Ein Ring für Erika

Bo-ehd

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Ein Ring für Erika – eine Weihnachtsgeschichte

Kein Mensch weiß, was dabei herauskommt, wenn sich die Mathematik mit der Logik in die Haare kriegt. Wahrscheinlich kann man das Ergebnis so oder so sehen. Aber das ist nicht konsequent, denn beide, das Heer der Rechner, Statistiker und Kalkulatoren und die Armada von Physikern, Philosophen und weiß der Herrgott noch wem rühmen sich, die Väter unantastbarer Resultate zu sein. Letztlich, soviel sei verraten, wird diese Geschichte beweisen, dass derjenige vorn liegen wird, der seine Argumente am überzeugendsten vortragen kann. Und damit sind beide Parteien in einer Gesellschaft mit Anwälten und Politikern, womit keinem gedient ist.
Seit Wochen schon hatte Georg Britten ein ungutes Gefühl. Er, der noch nicht einmal sechzig war, hatte vor vier Jahren seine Arbeitsstelle verloren und verfügte über keinerlei Ersparnisse. Mit einer viel zu kleinen Rente musste er sich und seine geliebte Erika durchbringen, und so wundert es nicht, dass er nur mit größter Mühe seine winzige Mansardenwohnung bezahlen konnte und sich zum Ausklang des Tages bestenfalls einmal in der Woche ein Bierchen leisten konnte. Dieser Georg Britten zermarterte sich den Kopf, wie er einen Diamantring bezahlen sollte, den er seiner treuen Ehefrau zum Weihnachtsfest schenken wollte, ein Vorhaben, das seit 32 Jahren in ihm gärte.
Sie hatte sich damals eine solche Kostbarkeit gewünscht, als sie jung verheiratet waren, ihre Sehnsucht nach einem derartigen Stein aber nie direkt ausgesprochen. Georg hatte ihr in seiner Verliebtheit den Wunsch mehr oder weniger von den Lippen abgelesen und sich geschworen, bei allernächster Gelegenheit in ein Juweliergeschäft zu gehen und eine solche diamantene Preziose zu erstehen. Aber immer, wenn er sich vornahm, eines dieser edlen Geschäfte in der Innenstadt zu betreten, musste er den Kauf verschieben, weil das Geld im Moment eben doch nicht reichte. Dabei hatte er in seinen beruflichen Glanzzeiten so viel verdient, dass es locker für zwei Ringe gereicht hätte. Aber als Haushaltsvorstand musste er finanziell unentwegt Prioritäten setzen, und so kam der Ring Jahr für Jahr auf die Warteliste, Abteilung Luxus, letzter Rang.
Jetzt, da er mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebte, flammte der Wunsch, seiner Erika endlich ihren Jugendwunsch zu erfüllen, vehement wieder auf und wurde so heftig, dass ihn fortan nur noch der Gedanke beschäftigte, wie es ihm gelingen könnte, mit dem wenigen Geld, das er besaß, einen so teuren Schmuck zu erstehen, ohne dabei ein allzu krummes Ding zu drehen.
Auf seinem täglichen Weg durch den Park steuerte er auf ein kleines Podest zu, das in letzter Zeit immer wieder von Protestlern genutzt wurde, die mit ihren zumeist polemischen Reden Spaziergänger vom Unrecht auf dieser Welt zu überzeugen versuchten. Aber Georg wollte keine polemische Rede halten. Er wollte ein Selbstgespräch führen, um sich den Frust vom Leibe zu reden und seinen Kopf klar zu bekommen.
„Liebe Vorbeilaufende!“, hob er an. „Ich stecke in einem verdammten Engpass. Seht mich an!“ Er griff in seine Hosentaschen, machte sie links und hielt deren Zipfel dem imaginären Publikum demonstrativ vor Augen. „Wie soll ein armer Ehemann seiner geliebten, treuen Ehefrau einen Diamantring bezahlen? Sie hat mit ihrer unendlichen Güte und Liebe einen Anspruch darauf, und ich will ihn erfüllen. Seit 32 Jahren drücke ich mich davor, und das bedaure ich zutiefst. Jetzt aber ist es soweit, jetzt muss es sein.“
Er griff in die Tasche seines Mantels und holte einen 50-Euro-Schein hervor, sein Budget für einen ganzen Monat.
„Ich frage euch, liebe Parkbesucher: Wie stelle ich es an, aus diesen 50 Euro 99,50 zu machen, um den Ring zu bezahlen. Den billigsten übrigens im Sortiment von Denzer & Heinle mit einem Stein … Stein … Steinchen, das so winzig ist, dass man es in Karat kaum ausdrücken kann.“
Ein Händeklatschen kam hinter dem nächsten Baum hervor.
„Feine Rede, mein Freund! Chapeau! Die könnte glatt von mir sein“, laudierte ein älterer Herr in einem abgetragenen Mantel und trat auf Georg zu. „Willst du es wirklich wahr machen?“
Die beiden kannten sich gut, denn sie spielten, wenn das Wetter es zuließ, mehrmals in der Woche eine Partie Boule auf den festen, gepflegten Wegen des Parks.
„Mir ist es todernst, Bruno. Komm, lass uns auf die Bank setzen und darüber nachdenken.“
„Nachdenken? Du willst von mir wissen, wie man die Reichen aus der Schmuckbranche dazu bringt, dir 50% Nachlass zu geben? Ausgerechnet dir? Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier.“

