Dinge zu erledigen einen Tag vor dem Suizid

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Nika

Mitglied
Diese Liste ist schon abgearbeitet:
  • Die private Orga ist erledigt, alles fein geordnet und abgeheftet. Sogar bunte Streifen sind dazwischen, auf denen die Themen stehen: Versicherung, Auto, Wohnung usw. Mit einem Griff kann das dann morgen, oder eher übermorgen, gegriffen werden.
  • Die Wohnung ist sauber, die Wäsche gewaschen. Die Leute sollen sich nicht noch um meinen Dreck kümmern, wenn ich schon Umstände mache. Auch die Suizidmethode habe ich danach ausgewählt, möglichst wenig Sauerei zu machen.
  • Ich bin gepflegt, epilierte Beine und so, nicht dass die Bestatter*innen anfangen Zöpfe zu flechten oder sich mehr ekeln als erforderlich. (Anmerkung für mich: die Nägel müssen noch lackiert werden!)
  • Die Briefe sind geschrieben, jede*r meiner Lieben bekommt einen. Einer ist für meine Arbeitgeber und einer an die Presse, damit der Text nicht nur beim Arbeitgeber in der Schublade verstaubt. Alle sind auf dem Fensterbrett meines Büros aufgereiht. Den Schreibtisch brauchte ich noch und im Wohnzimmer bekomme ich, wenn ich loslege, vielleicht noch ein zu schlechtes Gewissen.
  • Alle „Zutaten“ sind bereit. Die Mittel für meinen Suizid sind alle organisiert, wobei die Wahl der Methode mir lange Kopfzerbrechen bereitet hat.
So: jetzt ist heute noch viel Zeit und morgen ist der Termin erst um 11 (Notiz an mich: halb zehn losfahren).

Welche Dinge sind jetzt noch wichtig?
Erst einmal die Liste der Dinge, die ich nicht tun sollte (wer es bisher noch nicht gemerkt hat, ich bin ein großer Fan von Listen):
  • Lebensmittel einkaufen gehen. Es könnte natürlich sein, dass jemand Hunger hat, der dann in die Wohnung kommt … Polizei und Sanitäter dürfen da ja nichts von essen. Den anderen hat es vielleicht erst einmal den Appetit verschlagen (Scheibenkleister: nicht meine Intention). Naja, auf jeden Fall will ich keine Lebensmittel verschwenden. Also nicht einkaufen gehen.
  • Jemanden fragen, ob sie/er heute Zeit und Lust auf ein Treffen hat … eigentlich eine schöne Intention, hätte auch viel Lust mit jemandem in der Sonne zu sitzen und Kaffee zu trinken. Natürlich koffeinfrei, alles andere ist ja schlecht für mich (Notiz an mich: könnte heute dann doch egal sein). Dabei könnte ich Zigaretten rauchen. Liegen seit langem ja für den Tag eingeteilt in meinem Kästchen. Da könnte ich heute ja doch noch mal rauchen wie ein Schlot. Gut, dass eine Freundin dieselbe Marke raucht wie ich, habe noch einige Päckchen im Schrank. Zurück zum Thema: Ich will nicht, dass jemand ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie/er keine Zeit hatte. Halt so: „ach hätten wir uns doch nur getroffen, dann wäre das vielleicht nicht passiert“ … ist natürlich Quatsch, schlechte Gewissen möchte ich trotzdem vermeiden.
So, eine Liste abgearbeitet, die zweite ist nicht zu erledigen. Ein bisschen Zeit habe ich damit verbracht, meine Listen zu schreiben.
Immer noch offen, was anzufangen ist.
Das Blöde am Schreiben ist, dass ich dann immer weniger Lust habe, mich umzubringen (siehe vorherige Geschichten). Jetzt habe ich es schon so weit gebracht, wäre echt Verschwendung von Zeit und Ressourcen, es schon wieder sein zu lassen. Oje … ich sollte das Schreiben bei Suizidgedanken wirklich unterlassen, hat mir schon manchmal meine Pläne verhagelt.
Das Wetter ist ja super, die Sonne scheint, die Vögel zirpen, die Frühlingsblumen sind bunt (Notiz an mich: in Zukunft (welche Zukunft?) Kitsch vermeiden).
Auf jeden Fall ist es das Wetter der Selbstmörder. Wenn man Menschen auf der Straße fragt, wann die meisten Suizide passieren, bekommt man meist als Antwort: im Winter, viele bestimmt um Weihnachten herum. Nur den Novemberblues hat jede*r und an Weihnachten haben gefühlt alle Stress und sind schlecht gelaunt, außer vielleicht ein paar Kinder. Naja, um die Frage aufzulösen: im Frühling. Wieso denn gerade im Frühling? Kommt dann die Rückfrage. Die Antwort ist einleuchtend, und auch erhellend: alles ist hell, bunt, die Leute kriegen gute Laune, lassen sich vielleicht noch eine neue Frisur verpassen … nur die Gedanken und Gefühle des zukünftigen Selbstmörders bleiben dunkel. Was im Winter und an besonders an Weihnachten nicht auffiel, wirkt jetzt extrem eigenartig. Nicht im Sinne von: was haben die, was ich nicht habe? Ums Haben geht es in dem Moment nie, sondern warum sind die so, und ich nicht … warum kann ich nicht so fröhlich, gut gelaunt, optimistisch … sein? Irgendetwas ist nicht in Ordnung mit mir. Jetzt könnte man als Laie sagen: Such Dir doch einfach Hilfe. Aber haben Sie beim Suchen nach einem Therapeuten oder in einem Klinikplatz schon einmal kürzer als ein halbes Jahr gebraucht? Bis dahin ist ja schon fast der zweite Frühling, in dem man sich umbringen könnte …
Aber wo wollte ich eigentlich noch einmal hin?
Ach ja, die Frage was heute zu tun ist.
Okay, ich mach heute noch mal was Schönes. Da kommt mir die Idee mit der Löffelliste, also der Liste, die man abarbeiten möchte, bevor man stirbt. Warum habe eigentlich gerade ich, die Königin der Listen, keine vernünftige Löffelliste? Ist das reines Versäumnis oder wegen vorzeitigen Ablebens nicht relevant?
Darüber habe ich jetzt erst einmal zu grübeln, vielleicht sollte ich erst eine Pro- und Contra-Liste für die Löffelliste anlegen.

