Ein Abend am Strand von Formentera

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Steven Omen

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Es lag bereits ein Hauch von Sommer in der Luft. Die Wärme trug den Duft von wildem Rosmarin und Meer mit sich, und Sisi sagte leise:

„Dies ist die schönste aller Jahreszeiten – wenn alles blüht und knospet, wenn die Natur endgültig aus ihrem Winterschlaf erwacht, und die Tage sich dehnen, als wollten sie der Ewigkeit noch ein Stück näher kommen.“

Michael nickte. In solchen Momenten schien die Welt ihr Gewicht zu verlieren.

„Dann lass uns heute Abend am Strand ein Feuer machen“, schlug er vor. „Ein kleines Fest des Daseins – nur wir, die Nacht und ein schlichter Wein. Ich kenne einen Ort, an dem uns niemand findet.“

So gingen sie los, dem Sinken der Sonne entgegen, mit Rucksäcken und Schlafsäcken auf dem Rücken, als zögen sie für eine Nacht aus der Zivilisation aus. Der Pfad führte durch duftende Macchia hinab zu einem verborgenen Strand im Süden der Insel. Dort sammelten sie Holz und Reisig, und bald knackte ein Feuer in der Dämmerung.

„Der Wein ist keiner, den man sich merkt“, sagte Sisi lächelnd, als sie ihn in die mitgebrachten Becher goss, „aber dafür entschädigt die Aussicht.“

Über ihnen spannte sich der Himmel wie ein noch ungeschriebener Text, und die ersten Sterne begannen, ihre Kapitel aufzuschlagen.

Nun, da das Feuer zu sprechen begann, schwiegen sie. Manchmal ist das Schweigen die höchste Form von Dialog – wenn die Flammen für uns denken, und das Meer für uns atmet. In solchen Augenblicken versteht der Mensch: Das Leben besteht nicht aus Besitz, sondern aus gelebten Augenblicken, die wie Funken aufflackern – kurz, leuchtend, unwiederholbar.

„Wenn die Nacht noch dunkler wird, siehst du mehr Sterne. Ich zeige dir ein paar“, meinte Michael leise.

Das Feuer war bereits zu einem glimmenden Rest zusammengeschrumpft, und sie wickelten sich in eine Decke, wie Seefahrer, die Zuflucht vor den Winden suchen. Über ihnen spannte sich der Himmel – erst schwarz, dann von Minute zu Minute tiefer durchwirkt mit Lichtpunkten, als würde das Unsichtbare seine Geheimschrift preisgeben. Eine Sternenkuppel, die nicht behauptet, verstanden zu werden, sondern nur betrachtet.

„Siehst du im Norden? Der Große Wagen – und daneben, fast schüchtern, der Kleine. Und dort: Kassiopeia, das himmlische W.“

„Du kennst dich aber aus“, sagte Sisi anerkennend.

„Sterne sind meine alten Bekannten. Ich habe sie nie für Götter gehalten, aber immer für geduldige Lehrer“, antwortete er.

Einen Augenblick lang schwiegen sie. Jeder atmete in den Nachthimmel hinaus, als ließe sich ein Teil der Unendlichkeit einholen. Doch selbst die schönsten Augenblicke haben ein inneres Ablaufdatum.

„Sollen wir hier draußen schlafen,“ fragte Michael schließlich, „oder zu Hause?“

Sisi lächelte, ein wenig verlegen über ihren Pragmatismus:

„Wenn du mich ganz ehrlich fragst – bei aller Romantik: Ich nehme doch das eigene Bett. Die Sterne können warten, Rückenschmerzen nicht.“

Sie lösten sich aus der Decke, wie Menschen, die aus einem Traum zurückkehren, und machten sich auf den Weg. Der Roller knatterte durch die Nacht, ein irdisches Gegenstück zu all der stillen Astronomie. Zu Hause angekommen, glitten sie bald ins Schlafen hinüber – und träumten, jeder für sich, weiter von jenen Sternen, die im Wachzustand zu fern schienen, in der Nacht aber zum inneren Besitz wurden.
 

Shallow

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Wenn der Duft von Rosmarin und Meer wabert, die Romantiker dem Sinken der Sonne entgegenziehen und in den Nachthimmel hinausatmen, dann wird mir klar, wie nüchtern doch mein Dasein ist. Doch zöge ich mit einer Flasche los, würde ich nicht den einfachen Fusel, sondern den edleren Tropfen bevorzugen, in der Hoffnung, dass ich auch so der Natur verbunden sein kann. Und nachdem ich den einsamen Strand mit Rucksack mühsam erreicht und die Flasche geleert habe, kneter ich besoffen mit dem Roller gen Heimat. Aber wo, lieber @Steven Omen, kommt das Gefährt eigentlich her, oder hat der unromantische Shallow schlicht den Kontrapunkt nicht verstanden?

Gruß aus einer sternenklaren Nacht jedenfalls!
 

Steven Omen

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Wenn der Duft von Rosmarin und Meer wabert, die Romantiker dem Sinken der Sonne entgegenziehen und in den Nachthimmel hinausatmen, dann wird mir klar, wie nüchtern doch mein Dasein ist. Doch zöge ich mit einer Flasche los, würde ich nicht den einfachen Fusel, sondern den edleren Tropfen bevorzugen, in der Hoffnung, dass ich auch so der Natur verbunden sein kann. Und nachdem ich den einsamen Strand mit Rucksack mühsam erreicht und die Flasche geleert habe, kneter ich besoffen mit dem Roller gen Heimat. Aber wo, lieber @Steven Omen, kommt das Gefährt eigentlich her, oder hat der unromantische Shallow schlicht den Kontrapunkt nicht verstanden?

Gruß aus einer sternenklaren Nacht jedenfalls!
Der Roller wurde natürlich vorher dort abgestellt – ganz prosaisch, bevor die Romantik und der Wein ihren Auftritt hatten. Der nüchterne Teil in mir sorgt eben stets dafür, dass der Rausch wenigstens einen Heimweg findet. Viele Grüße
 



 
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