Sie grübelten eine ganze Stunde lang, aber nichts, was ihre Phantasie hervorbrachte, hielt den Regeln der Mathematik und der Logik stand. Doch dann drängte sich Georgs Gedanken ein schmaler Pfad auf, der zu begehen tatsächlich einen Erfolg versprach. Die Sache erschien ihm zwar anfangs recht nebulös, doch je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde die Theorie, mit der es gelingen könnte.
„Ich habe einen Zweistufenplan, wie ich diesen Pfennigfuchsern einen ordentlichen Rabatt abluchse“, erklärte er dem alten Freund. „Du wirst sehen. Soll ich ihn dir erklären? Also: Hier sind die 50 Euro.“ Georg hielt ihm den Schein vor Brunos Gesicht. „Und damit bezahle ich den Ring für 99,50 ... “
„Träum weiter. Was auch immer du anstellst, nie im Leben lassen diese Geizhälse das zu“, unterbrach Bruno ihn.
„Wetten, dass sie das tun?“
„Du willst wetten? Willst du deinen Fünfziger, den einzigen, den du besitzt, auch noch verlieren?“
„Du wirst schon sehen. Hältst du mit einem Fünfziger dagegen?“
„Mache ich, aber wohl ist mir nicht dabei. Als Freund möchte ich nicht, dass du alles verlierst.“
„Kneif jetzt nicht! Hältst du dagegen oder nicht.“
„Wie du willst. Also: ja.“
„Gut! Mein Fünfziger gegen deinen. Warte hier, bis ich wiederkomme.“

Georg näherte sich dem Schaufenster von Denzer & Heinle, blieb fast ein wenig ehrfürchtig davor stehen und inspizierte den Verkaufsraum, soweit das von außen möglich war. Dann öffnete er entschlossen die Tür und trat ein. Ein grauhaariger älterer Herr von deutlich über siebzig Jahren, der hinter der Theke in einen Aktenordner vertieft war, sah kurz auf, musterte Georg von oben bis unten und fragte dann mit leiser Stimme, die unverkennbar ein Anzeichen für Desinteresse bezeugte:
„Guten Tag, mein Herr, Sie wünschen?“
„Sie haben da einen Diamantring in der Auslage. Den möchte ich kaufen.“
„Da befinden sie mehrere. Welchen Ring meinen Sie?“
„Den für 99,50, bitte. Ich kann mir leider keinen teureren leisten.“
Der Verkäufer nickte, setzte ein freundliches Lächeln auf und begab sich zur Auslage. Mit sicherem Griff und ohne die anderen Stücke zu berühren, entnahm er den Ring und kehrte zum Tresen zurück.
„So, mein Herr, das macht 99,50. Möchten Sie, dass ich ihn als Geschenk verpacke?“
Georg nickte, und der alte Mann packte die kleine Schachtel in Geschenkpapier. Georg lächelte, wie ein glücklicher, zufriedener Kunde lächelt.
„Das macht dann 99,50“, wiederholte der alte Mann.
Georg zog seinen Fünfziger aus der Tasche und legte ihn auf eine eigens dafür vorgesehene Schale. „Tut mir leid“, sagte er mit tiefstem Bedauern, „aber mehr habe ich nicht. Können Sie mir nicht einen Nachlass geben?“
„Aber mein Herr!“, tat der Verkäufer erbost. „Ich kann Ihnen doch nicht 50% Rabatt geben. Soviel verdiene ich ja gar nicht an dem Ring.“
„Er ist für meine Frau, verstehen Sie. Sie wartet schon dreißig Jahre darauf. Ich möchte sie nicht schon wieder enttäuschen.“
„Das verstehe ich ja. Aber wenn Sie nicht soviel Geld ausgeben können, warum nehmen Sie nicht etwas Günstigeres?“
„Sie hätten noch ein billigeres Modell?“
„Natürlich. Da gibt es Modeschmuck, der dem echten zum Verwechseln ähnlich sieht. Hier, sehen Sie!“ Er griff unter den Tresen und holte ein Tablett hervor, das voll von Ringen war, die dem gewünschten auf den ersten Blick sehr ähnlich sahen. „Da gibt es einige für fünfzig Euro und sogar darunter.“
Georg wusste, dass dieser Modeschmuck kaum etwas wert war. Die Steine waren unecht, das Gold -wenn überhaupt- nur aufgelegt, die Verarbeitung wahrscheinlich miserabel. Dennoch suchte er sich ein Stück aus, ließ es in Geschenkpapier packen, zahlte genau 50 Euro und verließ das Geschäft.

