Duett (Sonett)

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Duett


Gern bin ich kurz bei dir und schau dir zu
Genieße, wie du die Kulissen schiebst
Zu Szenenwechseln - Menschen, die du liebst
Die dich besuchen und zu denen du

Selbst aufbrichst - Sprünge sind's der Melodie
Durch Tonart, Mit- und Gegen-Spannungsbögen
Und hörend sing ich mit - wie sich bewegen
Die Gestentänze deines Lebens, wie

Sie weit sich öffnen, schließend sich vereinen
Und siehst du, hörst du, wie mein Ton dem deinen
Im Kontrapunkt entgegenspielt? Nur scheinbar

Sitz stumm und stur ich bei dir rum - ganz leise
Geh ich, wie draußen du, auf meine Reise
Und Sehnsuchtssog und Fliehkraft sind vereinbar
 

poetix

Mitglied
Dein Duett gefällt mir. Der Rhythmus des Sonetts ist jambisch, was in der ersten Zeile
Gern bin ich kurz bei dir und schau dir zu
dazu führt, dass "bin" betont werden muss, was man beim ersten unvoreingenommenen Lesen wahrscheinlich nicht tun würde (ich würde "gern" betonen). Aber, wenn man sich eingelesen hat, geht es, und insofern ist es auch legitim. Am Ende verwirrt mich die "Fliehkraft" etwas. Wo kommt sie her?
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
die Zentrifugale in der Fuge

Die "Fliehkraft", ja Deine Empfindung ist treffsicher! Ich habe lange überlegt bei diesem Wort: Bei einem werbenden Lied, einem Liebeslied, vermeidet man doch das Evozieren der Kräfte, die auseinandertreiben, und nun soll die auseinandertreibende Kraft mit dem Sehnsuchtssog vereinbar sein, und welche von den beiden Personen tendiert hinaus, in die Weite?
Aber so einfach werbend ist es eben nicht, sondern spielt fast schon objektiv mit den kontrapunktischen Mit- und Gegenbewegungen der Lebensmelodien, bereit auch zu den Resignations- und Verzicht-Momenten, die Verliebte sonst eigentlich lieber vermeiden. Verliebte lügen leicht, gestehen sich selbst kaum die Fliehkräfte ein, wünschen nur Sehnsucht. Hier gibt es noch eine weitergehende Bewußtseinsschicht, eine in ästhetischer Distanz, die die Verhaltens- und Bewegungsverflechtungen von Lyri und Lyrsie eher musikalisch auffaßt.
 
F

Fettauge

Gast
Duett

Lieber Mondnein,

vielleicht ist der Titel nicht so das Richtige, es müsste wohl eher heißen: Der Beobachter. Denn von Duett ist hier ja kaum was zu merken, zumindest verstehe ich darunter was anderes.

In deinem Sonett gibst du eine kleine Studie eines Menschen,
dessen Verhaltensweisen das Ich zumindest bemerkenswert findet:
wie es "Kulissen schiebt", die "Gestentänze seines Lebens",
trotzdem scheint das Ich einen gewissen Abstand halten zu wollen. Ich finde das Sonett inhaltlich gut gemacht, sogenannte Leerzeilen hast du vermieden.

Zum Technischen:

Das klassische Sonett baut auf der weiblichen Kadenz auf, dem Endecasillabo. Das sogenannte deutsche Sonett
hat sich aus sprachlichen Gründen des Deutschen auf den Wechsel von weiblichen und männlichen Kadenzen festgelegt, wobei es natürlich Ausnahmen gibt, denn mit dem Sonett wird maßlos herumexperimentiert. Ein wenig unschön macht es sich deshalb aber doch, dass du im ersten Quartett nur männliche Kadenzen einsetzt gegenüber dem zweiten Quartett, wo du die Kadenzen wechselst. Das hättest du in jedem Fall vermeiden müssen. Das Sonett weicht inhaltlich auch vom klassischen Vorbild ab, aber das ist man bei den Myriaden von Sonettschreibern inzwischen gewohnt, und wenn es alle machen, gilt es irgendwann als normal und richtig.

Sprachlich liest sich das Sonett, im Gegensatz zu anderen Gedichten von dir, erstaunlich eingehend, man versteht, was du meinst, auch wenn man kein Musikstudium hinter sich hat. Ein bisschen aus der Sprachebene des Kontextes fällt das "sture Rumsitzen" im zweiten Terzett. Es ist, wie wenn man mit Blaumann ins Theater gehen würde.

Ja, gut. Trotz kleiner Einschränkungen.

Liebe Grüße, Fettauge
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, Fettauge,

schon ganz richtig gesehen: Das ist in Inhalt und Form völlig anders als etwa die Schleudern, die ich in der experimentellen Abteilung unterbringe, denn es ist noch nicht so alt (stammt also von einem alten Mann), während bei den Eperimenten die Würfe aus meinem vorletzten Leben rumpubertieren. Aber diese Stücke eines Grünlings können schon mal einen avantgardistischen Schwung und Modernität (wie sie Rimbaud verlangt hat) haben, wie sie mein reiferes Herbstobst (wozu dies hier gehört) nicht hat (oder gut versteckt).

Also ja: "Sitz stumm und stur ich bei dir rum" ist etwas flapsig, trotz des Stabreims und des Binnenreims. "Blaumann" wäre passend - in einer Arbeitsumgebung.
Aber das ist ja eine Arbeitsumgebung: Die "Kulissen", die da metaphorisch geschoben werden, die "Szenenwechsel", die sonst ein Theaterstück gliedern, hier aber gleich, in den nächsten Zeilen, als bloße Metaphern für vielfältige Begegnungswechsel und Ortsveränderungen aufgelöst werden, werden ja nicht vom Zuschauerraum aus gesehen, sondern eher von der Seite (zwischen den Kulissenschablonen) oder vom Bühnenhintergrund aus. Die reale Situation ist der kleine Küchenwohnraum des angesprochenen Lyrdu, der besuchten Person natürlich so bekannt, daß sie das "Zwischen" der Situation gleich versteht. Aber in der Tat ist das ja nun kein subjektives Liebeslied mehr bzw. soll es nicht mehr sein, sondern ein situationsbefreites, "gut abgehangenes" (blutfreies, koscheres) objektives Stück. Aber vielleicht benennt die erste Verszeile die "Kurzbesuchs"-Situation ausreichend. Der Gast darf wohl mit höflichem understatement seine Anwesenheit als "Rumsitzen" abwerten, während er das Rumrennen, Aufräumen und Schuheputzen (oder was auch immer) der Gastgeberin zu einer fleißigen Bühnenarbeit aufwertet.
Ganz quer zur reinen klassischen Form sind gewiß vor allem die strophenübergreifenden Enjembements, die dann auch noch an Einsilben-Schlüssen hängen: "... zu denen du / Selbst aufbrichst" und "... wie / Sie weit sich öffnen".
 



 
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