"Du bist mein Engel"

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S

Stoffel

Gast
"Du bist mein Engel"

Es war Heiligabend. Ich irrte in der Stadt umher und hatte einfach noch keine Lust nach Hause zu gehen. Dieses scheinheilige Getue jedes Jahr ging mir auf die Nerven. Eine nette, kleine Spießerfamilie, die darauf bedacht war, niemals aufzufallen. In der alles seine Ordnung haben musste und in der kaum mehr wirklich geredet wurde.

"Hey Alter!" rief mir einer hinterher. Es war Kuddel, der irre Vogel. "Was machst'n hier noch?" Wollte er wissen und schlug mir auf die Schulter, dass es schon weh tat. "Nichts". Antwortete ich genervt. "Versteh' schon", sagte er und grinste. Er kramte in seiner Tasche herum und steckte mir zwinkernd einen kleinen Klumpen grünen Afghanen zu.
"Da, schenk ich dir. Frohe Weihnachten!". Dann stapfte er davon. Eigentlich hatte ich mit dem Zeug nix am Hut, steckte es dann in den Handschuh und ging Richtung S-Bahn. Keine Menschenseele war auf dem Bahnsteig zu sehen. Ich setzte mich auf eine der Bänke und sah zum Himmel. Früher sah ich am Heilig Abend auch immer rauf und wartete darauf, den Weihnachtsmann zu erwischen, wenn der durch die Wolken geflogen kam. Dann dachte ich an meine Großeltern, die immer mit uns feierten. Mein Opa war mein bester Freund. Mit ihm konnte ich über alles reden. Beide starben innerhalb eines Monats. Das war das erste und letzte Mal, daß ich heulte. Irgendwie hatte ich plötzlich einen Stein auf der Brust und ich hätte wieder heulen können. Ich fühlte den Klumpen in meinem Handschuh, holte ihn heraus und roch an ihm. Er roch streng, irgendwie nach Vergessen. Gerade, als ich ihn auf meinem Tabak zerbröseln wollte, knackte es laut hinter mir im Gebüsch. Erschreckt drehte ich mich um, der Klumpen fiel mir aus der Hand und ich sah direkt in das Gesicht eines alten Mannes. Der streckte mir seine Hände lächelnd entgegen.
"Fürchte dich nicht, Sohn."
War der irre, oder was? Mein Herz schlug bis zum Hals. "Du hast mich total erschreckt, verdammt! Und ich soll mich nicht fürchten? Wo kommst du überhaupt so plötzlich her?" Auf allen Vieren kroch ich herum und suchte nach dem verflixten Klumpen. Und der Alte setzte sich auf meine Bank. "Ganz schön kalt heut' Abend." Sagte er und rieb sich die Hände. Der kleine Klumpen war definitiv weg. "Ist dir etwas verloren gegangen?" Wollte er wissen. Ich setzte mich auf die Bank, steckte meinen Tabak wieder ein und war angefressen. Dann holte ich eine Mark aus meiner Tasche und reichte sie ihm hin. "Ok, hier hab ich noch eine Mark, kauf dir ne Pulle und frohe Weihnachten! Und nun lass mich in Ruhe!" Er Alte lächelte und nahm das Geld.

"Ich war so alt wie du", fing er leise an zu erzählen. "Ich hatte Vater, Mutter, eine Schwester und meine Großeltern. Und dann kam der Krieg und hat sie mir genommen." Ich sah ihn an und sah einen alten Mann im Profil, der lächelte. Ich spürte, wie er seinen Erinnerungen nach hing und sah weg. "Und du?" fragte er mich. "Wodurch hast DU deine Familie verloren?" Ich sah auf die Schienen und so, als hätte ich nur darauf gewartet, daß mich jemand genau das fragt, begann ich zu erzählen. Alles, was mir so einfiel. Nach einer kurzen Pause knuffte er mich sachte. "So ein Häppchen Gänsebraten könnte ich ganz gut vertragen." Scherzte er und sah mich erwartungsvoll an. Ich grübelte kurz. "Ok, warum nicht? Du kommst jetzt mit mir nach Hause. Bin mal gespannt, wie die daheim drauf reagieren."
Als wir die Wohnung betraten, kam mir meine Schwester entgegen. "Wer ist das denn?" Fragte sie und musterte den Alten. "Das ist ein Freund, er wird heute mit uns essen!" Der Alte gab ihr die Hand und lächelte sie freundlich an. Sie lächelte zurück. Dann lief sie in die Küche. "Mama, Tobi ist da und er hat einen Freund mitgebracht!" Wir hingen unsere Jacken an den Haken und dann kam meine Mutter. Sie zupfte ihr Haar zurecht und lächelte. Als sie meinen neuen Freund sah, versuchte sie ihre Überraschung zu verbergen und reichte dem Alten freundlich die Hand. "Ein Freund. Wie nett. Und gerade heute." Mein Vater kam aus dem Wohnzimmer. Erst sah er den Alten an, dann mich, dann meine Mutter, dann sahen sie beide sich an und dann gab er ihm die Hand. "Wenn es ihnen nicht Recht ist, gehe ich lieber wieder". Sagte der Alte. Meine Eltern sahen sich an und dann kam meine Schwester und zog den Alten mit sich. "Nein, der bleibt hier!" Sagte sie. "Ich zeige ihm meine Tiere". Dann waren sie verschwunden. Wortlos standen wir drei da, bis meine Mutter lächelte und mich umarmte. "Du vermisst Opa, ich weiß. Hast ein gutes Herz, Junge." Mein Vater klopfte mir kurz auf die Schulter, so wie man es tat, wenn man eine gute Zensur hatte, oder wenn man in einem Rennen die Bestzeit erlangte. Der Weihnachtsbaum stand da wie eine Eins und die Kerzen brannten. Mein Vater goss zwei Gläser Sherry ein und setzte sich in seinen Sessel. In Windeseile hatte meine Mutter noch ein Gedeck aufgelegt. Sie nahm mich bei der Hand und zog mich in die Küche. "Komm, mein Engel, kannst mir mal helfen." Ich hatte es immer gehasst, wenn sie mich so nannte. Irgendwie machte es mir heute nichts aus.