Auf der Parkbank wartete grinsend sein alter Freund. „Willst du deine 50 Euro abliefern?“, fragte er amüsiert und hielt provokativ die Hand auf.
„Nicht so schnell, Bruno“, versuchte er seinen Freund einzubremsen. „Schau, was ich hier habe.“ Er holte das Schächtelchen aus der Manteltasche und ließ Bruno einen Blick darauf werfen. „Das ist nur ein billiges Imitat, Modeschmuck eben, aber das brauche ich, um mein Vorhaben zu Ende zu bringen. Warte noch eine halbe Stunde, dann komme ich mit dem echten zurück.“
„Lass mal sehen!“
„Nein, ich möchte nicht, dass die Verpackung aufgerissen wird. Das gehört zum Plan.“
„Zum Plan? Was wirst du für einen Plan haben? Du wirst mit dem billigen Ding wieder hier auftauchen. Oder glaubst du, dieses Stück Blech aus China gegen einen Diamantring eintauschen zu können? Die Wette gilt hoffentlich noch.“
„Und wie sie gilt!“

Mit zügigen Schritten betrat Georg das Schmuckgeschäft zum zweiten Mal.
„Ich habe es mir überlegt“, begann er im Brustton voller Überzeugung. „Ich möchte doch den echten.“
„Sehr gern, mein Herr“, sagte der Verkäufer mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ihre Gattin wird dieses gute Stück zu schätzen wissen. Der Stein hat zwar nur 0,2 Karat, aber echt ist echt. Lieber echt und klein als ...“ Er packte das Schächtelchen ein und schob es über den Ladentisch. Macht 99,50 abzüglich 50 Euro. Dann bekomme ich noch 49,50 Euro von Ihnen.“
Ohne eine Miene zu verziehen stellte Georg die Schachtel mit dem Modeschmuckring auf die Mitte des Tresens. Der Verkäufer schob sie ein Stück zur Seite und wartete auf einen zweiten 50-Euro-Schein, während Georg die Schachtel mit dem Diamantring einsteckte. Doch noch bevor er sich anschickte zu gehen, ermahnte ihn der Verkäufer. „Mein Herr, bitte, was soll denn das? Wollen Sie jetzt bitte bezahlen!“ Sein Ton war durchaus energisch.
„Ich verstehe nicht“, reagierte Georg fast ein wenig verletzt. „Ich habe doch bezahlt. Ich habe sogar mehr bezahlt, als ich muss.“
„Wie bitte? Kommen Sie mir bloß nicht so!“, kam es drohend. „Sie sind ein Betrüger. Ich sollte vielleicht die Polizei rufen.“
„Nun werden Sie doch nicht gleich rabiat“, versuchte Georg den alten Mann einzuschüchtern. „Ich will Ihnen gern noch einmal erklären, wie dieser Kauf hier abgelaufen ist. Ich glaube nicht, dass Sie dann noch die Polizei rufen wollen.“
„Da bin ich aber gespannt!“, reagierte der alte Herr nervös.
„Bitte unterbrechen Sie mich, wenn Sie nicht folgen können: Ich habe beim Kauf des ersten Rings mit einer 50-Euro-Note bezahlt. Das wollen Sie hoffentlich nicht bestreiten.“
„Gewiss nicht.“
„Gut. Mit dem Kauf habe ich das Eigentum an dem Ring erworben, richtig?“
„Ja, das stimmt“, murmelte der Verkäufer und wartete gespannt, was jetzt noch kommen könnte.
„Dieses Eigentum ist 50 Euro wert, denn das habe ich dafür bezahlt. Können Sie folgen?“
„Ja, könnte man so sehen.“
„Dann haben Sie insgesamt 50 Euro in bar und einen Ring im Wert von 50 Euro von mir bekommen. Das macht zusammen 100 Euro. Jetzt erklären Sie mir bitte, warum ich noch in Ihrer Schuld stehen sollte.“
Der alte Mann wurde ganz grau im Gesicht, brachte keinen Ton mehr heraus und ließ wortlos zu, wie sich Georg umdrehte und den Laden verließ. Er sah noch, wie er die Straße überquerte und im Park verschwand.

