Die Wärme deines Sommers

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Trist

Mitglied
Ich vegetiere nun sein Jahren zwischen Stühlen;
das eine Bein im Jetzt, das andere im Licht.
Ein waghalsiges Spiel mit tausenden Gefühlen,
mein Gegner ist die Zeit, die alle Regeln bricht.

So lauf ich mit der Hoffnung um die Wette;
am Ziel verglimmt ein ausgehauchtes Glück.
Gleicht einer aufgerauchten Zigarette ..
Doch bringt es einen Herzschlag lang zurück:

Den Tag, der mich aus langen kalten Wintern führte,
als meine Hand die Wärme deines Sommers spürte ...
 
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Trist

Mitglied
Hallo fee, hallo Tula - habt herzlichen Dank für euer Lesen euere Sternchen!

Liebe Grüße
Trist
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe(r) Trist,

ich finde Zeitmetaphern immer ein bisschen schwierig - das Leben ist nun einmal in diesem Rahmen eingebettet. Da wird es schnell 'banal' - oder ansatzweise falsch.
mein Gegner ist die Zeit, die alle Regeln bricht.
Die Zeit ist die Regel, sie kann das Streben brechen, aber keine Regeln - und schon gar nicht alle.

Natürlich können wir als Menschen immer nur vom Gleichen dichten, und ich empfinde Deine Zeilen auch anrührend, aber wenn es schon gereimt sein soll, dann sollte hier nicht fehlen,
Doch bringt es einen Herzschlag lang zurück;
was einen Herzschlag lang zurück gebracht wurde. Da hat die Metrik den Inhalt verschluckt, oder aber wenn Du 'den Tag' meinst, der in der nächsten Strophe folgt, solltest Du den Vers nicht mit einem Semikolon abschließen - das leuchtet mir in einem Gedicht sowieso nicht ein.

Trotzdem gerne gelesen.

Liebe Grüße
Petra
 

Trist

Mitglied
Hallo Petra,

warum sollte in meinem Gedicht die Zeit nicht alle Regeln brechen. Zeit ist vergänglich und gleichzeitig unendlich lang.
Manchmal sind es nur Augenblicke, und manchmal Ewigkeiten. Und sie ist immer unvorhersehbar. Wie der Blick durch ein Kaleidoskop,
wie eine kurvenreiche Straße. Was heute noch Gegenwart scheint, ist morgen Geschichte.
Die Zeit ist Startbahn und Landeplatz.
Vielleicht sollte ich schreiben dass die Zeit keine Regeln hat. Oder sie ständig verändert.
Aber dann bricht sie ja ihre Regeln doch ...
Ja nun, was einen Herzschlag lang zurück gebracht wurde hast du schon richtig erahnt. "Den Tag" der in der nächsten Strophe folgt.
Das war ja eigentlich unschwer zu erlesen.
Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit und wünsche mir, dass du meine Antworten ebenso gründlich liest.
Somit wäre dir sicherlich nicht entgangen, dass du von mir in meiner Antwort auf "Der Engel Flügelschlag" das aufklärende Wort "Männlich" ganz unten,
unter Trist erlesen konntest.
Ich danke dir herzlich.

Liebe Grüße Trist
(Männlich);)
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Trist,

ja, das kann man so sehen, ja, das sehe ich dann anders.

Leider bist Du auf meinen Einwand des Semikolons gar nicht eingegangen. Das wird benutzt, wenn der abgeschlossene Gedanke in einem Nachsatz noch eine Ergänzung erfährt - hier aber ist der Gedanke nicht abgeschlossen, sondern bezieht sich direkt auf den nächsten Vers.
Ich will nicht nörgeln, aber in so kleinen Texten muss man die Stolperfallen nicht aufblähen, weil es den Lesegenuss trübt.

Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit und wünsche mir, dass du meine Antworten ebenso gründlich liest.
Somit wäre dir sicherlich nicht entgangen, dass du von mir in meiner Antwort auf "Der Engel Flügelschlag" das aufklärende Wort "Männlich" ganz unten,
unter Trist erlesen konntest.
Vielleicht bin ich jetzt ein bisschen überkritisch, aber das kommt mir jetzt doch ein bisschen überheblich vor.
Ich lese und kommentiere viel und wenn ich schon öfter zu Besuch war, merke ich mir das vielleicht auch. Was mich jetzt stört: Hier dreht es sich um Dein Ego, nicht um den Text; ich erlaube mir, Texte - und auch Kommentare - aufmerksam zu lesen, und den Autor neutral anzusprechen, wenn mir das Geschlecht nicht bewusst ist. Das kann man aushalten. Der Zwinkerkopf erscheint mir so überflüssig wie das Semikolon.

Nichts für ungut.
Ich lese gerne Texte, und selten verdirbt mir ein Autor die Freude an seinen Texten.

Liebe Grüße
Petra
 

Trist

Mitglied
Hallo Petra,

entschuldige, aber das Semikolon ist mir in der Schilderung der Zeit aus meinem Sichtwinkel tatsächlich untergegangen.
Weil es aus meiner Sicht ein etwas verschmerzbarer Formfehler ist, welcher den Gedanken der dahinter steht trotzdem erkennen lässt.
Aber du hast da schon Recht, ich kann nur die Aufregung darüber nicht ganz nachvollziehen.
Für mich ist es ein Übergang zwischen der achten Zeile und dem kursiven Schlusssatz.
Ich danke dir nochmals und wünsche dir noch einen schönen Abend.

Liebe Grüße
Trist
 

petrasmiles

Mitglied
ich kann nur die Aufregung darüber nicht ganz nachvollziehen.
Wie ich schon sagte, weil der Text so klein ist und mich vom Schwelgen abhielt in der melancholischen Grundstimmung Deines Gedichtes.
Es gibt sone und solche Tage. Manchmal überlese ich so etwas, manchmal reibe ich mich daran. Heute war ein kritischerer (sensiblerer?) Tag.
Ist ja alles Textarbeit.

Dir auch einen schönen Abend noch.

Liebe Grüße
Petra
 

sufnus

Mitglied
Hey Trist!

Ich mag Deine formale Gestaltung des Gedichts (einerlei, ob sie nun Ergenis akribischen Feilens ist oder sich spontan ergeben hat) mit einer winzigen Ausnahme sehr. Fan! :)
Um mit dem Tüddelchen zu beginnen: Die Ausnahme ist tatsächlich auch das Semikolon, an dessen Stelle ich einen Doppelpunkt ungleich stimmiger fände. Dazu gleich mehr.

Ansonsten haben wir hier traditionell kreuzgereimte und (weitgehend) metrisch gebundene Verse mit, jedenfalls in den beiden Quartetten, abwechselnd männlicher und weiblicher Kadenz. Letztgenannter Kniff erzeugt einen sehr schönen Flow, der durch minimale Rhythmus-Abweichungen sogar noch äußerst wohltuend gesteigert wird. So ist in der zweiten Strophe gegenüber der ersten die Anzahl der Hebungen von sechs auf fünf reduziert, was das Tempo um ein Mü beschleunigt. Und in der ersten Strophe gibt es eine wunderbare metrische Verschleifung bei "waghalsig", was erstens einem allzu glatten Leierton entgegenwirkt und zweitens natürlich inhaltlich zum Stichwort "waghalsig" sehr gut passt. Chapeau!

Sehr schön finde ich auch die sprachliche Seite: In den ersten beiden Strophen ist die Sprache schon recht gehoben, wird aber durch Begriffe wie "vegetieren" oder das Bild der verglimmenden Zigarette daran gehindert, sich zu einem regelrechten "hohen Ton" zu steigern (gut so!). Dieses höchste sprachliche Register, bei welchem sich der Schriftsprache noch eine immer genau zu dosierende Menge Pathos beigesellt, wird dann in den letzten beiden Zeilen erreicht. Mit solchen Umschlageffekten ins höchste Sprachregister hat Brecht gerne gespielt, z. B. in einigen seiner Sonette. Und genau für diesen Tonwechsel braucht es, würde ich sagen, den Doppelpunkt, der eine kleine Luftholpause vor dem Finale erlaubt.

