Die Weltverbesserer

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James Blond

Mitglied
Wenig würd ich sie vermissen,
die vor Einsicht niemals still,
sehen sie auch unverschlissen,
was die Welt im Grunde will.

In die Wahrheit fest verbissen
klingt ihr Reden richtig toll,
resümiern sie doch beflissen,
was der Mensch auf Erden soll.

Wo sie ihren Auftrag hissen,
wird der Ton dann ziemlich krass,
ist die Lage schon beschissen,
reden sie sie auch noch nass.

Aufgetürmte Drohkulissen
stürzen auf die Hörer ein,
keiner darf sich da verpissen,
will er nicht ein Arschloch sein.

Ihre Taktik ist gerissen,
denn es resultiert zum Schluss
der Appell an das Gewissen,
was man also machen muss.
 
Ich nehme an es handelt sich um Vertreter der letzten Generation, lieber James.
Wo sie ihren Auftrag hissen,
Denkbar wäre aber auch, dass ein grundsätzliches differentes Denken gemeint ist aber das wäre reichlich profan.


reden sie sie auch noch nass.
Mit dieser Zeile komme ich nicht klar. Beim ersten Lesen dachte ich, da hat sich jemand eingenässt:D
Vorschlag....
Schlägt's den Boden aus dem Fass.

Gerne reingelesen
Beislgrüße
 

James Blond

Mitglied
Lieber Hans,

schön, dass du dich meines Textes annimmst, sonst hätte ich wohl nicht erfahren, dass er zum Teil ziemlich missverständlich ist. Einen Hauptanteil hat dabei wohl auch der Titel, der eine mögliche Zielgruppe erheblich einschränkt.
Ich nehme an es handelt sich um Vertreter der letzten Generation, lieber James.
Nein. Genauso gut hätte der Titel "die Seelenretter","die Menschheitsbewahrer", "die Wahrheitsverkünder" oder auch "die Welterklärer" lauten können, denn es geht mir weniger um eine bestimmte Zielgruppe, sondern um die Rhetorik als einer jahrtausendealten Taktik der Propaganda, die ich aufs Korn nehmen wollte.

Mit "Auftrag hissen" ist die Durchführung von öffentlichen Großveranstaltungen gemeint: Man handelt in einem größeren/höheren Auftrag, indem man dort seine Flagge hisst, sich zu einem Anliegen bekennt.

Mit "auch noch nass reden" ist tatsächlich ein zusätzliches verbales "Bepissen" einer ziemlich beschissenen Angelegenheit gemeint, also das Vertiefen, Übertreiben und Ausschmücken einer unangenehmen Sache.

liebe Grüße
JB
 
schön, dass du dich meines Textes annimmst, sonst hätte ich wohl nicht erfahren, dass er zum Teil ziemlich missverständlich ist.
.... tja mein lieber James, ein Gedicht, welches die gesellschaftlichen Brennpunkte aufs Korn nimmt, ist nicht wohlgelitten hier, auch wenn es noch so gut gemacht ist. Manch einer denkt ... goddogodd ... eine Endlosschleife, die, wenn es in die Spezifikation geht, abgewürgt wird, da politisch und wenn ja - im Keller debattiert werden soll/muss. Folglich werden Kommentare gelöscht und ganze threads verschoben. Wer möchte sich also vor dieser Drohung noch auf ein soziologisches Glatteis begeben? Eben ... da ist es doch streßfreier sich im Genre Natur, Trauer, Herzeleid oder Humor rumzutreiben.
Ich weiß, dass dieser Kommi sicher wieder kassiert wird (duld ich nicht) aber ich poste ihn trotzdem als corpus delicti. :D
Der Weggang von fünf aktiven Querschlägern, die das Spiel nicht mitmachen wollten, spricht für sich.
Au weia... schon wieder off topic aber ich hoffe, du verstehst die Problemstellung besser.... war mir wichtig, vor allem, weil es "nur" einen einzelnen Moderator betrifft.
Schönes Wochenende
Beislgrüße
 

James Blond

Mitglied
Nun ja, lieber Hans,

wenn ich auf konkrete gesellschaftliche Zustände zielen wollte, müsste die Sache wohl weit deutlicher ausfallen – und flugs wären wir dann wieder in einer inhaltlichen Diskussion mit bekanntem Ausgang. Ich habe mich früher oft zu den Querdenkern gezählt, als das Wort noch nicht in aller Munde war, jetzt, wo es die Schrägdenkenden als ihr Markenzeichen verwenden, möchte ich nicht in jene Schieflage geraten.

