Trist schrieb:
Ich vegetiere nun sein Jahren zwischen Stühlen;
Hmm, acht Beiträge zu diesem Gedicht: Da werden Satzzeichen, Grammatik, Betonungen und Hebungen begutachtet, Verbesserungen vorgeschlagen – aber nicht einer kommt auf den Gedanken, den Autor auf einen simplen Tippfehler hinzuweisen. Der ließe sich recht einfach verbessern. Wenn ich dieses nachhole, dann möchte ich gerne auch noch etwas weiter ausholen und meine Gedanken zu den bekenntnishaften Versen äußern.
Offensichtlich geht es um den Aufbau einer gewissen Spannung, die erst in den letzten beiden Versen in eine Auflösung umschlägt. Dem Eingangslamento der zweimal vier Verse eines LyrIchs wird da die beglückende Erinnerung eines sommerwarmen Dus gegenübergestellt. Dieser Kontrast wird auch formal durch das Abrücken und die geänderte Schrift der letzten beiden Verse unterstützt. Der abschließende Doppelpunkt am Ende des achten Verses unterstreicht noch die Absicht, auf das 'verglimmende Ziel' hinzuleiten: Hier folgt demnach die Kernaussage, auf die der Text abzielt.
Soweit so gut nachvollziehbar. Allerdings überraschen und verwirren mich die Bilder in den ersten acht Versen ein wenig. Obwohl sie das Bild einer bedrückenden Gegenwart eint, werden doch sehr verschiedene Situationen geschildert:
- das Bild zwischen den (zwei Stühlen), weder im Hier noch im Dort: Sprachüblicherweise 'sitzt' man zwischen zwei Stühlen, um die absurde Ambivalenz einer Lebenssituation zu bezeichnen, oder man 'steht' (aus gleichem Grund) mit den Beinen in zwei verschiedenen Welten. Hier 'vegetiert' das LyrIch zwischen zwei Stühlen und mit jedem Bein in einer anderen Welt. Mir scheint diese Dopplung allerdings die Aussage nicht zu verstärken, eher zu schwächen.
- Sie führt auch nicht auf die folgenden Verse hin, denn hier wird die (binäre) Ambivalenz in ein 'waghalsiges Spiel mit tausenden Gefühlen' aufgelöst, was dazu in gewissem Widerspruch steht. Immerhin erfährt der Leser, dass es sich um ein Spiel gegen die Zeit handelt. Doch erfahren wir nicht, welche Regeln sie (die Zeit) bricht. Allgemein gilt ja die Einsicht, dass die Zeit immer Sieger bleibt, weil sie die Regeln vorgibt.
- Das Spiel wird in der zweiten Strophe zum Wettlauf. Allein die Formulierung 'mit der Hoffnung um die Wette laufen' weckt konträre Assoziationen. Zum einen klingt es nach 'mit Peter um die Wette laufen', dann wäre die Hoffnung ein Konkurrent, den es zu besiegen gälte. (Was für mich aber kaum einen Sinn ergibt.) Zum anderen ist vielleicht gemeint, 'voll der Hoffnung um die Wette zu laufen', dann aber wäre eine andere Präposition eindeutiger, z.B. : 'in der Hoffnung um die Wette laufen'.
Auch beim 'Ziel', wo ein 'ausgehauchtes Glück verglimmt' erlebe ich wie eingangs den Effekt, dass hier zwei Bilder unglücklich kombiniert werden. Denn was 'ausgehaucht' ist, das ist auch längst 'verglommen'; der Rauch als ausgehauchtes Glück ist nicht die (noch) glimmende Kippe, deren begrenztes Limit abschließend mit zwei(!) Pünktchen noch verdeutlicht wird ..
Ganz allgemein tut man gut daran, die Bilder nicht zu stapeln. Hier weckt es den Eindruck, als versuche der Autor die Wirkung seiner Worte durch Paraphrasen noch zu steigern, was leider eher das Gegenteil bewirkt.
Dazu passt auch die formale Absetzung des letzten Verspaares als der Ausdruck großer Liebe, dessen Wirkung durch das vorangegangene (und auch durch den ':') noch gesteigert werden soll. Auch da ist es für meinen Geschmack a bit too much. Während hier nun die Worte angenehm schlicht und trocken daher kommen und damit Sprache und Aussage anheben, hemmt das Plakative der Zeichen die Wirkung gleich wieder. Der Dichter scheint allein der Wirkung seiner Worte nicht recht zu trauen - dies scheint mit das Fazit aus dem Text, der eigentlich aus einer guten Idee entstand.
Warum nicht einfach eine inhaltliche Strophenaufteilung? Mein Vorschlag:
Ich vegetiere nun seit Jahren zwischen Stühlen;
das eine Bein im Jetzt, das andere im Licht.
Ein waghalsiges Spiel mit tausenden Gefühlen,
mein Gegner ist die Zeit, die alle Regeln bricht.
So lauf ich mit der Hoffnung um die Wette;
am Ziel verglimmt ein ausgehauchtes Glück
gleich einer aufgerauchten Zigarette.
Doch bringt es einen Herzschlag lang zurück
den Tag, der mich aus langen kalten Wintern führte,
als meine Hand die Wärme deines Sommers spürte ...
Gern kommentiert.
Liebe Grüße
JB