Die Uhr

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Die Uhr

Es ist nur eine kaputte Swiss Made-Uhr.
Bei Ebay als defekt ersteigert. Eine Swiss Military von Hanowa. Bis vor ein paar Jahren sagte mir das nichts. Absolut nichts.

Es gibt mehrere Hersteller, die den Namen Swiss Military tragen dürfen. Die, die mir mittlerweile vertraut sind, heißen Hanowa, Wenger, Grovana und Victorinox. Solide Uhren. Gebaut für draußen, robust genug für den Einsatz, aber hübsch genug für den Alltag.

Natürlich gibt es auch deutlich teurere Schweizer Uhren. Die, die man kaum anzufassen wagt. Und wer so etwas bei Ebay kauft … na ja. Fälschungen gibt es zuhauf, trotz beeindruckend aussehender Zertifikate. Und ganz ehrlich: Mehrere tausend Euro für eine Uhr auszugeben, ist für mich nicht erstrebenswert. Für mich zumindest nicht.

In meinen Lieblingen arbeiten feine Uhrwerke. Ich mag analoge Quarzuhren. Keine Chronographen – zu viele Minizeiger, zu viele Rädchen. Die Quarzwerke dieser Hersteller lassen sich reparieren. Wenn sie Ronda oder ETA heißen, mag ich sie am liebsten. Es gibt sie in unzähligen Varianten. Vergoldet finde ich sie am schönsten.

Meist stoße ich bei defekt ersteigerten Uhren auf haarsträubende Zustände. Irgendwelche Hobby-Grobmotoriker haben sich als Uhrmacher versucht – und sind kläglich gescheitert.

Eine wirklich unberührte Uhr aus einem Dachbodenfund oder aus einem Nachlass, wie es so gern in Ebay-Angeboten heißt? Pah. Meist gelogen. Die Unberührten sind selten. Der Alltag ist anders.
Fehler werden nicht beschrieben. Man hofft, damit durchzukommen.

Der mieseste Fehler überhaupt ist der Einbau von Alkaline-Batterien. Die laufen aus. Und sie verätzen alles, was in diesem Werk dafür gemacht ist, sich zu bewegen oder elektrisch zu funktionieren. Solche Uhren zu restaurieren ist harte Arbeit – und oft leider unmöglich.

Zeigt dann auch noch das Zifferblatt Farbveränderungen durch die alkalische Lauge, ist meist klar: Zeit, das Gehäuse und das Armband zu retten. Mit Glück auch die Stellwelle, die Krone, den Quarz, in seltenen Fällen die Spule. Einzelteile eben. Genau die Teile, die Grobmotoriker gern zerstören.
Die Lauge lässt sich mit einer leichten Essig-Wasser-Lösung neutralisieren. Aber zu glauben, die Uhr sei komplett zu retten, ist Utopie.

Dann gibt es die Uhren mit Schmutz im Werk. Weil Grobmotoriker – ihr merkt, ich hege einen gewissen Groll – das Gehäuse nicht reinigen, bevor sie es öffnen. Teilweise hängt da das genetische Material der letzten Jahrzehnte dran. Genug für zehn Vaterschaftstests. Und dieses Zeug landet dann zwischen den Zahnrädern. Die Uhr geht nach. Oder bleibt stehen.

Was glaubt ihr eigentlich, warum Uhrwerke ein Gehäuse haben? Hä?
Egal.

Dann kommen die Batteriewechsel-Grobmotoriker. Sie bauen zu große Batterien ein und wundern sich, dass der Deckel nicht mehr schließt. Oder dass vorne das Glas herausfliegt.
Oft sind danach die Minuspol-Zungen verbogen oder abgebrochen. Noch schlimmer: Sie rutschen mit dem Schraubendreher ab, zerfetzen die feinen Kupferfädchen der Spule – und das war’s. Ohne Ersatzteile nicht mehr einsatzfähig.

Und schließlich die Dichtungs-Ignoranten.
Beim Öffnen fällt einem eine poröse, steinalte Uhrendichtung entgegen. Dass man sie ersetzen sollte, kommt den wenigsten in den Sinn. Angaben wie „wasserdicht bis X Meter“ oder „spritzwassergeschützt“ gelten offenbar nur für Warmduscher.

