Eddis zerbrochener Traum

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Hagen

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Eddis zerbrochener Traum


Eddi war neunzehn, als ein paar uniformierte Männer in den Schlachthof kamen und ihn zur Air Force warben. Sie brauchten nicht groß zu reden, Eddi unterschrieb sofort, zur Air Force!

Er wollte Flieger, Pilot werden!

Im Luftkampf würde er es den Hunnen schon zeigen, in einem ‘Mustang‘-Jagdflugzeug würde er einen von diesen Nazischweinen nach dem anderen vom Himmel holen; - und es gab Fliegerzulage, weg von den blöden Rindern und Schweinen im Schlachthof.

Eddi schmiss sein Zerlegemesser weg und wurde von seinem Boss höchstpersönlich verabschiedet, zusammen mit den Anderen, die auch zur Air Force geworben wurden, „machen Sie es gut, Mister Walsh! Sie werden es den Deutschen Nazischweinen schon zeigen! Sie sind ein guter Patriot, werden Sie auch ein guter Flieger!“

Eddi packte seine Sachen und fuhr mit der schweigenden Kommission und anderen euphorischen Kameraden in ein Fort irgendwo in den Weiten Nordamerikas und durchlief etliche Tests, an deren Ende stand, dass es nichts war mit Pilot, absolut ungeeignet. Aber zum Bordschützen einer Boeing B-17 ‘Flying Fortress‘ würde er sich eignen, sogar bestens zum Seitenschützen!

Ohne lange zu fragen wurde Eddi in ein weiteres Fort gefahren. Es gab dort nur einige metallmüde B-17 ohne Motoren und sonst nur Ödnis.

„Was?“, Eddis Träume zerplatzten jäh, „Ich dachte, ich werde Pilot! – Was ist denn ein Seitenschütze?“, konnte er endlich seinen Ausbilder fragen.

„In der Mitte des Rumpfes einer B-17 befinden sich rechts und links die Positionen der Seitenschützen, der sogenannten ‘Waist Gunners‘“, sprach der Ausbilder. „Jeder der beiden Schützen bedient ein auf einer Lafette befestigtes MG, das aus einem Seitenfenster feuert und so das Flugzeug zu den Seiten absichert. Seien Sie froh, Mister Walsh, das man Sie nicht zum Heckschützen eingeteilt hat!“

„Was ist denn das?“

Eddi war verstört.

„Ein Heckschütze? Im äußersten Heck des Flugzeugrumpfes ist die Position des Heckschützen, den sogenannten ‘Tail Gunner‘, man nennt ihn auch ‘Tail-end Charlie‘ oder auch ‘Heckschwein‘“.

Der Ausbilder schmunzelte und fuhr fort: „In dieser äußerst engen und unbequemen Kanzel sitzt der Schütze hinter einem Browning-M2-Zwillings-Maschinengewehr Kaliber .50 BMG, 12,7 × 99 mm. Es ist die gefährlichste Position im Flugzeug, da Bomberformationen durch Jagdflugzeuge oft von hinten, unten angegriffen werden. – Bin ich selbst gewesen, ein ‘Tail-end Charlie‘! Hab‘ sogar zwei Deutsche vom Himmel geholt, aber seit dem ein steifes Bein. Naja nach fünfundzwanzig Einsätzen kommt man nach Hause und darf als Ausbilder für euch Greenhorns seine restliche Dienstzeit ableisten. – Mister Walsh, sie können auch froh sein, das man Sie nicht in den ‘Kugelturm‘ gestopft hat!“

