Auf dem zart gerösteten Toastbrot glänzten kleine, pechschwarze Perlen – Kaviar aus der russischen Küche.
Er wurde auf Silbertabletts in den Festsaal des Schlosses Schönwill getragen, begleitet von reichlich Champagner. Der Saal war bis auf den letzten Platz der gehobenen Gesellschaft gefüllt: Die Herren im Frack, die Damen in opulenten Roben, die funkelten wie die Luster über ihnen.
Es lag eine angespannte Heiterkeit in der Luft, man hatte das Gefühl, jeder wolle den anderen übertreffen: an Besitz, an Geschichten, an Charme oder schlicht an Lautstärke.
Doch an diesem Abend hatte ein besonderer Anlass die Elite versammelt: Ein spanischer Fürst sollte der deutschen Oberschicht vorgestellt werden. Verwitwet, geschäftstüchtig und so munkelte man auf der Suche nach einer neuen Liebe. Seine Geschäfte mit Olivenöl, Serrano-Schinken und Orangen versprachen goldene Renditen, weshalb man sich diesen Ball keinesfalls entgehen lassen wollte.
Norbert, der dienstälteste Kellner, servierte gerade die dritte Runde Champagner. Er merkte, dass manche Gäste bereits über den Durst getrunken hatten.
Dennoch durfte das festliche Dinner erst beginnen, wenn der spanische Ehrengast eingetroffen war. Und so folgten weitere Canapés, weitere Gläser, weiteres höfisches Warten.
Norbert kannte das Schloss besser als jeder andere. Im Keller lagerten nicht nur erlesene Weine, seltener Champagner und Jahrgangssekt, sondern auch Gold und Silber in allen nur denkbaren Formen: Münzen, Kelche, Löffel, Kerzenständer, eine Schatzkammer für Kenner.
Und dann war da noch Kammer Nummer 11. Ein kleiner Raum, fast vergessen, vollgestopft mit alten Möbeln, einem staubigen Puppentheater und einem Sammelsurium an Kostümen: Umhänge, Federhüte, Perücken, Masken. Einst hatte man hier Kinder amüsiert.
Norbert blickte auf das Tablett in seiner Hand, dann zur Uhr an der Wand. Der Fürst ließ weiter auf sich warten.
Da keimte ein Gedanke in ihm auf.
Und wenn … ja, wenn …
Wenn der Fürst nicht kam?
Er probierte einige Kostüme an, die einen spanischen Flair hatten, doch nichts passte so richtig. Sie waren alle zu klein, zu bunt, zu malerisch … Schließlich nahm er eine Perücke und verließ den Raum.
Dann, plötzlich, ein Raunen. Aus der Ferne hörte man Hufgetrappel. Ein Pferd näherte sich dem Schloss stolz, in vollem Galopp. Es hielt nicht etwa am Haupteingang, sondern durchschritt diesen in anmutigem Trab und betrat direkt den Festsaal. Der Adel hielt den Atem an. Die Dienerschaft auch denn man erkannte ihn sofort.
„Señores“, rief der Reiter mit sonorer Stimme. „Ich bin Fürst Don Diego de la Fuente, und es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.“
In diesem Moment, fast als hätte das Pferd seinen eigenen Auftritt geplant, entfuhr ihm ein lauter Furz. Ein dumpfer, deutlich hörbarer Ton, gefolgt von einem unangenehmen Geruch, der sich rasch im Raum verteilte. Einige der Damen hielten ihre Fächer vors Gesicht, andere Gäste schauten betreten zur Seite oder schüttelten kaum merklich den Kopf.
Doch es blieb nicht dabei: Das Tier ließ einen Haufen in der Mitte des Saals fallen.
Einige der Anwesenden, vielleicht leicht angetrunken, wirkten verwirrt. Sie meinten im ersten Moment, gar kein Pferd, sondern einen Stier zu sehen. Ein kräftiges, furchteinflößendes Tier, das mit fester Präsenz durch den Raum marschierte.
Das stinkige Missgeschick schien die feierliche Atmosphäre zu kippen.
Man wusste nicht recht, was als Nächstes kommen würde.
Doch jemand begann zu klatschen. Ein paar Gäste stimmten ein. Schließlich brandete höflicher, fast erleichterter Applaus auf.
Ein Triumph.
Der Fürst verbeugte sich leicht im Sattel, stieg ab und überließ das Pferd einem der Diener.
Das Abendessen wurde serviert, und die Gäste wechselten in den angrenzenden Saal. Der große Tisch war festlich gedeckt, die silbernen Kerzenleuchter spiegelten sich im Porzellan, und in der Mitte nahm nun Don Diego Platz.
