Ein Notruf

EG Shadow

Mitglied
*** Ein Notruf ***

Viel zu selten durfte er sich entspannen und seiner Seele den Wunsch erfüllen, längst aufgegebenen Träumen nachzuhängen. Ausgerechnet jetzt ertönte dieses Summen - das lästige Geräusch eines auf dem Nachttisch vibrierenden Handys! Nur widerwillig befreite sich sein Bewusstsein aus der Umarmung des Schlafes und weckte Erinnerungen an die reale Welt. Eine Welt, die für die meisten Menschen unvorstellbar war. Und immer wieder zischte dieses Handy, das von alldem unbeeindruckt darauf bestand, angehört zu werden.

Brummend suchte Jim nach dem Schalter der Lampe oder dem Handy. Dieses schien sich einen Spaß daraus zu machen, immer wieder seinen Fingern zu entgleiten. Jim richtete sich auf und bekam das widerspenstige Gerät endlich zu fassen. Ein kurzer Blick auf die Nummer der Anzeige sagte ihm nichts. Er ließ sich wieder auf den Rücken fallen und hielt das Gerät an sein Ohr.

„Hallo, wer ist da“, fragte er.

Seine Augen weiten sich schlagartig. Der heftige Adrenalinstoß, der durch seine Venen peitschte, spannte seine Muskeln an und ließ seinen Körper blitzschnell in die Höhe schnellen. Sein Herzschlag beschleunigte sich und pumpte Blut bis in die letzten Winkel.

„Bleib wo du bist – bleib ruhig, wir sind gleich bei dir!“

Jims Lungen schienen mehr Luft zu benötigen, als sie aufnehmen konnten. Unter heftigen Atemzügen weitete sich sein Brustkorb bis zum Zerbersten.

„Ron“, unterbrach Jim das leise, gleichmäßige Atmen seines Bruders.

„Ron – steh auf … wir müssen los!“ Er war aus dem Bett gesprungen und rüttelte seinen Bruder unsanft.

„Was ist denn? Wie spät ist es?“ Rons zerzauster Kopf tauchte unter der Bettdecke auf. Murrend öffnete er die Augen und blinzelte Jim an.

Dieser ließ nicht locker, was bedeutete, dass sein Anliegen keinen Aufschub duldete. Noch immer weich in den Knien rieb sich Ron den Schlaf aus den Augen, richtete sich auf und sah Jim fragend an. „Was ist denn passiert?“

„Es ist Amelia! Sie ist in Gefahr“, keuchte Jim.

Der Satz wirkte wie eine kalte Dusche. „Wo ist sie?“ Noch während der Frage sprang Ron aus dem Bett.

„Sie ist Zuhause. Sie sagt sie werde bedrängt“, antwortete Jim aufgeregt. Nachdem er hastig in seine Jeans gestiegen war, suchte er in der Reisetasche nach einem Hemd.

„Bedrängt? Was meint sie damit.“ Ron sah Jim verwirrt an. Er zog sich ein Shirt über den Kopf und schlüpfte, auf einem Bein hüpfend, ebenfalls in seine Jeans.

„Ich weiß nicht – aber es klang ernst – sehr ernst!“ Jim schloss die Knöpfe seines Hemdes und fuhr sich mit den Fingern durch seine ungeordneten Haare. Für einen Abstecher ins Bad fehlte ihm die Zeit.

Als Ron seine Lederjacke ergriff fragte er: „Was nehmen wir für Waffen mit?“

Jim hastete an Ron vorbei zur Tür. „Alle!“, antworte er.

*** *** ***

„Geht das nicht schneller?“ Jims Finger trommelten wild auf seinen Oberschenkeln. Er starrte immer wieder auf die Uhr und hatte das Gefühl die Zeit würde rückwärts laufen.

„Tut mir leid Jim, aber das hier ist kein Rettungswagen. Ich muss mich wenigstens etwas an die Verkehrsregeln halten“, erwiderte Ron, den Blick nervös auf die Fahrbahn gerichtet. Krampfhaft hielt er das Lenkrad fest, während er das Gaspedal des Ford Mustang bis zum Anschlag durchtrat. Grollend bewegte sich der schwarze Wagen durch die nächtlichen Straßen. Infolge des horrenden Fahrtempos erschienen die leuchtenden Reklameschilder an den Geschäften wie lange, sich ineinander verschlingende Fäden eines vorbeirauschenden Regenbogens.