Also: Beim Doppelpunkt bin ich bei Petra - demgegenüber widerspreche ich ihrem anderen Einand (sofern ich den richtig verstanden habe), nämlich, dass die Formulierung von der regelbrechenden Zeit ungünstig sei, weil sie inhaltlich falsch sei. Die Frage nach inhaltlicher Korrektheit stellt sich im Bereich der Sachliteratur, die in lyrischer Form nur in dem völlig aus der Mode gekommenen Typus des Lehrgedichts realisiert wird. Schon in erzählender Literatur gilt die Forderung nach inhaltlicher Korrektheit nicht mehr so wirklich und in den sprachartistischen Vertretern der Literatur (die es btw nicht nur in der Lyrik gibt) braucht nicht einmal mehr das Element der gedanklichen Nachvollziehbarkeit berücksichtigt zu werden.

Insofern ist die Forderung nach inhaltlicher Korrektheit in einem Gedicht (das kein Lehrgedicht ist) oder auch nur nach schierer Verständlichkeit in einem lyrischen Werk (das keine Ballade ist) ein klassischer Kategorienfehler ("Bohneneintopf muss immer rechtwinklig sein") und damit unsinnig.

LG!

S.
 

Trist

Mitglied
Guten Abend sufnus,

vorerst einmal herzlichen Dank für deinen ausführlichen und sehr sachlichen Kommentar.
Spätestens jetzt habt ihr mich beide überzeugt. Das Semikolon wird durch den Doppelpunkt ersetzt.
Ich muss gestehen, dass mir durch deine Erläuterungen die eine oder andere Zeile meiner Verse nun in einem angenehmeren Licht erscheint.
Darüber freue ich mich!
Ich habe Gefallen daran gefunden, den Versen eine oder zwei Schlusszeilen anzuhängen, die entweder das ganze Gedicht retten,
oder einen hoffentlich schönen Abschluss bilden.
Hier scheint es mir gelungen zu sein.
Noch einmal herzlichen Dank und liebe Grüße in deinem Montagabend.

Trist
 

James Blond

Mitglied
Trist schrieb:
Ich vegetiere nun sein Jahren zwischen Stühlen;
Hmm, acht Beiträge zu diesem Gedicht: Da werden Satzzeichen, Grammatik, Betonungen und Hebungen begutachtet, Verbesserungen vorgeschlagen – aber nicht einer kommt auf den Gedanken, den Autor auf einen simplen Tippfehler hinzuweisen. Der ließe sich recht einfach verbessern. Wenn ich dieses nachhole, dann möchte ich gerne auch noch etwas weiter ausholen und meine Gedanken zu den bekenntnishaften Versen äußern.

Offensichtlich geht es um den Aufbau einer gewissen Spannung, die erst in den letzten beiden Versen in eine Auflösung umschlägt. Dem Eingangslamento der zweimal vier Verse eines LyrIchs wird da die beglückende Erinnerung eines sommerwarmen Dus gegenübergestellt. Dieser Kontrast wird auch formal durch das Abrücken und die geänderte Schrift der letzten beiden Verse unterstützt. Der abschließende Doppelpunkt am Ende des achten Verses unterstreicht noch die Absicht, auf das 'verglimmende Ziel' hinzuleiten: Hier folgt demnach die Kernaussage, auf die der Text abzielt.

Soweit so gut nachvollziehbar. Allerdings überraschen und verwirren mich die Bilder in den ersten acht Versen ein wenig. Obwohl sie das Bild einer bedrückenden Gegenwart eint, werden doch sehr verschiedene Situationen geschildert:

- das Bild zwischen den (zwei Stühlen), weder im Hier noch im Dort: Sprachüblicherweise 'sitzt' man zwischen zwei Stühlen, um die absurde Ambivalenz einer Lebenssituation zu bezeichnen, oder man 'steht' (aus gleichem Grund) mit den Beinen in zwei verschiedenen Welten. Hier 'vegetiert' das LyrIch zwischen zwei Stühlen und mit jedem Bein in einer anderen Welt. Mir scheint diese Dopplung allerdings die Aussage nicht zu verstärken, eher zu schwächen.