Er sprach gebrochenes Deutsch, mit starkem Akzent, aber charmant und lebendig.
Er erzählte von seinen Abenteuern, nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als leidenschaftlicher Segler. „Los Conquistadores“, sagte er mehrmals stolz und hob sein Glas. mal gefüllt mit Rotwein, mal mit Weißwein, gelegentlich sogar mit Rosé und berichtete von Inseln, von weiten Fahrten, von Begegnungen mit Ureinwohnern in entlegenen Gegenden.
Die Gesellschaft hörte gebannt zu. Endlich mal jemand, der etwas anderes erzählte. Einer, der etwas erlebt hatte, das außerhalb dieser engen Welt lag.
Er war der Held des Abends.
Als schließlich der Nachtisch serviert wurde, war die Stimmung gelöst.
Jetzt wurde Norbert bewusst, dass er bereits zu weit gegangen war. Und doch es amüsierte ihn. Der Auftritt als spanischer Fürst, die improvisierten Geschichten, die Aufmerksamkeit der Gäste.
Nach dem Nachtisch würden sich die Herren in einen separaten Raum zurückziehen, Zigarren rauchen und über Geschäfte sprechen. Schinken, Orangen, Olivenöl – Norbert hatte keine Ahnung von alledem.
Er brauchte dringend einen Ausweg. Er sprang er auf den Esstisch. Die Gäste hielten inne, ein Raunen ging durch den Saal.
Norbert klatschte, warf den Kopf zurück und begann, eine Art Flamenco zwischen Tellern, Gläsern und Silberbesteck zu tanzen.
Er beugte sich zur Fürstin, streckte mit einer schnellen Bewegung den Arm aus und half ihr auf den Tisch. Sie lachte, klatschte den Rhythmus, während er sich elegant um sie drehte, die Absätze seiner Schuhe laut auf das Holz stampfend, das unter dem Takt zu ächzen schien
„¡Arriba!“ rief er, streckte die Arme zur Decke, sprang zwischen den Gängen umher und ließ mit einem kräftigen Fußtritt die Gans vom Tisch segeln. Dann reichte er der nächsten Dame die Hand und sie nahm sie mit glänzenden Augen.
Alle waren fasziniert von diesem temperamentvollen „spanischen Hengst“.
Die Frauen fühlten sich zu ihm hingezogen, einige warfen ihm kokette Blicke zu.
Der Abend war noch jung.
Und wer weiß , wer weiß …
Plötzlich stand der ganze Saal auf dem Tisch.
Wie aufgescheuchte Hühner klatschten sie, tranken, rauchten, lachten.
Und als die Stunden vergingen, fielen sie einer nach dem anderen um. Einige auf den Tisch, unter den Tisch, zwischen zerknüllte Servietten, leere Gläser und zerrissene Seidenröcke.
So mancher musste sich noch im Saal übergeben. Aber niemand verließ den Raum. Schließlich wollte man doch noch irgendwie ein Geschäft mit dem spanischen Fürsten abschließen.
Das Durchhaltevermögen des Adels war beeindruckend.
Norberts Kräfte ließen langsam nach. Die Beine wurden weich, der Kopf schwer.
Er stolperte über einen Pelzmantel und fiel auf den Boden.
In genau diesem Moment öffneten sich die Türen.
Und der echte Fürst Diego de la Fuente trat ein und stellte sich mit lauter stimme vor
Yo soy Don Diego de la Fuente
Alle wurden still.
Man hörte nur noch Norberts keuchendes Atmen auf dem Boden.
Ein paar Gäste, die noch wach genug waren, öffneten die Augen.
Sie blickten zum Eingang, sahen den Herrn und dann brach ein lautes Lachen aus.
Man bewarf den „echten“ Fürsten mit Brot, leerte Gläser in seine Richtung, rief alberne spanische Floskeln und streute Konfetti, das irgendjemand noch in der Tasche hatte.
Don Diego stand wie versteinert.
Er drehte sich um und ging.
Norbert kroch langsam aus dem Saal, richtete sich mühsam auf und schlich in Richtung Dienertrakt. Dort zog er die Perücke aus, ging in den Innenhof und hielt sein Gesicht für ein paar Minuten unter das eiskalte Wasser des Brunnens.
Er atmete tief durch, wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und kehrte in den Saal.
Er half beim Aufräumen, trug Stühle, sammelte zerknüllte Servietten ein und stützte halbbewusste Gäste, die zu ihren Kutschen gebracht werden mussten.
Man dankte ihm für die Hilfe. Einer erkannte ihn als Fürsten wieder, umarmte Ihn und verließ dann das Schloss.
