„Ihr erinnert euch doch an unseren Aufenthalt auf dem Planeten Retiputo. Dort krochen doch massenweise diese handgroßen Refaker umher. Soviel ich weiß, ist das eine nur dort vorkommende Großkäferart, die über eine Wechselhaut verfügt, die zu bestimmten Jahreszeiten abgeworfen wird.
„Ach so. Du meinst das Zeug, das von dir getrocknet, pulverisiert und dann als Gewürz verwendet wurde“, erinnerte sich Kastrilla.
„Ein einzigartiges Gewürz“, lobte Schurdak und ließ genießerisch die Augen rollen.
„“Ja – aber leider ist der Vorrat nahezu aufgebraucht“, trumpfte Murlo auf. Und als er das Bedauern in Schurdaks Zügen entdeckte, fuhr er fort: „Als ich durch die Öffnung in den Hohlstein hinein schaute, sah ich, wie das Mönschlein – zu diesem Zeitpunkt hielt ich es ja noch für einen Käfer – wie also dieses kleine Ding völlig rotbehäutet im Raum stand. Plötzlich streifte der vermutliche Käfer seine Haut ab und präsentierte sich in hellem Grün. Ich hatte in diesem Moment nur die Begriffe im Kopf: Käfer – Wechselhaut – Gewürz! Und da packte ich zu.“
Na, wenn das keine Rechtfertigung war. Schurdaks Blicke schienen tatsächlich versöhnlicher zu werden. Doch der Expeditionschef hakte nach und wollte wissen, warum Murlo nicht einfach nur die „rote Haut“ mitgenommen hätte.
„Ich wollte etwas Reproduzierbares.“
„Aha. Und? Die Ergebnisse deiner Recherche?“
„Fehlanzeige“, gab Murlo kleinlaut zu. „Ein völlig geschmackloses, pappiges Zeug.“
Murlo hörte Kastrilla laut auflachen. Dann setzte sie auch schon wieder zu einer langatmigen Erklärung an.
„Es handelt sich ja auch nicht um eine Wechselhaut, sondern nur um eines von unzähligen hier vorkommenden Körperbedeckungsmitteln. Weil ihr Pelz verkümmert ist, müssen sie sich mit eigens dafür angefertigten Weichmaterialien vor den Witterungseinflüssen schützen. Es gibt mannigfaltige Schutzbedeckungen, die man sich einfach umlegt oder die so gearbeitet sind, dass man in sie hinein schlüpfen kann. Die Vielzahl der Formen und Farben deutet darauf hin, dass diese künstlichen Oberhäute nicht nur Schutzzwecken dienen. Sie sollen wohl vor allem auch die recht langweilig gefärbte Originalhaut schmücken. Das ist ein ähnliches Verhalten, wie wir es vom Färben unserer Schuppen kennen.“
‚Worin du natürlich eine Meisterin bist – unvergleichliche Kastrilla!’
Murlo hatte diesen Ausruf natürlich nur gedacht. Trotzdem warf ihm Kastrilla einen Blick zu, der ein wohliges Gefühl in ihm auslöste und seine Tentakelspitzen verräterisch vibrieren ließ. Vermochte sie seine Gedanken auch bei deaktiviertem Übertragungsmodus zu erfassen? Ihr Blick schien dies zu bejahen. Murlo vermochte kaum genug Konzentration aufzubieten, um sein Hohlhorn in Ruhelage zu halten. Und das musste Kastrilla bemerkt haben, denn um ihre süße Schnauze spielte ein amüsiertes Grinsen.
Schurdak, dem die flüchtige Szene nicht entgangen war, hob ärgerlich das fünfte Auge.
„Ich denke, es ist alles gesagt“, brummte er, nicht ohne ein drohendes „vorläufig“ hinterher zu schieben.
„Was wirst du jetzt tun?“, wollte Kastrilla wissen, als sie wieder auf dem Gang standen.
Murlo ließ mutlos die Spitze seines Stummelschwanzes kreisen.
„Zehn Titaks! Wenn die um sind, rasen wir doch längst wider durch das All“, murmelte er, und man sah ihm seine Enttäuschung an.
„Glaube ich nicht“, behauptete Kastrilla.
„Warum?“ Er hob den Kopf, doch Kastrilla wandte sich ab.
„Können wir das nicht woanders besprechen? Mir ist nach einem schönen heißen Efaaki. Und ich weiß, niemand kocht ihn besser als du.“
Murlo glaubte zu verstehen. Er verstand auch sein Herz, das plötzlich wie wild von innen gegen die Schuppen hämmerte. Das verstärkte sich noch, nachdem sie gemeinsam seine Kabine betreten hatten und er nun mit fahrigen Bewegungen an der Efaaki-Maschine hantierte. Er musste drei Hände nehmen, um beim Eingießen nichts von dem belebenden Getränk zu verschütten.
„Wir werden diesmal unsere Forschungen länger als gewöhnlich ausdehnen“, sagte Kastrilla und ließ sich ungeniert auf sein Anti-Gravitations-Kissen fallen. Murlo glitt neben sie und reichte ihr den Becher.
„Meinst du?“
„Natürlich! Das intelligente Leben auf diesem Planeten scheint in seinen historisch gewachsenen Strukturen einmalig zu sein. Zumindest sind wir bisher auf nichts Gleichartiges gestoßen.“
Kastrilla machte eine Pause, setzte den Becher an die Schnauze. Murlo hörte mit Vergnügen ihr genüssliches Schlürfen und umfing ihren reizenden Körper mit allen fünf Blicken.
Wie schön sie doch war – und wie klug. Ihm wollte immer noch nicht einleuchten, dass sie ausgerechnet ihn, den unscheinbaren Schiffskoch soviel Aufmerksamkeit widmete. Seinen Körper begannen Gefühle zu überschwemmen, bei denen sich die Hoffnung auf Erfüllung und die Angst vor Enttäuschung noch die Waage hielten. Es fiel ihm mit einem Mal schwer, sich auf Kastrillas Ausführungen zu konzentrieren. Aber er zwang sich dazu. Er musste auf sie eingehen, er musste beweisen, dass auch er über ein ausreichendes Maß an Intelligenz und Bildung verfügte.