Auf der Parkbank saß Bruno und nahm ungläubig zur Kenntnis, wie Georg mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht auf ihn zu kam. „Sag bloß, du hast den Ring?“, fragte er, und es klang so, als befürchtete er, dass er gerade die Wette verloren hatte.
„Hier ist der Ring. Ein echter Diamantring. Für meine Erika.“ Er hielt Bruno das Schächtelchen hin. „Mach es auf und überzeug dich. Und hier ist die Quittung.“
Schweren Herzens lieferte Bruno seinen Fünfziger ab, und Georg versuchte ihn zu trösten. „Hilft es dir, wenn ich dich zum Weihnachtsessen einlade? Erika macht den Zander, den ich im Herbst gefangen habe.“
„Da sage ich nicht nein. Aber verrat mir doch mal, wie du auf diesen Dreh gekommen bist.
Georg wiegelte ab. „Ein bisschen Mathematik, ein bisschen Juristerei und ein Schuss Logik. Mehr musst du nicht wissen.“

Ein letztes Mal suchte Georg den Juwelier auf. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie nochmals belästigte. Ich wollte meine Schulden bezahlen“, sagte er mit einem Grinsen auf den Lippen und hielt ihm den 50-Euro-Schein hin, den er soeben gewonnen hatte. Es ist nicht meine Art, ein Geschenk, mit dem ich meiner großen Liebe eine Freude machen will, auf eine solche Art zu ergaunern. Bitte nehmen Sie den Schein an, und entschuldigen Sie, dass ich Sie so unfein überrumpelt habe.“
Herr Heinle, der ältere Herr hinter der Theke, schaute ihn mit offenem Mund an, legte seine Hand auf den Schein und schob ihn langsam über den Tresen auf Georg zu. „Ach wissen Sie“, begann er in einem Ton, der Mitgefühl verriet. „Ich stehe doch nur hier drin, weil ich nichts anderes zu tun habe. Das Geld brauche ich schon längst nicht mehr. Erben habe ich nicht, deshalb spielen Geschäfte nicht mehr eine so große Rolle für mich. Ich möchte Sie etwas wissen lassen: So lange ich diesen Geschäft betreibe, habe ich noch nie jemanden bedient, der mit soviel Herzblut um ein Geschenk für seine Frau gekämpft hat. Tun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie den Schein und gehen Sie mit Ihrer Gattin essen.“


















Ein Ring für Erika – eine Weihnachtsgeschichte



Kein Mensch weiß, was dabei herauskommt, wenn sich die Mathematik mit der Logik in die Haare kriegt. Wahrscheinlich kann man das Ergebnis so oder so sehen. Aber das ist nicht konsequent, denn beide, das Heer der Rechner, Statistiker und Kalkulatoren und die Armada von Physikern, Philosophen und weiß der Herrgott noch wem rühmen sich, die Väter unantastbarer Resultate zu sein. Letztlich, soviel sei verraten, wird diese Geschichte beweisen, dass derjenige vorn liegen wird, der seine Argumente am überzeugendsten vortragen kann. Und damit sind beide Parteien in einer Gesellschaft mit Anwälten und Politikern, womit keinem gedient ist.



