Drei Frauen

Omar Chajjam

Mitglied
Drei Frauen




Der Standesbeamte Richard Kreft stand am Ende seiner dritten Beziehung vor dem Abgrund seines Lebens und wollte sich hinunterstürzen, um auf der anderen Seite im Paradies wieder aufzuwachen. Drei Frauen hatten ihn verlassen, immer gerade in dem Moment , als er das zu tun gedachte, was er ein Leben lang jeden Tag anderen bescherte, nämlich zu heiraten und sich fürs Leben zu binden.

Auf seine letzte große Liebe hatte er seine ganze Kraft Hoffnung gelegt, endlich sein Leben erfüllt zu sehen. Schließlich geriet er langsam in ein Alter, das der Natur nicht mehr sehr viel Spielraum ließ, sich zum Frühling zu wandeln. Doch als er sich am Ziel wähnte, wendete sich sein Geschick zur Katastrophe und er war wieder alleine.

Richie, wie ihn seine Freundinnen oft genannt hatten, trottete durch die regennasse Stadt und dachte über seine nicht mehr vorhandene Zukunft nach. Noch einmal diese Suche nach der Richtigen in den Kneipen, noch einmal Komplimente und kleine Aufmerksamkeiten, wieder dieses Prüfen und Taxieren, das Abweisen und halbe Zustimmen, das Spielen mit den Empfindungen, wollte er das ertragen? Besonders der kleine Bauchansatz und die beginnende Glatze stimmten ihn bedenklich in seiner Wirkung auf die Damenwelt der Stadt.

Die Straßenlaternen warfen verwirrende Schatten auf den Gehsteig und spielten mit seinen schweren Schritten Fangen. Bald war er zu hause in der dunklen, kalten Wohnung, die er so sehr haßte, weil alles erinnerte und duftete nach diesen Frauen und nach Einsamkeit. Alle hatten ihre Spuren hinterlassen, bestimmte Ordnungsprinzipien, besondere Reinigungsrituale, spezielle Lebenszeremonien, an die sich Richie irgendwann nach einem langen Anpassungsprozeß gewöhnt hatte. So war er zum Beispiel am Morgen, bevor er ins Standesamt der kleinen Stadt ging, nur in der Lage sich anzukleiden, wenn er vorher Hemd, Krawatte und Socken ordentlich nebeneinander auf das kleine Tischchen neben den Schlafzimmerschrank legte.

War er eigentlich einmal er selbst gewesen während der drei Beziehungen? Und wenn er doch nur Produkt der drei Frauen seines Lebens war, warum sollte er dann noch weiterleben? In diesem Stadium des fortgeschrittenen seelischen Verfalls befand sich Richard Kreft unmittelbar vor seiner Haustür, als er hinter sich ein zartes Stimmchen hörte. “Verzeihen Sie, mein Herr, haben Sie vielleicht ein Tässchen Milch für mich. Ich bin so hungrig und durstig.”

Richard Kreft drehte sich erstaunt um und blickte in die ängstlich fragenden im Laternenlicht grün irisierenden Augen eines nachtschwarzen Kätzchens. “Seit wann können Katzen sprechen?” fragte Richard erstaunt. Das Kätzchen ringelte zierlich seinen Schwanz und blickte klug an ihm hoch, “Seit es Märchen auf der Welt gibt, solltest du wissen, sprechen Tiere mit besonders einsamen Menschen und helfen ihnen ins Leben zurück. Du bist so ein einsamer, unglücklicher Mensch, darum kannst du mich verstehen, während andere mich nur miauen hören.”

Der Standesbeamte Richard Kreft, der anfangs an seinem Verstand gezweifelt hatte, war durch die Logik und mehr noch durch den lieben, sanften Tonfall des Stimmchens einigermaßen beruhigt. “Wie heißt du denn?” Das Kätzchen verzog sein Schnäuzchen ein wenig geringschätzig: “Wir haben keine Namen nötig, wenn wir unter uns sind. Aber ich weiß von der Sitte der Menschen, uns immer Namen zu geben. Darum such dir eben Mieze oder Muschi aus oder was du willst.” Richard dachte an die Kosenamen, die er seinen drei Frauen gegeben hatte und unter denen auch diese beiden waren: “Ich werde dich Söckchen nennen, nach deinen weißen Vorderpfötchen, wenn du einverstanden bist.” “Wie du willst, aber wie wär´s jetzt, wenn du endlich die Haustür öffnen und mir das Schälchen Milch servieren würdest?” entgegnete Söckchen etwas ungehalten.