„Was, zur Hölle, ist denn ein Kugelturm?“

Der Ausbilder schmunzelte wieder und hub an zu erklären: „Zur Absicherung des Luftraums in alle horizontalen Richtungen sowie nach unten ist näher zum Bug der kugelförmige Sperry-Browning-MG-Turm in den Rumpfboden eingelassen. Er ist mittels eines Elektromotors um seine horizontale und vertikale Achse drehbar und ebenfalls mit einem Zwillings-MG ausgestattet. Da der Raum im Kugelturm sehr beengt ist, kommen hier vorrangig kleine Männer zum Einsatz. Seien Sie froh, dass sie fünf Zentimeter zu groß sind, für dieses Monstrum! – Der ‘Ball Turret Gunner‘ liegt auf dem Rücken, schaut aus mehreren kleinen Fenstern aus dem Turm und zielt zwischen seinen Beinen hindurch. Er hat auch die Aufgabe, das Öffnen und Schließen des Bombenschachtes und den Bombenabwurf zu bestätigen. Auch diese Position ist bei Einsätzen besonders gefährlich! Selbst mit fremder Hilfe benötigt der Schütze zum Verlassen des Turms etwa eine Minute! Stellen Sie sich das mal vor, in einer abstürzenden B-17 ist meist nicht genug Zeit, um den Ball Turret Gunner aus seinem Gefängnis zu befreien. Hinzu kommt, dass der Kugelturmschütze aufgrund der räumlichen Enge keinen Fallschirm trägt und nur mittels Karabinerhaken an einem Gurt gesichert wird, der an der Trägerkonstruktion der Kuppel befestigt ist.“

„Ich will wieder in den Schlachthof“, Eddi konnte sich eines würgenden Gefühls nicht erwehren, „wenn ich kein Pilot werden kann.“

„Sie benehmen sich wenig patriotisch, Gunner Walsh! Denken Sie dran, das Sie als ‘Flieger‘ unterschrieben haben! Flieger sind nicht nur Piloten! Schließlich braucht die Air Force nicht nur Piloten! Nehmen Sie Haltung an, Gunner Walsh, Sie werden unter meine Anleitung zum besten Waist Gunner der Air Force ausgebildet werden, und in einer Boeing B-17 ‘Flying Fortress‘ ihren Dienst tun, wie ich es getan habe, und viele andere es auch tun werden!“



Es blieb Eddi nichts anderes übrig, als aus dem Seitenfenster einer metallmüden B-17 zu feuern, Runde um Runde seines MGs, auf Abbildungen von Messerschmitts und Focke Wulfs, die in wechselndem Abstand und Geschwindigkeiten an den Fenstern vorbeigezogen wurden. Er gewöhnte sich an den harten Rückstoß des Maschinengewehrs, den Vorhaltewinkel bei wechselnden Geschwindigkeiten und die klobige Bekleidung, die nach und nach angelegt wurde. Er wurde von dem Ausbilder gründlich zusammengeschissen, als er einmal das Kettenhemd weggelassen hatte, weil es ihn in seiner Bewegungsfreiheit behinderte.

„Was meinen Sie den wohl, wie froh sie um dieses Ding sein werden, wenn wen einer von diesen Nazischweinen auf Sie schießt und auch noch trifft! – Je härter die Ausbildung, desto einfacher haben Sie es nachher, wenn Ihnen wirklich die Geschosse um die Ohren fliegen! Los! Anziehen, das verdammte Ding, damit Sie sich daran gewöhnen, und nochmal!“

Von der anfänglichen Freundlichkeit des Ausbilders war nichts mehr zu spüren und Eddi sowie einige seiner Kameraden wurden wieder angebrüllt: „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, ein eigenes Flugzeug abzuschießen? Die P-51 ‘Mustang‘ ist ein ‘Little Friend‘, ein Begleitjäger, der Sie beschützt! Und dafür schießen Sie ihn einfach ab?“

Eddi und seine Kameraden waren zerknirscht, aber sie sahen ihre Fehler ein, obwohl sie es nicht gut fanden, einfach ein eigenes Flugzeug unter die Feinjäger zu mischen. Das Geballer ging wieder los, Messerschmitts, Focke Wulfs in unterschiedlichen Positionen und Geschwindigkeiten, dazwischen ‘Mustangs‘ und ‘Thunderbolds‘, die Begleitjäger, die blitzschnell zu unterscheiden waren. Eddi träumte nachts von Flugzeugen und wurde Tagsüber wieder angebrüllt, weil er im Eifer des Gefechts eine eigene B-17 beschossen hatte.