„Rechts, rechts … rechts!“, schrie Jim mit hoher Stimme und zeigte zum Straßenrand. Ron riss das Lenkrad hart herum. Der Wagen hüpfte noch einmal über die Bordsteinkante, um dann ruckartig zum Stehen zu kommen.

Schon öffneten sich seine Türen. Während Ron die Waffentasche mit allen erdenklichen Hilfsmitteln aus dem Kofferraum bestückte, eilte Jim ohne zu Zögern auf eine der weißen Eingangstüren des Backsteinreihenhauses zu. Eines der unteren Fenster war erleuchtet.

Jim lehnte mit dem Rücken an der Wand und lauschte. Seine Hand lag an der, unter seiner Jacke verborgenen, abgesägten Schrotflinte. Als Ron neben ihm auftauchte, nickte ihm Jim zu und griff nach der Klinke.

Geräuschlos öffnete sich die Tür. Sie gab die Sicht auf einen kleinen Korridor frei. Durch eine geöffnete Tür fiel Licht auf den Boden.

„Amelia“, flüsterte Jim, als er sich durch die Eingangstür schob. „Amelia – wo stecken Sie?“ Auf das Äusserste gespannt, musterte er den Raum und erschrak, als plötzlich das summende Geräusch des Infrarot-Scanners hinter ihm ertönte.

Ron hatte ihn eingeschaltet, nachdem auch er den Korridor betreten hatte. Rote Lichtfäden zerteilten die Dunkelheit. Aufmerksam folgten Rons Blicke den bunten Streifen. Mit einem Kopfschütteln sah er zu Jim: „Nichts!“

Langsam schlichen die Jäger voran und vernahmen plötzlich einen gequälten Laut. Er kam aus dem Nebenzimmer.

*** *** ***

„Nein, nein, nein, nein! …“, schrie Jim. Als er Amelia erblickte, schien ihm die Luft wegzubleiben. Ein Gefühl aus Angst, Wut und Hilflosigkeit machte sich in seinem Körper breit. „Wir sind zu spät!“

Amelia lag zusammengekrümmt am Boden. Ihre Beine hatte sie angezogen, ihre Hände waren schützend um ihren Kopf geschlungen, ihr Atem rasselte.

Sofort war Jim bei ihr. Er kniete am Boden und hob behutsam ihren Kopf an. Mit der Hand strich er eine braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht. „Was ist passiert?“, fragte er mit leiser Stimme.

„Es …. bringt …. mich ….um“, röchelte Amelia. Ihre Lungen füllten sich allmählich mit Blut.

„Was?“, seine Stimme wurde lauter.

Jim hatte Mühe, das hübsche Mädchen wieder zu erkennen. Amelias Gesicht war eingefallen, die Augen glanzlos, die Haut grau und kalt. Sie schien um Jahre gealtert zu sein.

Mit einem Blick, der fähig war zu töten, sah Jim zu Ron und seine Kopfbewegung schickte den Älteren los, das Haus zu durchsuchen. Dieser fasste nach seinem Gewehr und verschwand wortlos aus der Tür.

Ratlos irrten Jims Blicke durch das Wohnzimmer. Er konnte weder etwas sehen noch hören. Wieder sah er auf Amelia und drückte sie an sich. Mit den Armen umschlang er das Mädchen, in dem verzweifelten Versuch sie vor etwas zu schützen, das er selbst nicht wahrnehmen konnte. Er spürte ihren fliegenden Atem an seiner Schulter und ihre gequälten Laute schlugen wie Hiebe auf sein Herz ein.

Außer Atem erschien Ron wieder im Zimmer. „Es ist niemand hier“, keuchte er. „Ich habe alles überprüft, Jim!“ Er hob die Schultern. „Hier sind nur wir.“

„Das kann nicht sein“, donnerte ihm Jim entgegen. „Irgendetwas tötet sie!“ Tränen überfluteten seine Augen. „Wir müssen etwas tun, Ron!“

Mit erstarrtem Gesicht sah Ron auf Jim, der auf den Knien liegend das Mädchen hielt – fest entschlossen, sie um keinen Preis der Welt zu opfern.

Bitte, Bitte – Ron schloss die Augen - nicht schon wieder.