Dann, in einer kurzen Verschnaufpause, murmelte er nur:
„... wer zu spät kommt…“
Er wurde auf Silbertabletts in den Festsaal des Schlosses Schönwill getragen, begleitet von reichlich Champagner. Der Saal war bis auf den letzten Platz der gehobenen Gesellschaft gefüllt: Die Herren im Frack, die Damen in opulenten Roben, die funkelten wie die Luster über ihnen.
Es lag eine angespannte Heiterkeit in der Luft, man hatte das Gefühl, jeder wolle den anderen übertreffen: an Besitz, an Geschichten, an Charme oder schlicht an Lautstärke.
Doch an diesem Abend hatte ein besonderer Anlass die Elite versammelt: Ein spanischer Fürst sollte der deutschen Oberschicht vorgestellt werden. Verwitwet, geschäftstüchtig und so munkelte man auf der Suche nach einer neuen Liebe. Seine Geschäfte mit Olivenöl, Serrano-Schinken und Orangen versprachen goldene Renditen, weshalb man sich diesen Ball keinesfalls entgehen lassen wollte.
Norbert, der dienstälteste Kellner, servierte gerade die dritte Runde Champagner. Er merkte, dass manche Gäste bereits über den Durst getrunken hatten.
Dennoch durfte das festliche Dinner erst beginnen, wenn der spanische Ehrengast eingetroffen war. Und so folgten weitere Canapés, weitere Gläser, weiteres höfisches Warten.
Norbert kannte das Schloss besser als jeder andere. Im Keller lagerten nicht nur erlesene Weine, seltener Champagner und Jahrgangssekt, sondern auch Gold und Silber in allen nur denkbaren Formen: Münzen, Kelche, Löffel, Kerzenständer, eine Schatzkammer für Kenner.
Und dann war da noch Kammer Nummer 11. Ein kleiner Raum, fast vergessen, vollgestopft mit alten Möbeln, einem staubigen Puppentheater und einem Sammelsurium an Kostümen: Umhänge, Federhüte, Perücken, Masken. Einst hatte man hier Kinder amüsiert.
Norbert blickte auf das Tablett in seiner Hand, dann zur Uhr an der Wand. Der Fürst ließ weiter auf sich warten.
Da keimte ein Gedanke in ihm auf.
Und wenn … ja, wenn …
Wenn der Fürst nicht kam?
Er probierte einige Kostüme an, die einen spanischen Flair hatten, doch nichts passte so richtig. Sie waren alle zu klein, zu bunt, zu malerisch … Schließlich nahm er eine Perücke und verließ den Raum.
Dann, plötzlich, ein Raunen. Aus der Ferne hörte man Hufgetrappel. Ein Pferd näherte sich dem Schloss stolz, in vollem Galopp. Es hielt nicht etwa am Haupteingang, sondern durchschritt diesen in anmutigem Trab und betrat direkt den Festsaal. Der Adel hielt den Atem an. Die Dienerschaft auch denn man erkannte ihn sofort.
„Señores“, rief der Reiter mit sonorer Stimme. „Ich bin Fürst Don Diego de la Fuente, und es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.“
In diesem Moment, fast als hätte das Pferd seinen eigenen Auftritt geplant, entfuhr ihm ein lauter Furz. Ein dumpfer, deutlich hörbarer Ton, gefolgt von einem unangenehmen Geruch, der sich rasch im Raum verteilte. Einige der Damen hielten ihre Fächer vors Gesicht, andere Gäste schauten betreten zur Seite oder schüttelten kaum merklich den Kopf.
Doch es blieb nicht dabei: Das Tier ließ einen Haufen in der Mitte des Saals fallen.
Einige der Anwesenden, vielleicht leicht angetrunken, wirkten verwirrt. Sie meinten im ersten Moment, gar kein Pferd, sondern einen Stier zu sehen. Ein kräftiges, furchteinflößendes Tier, das mit fester Präsenz durch den Raum marschierte.
Das stinkige Missgeschick schien die feierliche Atmosphäre zu kippen.
Man wusste nicht recht, was als Nächstes kommen würde.
Doch jemand begann zu klatschen. Ein paar Gäste stimmten ein. Schließlich brandete höflicher, fast erleichterter Applaus auf.
Ein Triumph.
Der Fürst verbeugte sich leicht im Sattel, stieg ab und überließ das Pferd einem der Diener.
Das Abendessen wurde serviert, und die Gäste wechselten in den angrenzenden Saal. Der große Tisch war festlich gedeckt, die silbernen Kerzenleuchter spiegelten sich im Porzellan, und in der Mitte nahm nun Don Diego Platz.
Er sprach gebrochenes Deutsch, mit starkem Akzent, aber charmant und lebendig.