Seit Wochen schon hatte Georg Britten ein ungutes Gefühl. Er, der noch nicht einmal sechzig war, hatte vor vier Jahren seine Arbeitsstelle verloren und verfügte über keinerlei Ersparnisse. Mit einer viel zu kleinen Rente musste er sich und seine geliebte Erika durchbringen, und so wundert es nicht, dass er nur mit größter Mühe seine winzige Mansardenwohnung bezahlen konnte und sich zum Ausklang des Tages bestenfalls einmal in der Woche ein Bierchen leisten konnte. Dieser Georg Britten zermarterte sich den Kopf, wie er einen Diamantring bezahlen sollte, den er seiner treuen Ehefrau zum Weihnachtsfest schenken wollte, ein Vorhaben, das seit 32 Jahren in ihm gärte.

Sie hatte sich damals eine solche Kostbarkeit gewünscht, als sie jung verheiratet waren, ihre Sehnsucht nach einem derartigen Stein aber nie direkt ausgesprochen. Georg hatte ihr in seiner Verliebtheit den Wunsch mehr oder weniger von den Lippen abgelesen und sich geschworen, bei allernächster Gelegenheit in ein Juweliergeschäft zu gehen und eine solche diamantene Preziose zu erstehen. Aber immer, wenn er sich vornahm, eines dieser edlen Geschäfte in der Innenstadt zu betreten, musste er den Kauf verschieben, weil das Geld im Moment eben doch nicht reichte. Dabei hatte er in seinen beruflichen Glanzzeiten so viel verdient, dass es locker für zwei Ringe gereicht hätte. Aber als Haushaltsvorstand musste er finanziell unentwegt Prioritäten setzen, und so kam der Ring Jahr für Jahr auf die Warteliste, Abteilung Luxus, letzter Rang.

Jetzt, da er mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebte, flammte der Wunsch, seiner Erika endlich ihren Jugendwunsch zu erfüllen, vehement wieder auf und wurde so heftig, dass ihn fortan nur noch der Gedanke beschäftigte, wie es ihm gelingen könnte, mit dem wenigen Geld, das er besaß, einen so teuren Schmuck zu erstehen, ohne dabei ein allzu krummes Ding zu drehen.

Auf seinem täglichen Weg durch den Park steuerte er auf ein kleines Podest zu, das in letzter Zeit immer wieder von Protestlern genutzt wurde, die mit ihren zumeist polemischen Reden Spaziergänger vom Unrecht auf dieser Welt zu überzeugen versuchten. Aber Georg wollte keine polemische Rede halten. Er wollte ein Selbstgespräch führen, um sich den Frust vom Leibe zu reden und seinen Kopf klar zu bekommen.

„Liebe Vorbeilaufende!“, hob er an. „Ich stecke in einem verdammten Engpass. Seht mich an!“ Er griff in seine Hosentaschen, machte sie links und hielt deren Zipfel dem imaginären Publikum demonstrativ vor Augen. „Wie soll ein armer Ehemann seiner geliebten, treuen Ehefrau einen Diamantring bezahlen? Sie hat mit ihrer unendlichen Güte und Liebe einen Anspruch darauf, und ich will ihn erfüllen. Seit 32 Jahren drücke ich mich davor, und das bedaure ich zutiefst. Jetzt aber ist es soweit, jetzt muss es sein.“

Er griff in die Tasche seines Mantels und holte einen 50-Euro-Schein hervor, sein Budget für einen ganzen Monat.

„Ich frage euch, liebe Parkbesucher: Wie stelle ich es an, aus diesen 50 Euro 99,50 zu machen, um den Ring zu bezahlen. Den billigsten übrigens im Sortiment von Denzer & Heinle mit einem Stein … Stein … Steinchen, das so winzig ist, dass man es in Karat kaum ausdrücken kann.“



Ein Händeklatschen kam hinter dem nächsten Baum hervor.

„Feine Rede, mein Freund! Chapeau! Die könnte glatt von mir sein“, laudierte ein älterer Herr in einem abgetragenen Mantel und trat auf Georg zu. „Willst du es wirklich wahr machen?“

Die beiden kannten sich gut, denn sie spielten, wenn das Wetter es zuließ, mehrmals in der Woche eine Partie Boule auf den festen, gepflegten Wegen des Parks.