Seine Hilflosigkeit ließ ihn verzweifeln, lähmte ihn. Langsam ging er tiefer in den Raum und beobachtete bei jedem Schritt die Umgebung. „Was meint sie nur?“, flüsterte er.

Plötzlich schreckte ein Piepsen die Jäger auf. Sofort warf sich Ron auf den Boden und wühlte im Inhalt ihrer Waffentasche, bis er den EMF – Messer in der Hand hielt. Die Anzeige schlug leicht aus. Mit ausgestrecktem Arm folgte Ron der Spur des EMF´s durch das Zimmer. Sorgfältig ließ er das kleine Gerät an den Fenstern, Möbeln und Wänden entlang gleiten.

Die winzige Spur der Hoffnung in Jims Augen erlosch, als Ron den EMF-Messer in seine Richtung drehte und ihn entsetzt ansah.

„Was ist?“ flüsterte Jim. Panik legte sich auf sein Gesicht.

Ron schüttelte den Kopf. Er traute seinen Sinnen nicht mehr. „Der Geist … ist … sie …!“, brachte er erschüttert hervor.

„Das kann nicht sein“, keuchte Jim. Kritisch fixierte er seinen Bruder. Nach kurzem Zögern ließ er Amelia langsam aus seinen Armen gleiten und sah in ihr Gesicht.

Ron hatte sich ebenfalls in die Hocke begeben und schaute auf das Mädchen. Als er mit dem Messgerät über ihren Körper fuhr, verstärkte sich der Ton zur eindringlichen Warnung.

Amelias Brustkorb begann sich hektisch zu heben und zu senken. Jim spürte die Vibrationen ihres Körpers. Sie veränderte sich. Immer schneller wurde sie von einem unsichtbaren Etwas verzehrt, bis die Knochen blass unter ihrer Haut schimmerten.

Flehend nagelten sich ihre Blicke auf Jims Gesicht, als sie mit letzter Kraft hauchte: „Amelia … nimm … mich …mit!“

Jim nagte an seiner Lippe. Seine Tränen tropften auf ihr Gesicht, bis er seinen Kopf in den Nacken riss und schrie: „Wer … bist … du?“

Stöhnend bäumte sich Amelia in seinen Armen auf, Jim spürte wie ihre Rippen knackten. Amelias Wimmern verstummte, ihr Kopf sank zur Seite. Ein Faden blutiger Speichel tropfte über ihre Lippen. Unfähig, den eigenen Körper zu beherrschen, ließ Jim seine Arme sinken und das Mädchen glitt, leicht wie eine Feder gänzlich zu Boden. Sein eisiger Blick traf Ron.

Dieser hatte sich abwendet und kämpfte seinerseits mit vorgehaltener Hand gegen das Entsetzen, das sich aus seinem Magen wühlte.

*** *** ***

Schweigend knieten die Brüder nebeneinander und sahen auf einen leblosen Körper, der ihnen spottend verdeutlichte, wie aussichtslos ihr Bemühen gewesen war. Jim hatte den Kopf gesenkt. Er fühlte sich leer und ausgebrannt wie der Rest des Mädchens, das vor ihm lag. Ihr Leben war ihm wie Sand durch die Finger geglitten und er hatte, wie zu oft, nicht verhindern können, dass ein Mensch starb. Dieser Kampf war so sinnlos. Tief im Inneren fühlte er sich genau so tot wie Amelia.

Erst nach einigen Minuten bemerkte Jim die Kälte in seinem Nacken. Das Rauschen in den Ohren kam nicht vom Schmerz, den sein Gewissen eben ertragen musste. Dieses Rauschen war ein Atmen – und es flüsterte seinen Namen.

„Jim … nimm … mich … mit!“

Er spürte die schwere Kälte langsam und unbeirrbar seinen linken Arm entlang gleiten. Seine Sinne konzentrierten sich. Er hielt den Atem an, zwang sich zur Ruhe bis sein Herz fast aufhörte, zu schlagen. Den Körper aufs Äußerste angespannt, bewegte Jim nur die Augen und suchte mit der rechten Hand nach der Schrotflinte - irgendwo am Boden.

Als Jim die Waffe entsicherte, sah Ron überrascht herüber. Jim gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er gleich schießen würde.