„Mein Gott“, brüllte der Ausbilder, „wie oft muss ich Euch Idioten noch sagen, das wir in enger Formation fliegen! Ihr müsst immer damit rechnen, dass eine B-17, ein Kamerad, neben euch fliegt! Willst du Vollidiot den Nazischweinen etwa die Arbeit abnehmen?“

„Nein, Sir! Command Chief Master Sergeant, Sir!“

„Lauter! Ich hör nichts!“

„Nein, Sir! Command Chief Master Sergeant, Sir! Das will ich nicht!“

„Na, also, geht doch, Waist Gunner Walsh! Die B-17 trägt den Namen ‘Fliegende Festung‘, und ihr habt dafür zu sorgen, dass sie den Namen ‘Fliegende Festung‘ zu Recht trägt! Euer Job ist genauso wichtig, wie der, der Piloten, des Funkers, des Navigators, des Bordingenieurs oder des Bombenschützen! Die Boeing B-17 ist die zuverlässigste Maschine, die je gebaut wurde! Ihr habt dafür zu sorgen, dass sie in der Luft bleibt! – Und nun nochmal ran an die MGs! Ich will nur Treffer auf die Flugzeuge der Nazischweine sehen! Wehe, ihr schießt nochmal auf ein eigenes Flugzeug!“



Eddi und seine Kameraden hatten nach Ende der Ausbildung das Gefühl, zu einer Elite zu gehören, als ‘Waist Gunner‘, ‘Ball Turret Gunner‘, oder ‘Tail-end Charlie‘. Anders als die paar Kameraden, die es nicht packten, die sang und klanglos als GI verschifft wurden.

Aber Eddi hatte es geschafft! Er war zerbrochen und wieder aufgebaut worden, nach den Vorstellungen seines Ausbilders, der auch einen Ausbilder hatte, aber er fühlte sich als Patriot und Elitesoldat und wurde sogar befördert, vom ‘Airman Basic ‘ zum ‘Airman‘.

Es gab sogar eine Abschlussfeier am Ende der Ausbildung! Eine auf Hochglanz polierte B-17 stand in einer Halle und Eddi konnte zum ersten Mal seinen echten ‘Arbeitsplatz‘ besichtigen. Es gab sogar Mädels, die angekarrt wurden, die sogenannten ‘Letter Girls‘, weil sie den Kameraden Briefe schrieben, weil sie für die Freiheit Amerikas kämpften. Eddi bekam von seinem Mädel sogar ein Bild von ihr im Bikini, ihre Adresse und das Versprechen, ihn nach seiner Rückkehr zu heiraten. Eddi war glücklich und ertrug die Rede des Kommandeurs, der von der ungeheuren Geschwindigkeit sprach, mit der eine Bomberbesatzung auf eine Höhe von 2 600 000 Fuß katapultiert wird.

„Eine Bomberbesatzung wird mit enormer Geschwindigkeit von Meereshöhe zur Höhe des Mount Everest und darüber hinaus empor gerissen“, sagte der Kommandeur. „Bei einem Flug nach Deutschland werdet Ihr 8 bis 10 Stunden in der Luft sein, von denen jede Minute Gefahr und Mühsal bringt! Schnelle und präzise Arbeit wird von jedem Mitglied der Besatzung erwartet, vom Piloten bis hin zum Bordschützen! Meine Herren, die Augen Amerikas blicken auf Sie! Aber Sie werden um Ihr Leben kämpfen müssen, werden möglicherweise verwundet! – Aber Sie werden es den Nazis zeigen! Sie verteidigen eine B-17, die komplizierteste, aber auch wunderbarste Maschine, die je gebaut wurde, um den Nazischweinen die Scheiße aus dem Arsch zu bomben ...“

Was der Kommandeur nicht sagte, war, dass die Deutschen zu diesem Zeitpunkt des Luftkrieges, fast zehn Prozent der ‘Fliegenden Festungen‘ abschossen!

