sich, so versicherten sie sich gegenseitig immer wieder, auf diese Weise schon vor Gott gebunden bis an ihr Ende. Und sie wollten es so. Sie beschlossen, noch in diesem Jahr zu heiraten, auch wenn der Krieg andauern sollte.