„Mir ist es todernst, Bruno. Komm, lass uns auf die Bank setzen und darüber nachdenken.“

„Nachdenken? Du willst von mir wissen, wie man die Reichen aus der Schmuckbranche dazu bringt, dir 50% Nachlass zu geben? Ausgerechnet dir? Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier.“



Sie grübelten eine ganze Stunde lang, aber nichts, was ihre Phantasie hervorbrachte, hielt den Regeln der Mathematik und der Logik stand. Doch dann drängte sich Georgs Gedanken ein schmaler Pfad auf, der zu begehen tatsächlich einen Erfolg versprach. Die Sache erschien ihm zwar anfangs recht nebulös, doch je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde die Theorie, mit der es gelingen könnte.

„Ich habe einen Zweistufenplan, wie ich diesen Pfennigfuchsern einen ordentlichen Rabatt abluchse“, erklärte er dem alten Freund. „Du wirst sehen. Soll ich ihn dir erklären? Also: Hier sind die 50 Euro.“ Georg hielt ihm den Schein vor Brunos Gesicht. „Und damit bezahle ich den Ring für 99,50 ... “

„Träum weiter. Was auch immer du anstellst, nie im Leben lassen diese Geizhälse das zu“, unterbrach Bruno ihn.

„Wetten, dass sie das tun?“

„Du willst wetten? Willst du deinen Fünfziger, den einzigen, den du besitzt, auch noch verlieren?“

„Du wirst schon sehen. Hältst du mit einem Fünfziger dagegen?“

„Mache ich, aber wohl ist mir nicht dabei. Als Freund möchte ich nicht, dass du alles verlierst.“

„Kneif jetzt nicht! Hältst du dagegen oder nicht.“

„Wie du willst. Also: ja.“

„Gut! Mein Fünfziger gegen deinen. Warte hier, bis ich wiederkomme.“



Georg näherte sich dem Schaufenster von Denzer & Heinle, blieb fast ein wenig ehrfürchtig davor stehen und inspizierte den Verkaufsraum, soweit das von außen möglich war. Dann öffnete er entschlossen die Tür und trat ein. Ein grauhaariger älterer Herr von deutlich über siebzig Jahren, der hinter der Theke in einen Aktenordner vertieft war, sah kurz auf, musterte Georg von oben bis unten und fragte dann mit leiser Stimme, die unverkennbar ein Anzeichen für Desinteresse bezeugte:

„Guten Tag, mein Herr, Sie wünschen?“

„Sie haben da einen Diamantring in der Auslage. Den möchte ich kaufen.“

„Da befinden sie mehrere. Welchen Ring meinen Sie?“

„Den für 99,50, bitte. Ich kann mir leider keinen teureren leisten.“

Der Verkäufer nickte, setzte ein freundliches Lächeln auf und begab sich zur Auslage. Mit sicherem Griff und ohne die anderen Stücke zu berühren, entnahm er den Ring und kehrte zum Tresen zurück.

„So, mein Herr, das macht 99,50. Möchten Sie, dass ich ihn als Geschenk verpacke?“

Georg nickte, und der alte Mann packte die kleine Schachtel in Geschenkpapier. Georg lächelte, wie ein glücklicher, zufriedener Kunde lächelt.

„Das macht dann 99,50“, wiederholte der alte Mann.

Georg zog seinen Fünfziger aus der Tasche und legte ihn auf eine eigens dafür vorgesehene Schale. „Tut mir leid“, sagte er mit tiefstem Bedauern, „aber mehr habe ich nicht. Können Sie mir nicht einen Nachlass geben?“

„Aber mein Herr!“, tat der Verkäufer erbost. „Ich kann Ihnen doch nicht 50% Rabatt geben. Soviel verdiene ich ja gar nicht an dem Ring.“

„Er ist für meine Frau, verstehen Sie. Sie wartet schon dreißig Jahre darauf. Ich möchte sie nicht schon wieder enttäuschen.“

„Das verstehe ich ja. Aber wenn Sie nicht soviel Geld ausgeben können, warum nehmen Sie nicht etwas Günstigeres?“

„Sie hätten noch ein billigeres Modell?“

„Natürlich. Da gibt es Modeschmuck, der dem echten zum Verwechseln ähnlich sieht. Hier, sehen Sie!“ Er griff unter den Tresen und holte ein Tablett hervor, das voll von Ringen war, die dem gewünschten auf den ersten Blick sehr ähnlich sahen. „Da gibt es einige für fünfzig Euro und sogar darunter.“

Georg wusste, dass dieser Modeschmuck kaum etwas wert war. Die Steine waren unecht, das Gold -wenn überhaupt- nur aufgelegt, die Verarbeitung wahrscheinlich miserabel. Dennoch suchte er sich ein Stück aus, ließ es in Geschenkpapier packen, zahlte genau 50 Euro und verließ das Geschäft.