Zehn Prozent, das entspricht nach statistischen Mittel einer Erwartung von zehn Einsätzen!

Als Patriot machte Eddi sich keine Gedanken darüber, er war sogar heiß darauf, seinen ersten Einsatz zu fliegen.

Dass sich die B-17, wenn sie abgeschossen wird, überschlägt, unsteuerbar zu Boden trudelt oder schon in der Luft auseinanderbricht, davon sagte der Kommandeur auch nichts. Auf jeden Fall muss sich die gesamte Besatzung von zehn Mann durch eine enge Luke nach draußen quälen, was nahezu unmöglich ist, da die Fliehkräfte einer trudelnden Maschine die Männer an die Wand drücken.

Auch davon erzählte der Kommandeur nichts …

Nach 25 Einsätzen sollte man nach Hause zurückkommen, um dann als Ausbilder zu wirken, sofern man kein nervliches Wrack war. Die Kriegsmaschinerie musste gefüttert werden, mit neuen Männern und neuen Maschinen …

Doch Eddi war selig, er hörte nicht mehr zu, als der Kommandeur von Patriotismus sprach, er hielt in einer Hand ein Glas Bourbon und in der Anderen das Mädel, das ihn bald vergessen haben wird, denn der nächste Schwung Bordschützenanwärter stand praktisch vor der Tür, und sie würde wieder das ‘Letter Girl‘ spielen, aus patriotischen Gründen.



Eddi wurde nach England verschifft und mit Sack und Pack auf einen Flugplatz gebracht. Ihm wurde sein Quartier gezeigt, ein Baracke mit entweder schnarchenden oder Briefe schreibenden Kerlen, und er wurde wieder angebrüllt, weil er seinen Sack in einen falschen Spind stellen wollte.

So hatte er sich das nicht vorgestellt!

Er küsste das Bild seines Letter Gils und nahm sich vor, ihr und seiner Mutter einen Brief zu schreiben. Er wollte ihr schreiben, dass es ihm gut ging, und er sich auf seine Einsätze freute …



Die B-17, zu der Eddi am nächsten Morgen gefahren wurde, sah keineswegs so aus, wie die silberglänzenden Mustangs und Fliegenden Festungen in den Werbefilmen, die Eddi zum Eintritt in die Air Force bewegt hatten. Die ‘Nose-Art‘ an ihr zeigte ein lächelndes, spärlich bekleidetes Mädchen und den Schriftzug ‘Hot Shot Charlott’. Eddi zählte die aufgemalten Bomben, es waren dreiunddreißig, aber auch drei Hakenkreuze zum Zeichen dafür, dass aus diesem Flugzeug bereits drei Nazis abgeschossen wurden. Die B-17 war mit einem schmutzigen Grün bemalt, einmal und nie wieder, an vielen Stellen war die Farbe abgewetzt und das blanke Metall war zu sehen. Trotz der dreiunddreißig Einsätze, die sie mit wechselnden Besatzungen auf dem Buckel hatte, war sie nie neu gestrichen worden. Sie hatte zu fliegen und Bomben zu werfen, keine Zeit um in einer Halle zu stehen, damit die Farbe trocknete.

Eddi versuchte eine ordentliche Meldung zu machen, aber der Copilot winkte ab. Er hatte eine wächserne Gesichtshaut, zwei abgefrorene Finger, zerkaute mit mahlenden Bewegungen irgendein Aufputschzeugs und erkundigte sich, wie viele Einsätze der Airman den schon hinter sich hatte.