Ich gebe zu, dass ich Probleme damit habe, auf jemandes Seite zu wechseln, weil ich auch dort meist schnell wieder herunter falle. Das Schmieden von Bündnissen ist mir ein Greuel, das Kommen und Gehen in der Leselupe hat mich gleichmütig werden lassen. Die unter einem kritischen Gedicht einsetzenden hitzigen politischen Diskussionen finden ihr schnelles Ende, sobald der ganze Faden ins Lupanum verschoben wird, dabei könnte ihn jeder der Beteiligten auch dort fortsetzen. Meine Erklärung: Man befindet sich im Lupanum zwar weiterhin unter Forumsmitgliedern, einer weiteren Öffentlichkeit jedoch beraubt, der man eigentlich seine Botschaft hat zukommen lassen wollen. Es geht ihnen also vorrangig um Propaganda, weniger um den Austausch ihrer Meinungen, bzw. der Erörterung von Themen.

Womit wir auch beim Thema dieses Gedichts angelangt sind.

Der rhetorische Kniff ist erprobt: Man skizziert einen gemeinsamen Wert, ein möglichst sinnhaftes Anliegen. Hieraus wird eine konkrete Aufgabe für die Menschheit abgeleitet. Es folgt eine Phase des Wachrüttelns mittels medialer Verbreitung, wobei der wesentliche Impact durch die Worst-Case-Szenarien eines Weiterso erzeugt wird. Anschließend wird aus Unterstützern und Verweigerern ein Freund-Feind-Schema erstellt und – was das Gedicht allerdings verschweigt – Angriffe auf die Anderen aus einer moralischen Überlegenheit heraus legitimiert.

Ob mein Gedicht diese Schritte nachvollziehbar verdeutlicht, ist die Frage, die mich hier vorrangig interessiert. Dass über der Leselupe längst bekannte Kometen auftauchen und sie periodisch mit ihrem Sternschnuppenschweif erhellen, nehme ich dabei gern in Kauf. ;)

Liebe Grüße
JB
 

Outymier

Mitglied
Sowohl die Worte als auch deren derbe Gereimtheit gefallen mir nicht. Da habe ich schon schönere Texte von dir gelesen.
 

James Blond

Mitglied
Hm, "derbe Gereimteit" – was soll das denn sein? Da habe ich auch schon bessere Kritiken gelesen. ;)

Auf den stets wiederkehrenden Reim mit "-issen" und die Reime mit Doppelkonsonantendungen bin ich auch noch stolz: Ist doch schön. Mir gefällt's jetzt sogar noch besser. :)

Liebe Grüße
JB
 

Mimi

Mitglied
Vielleicht, James Blond, meint Outymier mit seiner Formulierung "derbe Gereimtheit", den doch eher umgangssprachlichen Sprachstil à la "krass, beschissen, verpissen und Arschloch" ...

Wobei ich jedoch finde, dass sich diese Wortwahl im Gedicht hervorragend als lyrische Antwort auf die chronische Besserwisseritis, sei es nun in Form der erwähnten Weltverbesserer, Seelenretter, Menschheitsbewahrer, Wahrheitsverkünder oder Welterklärer, eignet ...

Gruß
Mimi
 

James Blond

Mitglied
Es kann sein, liebe Mimi,
dass er diese Kraftausdrücke gemeint hat. Vielleicht missfällt ihm aber auch die Aussage des Gedichts insgesamt. Er sollte sich dazu etwas eingehender äußern.

Ich nutze solche Worte eher selten, aber hier scheinen sie doch gut ins Schema und zum Inhalt zu passen, wie du mir ja auch bestätigst.

Liebe Grüße
JB
 

Outymier

Mitglied
Hab den Text jetzt nochmals 3mal gelesen. Habe zu Anfang wohl die Adresse verwechselt. Es geht um die Verschwörungstheoretiker? Da passt die Derbheit der Worte als Antwort. Sorry für meine dummen Bemerkungen.
mfG
 

Scal

Mitglied
Eine trefflich gelungene, pointierte Karikatur, verlautbart mit lyrischen Pinselstrichen.