Auf der Parkbank wartete grinsend sein alter Freund. „Willst du deine 50 Euro abliefern?“, fragte er amüsiert und hielt provokativ die Hand auf.

„Nicht so schnell, Bruno“, versuchte er seinen Freund einzubremsen. „Schau, was ich hier habe.“ Er holte das Schächtelchen aus der Manteltasche und ließ Bruno einen Blick darauf werfen. „Das ist nur ein billiges Imitat, Modeschmuck eben, aber das brauche ich, um mein Vorhaben zu Ende zu bringen. Warte noch eine halbe Stunde, dann komme ich mit dem echten zurück.“

„Lass mal sehen!“

„Nein, ich möchte nicht, dass die Verpackung aufgerissen wird. Das gehört zum Plan.“

„Zum Plan? Was wirst du für einen Plan haben? Du wirst mit dem billigen Ding wieder hier auftauchen. Oder glaubst du, dieses Stück Blech aus China gegen einen Diamantring eintauschen zu können? Die Wette gilt hoffentlich noch.“

„Und wie sie gilt!“



Mit zügigen Schritten betrat Georg das Schmuckgeschäft zum zweiten Mal.

„Ich habe es mir überlegt“, begann er im Brustton voller Überzeugung. „Ich möchte doch den echten.“

„Sehr gern, mein Herr“, sagte der Verkäufer mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ihre Gattin wird dieses gute Stück zu schätzen wissen. Der Stein hat zwar nur 0,2 Karat, aber echt ist echt. Lieber echt und klein als ...“ Er packte das Schächtelchen ein und schob es über den Ladentisch. Macht 99,50 abzüglich 50 Euro. Dann bekomme ich noch 49,50 Euro von Ihnen.“

Ohne eine Miene zu verziehen stellte Georg die Schachtel mit dem Modeschmuckring auf die Mitte des Tresens. Der Verkäufer schob sie ein Stück zur Seite und wartete auf einen zweiten 50-Euro-Schein, während Georg die Schachtel mit dem Diamantring einsteckte. Doch noch bevor er sich anschickte zu gehen, ermahnte ihn der Verkäufer. „Mein Herr, bitte, was soll denn das? Wollen Sie jetzt bitte bezahlen!“ Sein Ton war durchaus energisch.

„Ich verstehe nicht“, reagierte Georg fast ein wenig verletzt. „Ich habe doch bezahlt. Ich habe sogar mehr bezahlt, als ich muss.“

„Wie bitte? Kommen Sie mir bloß nicht so!“, kam es drohend. „Sie sind ein Betrüger. Ich sollte vielleicht die Polizei rufen.“

„Nun werden Sie doch nicht gleich rabiat“, versuchte Georg den alten Mann einzuschüchtern. „Ich will Ihnen gern noch einmal erklären, wie dieser Kauf hier abgelaufen ist. Ich glaube nicht, dass Sie dann noch die Polizei rufen wollen.“

„Da bin ich aber gespannt!“, reagierte der alte Herr nervös.

„Bitte unterbrechen Sie mich, wenn Sie nicht folgen können: Ich habe beim Kauf des ersten Rings mit einer 50-Euro-Note bezahlt. Das wollen Sie hoffentlich nicht bestreiten.“

„Gewiss nicht.“

„Gut. Mit dem Kauf habe ich das Eigentum an dem Ring erworben, richtig?“

„Ja, das stimmt“, murmelte der Verkäufer und wartete gespannt, was jetzt noch kommen könnte.

„Dieses Eigentum ist 50 Euro wert, denn das habe ich dafür bezahlt. Können Sie folgen?“

„Ja, könnte man so sehen.“

„Dann haben Sie insgesamt 50 Euro in bar und einen Ring im Wert von 50 Euro von mir bekommen. Das macht zusammen 100 Euro. Jetzt erklären Sie mir bitte, warum ich noch in Ihrer Schuld stehen sollte.“

Der alte Mann wurde ganz grau im Gesicht, brachte keinen Ton mehr heraus und ließ wortlos zu, wie sich Georg umdrehte und den Laden verließ. Er sah noch, wie er die Straße überquerte und im Park verschwand.