Richard fühlte sich gleich ein Stückchen wohler und weniger einsam, als er sich in seinem Lieblingssessel ausstreckte, übrigens dem einzigen Stück, das er durch die drei Verhältnisse hindurch aus seiner Studentenzeit herübergerettet hatte und dem schwarzen Kätzchen zusah, wie es mit einem süßen rosa Zünglein die Milch aus dem Schälchen schlabberte. Wohlig schnurrend lag Söckchen danach auf seinen Pantoffeln und genoß die Wärme des Kaminfeuers, während Richard sanft über seinem Roman einschlummerte. Eine Katze war zwar nicht direkt eine Frau, aber, da Söckchen sprechen konnte, kam sie doch einer sehr nahe und das machte ihn beinahe glücklich.

Als Richard Kreft am nächsten Morgen sein Hemd, die Krawatte und die Socken zurechtlegte, den gewohnten Morgenkaffee schlürfte, er trank eigentlich lieber Tee, sah er Söckchen eingerollt auf seinem Sessel schlafen. Er verließ zum ersten Mal seit seiner Trennung fast glücklich seine Wohnung und ging in sein Büro im Rathaus. An diesem Tag vollzog der die Trauungen mit fröhlichen, freundlichen Randbemerkungen, daß die verliebten Pärchen, die vor ihm standen gleich noch glücklicher wurden. Nur die älteren Trauzeugen schauten ihn manchmal argwöhnisch an. Dabei stand er den armen Männern eher mit Mitleid gegenüber, denn er wußte ja, daß die Ehe keine Lebensversicherung gegen Verlassenheit war. Die Scheidungszahlen seiner kleinen Stadt bewiesen es ihm täglich. Sie überstiegen manchmal sogar die Zahl der Trauungen. Was ihn aber glücklich machte, war die Erinnerung an Söckchen zu hause in seinem Sessel und die Aussicht auf lange philosophische Gespräche über das Zusammenleben der Tiere und Menschen.

Am Nachmittag faßte er sogar den Plan, mit ihr das Musical “Cats” zu besuchen und rief eine Konzertagentur an und auf dem Heimweg ging er beim Juwelier vorbei und suchte ein goldenes Halsband aus, das ihm auf dem ebenholzschwarzen Fellchen seines Kätzchens besonders wirkungsvoll glänzend dünkte. Er freute sich schon sehr, ihr am Abend am Kaminfeuer diese kleine Überraschung zu bereiten.

Doch größer war seine eigene, als er freudig gespannt seine Haustür öffnete. Die Wohnung glänzte geradezu vor Sauberkeit . Im Wohnzimmer summte der Staubsauger und Söckchen sang mit ihrem lieblichen Stimmchen eine fröhliche Melodie: “Miau, miau, mio.” Richard machte die ganze Sache etwas mißtrauisch, doch hatte er alle Bedenken schnell vergessen, als sein Kätzchen ihm die angewärmten Hausschuhe in ihrem süßen Schnäuzchen herbeischleppte. Am Kamin packte er dann das Geschenk aus und das Glück schien vollkommen. Das kleine pelzige Tierchen steht dem reifen Mann oft näher als die weiblichen Exemplare der eigenen Gattung, die nur den eigenen egoistischen Freiheitstrieb im Kopf haben. Richie dachte darüber nach, im Lokalblatt einen Artikel zu verfassen - Die Katze, der Freund des Mannes - und schlief in seinem Lieblingssessel ein, sein Kätzchen auf dem Schoß.

