Horst M. Radmacher
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Es war eine enorme Kraftanstrengung der Nummer Zwei auf dem Markt der Einfachmöbel, die weltweite Nummer Eins verdrängen zu wollen. Das neue Regalsystem 'FÖRALLA' sollte das schaffen und dabei mit einer einzigartigen Kampagne promoted werden: “DIE WELT IN EINEM REGAL”, so der kühne Anspruch. Gemeint war damit, die einflussreichsten Schriften der Menschheit in diesem Regal zu vereinen; nicht der Umfang war entscheidend, auf den Inhalt kam es an. Ein skandinavischer Konzern ließ sich das Einiges kosten. Ein Computerprogramm ermittelte eigens hierfür einen Mix aus einer Best-of-Liste, die nicht öffentlich zugänglich war. Wenig erstaunlich, dass die Werke von Shakespeare und Goethes 'Faust' darin enthalten waren, beides wahre Schätze der Weisheit. Mit Konfuzius muss man immer rechnen. Dass die sinnlichen Lehren des Kamasutras in diesen Mix kamen, erstaunte, war aber nicht gänzlich unerklärbar, der angewandte Algorithmus hatte dieses objektiv so bestimmt.
Die Auswahl der vier Experten, die das Projekt betreuen sollten, waren in Fachkreisen als absolute Spitzenkräfte bekannt; in der breiten Öffentlichkeit eher nicht. Für Shakespeare gab es eine klare No. 1 als Experten, Timothy Cavendish aus Oxford. Der Goetheexperte kam erstaunlicherweise nicht aus Deutschland, es war der deutschstämmige Germanist aus Buenos Aires, Alfredo Guzman. Die junge Inderin aus Mysore in Indien, Jayana Patel, war trotz ihrer erst achtundzwanzig Jahre weltweit eine anerkannte Expertin auf dem Gebiet indischer Erotik. Das galt auch für den nur unwesentlich älteren Bao Jing aus China auf dem Themengebiet Konfuzius. Die vier Literaturkoryphäen trafen sich zur abschließenden Konferenz im Städtchen Stratford-upon-Avon, dem Epizentrum allen Wissens um den großen englischen Dichter William Shakespeare. Timothy Cavendish, ein blendender Rhetoriker, gab die Richtung vor, mit einem Zitat aus Richard II: “WO WORTE SELTEN SIND, HABEN SIE GEWICHT.” Alle waren erleichtert. Die Aufgabe schien lösbar zu sein. Dass es bei letztendlich unerwartet wenigen Worten blieb, lag nicht allein an diesem Zitat. Das Brainstorming wurde von außen gestört. Es war der Tag des Fußball-WM-Halbfinals 2014, das Deutschland sehr deutlich gegen Brasilien gewann. Eine Gruppe deutscher Touristen feierte dieses Ereignis in einem benachbarten Lokal derartig lautstark, dass der Lärmpegel nach jedem der sieben deutschen Tore zu unglaublicher Stärke anschwoll. Die deutsche Reisegruppe befand sich in Hochstimmung. Trotz kollektiven Jubels konnte man mitunter einzelne Sätze deutlich verstehen, wie, “TWO BEERS OR NOT TWO BEERS, THAT IS ALWAYS THE QUESTION.” Die Teutonen wurden beim Ordern ihrer Getränkerunden offenbar von Shakespeare befeuert; für einen bierseligen Gag schien ihnen nichts zu schade zu sein. Die vier Geisteswissenschaftler nahmen es sportlich, sie gönnten den Deutschen ihren Erfolg. Die Konferenz verkürzten sie jedoch. Es ist anzunehmen, dass ohne das deutsche Fußballintermezzo eine andere Geschichte entstanden wäre.
