Die Träume des Unteroffiziers (Ende)

Meckie Pilar

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Die Träume des Unteroffiziers (siebte und letzte Folge)

Kurz vor Kriegsende floh er und wanderte durch das zerbombte Deutschland. Wo er vorüber kam, sah er nur Zerstörung und Leid. Der wunderbare Sommer des letzten Jahres war noch nicht zwölf Monate her, aber Herbert war um Jahre gealtert. Der Krieg, die Erfahrungen an der Front hatten seine Kräfte beinahe aufgebraucht und er wusste, dass er dennoch alle seine Kräfte brauchen würde bei dem, was jetzt auf ihn zu kam. Er war derjenige, der für die kleine Familie, für ihre Sicherheit und Versorgung verantwortlich sein würde. Er schlug sich durch bis zum Harz. Dort waren seine Eltern mit den Geschwistern und Enkelkindern nach der Ausbombung bei Verwandten untergeschlüpft und er hatte, wie geplant, seine hochschwangere Frau im Schoße seiner Familie untergebracht. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurde die erste Tochter geboren. Später zog er mit seiner Familie in das vom Krieg zerstörte Gelsenkirchen, weil er dort Arbeit gefunden hatte.

Wenn in späteren Jahren seine Mutter oder seine Geschwister zu ihnen zu Besuch kamen, kontrollierte er vorher heimlich, ob seine Frau auch wirklich oben auf den Türrahmen geputzt hatte. Wenn nicht, sagte er kein Wort sondern wischte die Türrahmen heimlich selbst ab. Ihn persönlich störte es nicht, wenn seine Frau nicht immer so perfekt putzte, wie er es von zu Hause gewohnt war. Aber er wollte sie nicht der Kritik seiner Familie aussetzen und glaubte sie so zu schützen. Er liebte seine Frau und seine Familie und war ein aufopfernder Familienvater.
Noch in den ersten Ehejahren hatte Herbert prächtige, kunstvolle Buchdeckel mit Jugendstilornamenten aus Lindenholz geschnitzt. Darin band er die gesammelten Liebesbriefe ein, die er vor der Ehe mit seiner Margot gewechselt hatte. Es wurde ein sehr dickes Buch.
Später schrieb er nie mehr lange Briefe. Es war, als hätte er alles, was er je gefühlt und gedacht hatte, damals gesagt und als sei dem nichts mehr hinzuzufügen. Die Zeit der Träume war vorbei.
Er begriff nicht, dass Margot längst aufgehört hatte, die zu sein, die er geliebt hatte. Er begriff nie, warum sie ihr ganzes gemeinsames Leben unglücklich und unzufrieden blieb und immer eine Fremde war in seiner Heimatstadt. Die traurige Veränderung seiner Liebsten in all den Jahren ihres Zusammenlebens beunruhigte ihn, aber er wusste einfach nicht, was er hätte anders machen können.
Dreißig Jahre später, nach ihrem Tod, verblasste in Herbert allmählich auch diese Irritation wieder. Und er dachte an Margot erneut als an das schöne, lebenslustige junge Mädchen, das sie damals in Dresden gewesen war und das zu gewinnen und ein Leben lang bei sich zu behalten ihm erstaunlicher weise gelungen war.
Und dafür war er dankbar.

***

Die ältere Dame hatte aufgehört zu sprechen und sah weiter vor sich hin. Mein Freund schwieg. Es war ganz still im Raum. Man hörte die Autos draußen vorbeifahren.
„Danke für den Kaffee“, sagte schließlich mein Freund. Er stand auf und reichte ihr die Hand. Sie brachte ihn zur Tür und schloss sie ganz leise hinter ihm.
 



 
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