Die Zaubervase

Omar Chajjam

Mitglied
Die Zaubervase

Zu Beginn der Geschichte der Menschheit herrschte Natur und der tiefe Glaube an die Allgewalt der Götter. Erst zukünftige Generationen werden das Licht der Vernunft in die Welt tragen. Und doch haben wir die Antwort auf den Sinn unseres Lebens auf dem Weg in die Finsternis unserer Zukunft verloren.

Der Weg aus der Wüste in die große Stadt Lagasch mitten zwischen den lebensspendenden Flüssen des Euphrat und Tigris war kurz. In diesen Zeiten des Anfangs, als die Menschen aus den Sümpfen und Wüsten in die strahlenden Städte Mesopotamiens zogen, herrschte über die volkreiche Stadt Lagasch aus Gnaden der fruchtbringenden Göttin Baba, die die große Wüste immer neu zum Blühen bringt, Urukagina. Durch seine Kraft lebten die Menschen in Wohlstand. Der Hunger verbarg sich in der Wüste Nefud und die Dürre blieb auf den Hochebenen Elams. Gütig war der Herrscher und freigiebig auf allen Wegen, die er schritt, gewaltig im Krieg, doch auch gerecht zu den Sklaven im Tempel der Nanse und in den Wollwebereien.

Auch die wandernden semitischen Stämme der Wüsten achteten die Macht und genossen die Gerechtigkeit und Freigiebigkeit des Herrn der Stadt. Immer zum Tag des großen Opfers nach der Haupternte zogen sie in die Stadt, um ihre Ziegen und Rinder gegen das geerntete Korn zu tauschen. In den Gassen der Stadt wurde das Erntefest zu Ehren Babas gefeiert.

In diesen Tagen war es üblich, daß auch der große Gerichtstag gehalten wurde vor dem Thron des Gerechten auf dem Platz vor der Ziqqurat der Baba. Die Stammesoberhäupter brachten ihre Klagen um Weideplätze und Fehden vor. Und es gab keinen unter ihnen, dem nicht Gerechtigkeit widerfahren wäre. So war es der Brauch, daß, um den Bund des Landes mit der Stadt zu vertiefen, Geschenke ausgetauscht wurden. In feierlichen Prozessionen schritten die Herren die vielen Stufen der Ziggurat hinauf und es kam ihnen so vor, wie der Weg in den Himmel.

Einer dieser Tage war es, als sich Urukagina das Glück seines Lebens begegnete. Vor seinem Thron häuften sich die Geschenke, Gold und Weihrauch, Teppiche und Wollballen. Da trat eine hohe Gestalt vor ihn, angetan mit einem weiten Mantel aus Reiherfedern. Der Fremde mit den dunklen Augen der Semiten des Djebel Schammar trug in seinen Händen vor sich gestreckt die schönste Vase der Vergangenheit und Zukunft, so schien es Urukagina, als er auf seinem Thron auf sie niederblickte. Ganz aus Ton glänzte sie doch schöner als die schönste mit ägyptischen Smaragden besetzte Goldvase des Tempels der Baba. In ihrer lichtblauen Glasur war sie ein Ebenbild des Himmels über der Großen Sandwüste, aus der sie stammte. Sanft geführt, sich zärtlich verjüngend wuchs der Hals aus ihrem Körper wie bei jungen Mädchen. Sie war ein Gefäß der Götter.

Kniefallend, den Nacken gebeugt, hob der Magier die Vase dem Herrscher entgegen und sprach in seinen fremden semitischen Lauten: „Herr dieser großen Stadt, dir bringe ich Dank für deinen Schutz und deine Güte durch diese Vase, die ich mit meinen eigenen Händen geformt habe. Aber wisse, in ihr liegt ein Zauber der Oasen von Djebel Schammar. Diese Vase kann Leben erschaffen und noch mehr, sie kann die Freuden des Paradieses bringen. Sie ist ein Kind der Oasen und ihr Wasser versiegt nie. Doch achte immer auf sie und halte sie in hohen Ehren, denn die Erde, aus der ich sie brannte, ist vergänglich.“

Entzückt nahm der Herr Urukagina, der Prächtige die Schöne in seine beiden Hände und dankte dem Fremden mit einem Tongefäß, gefüllt mit goldgefärbten Weizenkörnern als Zeichen seiner Huld. Nicht achtete er mehr der anderen Gaben, der Glaube, daß in jedem geschaffenen Ding ein Zauber liegt, war tief in diesen Tagen am Anfang der Zeit .