Dann war die Rohfassung ihrer Kampagne in trockenen Tüchern. Allein schon der Anteil an Shakespearezitaten war gewaltig. Man einigte sich, aus Zitaten, “DIE GANZE WELT IST EINE BÜHNE”, aus “WIE ES EUCH GEFÄLLT”, sowie zusätzlich inspiriert von deutschen Fußballanhängern, “IST DIES SCHON TOLLHEIT, HAT ES DOCH METHODE”, aus Hamlet, den Kern zu bilden. Das Ganze musste nur noch ein festes Gerüst erhalten. Hier kam Goethes Faust ins Spiel: “DASS SICH DAS GRÖSSTE WERK VOLLENDE, GENÜGT EIN GEIST UND TAUSEND HÄNDE.” Das hatte hohen philosophischen Anspruch, wies aber auch auf gute deutsche Organisationsfähigkeiten hin. Der schwedische Möbelhersteller würde begeistert sein. Allerdings galt es noch, den Rest der Welt mit einzubeziehen. Hier brachte die indische Kollegin mit ihren mehr als nur angedeuteten erotischen Themen eine sinnliche Note ein. Sie erklärte aus dem Kamasutra mehrere Stellungen. Die Kollegen folgten ihren Ausführungen sehr aufmerksam. Und dann kam die Erkenntnis. Klar, Regal und Stellungen, das passt, besonders Stellung No. 5/98 IM RECHTEN WINKEL, very sophisticated, oberstes Regal. Dazu Konfuzius, der geht immer und überall. Hier übernahm man den Vorschlag des Chinesen Bao Jing, der nach monatelanger Vorarbeit eine der Weisheiten Konfuzius' für anwendbar befunden hatte, “WER SEIN GESCHÄFT MASCHINENMÄSSIG BETREIBT, DER BEKOMMT EIN MASCHINENHERZ.” Dabei würden selbst hartgesottene schwedische Manager ins Grübeln kommen.
Der Entwurf für das System 'FÖRALLA' stand. Im Prinzip ging es ja eigentlich nur um das Zusammenfügen von zwölf Holzbrettern zu einem Regal. Der Inhalt aber, der hatte es in sich. In einer der größten Werbekampagnen überhaupt, wurde die geistige Welt in einem Regal vorgestellt. Die globale mediale Einführung hatte zunächst nur eine Botschaft, ohne jede weitere Erklärung: Aus Goethes Faust stammend,
“DASS ICH ERKENNE, WAS DIE WELT, IM INNERSTEN ZUSAMMENHÄLT.” - FÖRALLA® - Item-No. MDCCCXXIX
Das war das Motto, unter dem die Kampagne weltweit gestartet wurde. Etwas kryptisch zwar, aber das sollte zunächst genügen, FÖRALLA konnte geordert werden. Das internationale Interesse war sensationell. Keiner wusste, um was es ging, aber alle wollten es haben. Es geschah zum ersten Mal in der Geschichte des Welthandels, dass ein Artikel millionenfach geordert wurde, ohne dass jemand das Produkt kannte. Die ersten einundachtzig Regale wurden ausgeliefert, gratis, bestückt mit einer Auswahl der bedeutendsten Geisteswerke der Menschheit. Die Empfänger hierfür waren vorher durch ein Preisausschreiben ermittelt worden. Des Rätsels Lösung war in der römischen Ziffernfolge der Artikel-No. verborgen. Wer immer solch ein Regal sein Eigen nennen durfte, es war ein erhabener Anblick: Das Regal 'FÖRALLA', gefüllt mit einer Vielzahl an Folianten, alle in hochwertigem Faksimiledruck.
Der Möbelfabrikant hatte damit großen Erfolg auf dem Weltmarkt, blieb aber nach wie vor, knapp hinter dem Marktführer, die Nummer Zwei.
Die Auswahl der vier Experten, die das Projekt betreuen sollten, waren in Fachkreisen als absolute Spitzenkräfte bekannt; in der breiten Öffentlichkeit eher nicht. Für Shakespeare gab es eine klare No. 1 als Experten, Timothy Cavendish aus Oxford. Der Goetheexperte kam erstaunlicherweise nicht aus Deutschland, es war der deutschstämmige Germanist aus Buenos Aires, Alfredo Guzman. Die junge Inderin aus Mysore in Indien, Jayana Patel, war trotz ihrer erst achtundzwanzig Jahre weltweit eine anerkannte Expertin auf dem Gebiet indischer Erotik. Das galt auch für den nur unwesentlich älteren Bao Jing aus China auf dem Themengebiet Konfuzius. Die vier Literaturkoryphäen trafen sich zur abschließenden Konferenz im Städtchen Stratford-upon-Avon, dem Epizentrum allen Wissens um den großen englischen Dichter William Shakespeare. Timothy Cavendish, ein blendender Rhetoriker, gab die Richtung vor, mit einem Zitat aus Richard II: “WO WORTE SELTEN SIND, HABEN SIE GEWICHT.” Alle waren erleichtert. Die Aufgabe schien lösbar zu sein. Dass es bei letztendlich unerwartet wenigen Worten blieb, lag nicht allein an diesem Zitat. Das Brainstorming wurde von außen gestört. Es war der Tag des Fußball-WM-Halbfinals 2014, das Deutschland sehr deutlich gegen Brasilien gewann. Eine Gruppe deutscher Touristen feierte dieses Ereignis in einem benachbarten Lokal derartig lautstark, dass der Lärmpegel nach jedem der sieben deutschen Tore zu unglaublicher Stärke anschwoll. Die deutsche Reisegruppe befand sich in Hochstimmung. Trotz kollektiven Jubels konnte man mitunter einzelne Sätze deutlich verstehen, wie, “TWO BEERS OR NOT TWO BEERS, THAT IS ALWAYS THE QUESTION.” Die Teutonen wurden beim Ordern ihrer Getränkerunden offenbar von Shakespeare befeuert; für einen bierseligen Gag schien ihnen nichts zu schade zu sein. Die vier Geisteswissenschaftler nahmen es sportlich, sie gönnten den Deutschen ihren Erfolg. Die Konferenz verkürzten sie jedoch. Es ist anzunehmen, dass ohne das deutsche Fußballintermezzo eine andere Geschichte entstanden wäre.