S1 V3: sähen ?
S5 V4: was man dringlich ? (Wegen der Neigung, zu bedrängen)

Grüße
Scal
 

James Blond

Mitglied
Hab den Text jetzt nochmals 3mal gelesen. Habe zu Anfang wohl die Adresse verwechselt. Es geht um die Verschwörungstheoretiker? Da passt die Derbheit der Worte als Antwort.
Lieber Outymier,
danke, dass du nochmals geantwortet hast. Jein, es geht mir hier um die Theoretiker, ganz gleich mit welcher Theorie sie aufwarten. Ich wollte eben keine inhaltliche Wertung hineinbringen, sondern den Weg zur moralisch-intellektuellen Überheblichkeit formal beleuchten.

Liebe Grüße
JB
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber James,

das saftige Herzen der Weltverbesserer erscheint mir gut gelungen - und die Pointe ist doch, dass es auf jede Coleur zutrifft :D
100 Punkte aus der Pluskiste - und schönen Gruß an die Reihe 'zwischen den Stühlen' ...

Liebe Grüße
Petra
 

James Blond

Mitglied
Danke für dein Urteil, lieber Scal.
Ja, der Konjunktiv (sähen statt sehen) der indirekten Rede wäre hier eigentlich angebracht:

sähen sie auch unverschlissen,
was die Welt im Grunde will.


Seltsamerweise erscheint mir diese weitere Betonung des "selbst, wenn" zu hart, weil es bereits unterstellt, dass diese Möglichkeit eher nicht gegeben ist.

S5 V4: was man dringlich ? (Wegen der Neigung, zu bedrängen)
Das "dringlich" wäre eine sinnvolle Alternative für "also":
Ihre Taktik ist gerissen,
denn es resultiert zum Schluss
der Appell an das Gewissen,
was man also machen muss.
Das "also" betont hier allerdings den logischen Schluss einer vorangegangenen Überlegung, wie man es z. B. vom Busch (Wilhelm Busch, Max und Moritz, Vierter Streich) kennt:

"Also lautet ein Beschluss,
dass der Mensch was lernen muss"


Liebe Grüße
JB
 

Outymier

Mitglied
den Titel "Weltverbesserer" wortwörtlich genommen ist es doch unsere Spezies, die seit dem Neolithikum den Planeten ihren "Bedürfnissen" anpasst. Wir alle leben sehr komfortabel von dieser "Ingenieursleistung", bislang.
 

James Blond

Mitglied
Könnte man auch so sehen, lieber Outymier,
doch seltsamerweise bezieht sich das Wort "Weltverbesserer" nicht auf die vom Menschen vorgefundene Natur, sondern auf die von Zivilisationen und ihren Regeln geschaffene Welt. Ziel des politischen Handelns ist demnach die Verbesserung der Gesellschaft.

Grüße
JB
 

mondnein

Mitglied
Rhetorik als einer jahrtausendealten Taktik der Propaganda
Die Stilfiguren der Rhetorik sind die der Dichtung. Deine eigenen.

Gorgias, der Gründer, liebte Assonanzen und Homoioteleuta (die wir zu Reimen verschärfen). Den "asianischen" Stil, die pure Poesie.
Spätere Rhetoriker hielten klassizistisch das Maß. Die coole Rhetorik des Popularen Caesar ist verführerischer, weil überzeugender, und propagandistischer, weil Adressat-bezogener, als der poetische Stilfigurenzoo des Gorgias, dessen philosophisches Gsamtwerk sich in den drei Sätzen fassen läßt: "Es gibt nicht. Wenn es etwas gäbe, wäre es nicht erkennbar. Wenn es etwas gäbe und es wäre erkennbar, dann wäre es nicht mitteilbar". Platon schrieb zig Dialoge (in stilvoller, aber nicht asianischer, Rhetorik), diese drei Thesen durch die Tat zu widerlegen. In der Dichtung, vor allem der reimenden, lebt der alte Gorgias weiter. Auch im Reimlosen, wenns denn verdichtet ist.

grusz, hansz
 



 
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