Dass auch in der Krone eine Dichtung sitzt – eine der häufigsten Eintrittsstellen für Wasser – wird großzügig übersehen. So wird aus einer schönen Taucheruhr in fünf Metern Tiefe plötzlich die Titanic. Besonders im Salzwasser. Sehr schade.

Nun, ich schweife ab.

Eigentlich wollte ich von meiner neu ersteigerten, defekten Hanowa Swiss Military erzählen. Kaum war das Päckchen da, trabte ich mit dem traurig dreinschauenden Ührchen in mein Arbeitszimmer. Als Fehler war angegeben: Der Minutenzeiger baumelt lose unter dem Sekundenzeiger.

Beim Öffnen des Schraubbodens dachte ich sofort: Die geht aber leicht auf.
Meine Diagnose: Grobmotoriker war dran.

Die nagelneue Batterie – immerhin eine Silberoxyd-Zelle, voll geladen – verriet mir schnell: Der Fehler konnte vorher nicht der Minutenzeiger gewesen sein. Die Uhr war schlicht für einen Batteriewechsel geöffnet worden. Dabei hatte der Vorbesitzer so stark an der alten Batterie gezogen, dass sich das Uhrwerk teilweise vom Zifferblatt gelöst hatte. Stunde und Sekunde saßen noch auf ihrer Nabe. Die Minute nicht. Und das dann bemerkt nachdem die neue Batterie wieder drin war. Uppsss.

Also vorsichtig ausgebaut, fixiert. Eine dünne Plastikfolie über das Zifferblatt gelegt und Minute sowie Sekunde ausgehebelt. Gute Sache. So fliegen die Zeiger nicht weg und bleiben brav unter der Folie.

Die Minute vorsichtig wieder aufgesetzt. Und dann: Luft anhalten.
Mein Angstgegner – der Sekundenzeiger. Er sitzt zentral auf einem winzigen Stift des Uhrwerks. Winzig heißt hier: Durchmesser zwischen 0,05 und 0,10 Millimetern. Dieser Stift muss in ein ebenso winziges Lager passen, meist ein Rubin.

Das ist eine Übung in Selbstliebe und Achtsamkeit.
Werde nicht böse, wenn du zitterst. Werde nicht böse, wenn der Sekundenzeiger ein paar Mal von der Pinzette fällt und wie ein Käfer auf dem Rücken auf dem Zifferblatt landet.
Ommmm.
Nicht zu stark ausatmen – sonst fliegt das Ding ins Nirwana.

Ich war selbst überrascht. Nach wenigen Versuchen saß er. Kein Zeiger zerdrückt. Nach dem Einbau der Batterie liefen alle frei. Ein großartiges Gefühl.

Das Gehäuse gereinigt. Das Glas von innen geputzt, ausgeblasen. Zifferblatt und Indizes mit Radico von Microstaub befreit. Das Original-Lederarmband mit Lederöl gepflegt. Zum Schluss alle Edelstahlteile leicht aufgedremelt – selbst die Dornschnalle.

Und nun läuft das gute Stück, welches ich defekt für einen Apfel und ein Ei erstanden habe, seit zwei Tagen an meinem Handgelenk. Ich bin stolz, sie ist so schön. Ich will sie gar nicht mehr ablegen.

Und nun weiß ich nicht so genau:
Soll ich mich bei den Grobmotorikern bedanken?

Ich denke schon.

P.S. Ich kaufe eure defekten Uhren gerne auf. Grins.
 

Bo-ehd

Mitglied
Hallo Buddy Lee,
was für eine Begeisterung für diese technischen Wunderwerke du gezeigt und was für eine tolle Einführung in die Materie du abgeliefert hast, ist ein ganz dickes Lob wert. Großartiger Text, mit Herzblut geschrieben!
Und "Grobmotoriker": Wie treffend ist dieser Begriff für all die Tolpatsche, die - nur weil sie den Toaster mal repariert haben - glauben, in eine solch raffinierte Technik eingreifen zu können.
Gruß Bo-ehd
 



 
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