Die Versteigerung

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Ubertas

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Neulich wurde die Herzlichkeit versteigert. Vor dem Auktionshaus, einem Nebengebäude eines ehemaligen Klosters, hatte sich eine Warteschlange gebildet. Viele Interessenten waren gekommen. Manche blickten stumm zu Boden und musterten die Moosablagerungen zwischen den Pflastersteinen, während sie geduldig auf Einlass warteten. Andere nutzten die verbleibende Zeit für einen recht lebhaften Austausch mit ihren Mitstreitern. Sie hätten sich schon einiges Hintergrundwissen angeeignet und wären sich, spätestens seit der Vorbesichtigung, über den veritablen Wert des ersteigerbaren Gutes bewusst. Zustimmendes Kopfnicken besiegelte den Kreis der Kenner.
Irgendjemand beschwerte sich über den sperrigen Aufsteller mit der Aufschrift "Vorsicht Glatteisgefahr!". Angesichts fehlender Tiefdruckausläufer ein überflüssiges Bollwerk auf dem von der Mittagssonne durchfluteten Weg zum Haupteingang. Es dauerte nicht lange - entweder sorgte allgemeine Belustigung oder das Gedränge dafür - das Warnschild kippte und fiel um.
Um Punkt dreizehn Uhr öffneten sich die Pforten. Aus den Polsterstühlen des Auktionssaals drang ein muffiger Geruch, die weiß getünchten Wände verbargen nur spärlich die an ihnen nagende Feuchtigkeit.
Die Saalbieter nahmen Platz. Jeder hatte sich seine eigene Strategie zurecht gelegt, wann er sein Gebot eröffnen würde. Neidige Blicke und von hinten imaginär in den Rücken des Vorderen gebrannte Schwerter hinterließen ein zartes Knistern noch vor dem letzten Aufschlag des Hammers. Ein Raunen. Die Herzlichkeit wurde von einem anonymen Bieter ersteigert.
Erst raschelte es, die faltbaren Handzettel zur Objektbeschreibung wurden eilig in Hand- und Hosentaschen verstaut. Aus den vorderen Reihen in Pultnähe begannen die Stimmen der offensichtlich aufgebrachten Teilnehmer lauter zu werden. Der Mittelgang schloss sich an. Ein dumpfes, plattiertes Knurren drang nach vorn: "Warum sind wir eigentlich hier?" Der Auktionator sah über die vielen Köpfe hinweg, Richtung Ausgang. Die Menge hatte sich in eine Horde zorniger und fest entschlossener Aufrührer verwandelt, obwohl man ihnen vor einer dreiviertel Stunde zum Empfang Champagner und feine Häppchen serviert hatte.
Das Ganze erinnerte ihn an frühere Versteigerungen. Meistens, wenn so kostbare Eigenschaften wie Fröhlichkeit oder Dankbarkeit zur Auktion standen, gab es ähnliche Tumulte. So griff er in seine Westentasche, zog etwas heraus und präsentierte den Leerausgegangenen ihren Trostpreis. Ein Eiszapfengesicht.
Manche hatten es schon vor Auktionsbeginn auf und fühlten sich nun maßlos übergangen. Die Restlichen begannen, sich die Maske überzustreifen. Voller Freude, doch noch etwas erstanden zu haben. Das Gummiband hinter den Ohren störte sie anfangs noch, aber sie rissen sich zusammen und ertrugen das unangenehme Druckgefühl. Als schließlich alle das Eiszapfengesicht aufgesetzt hatten, verließen sie wortlos den Saal. Sie verhielten sich nicht viel anders als beim Einlass. Sie schoben und drückten. Nur dieses Mal fuhren sie nicht nur ihre Ellbogen aus, sie trampelten über alle grinsend hinweg, die beim Hinausgehen auf dem am Boden liegenden Schild ausgerutscht waren.
 

ARIIOOL

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Hallo Ubertas
Die Idee und die literarische Umsetzung finde ich ausgezeichnet. Gestört hat mich ein wenig dieser Satz Neidige Blicke und von hinten imaginär in den Rücken des Vorderen gebrannte Schwerter hinterließen ein zartes Knistern noch vor dem letzten Aufschlag des Hammers. Schwer zu lesen, und passt irgendwie nicht so recht zur restlichen Form.
 

petrasmiles

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Was für eine schräge - und gelungene - Idee. Aber wer sind sie, die die Herzlichkeit kaufen wollen - oder Fröhlichkeit und Dankbarkeit - und wer hat sie zur Ware gemacht, die man kaufen kann? Nicht nur die 'üblichen Verdächtigen' sind gemeint, nein, wir alle.

Liebe Grüße
Petra
 

Ubertas

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Hallo @ARIIOOL ,
manchmal sitzt ein kleiner Kobold auf meiner Schulter, der mir Sätze einflüstert, während ich schreibe. Du hast vollkommen recht, es passt nicht ganz ins Gefüge.
Um so mehr freue ich mich, dass du meine Geschichte gelesen hast und dir der "Kobold" auffiel.
Einen ganz lieben Dank auch für deine toĺle Bewertung.
Lieben Gruß ubertas
 
Zuletzt bearbeitet:

Ubertas

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Liebe Petra,
ich danke dir für deine Zeilen. Schräg ist das richtige Wort! Besonders wenn man geneigt ist, sich Herzlichkeit erkaufen zu wollen. Oder Fröhlichkeit und Dankbarkeit? Deswegen schicke ich die Saalbieter auch auf das "Glatteis", in ihrem nun legitimen Trostpreis sind sie gut aufgehoben. Nichts davon ist kaufbar. Greifbar. Egal, wie teuer und notwendig etwas angepriesen wird, es ersetzt nicht das eigene Gespür.
Ein großes Danke auch für deine vielen Sterne! Da mein "smart" phone zur Zeit spinnt, ersetze ich das nicht einsetzbare smiley mit roten Bäckchen durch mein eigenes, mit rötlichen Wangen versehene Lächeln. Danke.
Lieben Gruß zurück ubertas
 

rubber sole

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Liebe Ubertas,

eine überragende Idee, Charaktereigenschaften zu versteigern. Diese dann auch tatsächlich käuflich erwerben zu wollen, trotz einer Glatteiswarnung, lässt tief in Abgründe blicken.

Gruß von rubber sole
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @rubbersole,
danke für dein großes Lob. Du hast die Aussage meines Textes so treffend erfasst, darüber freue ich mich sehr! :)
Und selbstverständlich danke für deine tolle Bewertung.
Lieben Gruß ubertas
 



 
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