„Ich wundere mich ohnehin, dass wir so weit am Rande unserer Galaxis überhaupt noch intelligentes Leben vorgefunden haben. Soviel ich weiß, nimmt nach der Nodrumischen Regel die Wahrscheinlichkeit für das Antreffen solch hoch entwickelter Lebewesen mit der Entfernung vom Zentrum der Galaxis ab. Und bei der geltenden Wahrscheinlichkeitsformel handelt es sich sogar um eine Expotentialfunktion, wodurch das Ergebnis…“
„…gegen Null geht, aber eben nicht ganz Null wird“, fiel ihm Kastrilla ins Wort und setzte den Becher vorsichtig zurück.
Murlo glaubte, so etwas wie Anerkennung in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Das machte ihn mutiger und veranlasste ihn, die vielfältigen Begegnungen, die sie während ihrer Reise mit fremden Zivilisationen gehabt hatten, zu analysieren und zu werten. Am Schluss stellte er die Frage, was denn ausgerechnet an diesen unterentwickelten Pelz-Vierbeinern so interessant sei.
„Bislang haben wir uns immer nutzbringend mit fremden Lebensformen auszutauschen vermocht. Aber hier? Was fesselt euch Wissenschaftler an diesen kurzlebigen Wesen, die ihr Dasein damit vergeuden, völlig sinnlos in ihren Rollfußkäfern auf schmalen Pfaden herum zu flitzen, anstatt sich beispielsweise auf eine Erfolg versprechende Heilung läppischer Krankheiten zu konzentrieren?“
Kastrilla lächelte. Murlos Eifer schien sie zu amüsieren.
„Unsere Historiker beschäftigt vor allem die Frage, wie es möglich sein konnte, dass diese Gesellschaft in einer geradezu atemberaubend kurzen Zeit von nur rund fünfzig Großaneel sich von allerprimitivsten Formen zu den heutigen Strukturen wandeln konnte.“
„Die lächerlich geringe Lebenserwartung wird es sein, die sie voran treibt“, sagte Murlo und grinste, weil er seine Behauptung für einen makabren Scherz hielt.
Doch Kastrilla nickte ernsthaft und meinte, dass er damit vielleicht gar nicht so falsch läge.
„Und so wahnsinnig weit sind sie ja in ihrer Entwicklung auch noch gar nicht voran geschritten“, setzte er geringschätzig hinzu.
„Aber wir haben zum Beispiel wesentlich länger gebraucht“, konterte sie.
„Ist das so wichtig?“
Hatte sie etwas von seiner Ungeduld gespürt? Die Vermutung lag nahe, denn sie wechselte plötzlich das Thema und fragte ihn, wann er seinen Dienst in der Küche antreten müsse. Murlo rief seine im Gedächtnis mitlaufende Zeitmessung ab und meinte dann, dass noch genügend Zeit wäre.
„Zeit – wofür?“
Sie maß ihn plötzlich wieder mit Blicken, die ihm durch und durch gingen.
„Kastrilla – ich…“
Ganz vorsichtig näherte er seine Tentakeln den ihren, bereit, sie bei der leisesten Abwehrbewegung wieder zurück zu ziehen. Doch sie trafen sich auf halbem Wege. Ein kurzes Zucken, ein wonniges Verharren, dann hatten sich die sensiblen Gefühlsantennen gefunden, verschlangen miteinander und übertrugen Signale, wie nur Liebende sie zu senden und zu empfangen wussten. Und dieses wunderbare gemeinsame Vibrieren hielt an. Es überflutete ihre Körper mit Reizen, die Kastrilla seufzen ließen, während er ein sehnsüchtiges Fauchen nicht zu verhindern wusste.
Als sie endlich voneinander abließen, sah er in ihren Augen ein Leuchten, das ihn glücklich machte. Und er wusste, dass auch seine Blicke dieses Leuchten zu ihr trugen.
„Dafür“, sagte Kastrilla und lächelte ihn an.
„Ich kann es noch gar nicht richtig glauben“, stammelte er. „Du und ich… wie sehr ich davon geträumt habe…aber eben nur geträumt…und nun…“
„Sie haben wundervolle Strände.“
Er schaute verdutzt – verstand sie nicht.
„Ich habe mir gerade vorgestellt, wie es sei, wenn wir Beide jetzt an einem dieser feinsandigen Strände liegen würden. Die Schuppen noch ganz nass vom salzigen Wasser dehnen wir unsere Körper in der Wärme der kleinen Sonne, bewundern das merkwürdige Blau des Himmels und versuchen den Wolkengebilden einen Sinn zu geben. Weißt du, dass es dort unten ganz weiße Wasserdampfwolken gibt, die sich ständig zu neuen Phantasieobjekten formieren?“
Nein, das wusste er nicht. Und er versuchte auch gar nicht erst, seine Phantasie zu bemühen.
„Ich habe Landgangssperre“, sagte er nüchterner als gewollt.
Doch Kastrilla lachte, und wieder suchte sie nach seinen Tentakeln und hielt sie ganz fest.
„Was sind schon zehn Titaks? Wir werden gemeinsam noch viel Zeit auf diesem kleinen sonderbaren, aber auch reizvollen Planeten verbringen. Du wirst mir dabei helfen, Pflanzen und Tiere zu sammeln, ich analysiere sie und du prüfst sie auf ihre Genießbarkeit. Na, wenn das keine sinnvolle Arbeitsteilung ist.“
Murlo zuckte zusammen. Er musste wieder daran denken, dass er um ein Haar ein intelligentes Lebewesen geschlachtet und in die Pfanne gehauen hätte. Er vertiefte daher das Thema nicht weiter, sondern wollte wissen, was Kastrilla eigentlich so sicher machte, dass ihr Aufenthalt diesmal wesentlich länger ausfallen würde.
