Dilettanten

4,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Klaus K.

Mitglied
Das Mammut stand an der Felskante. Links von ihm die unbezwingbare Wand aus Stein, hinter ihm der Abgrund, und davor die vier Neandertaler. Sie hatten es geschafft, jetzt mussten sie die mehrere Meter hohe Beute mit dem rotbraunen Fell und den mächtigen Stosszähnen nur noch zum entscheidenden Schritt ins Verderben treiben. Dann gab es Nahrung für alle. Stundenlang hatte es gedauert bis es ihnen gelungen war das fast ausgewachsene Exemplar von seiner Herde zu lösen. Ein gefährliches Unterfangen, das ein andauerndes Vor- und Zurückweichen bedeutet hatte. Aber das Tier spürte jetzt die Gefahr.

Der Kräftigste von ihnen hatte den meisten Mut. Er näherte sich bis auf wenige Schritte und schleuderte seinen hölzernen Speer auf das Mammut. Eine wertvolle Waffe aus Eichenholz, glatt geschliffen mit Feuerstein, mit einer in den Flammen des Feuers gehärteten Spitze. Aber das Tier drehte sich in seine Richtung, als es ihn kommen sah. Die seitliche Fläche war jetzt verkleinert, der mit grösster Kraft geschleuderte Speer schoss an ihm vorbei ins Leere, den Abgrund hinab. Der Angreifer, plötzlich völlig unbewaffnet, wich sofort zurück in die Reihe seiner Gefährten.

“Arr” - “Groog” - “Goog!” - “Grog-Bun” - “ Arr-Goog” raunten sie sich zu. Im gleichen Augenblick trabte das Mammut los. Zuerst direkt auf sie zu, dann den schmalen Korridor zwischen ihnen und der Felswand nutzend. Es entkam, und auch die nachgeschleuderten Speere konnten ihm nichts mehr anhaben, obwohl einer davon seinen Hinterlauf traf und dort stecken blieb. Die vier Männer hatten den Kampf verloren. “Arr-Groog!” “Goog-Grog -Bun” “Bun-Arr!” “Elo-Elo!”

Es dunkelte bereits. Alle vier hatten flache Nasen, wulstige Augenbrauen und eine stark fliehende Stirn. Ihre langen Kopfhaare reichten bis auf die Schultern, wo sie sich mit den Haaren eines Fells vermischten, das über der Brust mit geflochtenen Gräsern zusammengehalten wurde. Sie traten den Rückzug an, ihre Gruppe erwartete sie. Kurz bevor sie aus dem Waldstück traten erfolgte dann die Begegnung.

Das hatten sie noch nie gesehen. Drei hochgewachsene Männer mit völlig anderem Aussehen standen vor ihnen. Sie waren erheblich größer und hatten längliche Köpfe mit einer hohen Stirn. Ihre ebenfalls langen Haare hatten sie hinter dem Kopf zusammengebunden. Auch sie trugen Fellkleidung, aber ihre Jagdwaffen waren keine Speere, nein, sie trugen gekrümmte Hölzer, die mit einer Tiersehne an den Enden verbunden waren. Dazu hielten sie kurze hölzerne Stäbe in ihren Händen, die ein Stück Feuerstein an der Spitze trugen. Es waren Cro-Magnons, die die Zivilisationsstufe einer neuen Zeit bedeuteten.

Das Erstaunen über die plötzliche Begegnung war beiderseits. Beide Trupps standen sich gegenüber, ratlos. Der Grösste der Fremden ergriff als erster das Wort.

“Halog machem undig!” Sie verstanden nichts.

Dann fasste der Anführer der Neandertaler Mut.

“Ele-Ele - Goog -Anlog - Urut?”

Die Verständigung war unmöglich, aber die nachfolgenden Gesten der Fremden waren freundlich. Mit Handzeichen deutete man ihnen an, gemeinsam weiterzugehen. Die Cro-Magnons verstanden, und es war inzwischen fast völlig dunkel. Nach wenigen Minuten war die Höhle der Neandertaler erreicht. Die Aufregung über die Neuankömmlinge, die so ganz anders aussahen, war anfangs unbeschreiblich. Die ließen sich bestaunen und betasten, weitere Versuche einer sprachlichen Verständigung blieben jedoch erfolglos. Die Fremden sprachen ganze Sätze, die aber niemand verstand. Die Neandertaler hingegen benutzten vokalintensive Laute, im besten Fall jedoch vier hintereinander. Untereinander konnten sie sich damit ausreichend verständigen, aber die ihnen überlegenen Fremden konnten sie nicht verstehen. Noch nicht. Allerdings war mit Handbewegungen und eindeutigen Gesten eine Kommunikation möglich, und man war sich zudem ja freundlich gesonnen.