Mein Vater trank mit dem Alten Sherry und sie erzählten am Tisch kleine Anekdoten. Dann erzählten meine Eltern von kleinen Begebenheiten aus unserer Kinderzeit und sie lachten dabei herzlich. Ich konnte die Freude von ihren Augen ablesen. Der Alte sah mich an und nickte mir zu. "Er ist ein guter Junge. Und ich bin mir sicher, dass aus ihm etwas wird." Meine Mutter hatte Tränen in den Augen und sie griff nach dem Arm meines Vaters.
"Bescherung, Bescherung!" Rief meine Schwester und holte ihre Geschenke unter dem Tannenbaum hervor. Das erste reichte sie mir. "Mach auf, schnell!" Ich freute mich plötzlich und war neugierig. Ein Kaleidoskop, das ihr sicher eine Woche Taschengeld gekostet hatte. "Schau mal durch, das ist wunderschön". Schwärmte sie. Dann reichte mir meine Mutter einen Umschlag. Darin war die Anmeldung zum Führerschein und ein Guthaben über zehn Fahrstunden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das war der Hammer. Tief gerührt ging ich in mein Zimmer, um durch zu atmen. Ich saß auf meinem Bett, mit dem Umschlag und dem Kaleidoskop in der Hand und weinte. Wie nie zuvor in meinem Leben. Ich wusste, irgend etwas war anders, als sonst. Aber es machte mir keine Angst. Es machte mich glücklich. Als ich mich gefangen hatte, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Der Alte war weg. "Wo ist er?" Fragte ich und sah mich suchend um. Mein Vater schenkte drei Gläser Sekt ein und reichte mir eins davon. "Er hatte es plötzlich sehr eilig. Sagte, er hätte noch eine Verabredung." Meine Mutter nahm meine Hand und legte mir ein Markstück hinein. "Das soll ich dir geben." Dann erhob mein Vater das Glas. "Zur Feier des Tages und auf gute und bessere Zeiten."

Keine Ahnung, was genau damals ab ging, ich denke noch oft an den Alten. Die Mark hatte ich mir vorn auf das Amaturenbrett meines alten Audi geklebt, den ich mir von meinem ersten Gehalt kaufte. Vielleicht bin ich abergläubisch geworden. Ich erzähle meiner Frau und meiner Tochter jeden Weihnachten von dem Alten. Und dann nochmal, wenn am ersten Weihnachtsfeiertag meine Eltern und meine Schwester zu Besuch sind. Dann schlingt meine Frau jedes Mal zärtlich lächelnd die Arme um mich und haucht mir ins Ohr:

"Und du - bist mein Engel".
 

ENachtigall

Mitglied
Euro oder Mark?

Hallo Stoffel,

ich hab´s aufmerksam gelesen und möchte nichts sagen, als dass die Mark ein Euro war.

Alles Gute
Elke
 

Tinka

Mitglied
Liebe Soffel,
die Idee gefällt mir recht gut, der Text hat meiner Meinung nach aber einige Längen (du kannst es doch auch so gekonnt ganz kurz!!!).
Außerdem haben sich meiner Ansicht nach einige (Tipp)Fehler eingeschlichen (sorry!):
"Und meine Schwester.../Und meine Mutter..." - da wäre es vielleicht sinnvoll einen anderen Satzanfang zu finden.

Spießer schreibt man zur Zeit (wer weiß wann das wieder geändert wird) mit "ß". Es gibt dafür eine eingängige Regel: "Große Scheiße" *g* => nach langen Lauten (groooße) und nach Zwielauten Scheiße) kommt ein ß.

"Hey, Alter!", rief...

Aber: Die neue Rechtschreibung ist ein weites Feld und wer weiß, wie lange dieses noch in der jetzigen Form beackert werden muss ...

Gruß Tinka
 
S

Stoffel

Gast
Hallo Ihr beiden,

da es ja ein Rückblick ist, muss es die alte gute D-Mark sein.
Ansonsten Danke Euch recht herzlich, werde mich morgen mal bei machen.

Ein schönes WE
lG
Sanne
 
S

Stoffel

Gast
Guten Morgen,

habe die Geschichte abgespeckt. Mehr geht irgendwie nicht, glaube ich.

Danke Euch nochmal.

Gute Woche
lG
Sanne
 

F Fuller

Mitglied
Hallo Stoffel,

da sind immer noch ein paar kleine Fehlerchen drin.

Schöne, weihnachtlich anmutende Geschichte. Ich mag alte Männer...

F.
 
S

Stoffel

Gast
Grüß Dich Fuller,

vielen Dank,habe auch schon geschaut wo und was...
Leider ist es mir technisch nicht möglich unter Linux ein neues Rechtschreibprogramm zu laden. (mein Ex hat mir alles "dicht" gemacht) Und ich bin in Rechtschreibe nun mal eine Niete. Sorry.
Hat also nichts mit Bequemlichkeit zu tun, bitte um Entschuldigung. ;)

lG
schönen Tag
Stoffel
 



 
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