Kastrilla konnte nicht antworten, weil sie gerade einen tiefen Zug aus dem Krug nahm. Nachdem sie das Gefäß zurück gestellt hatte, ließ sie sich übermütig nach hinten fallen und genoss sichtlich das dadurch entstehende Pendeln der Matte.
Murlo sah, wie sie ihre Augen nachdenklich gegen die Decke gerichtet hielt. Ihr Gesicht hatte einen undefinierbaren Ausdruck angenommen.
„Wahrscheinlich wird es nur unserer Expedition vorbehalten sein, diese ungewöhnliche Zivilisation zu studieren“, sagte sie schließlich.
„Warum?“
Murlo streckte sich neben ihr aus und heftete nun seinerseits den Blick auf die Deckenwaben, die auf seinen Gedankenbefehl hin ihr diffuses Leuchten merklich verringerten.
So lagen sie eine geraume Zeit still nebeneinander. Er hatte nur aus Höflichkeit gefragt und war keineswegs böse, weil sie nicht antwortete. So entspannt neben ihr zu liegen und ihren Körperduft zu atmen, das ließ den ohnehin so winzigen Planeten dort unten immer weiter schrumpfen, bis er aus dem Bewusstsein verschwand. Murlo war mit Kastrilla allein – im Moment zählte nur das. Schon züngelten seine Tentakel wieder behutsam tastend zu ihr hinüber.
„Eine zweite Chance wird es nicht geben“, hörte er sie sagen, und es verwirrte ihn. Hieß das etwa, er bekäme nur einmal die Gelegenheit, sie zu… Und er hatte geglaubt, sie würde seine Gefühle erwidern. Alles nur ein einmaliges Spiel, das sich Kastrilla da erlaubte mit ihm zu spielen? Das kam so unerwartet, dass er erschrocken die Tentakeln einrollte und fast schon verzweifelt zu ihr hinüber schielte.
„Warum?“ wiederholte er, aber diese Frage bezog sich auf etwas ganz anderes als eben noch.
„Die Mönschlein sind dabei, sich umzubringen.“
Murlo brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Dann spürte er grenzenlose Erleichterung in sich aufsteigen. Die einmalige Chance bezog sich nicht auf ihn.
„Was sagst du da?“ Es kam sogar so etwas wie Interesse in ihm auf.
„Sie sind zwar – gemessen am normalen Standart – noch völlig unterentwickelt, aber technisch durchaus in der Lage, ihren Planeten allmählich unbewohnbar zu machen. Und das tun sie auch nach besten Kräften.“
Murlo vermochte ein überraschtes Grunzen nicht zu verhindern.
„Woher willst du das wissen?“
„Der erste Hinweis kam von unseren Klimatologen“, erklärte Kastrilla und hielt ihm dann einen Vortrag über einen zunehmenden Treibhauseffekt, abschmelzende Eismassen, steigende Meeresspiegel und zunehmend starke Unwetter.
„Alles Vorboten einer beginnenden Umwälzung, die in einer Katastrophe enden wird.“
Murlo hatte Kastrillas weitschweifigen Erläuterungen schweigend zur Kenntnis genommen, stand aber den von ihr ins Feld geführten Fakten recht skeptisch gegenüber. Klimatologen – niemand an Bord produzierte so viele Fehlprognosen, wie diese Wichtigtuer. Würden seine Rezepte eine ähnliche Fehlerquote aufweisen, dann triebe das Raumschiff mit vergifteter Mannschaft längst führerlos durch das All.
„Wie will man solch dramatische Veränderungen festgestellt haben“, schnaufte er verächtlich. „Wir sind ja mal gerade erst…“
„Du vergisst die Schnelllebigkeit in dieser Zivilisation. Als wir hier ankamen, war zum Beispiel deine so genannte „Nacktschnecke“ gerade erst geboren. Und sie wird längst tot sein, wenn wir von hier wieder aufbrechen.“
„Schade“, sagte er. „Irgendwie mag ich sie.“
Er vermochte sich nicht vorzustellen, warum dieses kleine ängstliche Wesen sein kurzes Dasein einzig dazu nutzen sollte, seinen hübschen Planeten kaputt zu spielen.
„Es ist nicht „deine Nacktschnecke“, die sich bewusst mit der Zerstörung ihrer Umwelt beschäftigt. Das passiert ganz nebenbei. Sie tut es, indem sie existiert. Und sie fühlt sich unschuldig, wie wohl fast alle diese Wesen. Es ist nämlich die Gesellschaft als Ganzes, die mit ihrer Struktur und Funktionsweise den Untergang des Planeten herauf beschwört. Und das Verrückte daran ist, dass sie das nicht einmal aus Unwissenheit tun. Alles, was wir bislang darüber in Erfahrung bringen konnten, weist darauf hin, dass sie sich der Gefahren durchaus bewusst sind. Und sie scheinen sogar die Mittel zu kennen, um ihnen zu begegnen. Aber sie wenden sie nicht an.“
„Komische Wesen“, brummte Murlo, der das Gespräch nun gern abgebrochen hätte.
Im Moment interessierten ihn die Motive dieser potentiellen Selbstmörder herzlich wenig. Er spürte sich immer ungeduldiger werden. War es denn nicht endlich Zeit, sich den wirklich wichtigen Dingen zu widmen? Wozu machte ihn Kastrilla erst mit ihren Tentakeln verrückt, wenn sie sich dann in eine Analyse dieser, zugegeben sehr merkwürdigen, Lebensform hier am Rande der Galaxis verbiss? Ein Test? Wollte sie mit derartigen Gesprächen herausfinden, ob er, der kleine Koch, der großen Chefbiologin geistig gewachsen war? Er spürte Ärger in sich aufkommen und hatte Mühe, ihn zu verbergen.
„Ja, komisch sind sie schon – deine Nacktschnecken“, hörte er Kastrilla sagen.
Hatte sie seinen demonstrativen Seufzer bewusst überhört? Höchstwahrscheinlich – denn sie ließ es sich nicht nehmen, weiter über das skurrile Verhalten der Mönschlein zu dozieren.