Später am Tag:
Willkommen zurück!
Die Pro- und Kontraliste einer Löffelliste ging sehr schnell, die Löffelliste hat dann doch gedauert.
Also habe ich mein Ableben verschoben.
Eine Frage, die bleibt, ist, was um Gottes Willen (an den ich ja eigentlich nicht glaube) macht man bei abgeblasenem Suizid mit den Abschiedsbriefen?
Möglichkeit 1: aufheben.
Das bringt zwei Probleme mit sich. Einmal könnten andere die Briefe finden und denken man sei suizidal. Um Gottes Willen, um ihn noch einmal zu bemühen: Ich doch nicht! Problem zwei ist, dass die Hemmschwelle gesenkt werden könnte. Im Sinne von: wenn sie schon einmal da sind …
Möglichkeit 2: im Altpapier entsorgen
Da gehören sie, laut der Abfallentsorgungsregeln ja auch hin. Leider ist unsere Altpapiertonne schon recht voll, habe eben nachgeguckt und meine Nachbarn sind extrem neugierig. Könnte wieder das Problem aus Möglichkeit 1 bestehen, dass meine Nachbarn denken ich sei suizidal. Während Menschen, die es bis in meine Wohnung schaffen, es vielleicht auch wissen dürfen, fände ich es bei meinen Nachbarn nicht so prickelnd. Ich gehöre noch zur Generation ohne Facebook, Instagram und so, und bestehe auf einer Trennung zwischen Privat und Öffentlich.
Möglichkeit 3: Verbrennen
Zum Glück habe ich meinen Kamin mit einem neuen Filter ausstatten lassen. Feuer mache ich selten, will ja die Umwelt schonen, auch und besonders für die Menschen, die hier noch länger wohnen möchten. Trotzdem wäre dies ein würdiger Abschied für Abschiedsbriefe und eine rituelle Verbrennung hat ja auch irgendwie Stil.
Also fluggs ein Feuer gemacht.
Habe mir sogar beim Nachdenken über meine Löffelliste eine Blume gekauft. Meine Mutter hielt es ja mit Martin Luther: „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“ Aber morgen geht ja nicht die Welt unter, es wird ja nur ein Scheißtag und auf meinem Balkon kann ich keinen Baum pflanzen, aber Blume war super. Und habe ja auch beschlossen, dass es nur ein Scheißtag und nicht mein Ableben wird.
Also komme was wolle: „Der Kopf bleibt oben.“ Wie meine Freundin sagt, um hier noch einmal zwei Allgemeinplätze zu bemühen.
Und nach morgen gibt es auch ein übermorgen, mal schauen wie das wird.
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Nika,

es ist ein besorgniserregender Text, er macht mich unsicher. Literarisch ist er sehr gelungen. Inhaltlich ist er distanziert und sehr nah. Unklar ist: wieweit ist es echt? Literatur ist ja Literatur, und der Text zeigt eine ironische Distanz - oder eine extreme Präzision.
Was könnte man machen? Lege eine Löffelliste aller denkbarer Löffellisten an.

Einer mir sehr nahestehenden Person konnte ich mal helfen. Sie war sehr spontan und depressiv. Wie weit das gehen könnte, ahnte ich nicht. Sie lehnte jeden Kontakt ab. Meine Mutter rief mich an, sie war sehr besorgt, gerade noch rechtzeitig. Sie konnte den Notarzt rufen. Und der half. Ich kann hier leider keine Namen schreiben, aber es ist ja etwas ähnlich zu dem Text.

Ich selbst hatte auch eine depressive Phase, in der ich dann die lustigsten Dinge schrieb. Aber ich ging zum Arzt und war dann in Behandlung. Das half.

Sollte die Person nicht erfunden sein, sondern reale Hintergründe haben, braucht sie unbedingt Hilfe. Hilf ihr.

Ein bemerkenswerter Text.

Bernd
 

Nika

Mitglied
Hallo Bernd,
vielen Dank für Deine einfühlsamen Worte und die Anerkennung.
Das ist ein Teil aus "Geschichten ohne Ende" (Projekttitel). Einige andere habe ich hier auch veröffentlicht.
Suizidgedanken sind immer noch tabuisiert. Ich möchte aufzeigen, dass das ein Thema ist, über das wir sprechen müssen und dass das Schreiben hier ein unterstützender Ausweg sein kann. Da muss ich am Ende des Textes noch ein bisschen feilen, damit das herauskommt.
Dass der Text Dir stilistisch gefällt, freut mich sehr.
Selten schreiben Menschen etwas, das ihnen völlig fremd ist ... aber ich bin hier gut eingebunden.
Liebe Grüße
 



 
Oben Unten