Erstaunt weiteten sich die Augen des Älteren. Ron inspizierte den Raum erneut und obwohl er nichts sehen oder hören konnte, war er sicher, dass Jim einen guten Grund für sein Verhalten haben musste.
Jim war sein Bruder – und sein Partner. Es gab niemanden auf der Welt, dem er mehr vertraute.

Ein lauter Knall zerriss die Stille, nachdem Jim die Waffe mit einem überraschenden Ruck über seine Schulter geschwungen hatte. Ein furchterregendes Fauchen folgte - diesmal konnten es die Jäger deutlich hören. Nachdem sich der beißende Qualm verzogen hatte, sah Ron, dass einige der scharfen Steinsalzkristalle Jims linke Schulter gestreift hatten. Aus mehreren Schnittwunden quoll Blut durch sein zerrissenes Hemd. Doch Jim spürte den Schmerz nicht. Zu sehr blockierte Adrenalin die Warnsignale seines Körpers.

Die Brüder standen längst auf ihren Beinen und lauschten. Suchende Blicke eilten durch das Zimmer, sie waren mit jeder Faser ihres Körpers zum Gegenschlag bereit.

Ein unsichtbarer Stoß erwischte Jim unerwartet im Kniegelenk. Mit einem kurzen Schrei stürzte er nach vorn, rollte sich über seine Schulter ab und blieb rücklings auf dem Boden liegen. Er konnte augenblicklich einen dumpfen Druck auf seinem Oberkörper spüren. Sein Gesicht verzog sich schmerzverzerrt unter der luftraubenden Last.

„Ron! – Den Camcorder … hol den Camcorder“, keuchte Jim während er mit einem gezielten Hieb seines Ellenbogens versuchte, sich von dem zu befreien, das seine Rippen zerbersten lassen wollte. Mit einem Satz war er wieder auf den Beinen und drehte sich um die eigene Achse. Seine Augen formten sich zu Schlitzen, als er die Umgebung fixierte.

Einige Male gelang es Jim, den Angreifer mit gezielten Faustschlägen und geschickten Ausweichmanövern von sich fern zu halten. In Sekundenschnelle hatte er begriffen, dass ihm seine Sehkraft hier nichts nützte. Er reagierte auf den Windzug, den das Geschöpf mit seiner Geschwindigkeit verursachte.

Verdutzt hatte Ron einen Moment lang den seltsamen Kampf seines Bruders beobachtet, bevor er das Gerät holte. Hektisch klappte er den Monitor auf und schaltete den Camcorder ein. Dann griff er nach der Schrotflinte.

In einem sanften Blau gab das elektronische Auge die Umgebung wider. Mit einem kurzen Schrei stürzte Jim erneut zu Boden. Er hatte das Gefühl, den Hieb einer Eisenstange in seine linke Kniekehle bekommen zu haben. Am Boden liegend hielt er sich ächzend das Bein.

Durch die Kamera sah Ron einen Schatten über Jim erscheinen. Ohne zu Zögern drückte er ab und durch die Luft pfeifende Salzkristalle zerrissen das Gebilde.

Einen Augenblick später spürte Ron einen brennenden Schmerz an seiner rechten Seite. Er kam mit solcher Wucht dass es ihn von den Beinen riss. Hart schlug er auf und spürte, wie sich eine Reihe scharfer Zähne in sein Fleisch bissen. Unbewusst entwich ihm ein Schrei. Ein enormes Gewicht legte sich auf seine Brust. Stöhnend schloss er die Augen und stemmte sich gegen den Angreifer. Aber die Last ließ sich nicht abschütteln, seiner Lunge fehlte bald der Platz zum Atmen.

Jim hatte sich aufgerappelt. Er zielte mit der Waffe knapp über Ron’s Körper. Die Salzladung fegte das erdrückende Gewicht weg. Stöhnend richtete sich Ron auf und betastete die schmerzende Stelle.

Erneut hörten die Jäger das Fauchen und sie postierten sich in der Mitte des Raumes.

Dann wurde es still, unheimlich still.

Angespannt harrten sie aus – aber alles, was sie hörten, war das helle Läuten der Glocke eines Milchwagens, der soeben vor dem Haus einparkte.

Vorsichtig näherte sich Jim dem Fenster, schob die geschlossenen Vorhänge etwas auseinander und blickte auf die Straße. Am Horizont zeigten sich die ersten goldenen Strahlen der aufgehenden Sonne.