Murlo hörte artig zu und versuchte klammheimlich kühles Blut in sein Hohlhorn zu leiten. Nein – das wurde hier nix mehr. Kastrillas Begehren war nur ein Aufflackern gewesen, das nun im Schwall ihrer Analysenwut kläglich verzischte. Schade. Ihre Worte begannen zu verschwimmen. Sie passierten zwar noch seine Gehörgänge, aber sie hatten es immer schwerer, um in sein Bewusstsein vorzudringen. Zu spät klappte er die Schnauze zu. Der von Enttäuschung getragene Faucher war schon raus.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
„Aber natürlich“, versicherte er hastig und versuchte sich zu konzentrieren. Was hatte sie gerade gesagt? Keine Ahnung! Er glaubte, den Begriff „Vernunft“ aufgeschnappt zu haben. Aber was war damit? Verdammt – er musste sich am Riemen reißen, denn er durfte Kastrillas Zuneigung nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, indem er hier seine Gleichgültigkeit heraus hängen ließ.
„Ohne Vernunft geht natürlich gar nichts“, sagte er in den blauen Dunst hinein.
„Danke. Das hätte ich zur Not auch allein gewusst“, höhnte Kastrilla und blinzelte misstrauisch zu ihm hinüber. „Ich sprach von dem Phänomen, das wir auf diesem Planeten beobachten können. Obwohl die Mönschlein von je her ausschließlich vernunftgesteuertes Handeln abzulehnen scheinen, haben sie eine gesellschaftliche Entwicklungsstufe erreicht, die sie unter diesen Umständen rein theoretisch gar nicht hätten erreichen dürfen.
„Du meinst, sie kennen gar keine Vernunft?“
„Nein, das glaube ich nicht. Es muss immer wieder Phasen gegeben haben, wo man sich dem Diktat der Vernunft untergeordnet hat. Wahrscheinlich unter entsprechendem Zwang. Und wie unsere Gesellschaftswissenschaftler herausgefunden haben wollen, gab und gibt es auch zurzeit genügend gute Ansätze. Man setzt sie nur nicht um. Und so bietet die Mehrheit der Mönschlein alle Kraft auf, um für das Entkräften vernünftiger Argumente, möglichst stichhaltige Begründungen zu finden, und so das Nichtbefolgen vernünftiger Vorschläge als vernünftig darzustellen. Und das am häufigsten gedachte, aber selten geäußerte Argument schein zu sein: Mag die Welt zugrunde gehen – ich erlebe es ja sowieso nicht mehr.“
Murlo, der sich redlich bemüht hatte, ihren ziemlich verschlungen anmutenden Ausführungen zu folgen, fühlte sich trotz dieser Bemühungen um keinen Deut schlauer. Vor allem sah er keinen Sinn in all dem Sammeln und Auswerten von Informationen über die Bewohner eines galaxialen Randplaneten, die sich ohnehin das Ziel gesetzt hatten, ihre Heimat unbewohnbar zu machen. Im Geschichtsbuch der Galaxis würde man den Mönschlein eine Randnotiz widmen- und das war es dann auch. Er fühlte, wie er mit seiner Geduld am Ende war. Und so wurde er sogar etwas unhöflich, als er Kastrilla unterbrach, um sein Resümee zu ziehen.
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, müsste man die kurzlebigen Wesen einfach nur mit Gewalt zwingen, vernünftig zu sein? Da wir uns aber nicht einmischen wollen, wird es niemanden geben, der das in der gebotenen Konsequenz durchsetzt. Wo liegt dann aber der Sinn unseres Handelns beziehungsweise unseres Nichtstuns. Wir schauen denen da unten kopfschüttelnd zu und sonnen uns in dem erhabenen Gefühl, zu einer durch und durch vernünftigen Spezies zu gehören. Was bringt das uns und den Mönschlein? Das ist doch nur Forschung um der Forschung Willen. Da suche ich auf diesem Planeten lieber nach ein paar brauchbaren Kräutern. Das macht wenigstens Sinn“
Murlo linste wieder zu Kastrilla hinüber. War er zu schroff gewesen? Schwieg sie jetzt, weil er sie in ihrer Wissenschaftler-Ehre verletzt hatte?
Kastrilla hielt die Augen geschlossen. Um ihre Kiefer lag tatsächlich ein Zug, der auf ein gewisses Maß an Kränkung schließen ließ. Doch das änderte sich. Langsam drehte sie den Kopf zu ihm, und als sie ein Auge öffnete, lag ein mokantes Lächeln auf ihrem Gesicht.
„Hattest du ‚durch und durch vernünftig’ gesagt?“
„Klar, das sind wir doch – oder?“
„In all unserem Tun?“
Er wusste nicht, worauf sie hinaus wollte. Doch während er noch dahinter zu kommen suchte, fühlte er plötzlich ihre Tentakeln an seinem Hohlhorn und - erbebte.
„Hältst du auch das für durch und durch vernünftig?“ raunte sie und intensivierte ihr tastendes Spiel.
„Weiß ich nicht“, stöhnte er. „Aber ich halte es für die gescheiteste Idee, die du je hattest.“
„Bist du sicher?“ Sie fasste ihn sanft am Unterkiefer und zog seinen Kopf auf diese Weise näher an sich heran.
„Ganz sicher“, bekam er gerade noch heraus. Dann ließ er seine dreigliedrige Zunge über ihre Schuppen nahe dem Halsansatz gleiten. Mit zunehmender Erregung registrierte er, wie die Segmente ihres Zentralverschlusses immer stärker zu vibrieren begannen. Ein Zittern durchlief ihren Körper, ihre Arme rissen ihn an sich. Weit beugte sie den Kopf nach hinten, den Hals nun völlig frei gebend.
„Kastrilla!“
All die aufgestaute Sehnsucht brach sich nun Bahn. Das rasende Flattern ihrer Verschlusssegmente entfachte in ihm eine Hitze, von der gleich drei Gehirnviertel jäh lahm gelegt wurden. Schon glitt die Spitze seines aufglühenden Hohlhorns aufgeregt suchend über die weich werdenden Kehlschuppen.