- Sie führt auch nicht auf die folgenden Verse hin, denn hier wird die (binäre) Ambivalenz in ein 'waghalsiges Spiel mit tausenden Gefühlen' aufgelöst, was dazu in gewissem Widerspruch steht. Immerhin erfährt der Leser, dass es sich um ein Spiel gegen die Zeit handelt. Doch erfahren wir nicht, welche Regeln sie (die Zeit) bricht. Allgemein gilt ja die Einsicht, dass die Zeit immer Sieger bleibt, weil sie die Regeln vorgibt.

- Das Spiel wird in der zweiten Strophe zum Wettlauf. Allein die Formulierung 'mit der Hoffnung um die Wette laufen' weckt konträre Assoziationen. Zum einen klingt es nach 'mit Peter um die Wette laufen', dann wäre die Hoffnung ein Konkurrent, den es zu besiegen gälte. (Was für mich aber kaum einen Sinn ergibt.) Zum anderen ist vielleicht gemeint, 'voll der Hoffnung um die Wette zu laufen', dann aber wäre eine andere Präposition eindeutiger, z.B. : 'in der Hoffnung um die Wette laufen'.

Auch beim 'Ziel', wo ein 'ausgehauchtes Glück verglimmt' erlebe ich wie eingangs den Effekt, dass hier zwei Bilder unglücklich kombiniert werden. Denn was 'ausgehaucht' ist, das ist auch längst 'verglommen'; der Rauch als ausgehauchtes Glück ist nicht die (noch) glimmende Kippe, deren begrenztes Limit abschließend mit zwei(!) Pünktchen noch verdeutlicht wird ..

Ganz allgemein tut man gut daran, die Bilder nicht zu stapeln. Hier weckt es den Eindruck, als versuche der Autor die Wirkung seiner Worte durch Paraphrasen noch zu steigern, was leider eher das Gegenteil bewirkt.

Dazu passt auch die formale Absetzung des letzten Verspaares als der Ausdruck großer Liebe, dessen Wirkung durch das vorangegangene (und auch durch den ':') noch gesteigert werden soll. Auch da ist es für meinen Geschmack a bit too much. Während hier nun die Worte angenehm schlicht und trocken daher kommen und damit Sprache und Aussage anheben, hemmt das Plakative der Zeichen die Wirkung gleich wieder. Der Dichter scheint allein der Wirkung seiner Worte nicht recht zu trauen - dies scheint mit das Fazit aus dem Text, der eigentlich aus einer guten Idee entstand.

Warum nicht einfach eine inhaltliche Strophenaufteilung? Mein Vorschlag:

Ich vegetiere nun seit Jahren zwischen Stühlen;
das eine Bein im Jetzt, das andere im Licht.
Ein waghalsiges Spiel mit tausenden Gefühlen,
mein Gegner ist die Zeit, die alle Regeln bricht.

So lauf ich mit der Hoffnung um die Wette;
am Ziel verglimmt ein ausgehauchtes Glück
gleich einer aufgerauchten Zigarette.

Doch bringt es einen Herzschlag lang zurück
den Tag, der mich aus langen kalten Wintern führte,
als meine Hand die Wärme deines Sommers spürte ...



Gern kommentiert.

Liebe Grüße
JB
 
Zuletzt bearbeitet:

mondnein

Mitglied
Doch erfahren wir nicht, welche Regeln sie (die Zeit) bricht.
doch: "alle".
Das ist schon deshalb geradezu ein Oxymoron, weil Regeln entweder überzeitlich oder in gesamtzeitlicher Endlosdauer "gelten". Mag sein, daß wir so manche Regel brechen, aber die Zeit, das Nacheinander, ist deren Dimension, so wie Länge, Breite und Höhe die Dimensionen des Neben- Unter- und Durcheinanders sind. Was in der Zeit gleichförmig wiederholt wird, folgt einer Regel. Und ganz besonders bestehen die Regeln, die aufgrund ihrer Absolutheit als "Gesetze" bezeichnet werden, in dem, was unabhängig von Zeit gilt, wie z.B. die Winkelsumme der Dreiecke in der euklidischen Ebene oder die physikalischen Konstanten (Temperatur-Nullpunkt, Lichtgeschwindkeit).

grusz, hansz
 

sufnus

Mitglied
Hey!