Die Tage und Wochen vergingen im Glück. Die kleine Wohnung begann sich langsam zu verändern und Katerchen, so hieß Richie jetzt mit Kosenamen, gewöhnte sich an das schöne Lebensgleichmaß. Ja, er hatte sich sogar an das Katzenfutter und die tägliche Milchration gewöhnt. Nur der Kratzbaum, zu den ihm Söckchen einmal wöchentlich drängte, kam ihm etwas überflüssig vor. Katerchen schnitt sich seine Nägel daher lieber heimlich im Büro, da Söckchen ihn dort nicht beaufsichtigen konnte und tat dann so, als ob er seine Nägel an dem frischen Holz schärfen würde.

Irgendwann nach einem Urlaub auf einem Bauernhof nahm Söckchen seinen Richard ins Gebet: “Lieber Kater, du weißt, ich liebe dich über alles. Doch, wenn ich noch weiter an dich glauben soll, solltest du für mich dann und wann die eine oder andere Maus fangen. Der Caesar vom Bauernhof hat das doch für seine Minna auch getan.”

Richard sah sein Söckchen ganz ungläubig an, allenfalls konnte er Otto Willich, dem Malermeister noch beim Tapezieren helfen und ganz passabel Gedichte für den Karnevalsverein schreiben. Aber der Gedanke, Mäuse zu fangen schien ihm doch etwas absurd. Darum vergaß er die mahnenden Sätze schnell wieder und rechnete sie einer Schnurre seines geliebten Söckchens bei.

In den Tagen um Weihnachten war es, daß Söckchen sich weiterzubilden begann. Sie besuchte den Gesangsunterricht in der Volkshochschule des Städtchens. Der Kurs versprach die Ausbildung zum klassischen Chorgesang. Richard begrüßte das sehr, weil er meinte, Söckchen sollte ruhig seinen Horizont erweitern. Was er nicht wußte, weil er sich zu wenig mit Katzengeschichte beschäftigt hatte, war, daß eigentlich nur Kater im Katzenchor singen. Was er nicht wissen konnte war, daß dort ein großer grau getigerter Wildkater auf die Jagd nach kleinen Kätzchen ging. Söckchen war ganz hingerissen von seinen kühnen Sprüngen, wie er die bösartigsten Kanalratten zur Strecke brachte. Hannibal, so hieß er, war lange Jahre Hauskater im Polizeipräsidium gewesen und kannte genau die Schliche der wildesten Kampfmäuse und Mafiosi.

Zu hause bei seinem Katerchen begann Söckchen jeden Tag zu weinen und wurde ganz krank, ohne daß Richard die Beweggründe der Veränderung erriet. Hatte er ihr vielleicht nicht genug Katzenstreu mitgebracht oder war etwa ihr Federbettchen nicht weich genug? Richard war ratlos und arbeitete länger im Rathaus. Er ließ sich bei den Trauungen extra lange Zeit und machte Einzelberatungen bei den Scheidungen, nur um dem Elend zu hause aus dem Weg zu gehen. Bis er eines Nachts auf dem Nachhauseweg im Mondschein auf einem Dach zwei Schatten entdeckte, offensichtlich zwei eng aneinandergeschmiegte Katzen, die zweistimmig in vollständiger Harmonie den nächtlichen Begleiter der Liebenden ein Ständchen brachten. An den reinen klaren Tönen des Soprans erkannte Richard die Stimme seines Söckchens. Das goldene Halsband, das er ihr am Anfang ihres gemeinsamen Lebensweges geschenkt hatte, glänzte in den Strahlen der Himmelslaterne an ihrem schlanken Hals, wie sie ihr Köpfchen gegen die breiten Schultern des fremden Katers lehnte.

Da wußte Richard, daß er zum vierten Mal verlassen worden war. Auch auf Katzen ist eben kein Verlaß. Sie laufen zuletzt eben doch jedem mäusefangenden Kater hinterher. Aber das weiß doch jeder, Treue bis in den Tod findet man nur beim Hund, und wer will schon auf den kommen.

Gestern hat sich Richard übrigens auf den Weg zum Bauernhof gemacht, wo sie einmal so glücklich waren, Katerchen und Söckchen. Ihm war eingefallen, daß ihn dort ein Schaf ganz verliebt angeblickt hatte. Vielleicht ist ja das die Lebensperspektive für einen Mann in den besten Jahren mit Bauchansatz und beginnender Glatze.
 



 
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