„Murlo!“
Zeitgleich mit dem Schrei fuhren die Segmente auseinander. Nichts stand der Vereinigung noch im Wege.
„Ach so. Du meinst das Zeug, das von dir getrocknet, pulverisiert und dann als Gewürz verwendet wurde“, erinnerte sich Kastrilla.
„Ein einzigartiges Gewürz“, lobte Schurdak und ließ genießerisch die Augen rollen.
„“Ja – aber leider ist der Vorrat nahezu aufgebraucht“, trumpfte Murlo auf. Und als er das Bedauern in Schurdaks Zügen entdeckte, fuhr er fort: „Als ich durch die Öffnung in den Hohlstein hinein schaute, sah ich, wie das Mönschlein – zu diesem Zeitpunkt hielt ich es ja noch für einen Käfer – wie also dieses kleine Ding völlig rotbehäutet im Raum stand. Plötzlich streifte der vermutliche Käfer seine Haut ab und präsentierte sich in hellem Grün. Ich hatte in diesem Moment nur die Begriffe im Kopf: Käfer – Wechselhaut – Gewürz! Und da packte ich zu.“
Na, wenn das keine Rechtfertigung war. Schurdaks Blicke schienen tatsächlich versöhnlicher zu werden. Doch der Expeditionschef hakte nach und wollte wissen, warum Murlo nicht einfach nur die „rote Haut“ mitgenommen hätte.
„Ich wollte etwas Reproduzierbares.“
„Aha. Und? Die Ergebnisse deiner Recherche?“
„Fehlanzeige“, gab Murlo kleinlaut zu. „Ein völlig geschmackloses, pappiges Zeug.“
Murlo hörte Kastrilla laut auflachen. Dann setzte sie auch schon wieder zu einer langatmigen Erklärung an.
„Es handelt sich ja auch nicht um eine Wechselhaut, sondern nur um eines von unzähligen hier vorkommenden Körperbedeckungsmitteln. Weil ihr Pelz verkümmert ist, müssen sie sich mit eigens dafür angefertigten Weichmaterialien vor den Witterungseinflüssen schützen. Es gibt mannigfaltige Schutzbedeckungen, die man sich einfach umlegt oder die so gearbeitet sind, dass man in sie hinein schlüpfen kann. Die Vielzahl der Formen und Farben deutet darauf hin, dass diese künstlichen Oberhäute nicht nur Schutzzwecken dienen. Sie sollen wohl vor allem auch die recht langweilig gefärbte Originalhaut schmücken. Das ist ein ähnliches Verhalten, wie wir es vom Färben unserer Schuppen kennen.“
‚Worin du natürlich eine Meisterin bist – unvergleichliche Kastrilla!’
Murlo hatte diesen Ausruf natürlich nur gedacht. Trotzdem warf ihm Kastrilla einen Blick zu, der ein wohliges Gefühl in ihm auslöste und seine Tentakelspitzen verräterisch vibrieren ließ. Vermochte sie seine Gedanken auch bei deaktiviertem Übertragungsmodus zu erfassen? Ihr Blick schien dies zu bejahen. Murlo vermochte kaum genug Konzentration aufzubieten, um sein Hohlhorn in Ruhelage zu halten. Und das musste Kastrilla bemerkt haben, denn um ihre süße Schnauze spielte ein amüsiertes Grinsen.
Schurdak, dem die flüchtige Szene nicht entgangen war, hob ärgerlich das fünfte Auge.
„Ich denke, es ist alles gesagt“, brummte er, nicht ohne ein drohendes „vorläufig“ hinterher zu schieben.
„Was wirst du jetzt tun?“, wollte Kastrilla wissen, als sie wieder auf dem Gang standen.
Murlo ließ mutlos die Spitze seines Stummelschwanzes kreisen.
„Zehn Titaks! Wenn die um sind, rasen wir doch längst wider durch das All“, murmelte er, und man sah ihm seine Enttäuschung an.
„Glaube ich nicht“, behauptete Kastrilla.
„Warum?“ Er hob den Kopf, doch Kastrilla wandte sich ab.
„Können wir das nicht woanders besprechen? Mir ist nach einem schönen heißen Efaaki. Und ich weiß, niemand kocht ihn besser als du.“
Murlo glaubte zu verstehen. Er verstand auch sein Herz, das plötzlich wie wild von innen gegen die Schuppen hämmerte. Das verstärkte sich noch, nachdem sie gemeinsam seine Kabine betreten hatten und er nun mit fahrigen Bewegungen an der Efaaki-Maschine hantierte. Er musste drei Hände nehmen, um beim Eingießen nichts von dem belebenden Getränk zu verschütten.
„Wir werden diesmal unsere Forschungen länger als gewöhnlich ausdehnen“, sagte Kastrilla und ließ sich ungeniert auf sein Anti-Gravitations-Kissen fallen. Murlo glitt neben sie und reichte ihr den Becher.
„Meinst du?“
„Natürlich! Das intelligente Leben auf diesem Planeten scheint in seinen historisch gewachsenen Strukturen einmalig zu sein. Zumindest sind wir bisher auf nichts Gleichartiges gestoßen.“
Kastrilla machte eine Pause, setzte den Becher an die Schnauze. Murlo hörte mit Vergnügen ihr genüssliches Schlürfen und umfing ihren reizenden Körper mit allen fünf Blicken.
Wie schön sie doch war – und wie klug. Ihm wollte immer noch nicht einleuchten, dass sie ausgerechnet ihn, den unscheinbaren Schiffskoch soviel Aufmerksamkeit widmete. Seinen Körper begannen Gefühle zu überschwemmen, bei denen sich die Hoffnung auf Erfüllung und die Angst vor Enttäuschung noch die Waage hielten. Es fiel ihm mit einem Mal schwer, sich auf Kastrillas Ausführungen zu konzentrieren. Aber er zwang sich dazu. Er musste auf sie eingehen, er musste beweisen, dass auch er über ein ausreichendes Maß an Intelligenz und Bildung verfügte.