Wow! Jetzt ist aber mal der Textarbeitsmotor sowas von angesprungen! (ich versuche btw. immer zu verstehen, warum bei manchen Gedichten die Exegese so durchstartet und andere kaum diskussionsstiftend wirksam sind - neben offensichtlichen Kriterien wie Gestaltungsqualität, Substanz und Zugänglichkeit scheint es noch schwerer fassliche Komponenten zu geben).

Um nochmal nachzusenfen:
Bei Dir, Hansz @mondnein bin ich mir nicht ganz sicher, ob Du die oxymoronöse Einstufung der allregelbrechenden Zeit als negative Kritik oder als Lob oder als neutrale Bewertung verstanden sehen willst (oder gut "paradoxisch" argumentiert als alles zusammen ;) ).
Ich habe oben schon darauf hingewiesen, dass es m. E. nicht sinnvoll ist, bei einem Gedicht grundsätzlich auf die inhaltliche Korrektheit von Aussagen abzuheben. Nur bei "sachtext-artigen" Gedichtformen wie dem Lehrgedicht und evtl. noch bei sehr Anlass-bezogenen Formen wie dem Festtagsgedicht ("die Erna wird heut neunzig Jahr / das finden wir ganz wunderbar") ist die sachliche Richtigkeit ein wesentliches Kriterium. Bei den meisten Formen der Lyrik gilt dies aber gerade nicht. Insofern ist die paradoxale Formulierung einer regelbrechenden Zeit zwar physikalisch zumindest eigenwillig, unter lyrischen Gesichtspunkten ist ihre Sinnstresstesthaftigkeit aber gerade ein positives Element.

Zu James' @James Blond (schön mal wieder von Dir zu lesen btw.! :) ) Hinweis auf die Bildstapelungen (1) der zweibeinig eingeschwungenen Zwischenstuhlvegetanz sowie (2) der ausgeraucht-ausgehaucht verglimmenden Glückszigarette: Ich habe diese Wendungen in meiner obigen Lobbehudelung nicht kritisiert und finde (1) nach wie vor unbeanstandungswürdig; die Mischung der beiden Bilder des Zwischen-den-Stühlen-Sitzens und der unterextremitätigen Bipositionierung ist ein kleiner Metaphernstapel, aber das entstehende Summenbild strapaziert mein Vorstellungsvermögen jetzt nicht über Gebühr. Demgegenüber muss ich gestehen, dass ich bei der Zigarette (resp. dem Glück), welche zwischen einem erloschenen und einem verglimmenden Status etwas zwischenwelthaft oszilliert, bereits beim ersten Lesedurchgang ein bisschen die Stirn gerunzelt und diesen Einwand dann runtergeschluckt und für mich behalten habe. Nachdem Du das jetzt auch aufgegriffen hast, springe ich Dir in dem Punkt bei: Hier entwickelt die Metapher ein Eigenleben nach metrischer Sachlage und entgleitet der Kontrolle des Autors, denn die etwas widersprüchlichen Ausdrücke "verglimmt", "ausgehaucht" und "aufgeraucht" verdanken ihren Platz im Gedicht vermutlich eher der rhythmischen Passfähigkeit als dem sprachlichen Gestaltungswillen. Da könnte man also tatsächlich nochmal nachfeilen - ein besonders schwerlösliches Problem sehe ich hier aber nicht.

Was wiederum Deinen letzten Vorschlag, lieber James, angeht, nämlich den Doppelpunkt ruchlos auszulöschen und das schlussbildende Zeilenpaar in eine dreizeilige Strophe hineinzuzwängen, so halte ich für ganz und gar unglücklich, weil das dieses Gedicht gefällig-blass und unmemorabel machte. Das berührt dieses schwierige Momentum der Ästhetik, dass manchmal eine allzu glatt gebügelte Formgebung eine Nullachtfünfzehnhaftigkeit bedingt, die das Publikum achselzuckend weitergehen lässt.

LG!

S.

