Die Überwindung der Trägheit

Torben saß regungslos auf der Bettkante. Ziemlich unbequem, dass spürte er deutlich, aber er war einfach zu stoned, um seine Sitzposition zu ändern. Im Aschenbecher verglomm qualmend der Tabakboden seines Joints und Torben befand lakonisch, dass sein Leben ebenfalls beim Tabakboden angekommen war. Es glüht zwar noch was, aber es lohnt sich einfach nicht mehr dran zu ziehen. Und mal wieder war niemand da, mit dem er seine tiefgründigen Gedanken hätte teilen können. Egal. Sein Blick schweifte zu dem kaleidoskopartigen Bildschirmschoner des Laptops am anderen Ende des winzigen Raumes und beobachte die sich verschlingenden und wieder auswürgenden Farben und Muster zu den wuchtigen Hymnen seiner Lieblings-Metal-Band W.A.S.P.

Tja. Da der Abend eigentlich eh schon gelaufen war, konnte er sich eigentlich auch richtig abschießen, beschloss er. Dieser Gedanke verschaffte Torben ausreichend Antrieb sich von der Bettkante zu erheben und die Tür des Nachtschränkchens zu öffnen, um seine Bong herauszuholen. Statt des kühlen Glasrohrs umschloss seine Hand allerdings einen erheblich schlankeren Plastikzylinder. Entrüstet blickte er auf eine Packung Seifenblasen und verfluchte seine Schwester Vanessa, die, wann immer sie konnte seine das Betäubungsmittelgesetz ignorierende Selbstmedikation sabotierte. „Miststück!“, zischte er mürrisch.

Verdrossen saß er nun wieder auf der Bettkante, spürte wie sich seine Mundwinkel bleiern nach unten zogen und hielt immer noch die Seifenblasen in der Hand. Einem sinnlosen Impuls folgend, mal wieder dem Automatismus der naheliegendsten Handlung unterlegen, schraubte er die Seifenblasen auf und blies einen Stoß in den Raum, wo sie lieblich durch die Rauchschwaden tanzten. Die W.A.S.P. Playlist schmetterte Harder Faster als Kontrastprogramm. Ein Teil von Torbens Bewusstsein bewertete die Situation als milde komisch, er lachte in Gedanken ein bisschen. Da vernahm er ein leises Knistern. Nein, mehr ein Bitzeln. Eine Seifenblase hatte sich direkt auf die Bildschirmoberfläche niedergelassen und begann elektrisiert zuckend in die rhythmischen Bewegungen des Bildschirmschoners einzutauchen. Torben sah mit offenem Mund staunend zu und stammelte: „Alter, was zum …?“

Die Seifenblase kräuselte und verschob sich unnatürlich, doch sank nicht wie zunächst angenommen in den Bildschirm hinein. Stattdessen zog sie saugglockenartig die Farbe aus dem Bildschirmschoner heraus, kapselte sie ab, zog sie in die Länge und schmatze sie zusammen, wie ein sich selbst kauendes Kaugummi. Schließlich verdichtete sich die Masse zu einer großen, leuchtenden und hart verpixelten Wespe!

Torben hechtete panisch quietschend rückwärts auf die Matratze, bis er hinter sich die harte Zimmerwand spürte.

Plopp. Die Seifenblase platze und die Pixelwespe schwirrte leuchtend und knisternd durch das Zimmer. Adrenalin durchströmte Torbens Blut und während er einerseits fürchtete gerade seine erste echte drogeninduzierte Psychose zu erleben, fühlte er sich so nüchtern wie seit Jahren nicht. Er griff hastig nach dem manipulierten Stuhlbein seines fünfbeinigen Stuhls (es handelte sich um einen Schlagstock, den er während einer paranoiden Phase für Notfälle dort angebracht hatte), rüttelte es aus der Befestigung und hielt es drohend vor sich. Über den Schlagstock peilend versuchte er jeder Bewegung der Pixelwespe zu folgen, die hektisch im Zickzackkurs herumflog.

Doch er traute sich nicht zuzuschlagen. Was, wenn er sie nicht träfe, sondern erst richtig aggressiv machen würde? Verzweifelt blickte er sich nach einer anderen Waffe um. Vor dem Bett neben einer der verstreuten Pizzaschachteln stand ein Salzstreuer! Konnte man sich nicht gemäß der ätzenden Teenie-Hexen Serien die Vanessa sah (und die Torben manchmal mit sah, um zu kommentieren wie ätzend er sie fand) durch Salzkreise vor übernatürlichen Wesen schützen? Eine leuchtende Pixelwespe, eine unheilige Verbindung aus Seifenblase und Bildschirmschoner, qualifizierte sich als übernatürliches Wesen, befand Torben und ergriff hoffnungsvoll den kugeligen Salzstreuer mit der Linken, während er in der Rechten weiter den Schlagstock umklammert hielt.

Da bliebt die Pixelwespe, gerade mal eine Armlänge weit entfernt, mitten in der Luft stehen, drehte sich unheilvoll langsam und merkwürdig stockend zu ihm um, bis sie ihn mit ihren großen Schwarzen Augen anstarrte.

Torbens Gesicht verzog sich vor Angst in alle Richtungen, doch er blieb wie eingefroren sitzen, ohne den Blick von der Pixelwespe abwenden zu können.

Eine blecherne Stimme sprach aus den Lautsprechern seiner Boxen zu ihm:

Er trägt Reichsapfel und Zepter. Er trägt die Insignien der Macht. Er ist der König. Wir sind gekommen, um zu dienen. Wir erwarten die Befehle des Königs.

Der Bildschirm war bedeckt mit Seifenblasen und ein Bitzeln und Knistern durchwob den Raum.

Torben blickte vom Schlagstock zum Salzstreuer und wieder zur Pixelwespe. Er schluckte trocken und räusperte sich. Im Vakuum seines schockstarren Hirns bildete sich urknallartig ein einziger Gedanke: Anpassungsfähigkeit ist der Schlüssel zum Überleben!

Ein Fetter, langsamer Asteroid zieht eine schnurgerade Bahn durch den Weltraum. Erst der Einschlag eines zweiten kosmischen Objekts signifikanter Masse zwingt ihn, seinen Pfad für immer zu ändern.

Torben öffnete das Fenster, riss das Fliegengitter heraus und warf es sich um die Schultern.

Es lebe der König!
 

Steppenwolf

Mitglied
Das nenne ich mal einen Bad-Trip. :cool:
Gute Idee daraus eine kleine Horrorstory zu machen. Ich mag deine bildlichen Beschreibungen. Ich konnte die Pixelwerte auch durch den Raum schweben sehen beim Lesen.
 



 
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