Er erzählte von seinen Abenteuern, nicht nur als Geschäftsmann, sondern auch als leidenschaftlicher Segler. „Los Conquistadores“, sagte er mehrmals stolz und hob sein Glas. mal gefüllt mit Rotwein, mal mit Weißwein, gelegentlich sogar mit Rosé und berichtete von Inseln, von weiten Fahrten, von Begegnungen mit Ureinwohnern in entlegenen Gegenden.
Die Gesellschaft hörte gebannt zu. Endlich mal jemand, der etwas anderes erzählte. Einer, der etwas erlebt hatte, das außerhalb dieser engen Welt lag.
Er war der Held des Abends.
Als schließlich der Nachtisch serviert wurde, war die Stimmung gelöst.
Jetzt wurde Norbert bewusst, dass er bereits zu weit gegangen war. Und doch es amüsierte ihn. Der Auftritt als spanischer Fürst, die improvisierten Geschichten, die Aufmerksamkeit der Gäste.
Nach dem Nachtisch würden sich die Herren in einen separaten Raum zurückziehen, Zigarren rauchen und über Geschäfte sprechen. Schinken, Orangen, Olivenöl – Norbert hatte keine Ahnung von alledem.
Er brauchte dringend einen Ausweg. Er sprang er auf den Esstisch. Die Gäste hielten inne, ein Raunen ging durch den Saal.
Norbert klatschte, warf den Kopf zurück und begann, eine Art Flamenco zwischen Tellern, Gläsern und Silberbesteck zu tanzen.
Er beugte sich zur Fürstin, streckte mit einer schnellen Bewegung den Arm aus und half ihr auf den Tisch. Sie lachte, klatschte den Rhythmus, während er sich elegant um sie drehte, die Absätze seiner Schuhe laut auf das Holz stampfend, das unter dem Takt zu ächzen schien
„¡Arriba!“ rief er, streckte die Arme zur Decke, sprang zwischen den Gängen umher und ließ mit einem kräftigen Fußtritt die Gans vom Tisch segeln. Dann reichte er der nächsten Dame die Hand und sie nahm sie mit glänzenden Augen.
Alle waren fasziniert von diesem temperamentvollen „spanischen Hengst“.
Die Frauen fühlten sich zu ihm hingezogen, einige warfen ihm kokette Blicke zu.
Der Abend war noch jung.
Und wer weiß , wer weiß …
Plötzlich stand der ganze Saal auf dem Tisch.
Wie aufgescheuchte Hühner klatschten sie, tranken, rauchten, lachten.
Und als die Stunden vergingen, fielen sie einer nach dem anderen um. Einige auf den Tisch, unter den Tisch, zwischen zerknüllte Servietten, leere Gläser und zerrissene Seidenröcke.
So mancher musste sich noch im Saal übergeben. Aber niemand verließ den Raum. Schließlich wollte man doch noch irgendwie ein Geschäft mit dem spanischen Fürsten abschließen.
Das Durchhaltevermögen des Adels war beeindruckend.
Norberts Kräfte ließen langsam nach. Die Beine wurden weich, der Kopf schwer.
Er stolperte über einen Pelzmantel und fiel auf den Boden.
In genau diesem Moment öffneten sich die Türen.
Und der echte Fürst Diego de la Fuente trat ein und stellte sich mit lauter stimme vor
Yo soy Don Diego de la Fuente
Alle wurden still.
Man hörte nur noch Norberts keuchendes Atmen auf dem Boden.
Ein paar Gäste, die noch wach genug waren, öffneten die Augen.
Sie blickten zum Eingang, sahen den Herrn und dann brach ein lautes Lachen aus.
Man bewarf den „echten“ Fürsten mit Brot, leerte Gläser in seine Richtung, rief alberne spanische Floskeln und streute Konfetti, das irgendjemand noch in der Tasche hatte.
Don Diego stand wie versteinert.
Er drehte sich um und ging.
Norbert kroch langsam aus dem Saal, richtete sich mühsam auf und schlich in Richtung Dienertrakt. Dort zog er die Perücke aus, ging in den Innenhof und hielt sein Gesicht für ein paar Minuten unter das eiskalte Wasser des Brunnens.
Er atmete tief durch, wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und kehrte in den Saal.
Er half beim Aufräumen, trug Stühle, sammelte zerknüllte Servietten ein und stützte halbbewusste Gäste, die zu ihren Kutschen gebracht werden mussten.
Man dankte ihm für die Hilfe. Einer erkannte ihn als Fürsten wieder, umarmte Ihn und verließ dann das Schloss.
Dann, in einer kurzen Verschnaufpause, murmelte er nur:
„... wer zu spät kommt…“