„Ich komme gerade von der Ausbildung, Sir. Lieutenant Sir. Ich werde es den Nazischweinen …“

„Ach du Scheiße“, unterbrach der Copilot, „da teilen die Idioten mir ein Küken zu! Das kann ja was werden! Hoffentlich haben wir keine Feindberührung! Es geht diesmal gegen die Schweinfurt, da können Sie sich auf was gefasst machen!“



Eddi zog seine ‘Kampfbekleidung‘ an, wie er es gelernt hatte. Über das wollene Unterzeug gegen die grimmige Kälte, kam ein elektrisch beheizter Overall. Dann kam die Uniform, darüber eine schaffellgefütterte Fliegerkombination, in der Eddi sich kaum bewegen konnte. Anschließend stülpte er sich den Brust- und Rückenpanzer über, ein dichtes, leicht angerostetes Kettenhemd, das vom Hals bis zum Becken reichte und gegen Flaksplitter und MG-Geschosse schützen sollte. Dann stieg er in die hohen Schaftstiefel, legte die grellgelbe Schwimmweste an, schließlich die Fallschirmgurte, und zog zuletzt dicke, elektrisch beheizten Handschuhe über. Er zog sich noch eine warme Mütze über den Kopf und stülpte einen Stahlhelm darüber. Fertig – glaubte Eddi, aber im Flugzeug erwartete ihn noch eine Sauerstoffmaske, die er sich um den Hals hängte. Ferner gab es noch den Kopfhörer für das Bordsprechgerät mit dazugehörigem Kehlkopfmikrofon. Eddi kannte das und wartete geduldig auf die Sprechprobe, die allerdings nicht so ausgeführt wurde, wie in der Ausbildung. Kurz, knapp und ein wenig schludrig.

Eddi nahm das Anlassen der Motoren zum ersten Mal wahr, die ganze Maschine zitterte und bebte eine Ewigkeit, wie es ihm vorkam. Es dauerte eine weitere Ewigkeit bis sie sich in Bewegung setzte und gleich wieder anhielt. Dunkle Qualmwolken tobten an Eddis Fenster vorbei, und er fragte sich, ob es seine Ordnung hatte. Anscheinend hatte es seine Ordnung, denn die B-17 setzte sich in Bewegung und wurde schneller. Die Geschwindigkeit stieg an, bis der 30 Tonnen schwere Bomber, beladen mit 10 Tonnen Bomben und einer Tonne Munition schließlich bei 110 mph vom Boden abhob. Die ganze Besatzung hielt den Atem an, denn schon das geringste Abweichen von der Startbahn würde die Reifen zum Platzen bringen und den Bomber in eine Feuer- und Rauchsäule verwandeln. Das war schon passiert, aber Eddi nicht erzählt worden.

Er wunderte sich auch, warum die Bomber über der Nordsee zunächst Kreise zogen, bis er einen grellgelb mit roten Punkten bemalten ‘Liberator‘ sah, um den sich die von den anderen Flugplätzen gestarteten Bomber sammelten.

‚Mein Gott‘. dachte Eddi, ‚das müssen mindestens Dreihundert sein, der ganze Himmel voll Bomber! Da müssen die Nazis doch kapitulieren!‘

Aber sein Bomber nahm Höhe auf, die vier Neunzylinder-Sternmotoren Curtiss-Wright R-1820-97 Cyclone, mit je 1.215 PS zogen sie in die Höhe, die Lader wurden erst in großen Höhen richtig munter. Der andere Waist Gunner signalisierte ihm, dass er endlich seine Sauerstoffmaske aufsetzen sollte und half dem Ball Turret Gunner, der sich schnell noch bekreuzigte, in sein enges Verließ unterhalb des Flugzeugs.

Eddi setzte die Sauerstoffmaske auf, sie schmeckte nicht nach Kaffee, sondern nach dem Schweiß eines Anderen, und das Gummi presste sich in die Haut. Eddi fragte sich, was aus dem vorigen Waist Gunner geworden war, als er die frisch geflickten Einschusslöcher in seiner Brusthöhe sah, während er begann, unablässig den Himmel nach Feindflugzeugen abzusuchen. Der Druck der Sauerstoffmaske auf das Gesicht trieb Eddi fast in den Wahnsinn, aber wusste, dass der Flieger ohne die Maske in wenigen Minuten bewusstlos werden würde.