„Es ist weg“, keuchte Ron aus dem Hintergrund. Seine Haltung war gekrümmt. Er hatte sein Hand schützend auf die brennende Stelle gelegt. „Wir müssen hier verschwinden.“ Bittend sah er zum Jüngeren hinüber.

Jim nickte. Er stand regungslos am Fenster und starrte nach draußen. „Lass uns die Spuren verwischen“, sprach er rau.

*** *** ***

Als der Ford Mustang vor dem kleinen Motel einparkte, pulsierte die Stadt bereits unter den wärmenden Strahlen der Morgensonne. Erschöpft, verwundet und am Boden zerstört, verließen die Jäger den Wagen und schleppten sich zu ihrem Zimmer. Ihre Hoffnung, etwas Ruhe zu finden, erfüllte sich nicht. Es war unmöglich das Erlebte durch Zuschlagen der Tür auszusperren.

Ron ließ die Waffentasche zu Boden sinken. Nachdem er seine Jacke ausgezogen hatte, betrachtete er missbilligend den dunkelroten, klebrigen Fleck in seinem Shirt. Als er es sich hastig über den Kopf zog, lösten sich die Stofffasern schmerzhaft vom angetrockneten Blut auf seiner Haut. Ein leises Schnaufen kam über seine Lippen während er den Biss in Augenschein nahm. „Da wird ja der weiße Hai vor Neid erblassen“, zischte Ron bitter grinsend. Aber der klägliche Versuch seines Scherzes stieß auf taube Ohren.

Jim hatte am Tisch Platz genommen und sah auf das dunkelbraune Holz. Seine Jacke hing über dem Stuhl. Blut hatte die Fasern seines Hemdes durchtränkt. Das Steinsalz ließ seine Wunden nicht zur Ruhe kommen und fraß sich unbeirrt weiter ins Fleisch.

„Du musst das auswaschen“, flüsterte Ron. Er war an Jim heran getreten und versuchte, die zerrissenen Streifen von Jims Hemd auseinander zu ziehen, um seine Verletzung zu begutachten. Doch Jim entzog sich seinem Bruder. Schnaufend riss er seinen Kopf in den Nacken.

„Ich meine es ernst – Jim! Das wird sich entzünden“, mahnte Ron. Er war nicht bereit, die Lethargie seines Bruders zu akzeptieren. Emotionslos wandte Jim seinen Blick wieder nach unten. Die abwehrende Körperhaltung signalisierte, dass es besser war, ihn in Ruhe zu lassen.

Seufzend verschwand der Ältere im Bad. Man konnte hören, wie der Wasserhahn aufgedreht wurde. Dem Plätschern folgten mehrere gequälte Laute, die sich unweigerlich über Rons Lippen quetschten, als er sich die Wunde ausspülte.

Jims Blicke glitten sofort in Richtung Bad. Über sein Gesicht zog ein Hauch von Sorge. Er stand auf und wollte nach Ron sehen. Ihm tat sein impulsives Verhalten leid, denn er wusste, dass er ihm lediglich helfen wollte, dass niemand die Schuld an dem trug, was passiert war.

Ron kam in gekrümmter Haltung in das Zimmer zurück. Er hatte ein Handtuch auf seine Seite gepresst und sah mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Jüngeren hinüber. Dieser bat ihn, sich seine Verletzung ansehen zu dürfen. Ron folgte dem Wunsch und entfernte vorsichtig das Handtuch.

Mitfühlend schnaufte Jim, als er den Kieferabdruck betrachtete. Die Ähnlichkeit mit einem menschlichen Gebiss war unübersehbar - nur viel größer. An einigen Stellen schien der Druck so stark gewesen zu sein, dass sich die Zähne tief ins Fleisch gebohrt hatten. Den größten Teil machten jedoch Quetschungen aus, die sich langsam von rot in blau und schließlich in violett verfärbten.

Jim ergriff die Whiskyflasche auf dem Nachttisch und Ron schloss in Erwartung der zu erwartenden Tortur seine Augen. Als sich der Alkohol in feurigen Rinnsalen über seine Wunden ergoss, spie er etliche Flüche in den Raum. Anschliessend liess er sich auf sein Bett sinken um zu verschnaufen.

Einige Minuten später ließ Jim endlich zu, dass Ron seine Schnittwunden begutachtete. Auch seine Verletzung wurde mit Alkohol desinfiziert.
 



 
Oben Unten