Der Herr über die mauerumgürtete Stadt Lagasch befahl den Sklaven seines Hauses, die Vase in seinen Palast zu bringen und wies sie an, sie sorgsam auf das ägyptische Ebenholztischchen in seinem Schlafgemach zu stellen, einem Geschenk des Pharao vom fernen Nil. Sie sollten, so war seine Weisung, die Vase mit den schönsten Lotusblumen der Gärten füllen, die sie finden konnten. Voll Ungeduld erwartete der Herr den Abend, um den Zauber erfüllt zu sehen, den ihm der Magier versprochen hatte. Doch groß war seine Enttäuschung, als er den Saal betrat und die Vase betrachtete. Hatten sich doch die Lotusblumen nicht zum Paradies gewandelt und waren noch dieselben geblieben, die sie schon im Garten waren.

Wochen vergingen und der Winter nahte. Das waren die Tage, in denen die neuen Felder angelegt und die großen Kanäle gereinigt werden mußten, die die Wasser des Euphrat und Tigris in die Ebene vor der Stadt leiteten. Das waren die Tage, in denen der Herrscher sein hohepriesterliches Amt erfüllte und das Neugeschaffene der Göttin Baba weihte, der Allschöpferin. Darum vergaß er auch die Vase und ihre Zauberkraft ganz über der herrscherlichen Aufgabe fern von der Residenz in den Zelten der Feldarbeiter.

In den Tagen der Abwesenheit des Königs blieben die inneren Gemächer des Palastes verschlossen und so wußte keiner von dem Wunder, das sich dort zugetragen hatte. Darum war Urukagina es auch ganz allein, der von diesem Wunder erfuhr, als er von seiner Reise zurückkehrte. In der Vase blühten die Lotusblumen noch immer wie am Tag ihrer Ernte. Ihr zartes Rosa leuchtete intensiv im Dämmerlicht und ihnen entströmte ein Duft ähnlich dem Duft der Rosen im Morgentau, wenn sich ihre Kelche der Sonne öffnen.

Urukagina befahl den Sklaven der Wache die Türen zu schließen und bei Todesstrafe keinen Menschen Zutritt zu gewähren, denn nur er gedachte das Glück des Paradieses zu geniessen, das ihm der Magier versprochen hatte. Die Nacht schlief er ruhig, voll angenehmer Träume. Ihm war, als würde er durch einen Garten wandeln, voll der herrlichsten Früchte und Blumen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Und als er des morgens erwachte, fühlte er sich erfrischt und jung wie nie zuvor.

So vergingen die Wochen und Monate und aus der Kraft der Vase erwuchs ihm die Jugend neu im Alter. Denn sie war es, die mit ihrem Wasser den Lotus zum immerwährenden Blühen brachte. Und ihre Kraft ließ die Frische des Frühlingsmorgens in der heißen Sommernacht wirken, ihr Zauber brachte die Jugend zurück dem Menschen, der in ihrem Leuchtkreis lag.

So regierte Urukagina sechzehn Jahre über Lagasch mit der Kraft der Vase und der Gunst des Volkes. Doch es geht den Königen so wie den Menschen. Immer, wenn er glaubt, daß seine Wege sicher seien im flachen Land auf fester Straße, die er Jahr um Jahr gegangen ist, erfüllt sich sein Schicksal und es öffnet sich ihm der Abgrund.

In diesen Tagen herrschte in Umma der Stadt im Süden im Delta des großen Flusses Euphrat Lugalzagesi, der, einst ein Ekstatikerpriester der Göttin Nisaba, die Herrschaft usurpiert hatte und nun nach der Macht in auf den reichen Fluren Akkads griff. Auch die großen Städte Ur und Uruk waren ihm schon unterworfen. Die Orte des Zweistromlandes zitterten vor der Gewalt seiner Heere.

Es war der Tag vor der Sonnenwende, bevor man im Land die Feiern für die Ankunft des Großen Regens beging, daß Urukagina Lugalzagesi nach Lagasch einlud zum Zeremoniell für die Göttin Nisaba, der großen Regenbringerin.

Der König führte seinen Gast durch alle Gemächer des Palastes und sprach zu ihm, um seine Macht zu besänftigen: „Alles, großer Herrscher des Südens, was du in diesem Palast findest, kannst du dein eigen nennen zum Zeichen meiner Zuneigung.“ Der Herrscher über die stolzen Städte des Südens durch schritt alle Säle und maß die reich geschmückten Hallen mit seinem Blick und sprach: „Nichts rührt meinen Verlangen, König von Lagasch, denn alles besitze ich schon. Doch sag mir, welchen Schatz verbirgst du vor mir hinter den fest verschlossenen Toren deines Schlafgemachs?“

Urukagina, das Licht seiner Stadt, erschrak zutiefst und fühlte die Glut seines Herzens in seinen Schläfen. Doch dem gewaltigen Gast konnte er das Liebste nicht weigern zu sehen, das ihm doch sein Leben bedeutete und er öffnete ihm die Tore weit.