P.S.:
Ah... auf das von Dir, James, noch herausgegriffene Beispiel des Wettlaufs mit der Hoffnung bin ich grad nicht eingegangen; das ist aber auch so eine Formulierung, die etwas Oxymoron-haft rüberkommt, weil die Hoffnung ja üblicherweise positiv bewertet wird, hier aber als Endgegner im Wettlauf erscheint. Hier finde ich nun auch, dass es gerade besonders anregend ist, dass die zur lyrischen Autobahn ausgebaute Route der hoffnungsfrohen Hoffnung nicht befahren und stattdessen der (auch durchaus bereits mit Geländer und Wegmarkierungen versehene) Trampelpfad einer etwas problematisierbaren Hoffnung präferiert wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:

Trist

Mitglied
Lieber Hansz, lieber sufnus, gebt mir bitte bis heute Abend Zeit, ich bin Handwerker und bin tagsüber beschäftigt. ;)

LG
Trist
 

sufnus

Mitglied
Hey Trist!
Wenn Du der Typ bist, der grad unsere Schließanlage repariert, dann hast Du, was das Antworten angeht, alle Zeit der Welt!
LG!
S.
 

mondnein

Mitglied
Bei Dir, Hansz @mondnein bin ich mir nicht ganz sicher, ob Du die oxymoronöse Einstufung der allregelbrechenden Zeit als negative Kritik oder als Lob oder als neutrale Bewertung verstanden sehen willst (oder gut "paradoxisch" argumentiert als alles zusammen ;) ).
nur als kleinen Hinweis auf den Widerspruch von der logischen Sachebene zur dichterischen Formulierung bzw. umgekehrt
 

James Blond

Mitglied
Verehrte Kommentierende,

es ist mir eine große Freude, zu sehen, dass zumindest hier doch tatsächlich so etwas wie Textarbeit angestoßen wurde; eine Tätigkeit, derer sich die Leselupe seit je her rühmt, von der es aber in letzter Zeit auf diesen Seiten immer weniger zu lesen gab. Das sich vergrößernde Loch des Nichtlesens oder Schweigens können die verbliebenen Glückwünsche und Grußbotschaften in den Kommentaren zwar dekorieren, nicht aber füllen, auch der Sternchenregen kann da sicher einiges kaschieren, den Mangel zu beseitigen vermag er jedoch nicht. Man scheut allgemein eine inhaltliche kritische Auseinandersetzung, fürchtet neben der Mühe den Streit und Ärger, der sich daraus ergeben könnte und langweilt so die verbliebenen Leser, die des gefälligen Blahblahs allmählich überdrüssig diese Seiten nach und nach verlassen, bis der Ort nur noch von Autoren beherrscht wird, die ihre halbfertigen Sachen hier routinemäßig abkippen.

Halt stopp, das sollte jetzt eigentlich kein Lupenbashing werden, sondern ein Dankeschön an Alle, die in ihren Beiträgen noch nicht den Gedanken an eine Textarbeit aufgegeben haben. :)
nur als kleinen Hinweis auf den Widerspruch von der logischen Sachebene zur dichterischen Formulierung bzw. umgekehrt
Ich denke, um diesen Widerspruch geht es - außerhalb von 'Sachgedichten' - eigentlich nie. Der Autor darf und soll die grenzenlose Freiheit der Poesie ausleben, mit all ihren Paradoxien, Unmöglichkeiten, Absurditäten, usw. Allerdings sollte er - meiner Meinung nach - den Leser auch nicht überfordern. Fehlerhafte Grammatik stört und verbaut ein mögliches Verständnis, Tippfehler führen in Sackgassen und seltsame Sprachkonstruktionen - führen wie auch selbstgebastelte Stilblüten zu einem Stirnrunzeln.

Denn der Dichter sollte seinen Leser mit und von seinem Werk überzeugen, das gilt selbst noch für Dada. Und damit zurück zur 'regelbrechenden Zeit', die klug eingesetzt, eine große transzendierende Wirkung entfalten könnte, hier jedoch im Verein des Wettlaufens, des Vegetierens, der Hoffnung und der Erinnerung nicht dem Schatten ihrer konventionellen Bedeutung entrinnt. Wozu dann mit Paradoxien um sich werfen?