Zwei, drei Stunden lang suchte Eddi unablässig den Luftraum ab, aber er sah nur Flakwolken und einen Bomber, der sich aus dem Verband löste und langsam mit brennenden Motoren zu Boden trudelte, bis er seinen Blicken entschwand. Eddi konnte nicht mehr sehen, ob alle Männer noch herausgekommen waren, und eine würgende Angst stieg in ihm auf. Jeden Moment konnte es auch ihn erwischen.

Indessen hatte der Pilot sein Augenmerk ständig auf die über und neben ihm fliegenden Bomber zu richteten, mit einer Hand die Steuersäule zu halten, mit der anderen die vier Gashebel und die Steuerung der vier Verstellprobeller in die richtige Lage zu bringen, mit den Füßen die Seitenruderpedalen gegen die harte Federung zu drücken, genau in der Formation der ‘Combat-Box‘ zu bleiben, immer neun Bomber, etwas in Höhe und Seite versetzt, aber dicht beieinander, um einen schönen, dichten Bombenteppich zu erzielen. Während die Bomber in der böigen Luft auf und ab stampften, warf der Bordingenieur noch einen kurzen Blick auf seine Instrumente, schnallte sich los, ging in den Drehturm oben im Flugzeug und begann auch den Himmel nach Feindjägern abzusuchen, die sich jeden Moment wie zornige Hornissen mit heulenden Motoren auf den Bomberverband stürzen konnten. Der Navigator begann schwitzend sein unablässiges Rechnen und Kontrollieren.

Nicht nur Eddi begann steif zu werden, das Kehlkopfmikrofon fing an, eine kleine Rasierwunde in quälender Weise aufzuscheuern und der Rand der Schwimmweste rieb seinen Nacken wund. Es war anders, als in der Ausbildung, in der sie nach einer Stunde aufhören konnten zu schießen, um Kaffee zu trinken. Hier gab es keinen Kaffee, nur das langsame Steifwerden der Glieder, zudem begann sich die sibirische Kälte trotz der Heizbekleidung in seinen Körper zu fressen.

Nach vier Stunden Flug presste sich die Sauerstoffmaske derart in Eddis Gesicht, dass er sie am liebsten runter gerissen hätte, aber er sah endlich die Begleitjäger, die ‘Little Friends‘. Die Thunderbolds und Mustangs mit ihren dicken und elegant-schlanken Rümpfen erschienen Eddi schöner als der schönste Mädchenkörper.

Eddi wollte winken, aber der Ruf des Bordingenieurs, der nun breitbeinig in der Kuppel des drehbaren Dachturms stand, und ein Zwillings-MG zu bedienen hatte, hielt ihn davon ab.

„Me 109-Jäger auf fünf Uhr. Hoch. Zehn Stück!“

Der Funker verlies seinen Platz und stürzte zu dem Dachstand, in dem auch ein MG hing. Der Bomber war nun ohne Verbindung zu den anderen Bombern, aber das war im Moment auch nicht nötig, und der Navigator stieß einen Fluch aus und suchte schnell das Bug-MG an der rechten Seite auf.

Die Meldung löste bei allen einen Druck in der Magengegend aus und jeder wartete gespannt darauf, bis das Geknatter des schweren Zwillings-MG im oberen Turm anzeigte, dass der Kampf begonnen hatte.

Auch Eddi schluckte seine würgende Angst hinunter und schwenkte sein MG in die Richtung, die der Dachturmschütze angegeben hatte, aber er konnte keine Flugzeuge sehen, und dann ging alles ganz schnell. Geschosse spritzen mit dem Geräusche eines pneumatischen Niethammers durch die Bordwand.

Eddi wurde getroffen und sackte zusammen, ohne einen Schuss abgegeben zu haben.