„Ich wundere mich ohnehin, dass wir so weit am Rande unserer Galaxis überhaupt noch intelligentes Leben vorgefunden haben. Soviel ich weiß, nimmt nach der Nodrumischen Regel die Wahrscheinlichkeit für das Antreffen solch hoch entwickelter Lebewesen mit der Entfernung vom Zentrum der Galaxis ab. Und bei der geltenden Wahrscheinlichkeitsformel handelt es sich sogar um eine Expotentialfunktion, wodurch das Ergebnis…“
„…gegen Null geht, aber eben nicht ganz Null wird“, fiel ihm Kastrilla ins Wort und setzte den Becher vorsichtig zurück.
Murlo glaubte, so etwas wie Anerkennung in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Das machte ihn mutiger und veranlasste ihn, die vielfältigen Begegnungen, die sie während ihrer Reise mit fremden Zivilisationen gehabt hatten, zu analysieren und zu werten. Am Schluss stellte er die Frage, was denn ausgerechnet an diesen unterentwickelten Pelz-Vierbeinern so interessant sei.
„Bislang haben wir uns immer nutzbringend mit fremden Lebensformen auszutauschen vermocht. Aber hier? Was fesselt euch Wissenschaftler an diesen kurzlebigen Wesen, die ihr Dasein damit vergeuden, völlig sinnlos in ihren Rollfußkäfern auf schmalen Pfaden herum zu flitzen, anstatt sich beispielsweise auf eine Erfolg versprechende Heilung läppischer Krankheiten zu konzentrieren?“
Kastrilla lächelte. Murlos Eifer schien sie zu amüsieren.
„Unsere Historiker beschäftigt vor allem die Frage, wie es möglich sein konnte, dass diese Gesellschaft in einer geradezu atemberaubend kurzen Zeit von nur rund fünfzig Großaneel sich von allerprimitivsten Formen zu den heutigen Strukturen wandeln konnte.“
„Die lächerlich geringe Lebenserwartung wird es sein, die sie voran treibt“, sagte Murlo und grinste, weil er seine Behauptung für einen makabren Scherz hielt.
Doch Kastrilla nickte ernsthaft und meinte, dass er damit vielleicht gar nicht so falsch läge.
„Und so wahnsinnig weit sind sie ja in ihrer Entwicklung auch noch gar nicht voran geschritten“, setzte er geringschätzig hinzu.
„Aber wir haben zum Beispiel wesentlich länger gebraucht“, konterte sie.
„Ist das so wichtig?“
Hatte sie etwas von seiner Ungeduld gespürt? Die Vermutung lag nahe, denn sie wechselte plötzlich das Thema und fragte ihn, wann er seinen Dienst in der Küche antreten müsse. Murlo rief seine im Gedächtnis mitlaufende Zeitmessung ab und meinte dann, dass noch genügend Zeit wäre.
„Zeit – wofür?“
Sie maß ihn plötzlich wieder mit Blicken, die ihm durch und durch gingen.
„Kastrilla – ich…“
Ganz vorsichtig näherte er seine Tentakeln den ihren, bereit, sie bei der leisesten Abwehrbewegung wieder zurück zu ziehen. Doch sie trafen sich auf halbem Wege. Ein kurzes Zucken, ein wonniges Verharren, dann hatten sich die sensiblen Gefühlsantennen gefunden, verschlangen miteinander und übertrugen Signale, wie nur Liebende sie zu senden und zu empfangen wussten. Und dieses wunderbare gemeinsame Vibrieren hielt an. Es überflutete ihre Körper mit Reizen, die Kastrilla seufzen ließen, während er ein sehnsüchtiges Fauchen nicht zu verhindern wusste.
Als sie endlich voneinander abließen, sah er in ihren Augen ein Leuchten, das ihn glücklich machte. Und er wusste, dass auch seine Blicke dieses Leuchten zu ihr trugen.
„Dafür“, sagte Kastrilla und lächelte ihn an.
„Ich kann es noch gar nicht richtig glauben“, stammelte er. „Du und ich… wie sehr ich davon geträumt habe…aber eben nur geträumt…und nun…“
„Sie haben wundervolle Strände.“
Er schaute verdutzt – verstand sie nicht.
„Ich habe mir gerade vorgestellt, wie es sei, wenn wir Beide jetzt an einem dieser feinsandigen Strände liegen würden. Die Schuppen noch ganz nass vom salzigen Wasser dehnen wir unsere Körper in der Wärme der kleinen Sonne, bewundern das merkwürdige Blau des Himmels und versuchen den Wolkengebilden einen Sinn zu geben. Weißt du, dass es dort unten ganz weiße Wasserdampfwolken gibt, die sich ständig zu neuen Phantasieobjekten formieren?“
Nein, das wusste er nicht. Und er versuchte auch gar nicht erst, seine Phantasie zu bemühen.
„Ich habe Landgangssperre“, sagte er nüchterner als gewollt.
Doch Kastrilla lachte, und wieder suchte sie nach seinen Tentakeln und hielt sie ganz fest.
„Was sind schon zehn Titaks? Wir werden gemeinsam noch viel Zeit auf diesem kleinen sonderbaren, aber auch reizvollen Planeten verbringen. Du wirst mir dabei helfen, Pflanzen und Tiere zu sammeln, ich analysiere sie und du prüfst sie auf ihre Genießbarkeit. Na, wenn das keine sinnvolle Arbeitsteilung ist.“
Murlo zuckte zusammen. Er musste wieder daran denken, dass er um ein Haar ein intelligentes Lebewesen geschlachtet und in die Pfanne gehauen hätte. Er vertiefte daher das Thema nicht weiter, sondern wollte wissen, was Kastrilla eigentlich so sicher machte, dass ihr Aufenthalt diesmal wesentlich länger ausfallen würde.
Kastrilla konnte nicht antworten, weil sie gerade einen tiefen Zug aus dem Krug nahm. Nachdem sie das Gefäß zurück gestellt hatte, ließ sie sich übermütig nach hinten fallen und genoss sichtlich das dadurch entstehende Pendeln der Matte.