Die Neandertaler bildeten insgesamt eine Gruppe von zwölf Personen, neun Erwachsene, darunter vier Frauen und drei größere Kinder. Das Feuer in der Höhle loderte, aber man hatte trockenes Holz, so dass die Rauchentwicklung gering war und durch den Eingang abzog. Noch war Nahrung genug für alle da, auch wenn das Fleisch des letzten Mammuts bereits über eine Woche alt war und in Verwesung überging. Man bot den Fremden die besten Stücke an, die diese dann gleichfalls an langen Stöcken über das Feuer hielten. Und dann öffnete einer der drei Cro-Magnons einen kleinen Lederbeutel, den er aus seiner Kleidung zog. Er griff hinein und förderte mit seinen Fingern ein weisses kristallines Pulver zutage, welches er dann vorsichtig über sein gebratenes Stück Fleisch verteilte. Dann griff er erneut in den Beutel und bestreute damit die Stücke von allen, bevor er andeutete, dann zuzubeißen. Die Neandertaler hatten wortlos zugeschaut. Jetzt probierten sie und bissen Stücke von ihren Spiessen ab. Salz. Der neue Geschmack war unglaublich, die Fremden wurden ihnen unheimlich. Gemeinsam trank man Wasser, mit Beerensaft versetzt, aus kleinen hölzernen Schalen.

Draussen regnete es in Strömen und ein Gewitter zog auf. Man würde während der Nacht gemeinsam in der Höhle bleiben. Neues Feuerholz wurde aufgelegt, die Flammen loderten bis zur Decke. Dann sagte der Anführer der Cro-Magnons etwas zu einem seiner Gefährten. Der stand auf und begab sich an die seitliche Höhlenwand. Alle Augen folgten ihm. Er zog eine geflochtene Leine, an der mehrere kleine Beutel befestigt waren, aus seiner Kleidung. Dann füllte er eine Schale aus Stein mit Wasser. Er öffnete einen der Beutel und ging ganz nahe an die Felswand. Mit einem Stück Holzkohle zeichnete er die Umrisse eines Mammuts, erst den Körper, dann den Kopf, dann die Stosszähne. Hinter diesem Umriss brachte er dann einen weiteren an, nur größer, aber dieser wurde ja vom Körper des ersten halb verdeckt. Er öffnete einen weiteren Beutel und schüttete daraus ein ockerfarbenes Pulver in die Schale mit Wasser. Mit einem kleinen Ast verrührte er das Gemisch zu einer Paste, immer mehr Pulver hinzugebend. Alle beobachteten ihn ganz genau, niemand sagte ein einziges Wort. Er tauchte seine Finger in die Schale und begann die Mammut-Konturen an der Felswand mit einer bräunlich-gelben Farbe auszufüllen. Sehr sorgfältig, dabei immer wieder den Fortschritt auf der grossen Fläche prüfend. Bereits als er fast fertig war und auch das hintere Mammut ausgemalt hatte, ging ein Raunen durch die Höhle. Im flackernden Schein des Feuers schienen sich die Tiere jetzt zu bewegen, wobei die Unebenheiten der Felswand den plastischen Eindruck unterstützten. Die Tiere liefen schräg versetzt hintereinander her und wurden lebendig. Alle Neandertaler waren längst aufgestanden und umringten den Künstler, als der Eindruck immer intensiver wurde. Dann brach einer das ehrfurchtsvolle Schweigen. “Aar-Ugut - Arr Hoo - Ugut!” Arme reckten sich jetzt nach oben. “Ugut-Ugut” stimmte die Menge ein, streckte die Arme nach vorne und deutete mit ihren Fingern auf die sich scheinbar bewegende Wand.

“Stop! Sofort Stop! Der Neandertaler da in der zweiten Reihe! Die Armbanduhr! Nehmen Sie sofort die Armbanduhr ab! Fünf Stunden in der Maske und dann so etwas!” Die Stimme des Regisseurs überschlug sich förmlich.
 



 
Oben Unten