Vor ihnen, auf dem ägyptischen Ebenholztischchen stand die Vase. In ihrem Blau aus Azur und Flieder träumten die Lotusblumen ihren Traum der Jugend in der heißen Sonne der fernen Wüste, deren Strahlen durch die geöffneten Türen drangen. Gedankenlos nahm der ruhmreiche Krieger des Südens die Vase in seine schwertgewohnten Hände und indem er die Lotusblumen zerpflückte, wandte er sich zum Fürsten: „So ist das wohl das wertvollste Stück deiner Schatzkammer, oh Herrscher über hundert Lehmhäuser. So sieh denn,“ sprach er und brach ein Stück aus der Vase: “es ist doch nur auch aus Ton wie dein ganzes Reich und nicht aus hartem Metall. Und Ton wird zu Erde.“ Drauf stellte er die Vase zurück auf den Tisch, und Urukagina wußte wohl seine Worte zu deuten.

In derselben Nacht betete Der Herr mit allen Priestern zur Göttin Baba, der Allbeschützerin und erflehte ihren Beistand. Darauf ließ er Lotusblumen bringen zum Schmuck der Vase und wünschte allen einen guten Schlaf. Doch er selbst fand keine Ruhe auf seinem Lager in der dunklen Halle. Das Paradies blieb ihm in dieser Nacht verschlossen. Doch träumte ihm, er stünde vor den Pforten einer Hölle, und aus dem heißen Fieberwahn fielen alle gewonnenen Jahre der Jugend zurück wie ein Gewicht aus glühendem Blei und lähmten sein Gebein zum Greis und all sein Glück der sechzehn Jahre wurde in einem Augenblick zum Unglück ihm und Schrecken. Die Vase hatte ihre Macht verloren.

In Eile ließ er nach dem Magier schicken, der Hof hielt in den Oasen des Djebel Schamar, daß der ihm deute diesen Wandel und ihm die gute Kraft der Vase zu heilen. Der sprach: „Mein Herrscher gedenke meine Worte, die ich dir einst sagte. Halte die Vase in Ehren, denn sie verspricht das Paradies. Doch ist ihr Stoff ist vergänglich. Es fehlt ein Stück aus ihr, ihr Zauber ist gebrochen. Doch füll sie ganz mit deinen Tränen, dann kann es sein, daß sie die Macht zurückgewinnt.“

Da wußte der König, daß er sein Glück verloren hatte, denn Ursache aller Tränen ist das Leid, und Tränen trocknen schnell im heißen Wüstenwind. Da fühlte der Herrscher einen großen Zorn und packte die Vase in den Fäusten hoch über seinen Kopf und warf sie mit Kraft zu Boden, daß sie in tausend Stücke zerschellte und rief: “So such denn nach dem Stück, das dir verlorenging , du bist ja jetzt zu tausend und wirst es wohl finden, auf das so mir wirst, was du mir einstmals warst.“

In dieser Nacht erfüllte sich sein Schicksal, denn vor die Stadt mit allen seinen Speerträgern und Schleuderern war der Sturmwind des Südens gezogen. Wie die Vase zerbrach, zerschellte Lagasch unter seinen Schlägen. Der König aber, so sagen die Geschichtsschreiber, suchte in den Trümmern noch lange nach den Scherben seines Glücks.
 

George Polly

Mitglied
Der Bewußtseinszustand ist alles -
was glaubt ein Mensch zu sein?
Wie weit geht unsere heutige
Abstraktions- und Reflexions-
fähigkeit?
Eine These besagt, dass in der Antike
irgendwo im Gehirn eine Funktion war,
die das Hören göttlicher Stimmen er-
möglichte, wohl etwas ähnliches wie
Schizophrenie. Aus diesen Stimmen schufen
die Menschen ihre Moral und ihre Religion.

In der Frühzeit soll sogar ein großer
Bestandteil der Kommunikation aus Tele-
pathie bestanden haben.

Heute sind nur noch Reste davon vorhanden,
heißt es.
Das Individuum hat die Selbstreflexion erlernt-
klar, warum nicht?
 

Omar Chajjam

Mitglied
Die Welt verliert ihr Geheimnis. Sie wird nur noch als Bedrohung wahrgenommen, je durchschaubarer sie wird. Das letzte Ziel des Menschen ist die Reduktion der Welt zur Ressource und die Erfindung eines universalen Krankheits- und Unkraut-Vernichtungsmittels.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ein

wunderschönes märchen. aber schade, daß er die vase zerteppert hat. ich hätte sie aufgehoben, die schadhafte stelle nach hinten gekehrt. ganz lieb grüßt
 

Omar Chajjam

Mitglied
Es ist wohl der Verlust der Vollkommenheit gewesen, der mich so hat handeln lassen. Die Einleitung weist ja auch auf den Verlust des Paradieses hin.

Gruß
Omar
 



 
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