Der Kopilot hatte nun den Befehl, ihm Erste Hilfe zu leisten, aber für ihn fingen die Schwierigkeiten an. Am Schlimmsten war die Enge des Raumes, in dem er sich bewegen musste. Der Copilot löste erst seinen Gurt, zog die Stecker für die Heizung und Funkgerät heraus, nahm den Rüssel des Sauerstoffgerätes ab und entledigte sich seines Sitzfallschirms. Ihm war bewusst, dass er nun keine Möglichkeit mehr hatte, mit dem Fallschirm abzuspringen, und hoffte inständig, dass der Bomber nicht noch einmal getroffen würde. Trotzdem hängte er eine tragbare Sauerstoffflasche um, wand sich aus seinem Sitz und zwängte sich nach hinten. Jede einzelne Falte seiner Fliegerkombination schien dafür geschaffen, an allen Griffen, Knöpfen, Hebeln und Kanten, von denen es im Inneren des Bombers unzählige gibt, hängenzubleiben. Trotzdem konnte er sich neben dem drehbaren Unterteil des Dachturms, in dem der Bordingenieur nun stand und nichts von dem mitbekam, was sich unterhalb von ihm abspielte, gerade noch vorbeidrängen. Das ging nur, wenn der Turm stillstand. Wenn der Schütze ihn jedoch schwenkte, einer angreifenden Messerschmitt entgegen, bestand die Gefahr, dass er von dem Getriebe erfasst und verletzt wurde, denn der schmale Gang neben dem Bombenschacht voller Bomben, vor dem der Dachturm angebracht war, war voller kantiger Rippen und Verstärkungen.



Eddi hing mittlerweile bewusstlos in seinem Kampfstand und der Fahrtwind donnerte mit 60 Grad Kälte durch die Einschusslöcher. Eddi brauchte Desinfektionspulver auf seine Wunden und einen Druckverband, denn sein blutendes Bein musste abgebunden werden. Mit den dicken Handschuhen konnte das nicht gemacht werden, der Copilot legte sie deshalb ab. Mit viel Geschick und etwas Glück schaffte er es in drei Minuten und konnte die Handschuhe schnell wieder anziehen. Er wird aber nicht ohne Erfrierungen davonkommen, denn der Wind, der mit sibirischer Kälte herein donnert, sorgte dafür, dass die Finger umgehend klamm wurden und abzufrieren drohten. Es konnte passieren, dass die Finger im Handschuh blieben, wenn er sie nach dem Einsatz auszog.

Mühsam arbeitete sich der Copilot wieder zurück, durch das Rumpfinnere der Fliegenden Festung, die unbeirrt weiter ihre Bahn zog. Während er sich wieder an Fallschirm, Sauerstoff, Heizung und Funkgerät anschloss, näherte sich die Formation der Fliegenden Festungen dem Ziel.

Die deutschen Jäger und die Flak hatten hier den Schwerpunkt ihrer Abwehr gebildet. Die Luft war voller Sprengwolken der Flakgranaten. Die Combat-Box rückte noch ein wenig zusammen und jeder Bomber öffnete beim gradlinigen Zielanflug die Bombenschächte, was die Ball Turret Gunner bestätigten. Alle Besatzungsmitglieder hielten den Atem an, bis der erlösende Ruf des Bombenschützen kam: „Bombs away!“

Die Bomben trudelten aus den Schächten, irgendeinem Bomber wurde von einer Bombe einer höher fliegenden Maschine das Höhenruder abgeschlagen, aber sie flog unbeirrt weiter.

Die Formation wendete, was wieder die ganze Kraft des Piloten erforderte, schloss die Bombenschächte und flog heimwärts. Aber noch war die Mühsal nicht vorbei, auf einige angeschossene Maschinen, die hinter dem Verband zurückblieben, stürzten sich die deutschen Jäger und holten sie endgültig vom Himmel. Die Little Friends konnten ihnen nicht helfen, nur selten blähten sich zehn Fallschirme über dem Rauchpilz des abgeschossenen Bombers.

Aber es ging heimwärts, bis zu dem gesegneten Augenblick, in dem die Räder der Fliegenden Festung den Boden berührten.



Nur Eddi zog man tot aus dem Bomber.

Er hatte es nicht geschafft, drei Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag.