Murlo sah, wie sie ihre Augen nachdenklich gegen die Decke gerichtet hielt. Ihr Gesicht hatte einen undefinierbaren Ausdruck angenommen.
„Wahrscheinlich wird es nur unserer Expedition vorbehalten sein, diese ungewöhnliche Zivilisation zu studieren“, sagte sie schließlich.
„Warum?“
Murlo streckte sich neben ihr aus und heftete nun seinerseits den Blick auf die Deckenwaben, die auf seinen Gedankenbefehl hin ihr diffuses Leuchten merklich verringerten.
So lagen sie eine geraume Zeit still nebeneinander. Er hatte nur aus Höflichkeit gefragt und war keineswegs böse, weil sie nicht antwortete. So entspannt neben ihr zu liegen und ihren Körperduft zu atmen, das ließ den ohnehin so winzigen Planeten dort unten immer weiter schrumpfen, bis er aus dem Bewusstsein verschwand. Murlo war mit Kastrilla allein – im Moment zählte nur das. Schon züngelten seine Tentakel wieder behutsam tastend zu ihr hinüber.
„Eine zweite Chance wird es nicht geben“, hörte er sie sagen, und es verwirrte ihn. Hieß das etwa, er bekäme nur einmal die Gelegenheit, sie zu… Und er hatte geglaubt, sie würde seine Gefühle erwidern. Alles nur ein einmaliges Spiel, das sich Kastrilla da erlaubte mit ihm zu spielen? Das kam so unerwartet, dass er erschrocken die Tentakeln einrollte und fast schon verzweifelt zu ihr hinüber schielte.
„Warum?“ wiederholte er, aber diese Frage bezog sich auf etwas ganz anderes als eben noch.
„Die Mönschlein sind dabei, sich umzubringen.“
Murlo brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Dann spürte er grenzenlose Erleichterung in sich aufsteigen. Die einmalige Chance bezog sich nicht auf ihn.
„Was sagst du da?“ Es kam sogar so etwas wie Interesse in ihm auf.
„Sie sind zwar – gemessen am normalen Standart – noch völlig unterentwickelt, aber technisch durchaus in der Lage, ihren Planeten allmählich unbewohnbar zu machen. Und das tun sie auch nach besten Kräften.“
Murlo vermochte ein überraschtes Grunzen nicht zu verhindern.
„Woher willst du das wissen?“
„Der erste Hinweis kam von unseren Klimatologen“, erklärte Kastrilla und hielt ihm dann einen Vortrag über einen zunehmenden Treibhauseffekt, abschmelzende Eismassen, steigende Meeresspiegel und zunehmend starke Unwetter.
„Alles Vorboten einer beginnenden Umwälzung, die in einer Katastrophe enden wird.“
Murlo hatte Kastrillas weitschweifigen Erläuterungen schweigend zur Kenntnis genommen, stand aber den von ihr ins Feld geführten Fakten recht skeptisch gegenüber. Klimatologen – niemand an Bord produzierte so viele Fehlprognosen, wie diese Wichtigtuer. Würden seine Rezepte eine ähnliche Fehlerquote aufweisen, dann triebe das Raumschiff mit vergifteter Mannschaft längst führerlos durch das All.
„Wie will man solch dramatische Veränderungen festgestellt haben“, schnaufte er verächtlich. „Wir sind ja mal gerade erst…“
„Du vergisst die Schnelllebigkeit in dieser Zivilisation. Als wir hier ankamen, war zum Beispiel deine so genannte „Nacktschnecke“ gerade erst geboren. Und sie wird längst tot sein, wenn wir von hier wieder aufbrechen.“
„Schade“, sagte er. „Irgendwie mag ich sie.“
Er vermochte sich nicht vorzustellen, warum dieses kleine ängstliche Wesen sein kurzes Dasein einzig dazu nutzen sollte, seinen hübschen Planeten kaputt zu spielen.
„Es ist nicht „deine Nacktschnecke“, die sich bewusst mit der Zerstörung ihrer Umwelt beschäftigt. Das passiert ganz nebenbei. Sie tut es, indem sie existiert. Und sie fühlt sich unschuldig, wie wohl fast alle diese Wesen. Es ist nämlich die Gesellschaft als Ganzes, die mit ihrer Struktur und Funktionsweise den Untergang des Planeten herauf beschwört. Und das Verrückte daran ist, dass sie das nicht einmal aus Unwissenheit tun. Alles, was wir bislang darüber in Erfahrung bringen konnten, weist darauf hin, dass sie sich der Gefahren durchaus bewusst sind. Und sie scheinen sogar die Mittel zu kennen, um ihnen zu begegnen. Aber sie wenden sie nicht an.“
„Komische Wesen“, brummte Murlo, der das Gespräch nun gern abgebrochen hätte.
Im Moment interessierten ihn die Motive dieser potentiellen Selbstmörder herzlich wenig. Er spürte sich immer ungeduldiger werden. War es denn nicht endlich Zeit, sich den wirklich wichtigen Dingen zu widmen? Wozu machte ihn Kastrilla erst mit ihren Tentakeln verrückt, wenn sie sich dann in eine Analyse dieser, zugegeben sehr merkwürdigen, Lebensform hier am Rande der Galaxis verbiss? Ein Test? Wollte sie mit derartigen Gesprächen herausfinden, ob er, der kleine Koch, der großen Chefbiologin geistig gewachsen war? Er spürte Ärger in sich aufkommen und hatte Mühe, ihn zu verbergen.
„Ja, komisch sind sie schon – deine Nacktschnecken“, hörte er Kastrilla sagen.
Hatte sie seinen demonstrativen Seufzer bewusst überhört? Höchstwahrscheinlich – denn sie ließ es sich nicht nehmen, weiter über das skurrile Verhalten der Mönschlein zu dozieren.