Dann war die Rohfassung ihrer Kampagne in trockenen Tüchern. Allein schon der Anteil an Shakespearezitaten war gewaltig. Man einigte sich, aus Zitaten, “DIE GANZE WELT IST EINE BÜHNE”, aus “WIE ES EUCH GEFÄLLT”, sowie zusätzlich inspiriert von deutschen Fußballanhängern, “IST DIES SCHON TOLLHEIT, HAT ES DOCH METHODE”, aus Hamlet, den Kern zu bilden. Das Ganze musste nur noch ein festes Gerüst erhalten. Hier kam Goethes Faust ins Spiel: “DASS SICH DAS GRÖSSTE WERK VOLLENDE, GENÜGT EIN GEIST UND TAUSEND HÄNDE.” Das hatte hohen philosophischen Anspruch, wies aber auch auf gute deutsche Organisationsfähigkeiten hin. Der schwedische Möbelhersteller würde begeistert sein. Allerdings galt es noch, den Rest der Welt mit einzubeziehen. Hier brachte die indische Kollegin mit ihren mehr als nur angedeuteten erotischen Themen eine sinnliche Note ein. Sie erklärte aus dem Kamasutra mehrere Stellungen. Die Kollegen folgten ihren Ausführungen sehr aufmerksam. Und dann kam die Erkenntnis. Klar, Regal und Stellungen, das passt, besonders Stellung No. 5/98 IM RECHTEN WINKEL, very sophisticated, oberstes Regal. Dazu Konfuzius, der geht immer und überall. Hier übernahm man den Vorschlag des Chinesen Bao Jing, der nach monatelanger Vorarbeit eine der Weisheiten Konfuzius' für anwendbar befunden hatte, “WER SEIN GESCHÄFT MASCHINENMÄSSIG BETREIBT, DER BEKOMMT EIN MASCHINENHERZ.” Dabei würden selbst hartgesottene schwedische Manager ins Grübeln kommen.
Der Entwurf für das System 'FÖRALLA' stand. Im Prinzip ging es ja eigentlich nur um das Zusammenfügen von zwölf Holzbrettern zu einem Regal. Der Inhalt aber, der hatte es in sich. In einer der größten Werbekampagnen überhaupt, wurde die geistige Welt in einem Regal vorgestellt. Die globale mediale Einführung hatte zunächst nur eine Botschaft, ohne jede weitere Erklärung: Aus Goethes Faust stammend,
“DASS ICH ERKENNE, WAS DIE WELT, IM INNERSTEN ZUSAMMENHÄLT.” - FÖRALLA® - Item-No. MDCCCXXIX
Das war das Motto, unter dem die Kampagne weltweit gestartet wurde. Etwas kryptisch zwar, aber das sollte zunächst genügen, FÖRALLA konnte geordert werden. Das internationale Interesse war sensationell. Keiner wusste, um was es ging, aber alle wollten es haben. Es geschah zum ersten Mal in der Geschichte des Welthandels, dass ein Artikel millionenfach geordert wurde, ohne dass jemand das Produkt kannte. Die ersten einundachtzig Regale wurden ausgeliefert, gratis, bestückt mit einer Auswahl der bedeutendsten Geisteswerke der Menschheit. Die Empfänger hierfür waren vorher durch ein Preisausschreiben ermittelt worden. Des Rätsels Lösung war in der römischen Ziffernfolge der Artikel-No. verborgen. Wer immer solch ein Regal sein Eigen nennen durfte, es war ein erhabener Anblick: Das Regal 'FÖRALLA', gefüllt mit einer Vielzahl an Folianten, alle in hochwertigem Faksimiledruck.
Der Möbelfabrikant hatte damit großen Erfolg auf dem Weltmarkt, blieb aber nach wie vor, knapp hinter dem Marktführer, die Nummer Zwei.
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