Ähnliches ergibt sich hier aus dem 'Wettlauf mit der Hoffnung'. Ist sie (die Hoffnung) hier nur ein Begleiter oder (auch/nur) ein Kontrahent? Auch hier runzelt sich jenseits aller Sachfragen meine Stirn: Was bedeutet es, gegen die Hoffnung zu laufen und womöglich zu gewinnen? An welchem Ziel bin ich dann? Auch dies könnte eine gute Passage sein, wenn der Gedanke sich entwickeln würde, stattdessen werden immer neue Bilder, bzw. 'Metaphernstapel' geschichtet. Doch viel hilft nicht viel, da bleibe ich fest auf meinem Stuhl.

Was wiederum Deinen letzten Vorschlag, lieber James, angeht, nämlich den Doppelpunkt ruchlos auszulöschen und das schlussbildende Zeilenpaar in eine dreizeilige Strophe hineinzuzwängen, so halte ich für ganz und gar unglücklich, weil das dieses Gedicht gefällig-blass und unmemorabel machte.
Für diese Antwort bin ich dir sehr dankbar, lieber sufnus, weil du damit bestätigst, was ich die ganze Zeit zu sagen versuche: Der Autor scheint seinen Worten allein nicht viel zuzutrauen, er greift zu plakativen Mitteln, um eine Wirkung zu erzielen.

Das hat - zumindest - bei dir geklappt. Ich frage mich allerdings, was das für ein Gedicht ist, das der Wegfall minimaler Gestaltungsmittel (wie einer Leerzeile und eines Doppelpunktes) plötzlich 'gefällig-blass und unmemorabel macht'. ;)

Gern geantwortet.

JB
 

sufnus

Mitglied
Für diese Antwort bin ich dir sehr dankbar, lieber sufnus, weil du damit bestätigst, was ich die ganze Zeit zu sagen versuche: Der Autor scheint seinen Worten allein nicht viel zuzutrauen, er greift zu plakativen Mitteln, um eine Wirkung zu erzielen.

Das hat - zumindest - bei dir geklappt. Ich frage mich allerdings, was das für ein Gedicht ist, das der Wegfall minimaler Gestaltungsmittel (wie einer Leerzeile und eines Doppelpunktes) plötzlich 'gefällig-blass und unmemorabel macht'. ;)
Hey James,
bei der Leerschlag/Doppelpunkt-Diskussion kommt mir Deine Argumentation etwas inkohärent vor, ein "plakatives Mittel" scheint mir jedenfalls schwerlich zugleich als "minimales Gestaltungsmittel" ansprechbar zu sein.

Für mich sind die Strophengestaltung und der Doppelpunkt in diesem Fall beachtlich textwirksame Strukturierungselemente, weil sie eine deutliche Lesepause herbeiführen und die ganze, sozusagen "musikalische" Wirkung im Textvortrag nachhaltig beeinflussen, also keinesfalls ein "minimales Gestaltungsmittel".

Dann also doch "plakativ"? Nur plumpe Effekthascherei? Auch da widerspreche ich. Die Formgebung steht ja hier nicht als einsames Reh in der Lichtung, vielmehr korrespondiert sie mit dem ganzen Tonart-Wechsel der mit Zeile 9 einsetzt. In den ersten 8 Zeilen haben wir beinahe so etwas wie eine Art (nicht-expressionistischen!) Zeilenstil, indem bis auf die Zeile 7 in jeder Zeile ein regierendes Hauptwort im Nominativ vorkommt (ich, Bein, Spiel, Gegner, ich, Glück, es). In Zeile 7 fehlt das zwar, ist aber eigentlich als elliptisches "es" doch vorhanden (in Zeile 8 wird das "es" dann nachgereicht). Auf alle Fälle steht durch diese Bauart jede Zeile relativ stark für sich. Zwar gibt es natürlich gedankliche und grammatische Bögen, die über die einzelne Zeilen hinausweisen, dennoch stellt sich kein ruhiger Fluss ein, sondern es herrscht insgesamt eine etwas "abgehackte" und damit gehetzt wirkende Stimmung vor. Mit den Zeilen 9 und 10, die sowohl semantisch als auch syntaktisch ganz eng verbunden sind, stellt sich dann ein regelrechtes Legato ein und man kann trotz des starken Gliederungsmittels eines Paarreims wunderbar über die Zeilengrenzen hinweglesen. Das ist schon ziemlich beeindruckend und würde durch eine Zusammenziehung mit Zeile 8 zu einer gemeinsamen Strophe auf eine, wie ich finde, bedauerliche Weise denunziert.

