Dinge meiner Jugend

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Dinge meiner Jugend



Ich suchte nach Materialien und Inspiration. Mangel hat mir die Augen geöffnet.

  • Papier und Garn und Knöpfe. Ein feiner Stift. Linien, Wörter, Sprache, abstruser Humor. Nur ein Versuch. Ich dachte dabei an Dada, an George Grosz. Es sollte Kunst werden. Es wurde albern.


  • Der angegriffene Stoff einer Jalousie. Die brauchbaren Reste verwendet für einen selbstgenähten Rucksack. Wäre er nur kleiner geraten! Und trotzdem war ich stolz. Er hielt auf unserer Tramptour zu zweit an die Ostsee. Außen baumelte eine Petroleumlampe. Was für ein Quatsch! Ständig schwappte es aus dem Verschluss, wurde vom Gewebe aufgesogen, stank. Was noch daran hing, habe ich vergessen. Der Büchsenöffner? Korkenzieher? Eine Blechtasse. Schneebesen? Ein unglaublicher Blödsinn. Doch ich kam mir genüsslich vor wie Charlie Chaplin in seinem Film vom 1. Weltkrieg. Großartig. Ich kann mich nicht erinnern, dass mein Aufzug unterwegs von irgendjemandem als seltsam angesehen wurde. Das war auch DIE DDR. Das schulterzuckende Hinnehmen von Kreationen, die aus Mangel, Sehnsucht und Kreativität entstanden. Sollte man im Sommer etwa zuhause bleiben, weil man von den wenigen im Handel erschienenen unbequemen Kraxen keine abbekommen hatte?


  • Die Jeans, die nicht sehr lange hielt, die ich aber wieder und wieder mit Flicken versah, bis die ganze Hose ein Patchwork- Kunstwerk war. Schließlich war sie so dick und steif, dass ich sie nur noch im Winter trug, so gut hat sie gewärmt. Nachhaltiges Upcycling. Ich bedaure längst, sie irgendwann weggeworfen zu haben, anstatt sie einzurahmen und an eine Wand zu hängen.


  • Briefe, die wir einander schrieben, und in Kaffeetüten genäht zuschickten. Was für ein Verlust, dass das 89 plötzlich abbrach. Aber heute gibt es bestimmt viele Bestimmungen bei der Deutschen Post, weshalb ein Brief nur in einem anständigen Kuvert aus dem Handel, möglichst von der Deutschen Post selbst, verschickt werden darf. Es lebe das Briefeschreiben! Es lebe die anarchistische Grauzone im Postverkehr!


Ich vermisse den Elan von damals, den unbändigen Willen, Dinge anders als erwartet zu tun, anders als vorgeschrieben. Individuell. Jede kleine Verrücktheit ein liebenswerter Akt des Widerstands. Mein Kuss allen, die sich das erhalten haben.





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James Blond

Mitglied
Der Mangel ist die Mutter der Kreativität.
Das bedeutet viel mehr, als nur das ständige Suchen nach Alternativen. Es ändert zugleich den Blick auf die Welt und formt das Verständnis von Leben. Wir müssen Lebenskünstler werden, um zu überleben.

Anmerkung: Punkt 1 bedarf der weiteren Ausführung.

Grüße
JB
 
Hi James.

Gefällt mir, was du entgegnet hast.
Mit Punkt 1 hast du natürlich recht.
Ein Gegenentwurf:

  • Ich hatte Papier und Garn und Knöpfe. Einen feinen Stift. Heute würde es ein Fineliner sein. Aber hatten wir so etwas damals schon? Ich weiß nicht. Ich dachte an Dada, an George Grosz. Ein Gesicht entstand. Mit Knopfaugen. Umgeben von Krakellinien. Dazu Wörter. Ein Möchtegern-provokantes Sprachexperiment. Abstruser Humor. Es sollte Kunst werden. Es reichte nur zum albernen Versuch. Ich war achtzehn. Manchmal beim Kramen fällt mir das „Werk“ in die Hände. Es immer wieder zurückzulegen ist kaum Ausdruck von Eitelkeit. Es ist Staunen. Aber worüber?

Schönes Wochenende! (Es wird wohl ein Samstagnachmittag der Stoßgebete, meine Helden in Rot-Weiß empfangen Leverkusen ...)

Grüße vom Clown
 



 
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