Der Pilot forderte einen neuen Waist Gunner an.
 

hein

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Hallo Hagen,

schöne Geschichte und viele Details. Die Überschrift sollte vielleicht besser heißen: "Eddies kurzer Traum".

Ein Hinweis: " 2 600 000 Fuß " sind 780.000 Meter. Da sind wohl 2 Nullen zuviel.

LG
hein
 

Hagen

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Hallo Hein,
ich lass' das Übliche mal weg und bedanke mich für die Nummer mit den zuvielen Nullen. Ich werd's gleich korrigieren;-wnn ich nur wüßte, wie das in der neuen Leselupe geht.
Tja, das Ding sollte eigentlich ein Roman werden, was einem meiner Hobbys (u.a. historische Flugzeuge) nahe kommt und ich mein 'fundiertes Halbwissen' endlich mal gebrauchen konnte.
Mein Verleger meinte allerdings, dass 'sowas' heute nicht mehr gefragt ist und ich lieber 'sowas' machen sollte wie bisher. Ich hab' das Ding von Eddi noch gekürzt und einfach mal eingestellt.
Trotzdem werde ich mich mal (nach dem dritten Teil von Myriam') an einen Fantasy-Roman wagen.
Möchtest Du mein Testleser dafür sein?
Ich würde mich freuen.
Nun ja, wir lesen uns!
Herzlichst
Yours Hagen

P.S. __________________________________________
1942, der Zweite Weltkrieg ist in vollem Gange. Eddi Walsh, gerade mal 17 Jahre alt, lebt bei seiner Mutter und einem Bruder in Chicago. Er geht noch zur Schule. Sein Vater ist Soldat in „Übersee“.

Eddi bekommt zu seinem achtzehnten Geburtstag das Auto seine Vaters, einen 1932 Ford Three Window Coupe. Er rüstet den Wagen nach den damals üblichen Vorstellungen um und kriegt dadurch endlich eine Freundin. Allerdings schrottet er den Wagen bei einem illegalen Autorennen, worauf seine Freundin ihn verlässt.

Eddi schmeißt daraufhin die Schule und wird einfacher Arbeiter in einem der Schlachthöfe Chicagos. Er wird zur Air Force geworben, und hofft nun Pilot zu werden, Kampfflieger, sein Traum.

Wegen Eddis begrenzter Intelligenz wird er allerdings ‚nur‘ Waist Gunner (Seitenschütze) einer Boeing B-17 ‘Flying Fortress‘.

Nach einer harten Ausbildung wird er einem B-17 Bomber zugeteilt, und nimmt gleich an dem mörderischen Angriff auf die Kugellagerfabriken in Schweinfurt teil.

Eddi wird bei diesem Angriff schwer verletzt und stirbt drei Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag, ohne einen Schuss abgegeben zu haben.
 

hein

Mitglied
Hallo Hagen,

nach meiner Kenntnis kann man einen Text nur ändern indem man ihn in die laufende Diskussion nochmal komplett als "Antwort" einstellt.

Der Text in der obigen Form gefällt mir gut weil er knapp und ohne viel Dialog die Entwicklung beschreibt. Ob man daraus ein ganzes Buch machen könnte kann ich nicht sagen. Wirkliche Spannung kommt ja erst beim Feindflug auf. Und die Episode ist ja nur kurz! Außerdem dürfte die Zielgruppe relativ klein sein (militärisch interessierte Männer).

Es ehrt mich das du mich als Testleser willst. Ich bin nicht gerade ein Freund von Fantasy (meine Buchhalter-Seele braucht klare Fakten), aber ich will es trotzdem gerne versuchen.

LG
hein
 

Hagen

Mitglied
Hallo Hein,
Danke für Dein positives Feedback.
Es erhrt mich, dass Du Dich als Testleser betätigen willst.
Ich teile Dir meine Mailadresse bei den Unterhaltungen mit.
Sei so nett und schreib' mich an, ich antworte Dir dann mit dem 'Rudiment eines Fantasy-Romans'.

Wir lesen uns!
Herzlichst
Yours Hagen
 



 
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