LG!

S.
 

James Blond

Mitglied
ja richtig: es geht eigentlich nie um Antithesen, Paradoxien und Oxymora, das sind ja bloß "Stilmittel"
Nein falsch, weil ohne Zusammenhang zitiert. So (d. h. auf den Gedichttext bezogen) war es von mir nicht gemeint. Gemeint war von mir der Grund zu Kritik bei der Textarbeit, auf den sich der einleitende Ansatz bezog: Wer dabei einen Widerspruch entdeckt, darf ihn gern auch still behalten.

bei der Leerschlag/Doppelpunkt-Diskussion kommt mir Deine Argumentation etwas inkohärent vor, ein "plakatives Mittel" scheint mir jedenfalls schwerlich zugleich als "minimales Gestaltungsmittel" ansprechbar zu sein.

Für mich sind die Strophengestaltung und der Doppelpunkt in diesem Fall beachtlich textwirksame Strukturierungselemente, weil sie eine deutliche Lesepause herbeiführen und die ganze, sozusagen "musikalische" Wirkung im Textvortrag nachhaltig beeinflussen, also keinesfalls ein "minimales Gestaltungsmittel".
Ich würde die "musikalische Wirkung" hier (in der lyrischen Betrachtung) besser herauslassen. Als Musiker sehe ich da grundsätzliche Probleme, da der geschriebene Text - im Vergleich zu Tonaufnahmen - nicht mit dem Mikrotiming eines musikalischen Vortrages aufwarten kann. Wenn ich das 'minimale Gestaltungsmittel' des vorliegenden Textes ansprach, dann, weil es - im Verhältnis zur gesamten Zeichenmenge des Textes - verschwindend gering, also minimal im Einsatz ist. Das mag - wie du es beschreibst - zwar eine großartige Wirkung hervorrufen, doch wenn ohne diese zwei minimalen Zusätze von der Textwirkung - wie du sie jetzt beschrieben hast - nicht mehr viel übrig bleibt, dann stimmt etwas grundsätzlich nicht.

Ich nenne so eine Textgestaltung plakativ, weil sie von der semantischen auf die optische Ebene wechselt, was zusätzlich durch die geänderte Schrift unterstützt wird. Ein Text verändert sich - in meinen Augen - inhaltlich nicht wesentlich durch eine minimal veränderte Aufrasterung. Satzzeichen und Leerzeilen mögen hilfreich für das Lesen und auch für die Interpretation sein. Doch eine Melodie verändert sich nicht entscheidend durch den Wegfall eines Legatobogens. Ich halte derart feinst-stoffliche Betrachtungen, wie du sie hier anstellst, dem groben Text mit seinen zahlreichen Astlöchern nicht angemessen, schon eher überzogen.

Du magst meinen Vorschlag zur geänderten Strophenaufteilung als Verschlimmbesserung empfinden - ich erkenne deine Kritik daran aber zugleich als gedichttextbezogen, was vermutlich gar nicht deine Absicht war. Aber in der Lyrik geht es - mir - primär um Sprache, um den guten Gebrauch von Worten. Wenn man beginnt, an den Leerzeilen und den Zeichensetzungen am Versende herumzugrübeln, dann kann daraus schnell eine selbstreferenzielle Blase werden, die an dem eigentlichen Gedicht vorbei geht.

Manche Autoren versuchen hier leider, ihre Verse durch Schriftgröße und andauernde Leerzeilen aufzufüllen, was mir schon beim Lesen ein Leid ist, wieder andere versuchen ihre Kurzprosa durch Zeilenumbrüche in Lyrik zu verwandeln, was dann auch schon mal kritisiert wird. Kurzum, wenn derart plakative Maßnahmen erforderlich werden, läuft der Autor Gefahr, dass der Leser misstrauisch dem Ganzen gegenübersteht. Wie meinte schon der Geheimrat: "Man merkt die Absicht und ist verstimmt". ;)

Gern kommentiert.

JB
 
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