Murlo hörte artig zu und versuchte klammheimlich kühles Blut in sein Hohlhorn zu leiten. Nein – das wurde hier nix mehr. Kastrillas Begehren war nur ein Aufflackern gewesen, das nun im Schwall ihrer Analysenwut kläglich verzischte. Schade. Ihre Worte begannen zu verschwimmen. Sie passierten zwar noch seine Gehörgänge, aber sie hatten es immer schwerer, um in sein Bewusstsein vorzudringen. Zu spät klappte er die Schnauze zu. Der von Enttäuschung getragene Faucher war schon raus.
„Hörst du mir überhaupt zu?“
„Aber natürlich“, versicherte er hastig und versuchte sich zu konzentrieren. Was hatte sie gerade gesagt? Keine Ahnung! Er glaubte, den Begriff „Vernunft“ aufgeschnappt zu haben. Aber was war damit? Verdammt – er musste sich am Riemen reißen, denn er durfte Kastrillas Zuneigung nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, indem er hier seine Gleichgültigkeit heraus hängen ließ.
„Ohne Vernunft geht natürlich gar nichts“, sagte er in den blauen Dunst hinein.
„Danke. Das hätte ich zur Not auch allein gewusst“, höhnte Kastrilla und blinzelte misstrauisch zu ihm hinüber. „Ich sprach von dem Phänomen, das wir auf diesem Planeten beobachten können. Obwohl die Mönschlein von je her ausschließlich vernunftgesteuertes Handeln abzulehnen scheinen, haben sie eine gesellschaftliche Entwicklungsstufe erreicht, die sie unter diesen Umständen rein theoretisch gar nicht hätten erreichen dürfen.
„Du meinst, sie kennen gar keine Vernunft?“
„Nein, das glaube ich nicht. Es muss immer wieder Phasen gegeben haben, wo man sich dem Diktat der Vernunft untergeordnet hat. Wahrscheinlich unter entsprechendem Zwang. Und wie unsere Gesellschaftswissenschaftler herausgefunden haben wollen, gab und gibt es auch zurzeit genügend gute Ansätze. Man setzt sie nur nicht um. Und so bietet die Mehrheit der Mönschlein alle Kraft auf, um für das Entkräften vernünftiger Argumente, möglichst stichhaltige Begründungen zu finden, und so das Nichtbefolgen vernünftiger Vorschläge als vernünftig darzustellen. Und das am häufigsten gedachte, aber selten geäußerte Argument schein zu sein: Mag die Welt zugrunde gehen – ich erlebe es ja sowieso nicht mehr.“
Murlo, der sich redlich bemüht hatte, ihren ziemlich verschlungen anmutenden Ausführungen zu folgen, fühlte sich trotz dieser Bemühungen um keinen Deut schlauer. Vor allem sah er keinen Sinn in all dem Sammeln und Auswerten von Informationen über die Bewohner eines galaxialen Randplaneten, die sich ohnehin das Ziel gesetzt hatten, ihre Heimat unbewohnbar zu machen. Im Geschichtsbuch der Galaxis würde man den Mönschlein eine Randnotiz widmen- und das war es dann auch. Er fühlte, wie er mit seiner Geduld am Ende war. Und so wurde er sogar etwas unhöflich, als er Kastrilla unterbrach, um sein Resümee zu ziehen.
„Wenn ich dich richtig verstanden habe, müsste man die kurzlebigen Wesen einfach nur mit Gewalt zwingen, vernünftig zu sein? Da wir uns aber nicht einmischen wollen, wird es niemanden geben, der das in der gebotenen Konsequenz durchsetzt. Wo liegt dann aber der Sinn unseres Handelns beziehungsweise unseres Nichtstuns. Wir schauen denen da unten kopfschüttelnd zu und sonnen uns in dem erhabenen Gefühl, zu einer durch und durch vernünftigen Spezies zu gehören. Was bringt das uns und den Mönschlein? Das ist doch nur Forschung um der Forschung Willen. Da suche ich auf diesem Planeten lieber nach ein paar brauchbaren Kräutern. Das macht wenigstens Sinn“
Murlo linste wieder zu Kastrilla hinüber. War er zu schroff gewesen? Schwieg sie jetzt, weil er sie in ihrer Wissenschaftler-Ehre verletzt hatte?
Kastrilla hielt die Augen geschlossen. Um ihre Kiefer lag tatsächlich ein Zug, der auf ein gewisses Maß an Kränkung schließen ließ. Doch das änderte sich. Langsam drehte sie den Kopf zu ihm, und als sie ein Auge öffnete, lag ein mokantes Lächeln auf ihrem Gesicht.
„Hattest du ‚durch und durch vernünftig’ gesagt?“
„Klar, das sind wir doch – oder?“
„In all unserem Tun?“
Er wusste nicht, worauf sie hinaus wollte. Doch während er noch dahinter zu kommen suchte, fühlte er plötzlich ihre Tentakeln an seinem Hohlhorn und - erbebte.
„Hältst du auch das für durch und durch vernünftig?“ raunte sie und intensivierte ihr tastendes Spiel.
„Weiß ich nicht“, stöhnte er. „Aber ich halte es für die gescheiteste Idee, die du je hattest.“
„Bist du sicher?“ Sie fasste ihn sanft am Unterkiefer und zog seinen Kopf auf diese Weise näher an sich heran.
„Ganz sicher“, bekam er gerade noch heraus. Dann ließ er seine dreigliedrige Zunge über ihre Schuppen nahe dem Halsansatz gleiten. Mit zunehmender Erregung registrierte er, wie die Segmente ihres Zentralverschlusses immer stärker zu vibrieren begannen. Ein Zittern durchlief ihren Körper, ihre Arme rissen ihn an sich. Weit beugte sie den Kopf nach hinten, den Hals nun völlig frei gebend.
„Kastrilla!“
All die aufgestaute Sehnsucht brach sich nun Bahn. Das rasende Flattern ihrer Verschlusssegmente entfachte in ihm eine Hitze, von der gleich drei Gehirnviertel jäh lahm gelegt wurden. Schon glitt die Spitze seines aufglühenden Hohlhorns aufgeregt suchend über die weich werdenden Kehlschuppen.
„Murlo!“
Zeitgleich mit dem Schrei fuhren die Segmente auseinander. Nichts stand der Vereinigung noch im Wege.