Auf der Parkbank saß Bruno und nahm ungläubig zur Kenntnis, wie Georg mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht auf ihn zu kam. „Sag bloß, du hast den Ring?“, fragte er, und es klang so, als befürchtete er, dass er gerade die Wette verloren hatte.

„Hier ist der Ring. Ein echter Diamantring. Für meine Erika.“ Er hielt Bruno das Schächtelchen hin. „Mach es auf und überzeug dich. Und hier ist die Quittung.“

Schweren Herzens lieferte Bruno seinen Fünfziger ab, und Georg versuchte ihn zu trösten. „Hilft es dir, wenn ich dich zum Weihnachtsessen einlade? Erika macht den Zander, den ich im Herbst gefangen habe.“

„Da sage ich nicht nein. Aber verrat mir doch mal, wie du auf diesen Dreh gekommen bist.

Georg wiegelte ab. „Ein bisschen Mathematik, ein bisschen Juristerei und ein Schuss Logik. Mehr musst du nicht wissen.“



Ein letztes Mal suchte Georg den Juwelier auf. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie nochmals belästigte. Ich wollte meine Schulden bezahlen“, sagte er mit einem Grinsen auf den Lippen und hielt ihm den 50-Euro-Schein hin, den er soeben gewonnen hatte. Es ist nicht meine Art, ein Geschenk, mit dem ich meiner großen Liebe eine Freude machen will, auf eine solche Art zu ergaunern. Bitte nehmen Sie den Schein an, und entschuldigen Sie, dass ich Sie so unfein überrumpelt habe.“

Herr Heinle, der ältere Herr hinter der Theke, schaute ihn mit offenem Mund an, legte seine Hand auf den Schein und schob ihn langsam über den Tresen auf Georg zu. „Ach wissen Sie“, begann er in einem Ton, der Mitgefühl verriet. „Ich stehe doch nur hier drin, weil ich nichts anderes zu tun habe. Das Geld brauche ich schon längst nicht mehr. Erben habe ich nicht, deshalb spielen Geschäfte nicht mehr eine so große Rolle für mich. Ich möchte Sie etwas wissen lassen: So lange ich diesen Geschäft betreibe, habe ich noch nie jemanden bedient, der mit soviel Herzblut um ein Geschenk für seine Frau gekämpft hat. Tun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie den Schein und gehen Sie mit Ihrer Gattin essen.“





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Ein Ring für Erika – eine Weihnachtsgeschichte



Kein Mensch weiß, was dabei herauskommt, wenn sich die Mathematik mit der Logik in die Haare kriegt. Wahrscheinlich kann man das Ergebnis so oder so sehen. Aber das ist nicht konsequent, denn beide, das Heer der Rechner, Statistiker und Kalkulatoren und die Armada von Physikern, Philosophen und weiß der Herrgott noch wem rühmen sich, die Väter unantastbarer Resultate zu sein. Letztlich, soviel sei verraten, wird diese Geschichte beweisen, dass derjenige vorn liegen wird, der seine Argumente am überzeugendsten vortragen kann. Und damit sind beide Parteien in einer Gesellschaft mit Anwälten und Politikern, womit keinem gedient ist.



Seit Wochen schon hatte Georg Britten ein ungutes Gefühl. Er, der noch nicht einmal sechzig war, hatte vor vier Jahren seine Arbeitsstelle verloren und verfügte über keinerlei Ersparnisse. Mit einer viel zu kleinen Rente musste er sich und seine geliebte Erika durchbringen, und so wundert es nicht, dass er nur mit größter Mühe seine winzige Mansardenwohnung bezahlen konnte und sich zum Ausklang des Tages bestenfalls einmal in der Woche ein Bierchen leisten konnte. Dieser Georg Britten zermarterte sich den Kopf, wie er einen Diamantring bezahlen sollte, den er seiner treuen Ehefrau zum Weihnachtsfest schenken wollte, ein Vorhaben, das seit 32 Jahren in ihm gärte.

Sie hatte sich damals eine solche Kostbarkeit gewünscht, als sie jung verheiratet waren, ihre Sehnsucht nach einem derartigen Stein aber nie direkt ausgesprochen. Georg hatte ihr in seiner Verliebtheit den Wunsch mehr oder weniger von den Lippen abgelesen und sich geschworen, bei allernächster Gelegenheit in ein Juweliergeschäft zu gehen und eine solche diamantene Preziose zu erstehen. Aber immer, wenn er sich vornahm, eines dieser edlen Geschäfte in der Innenstadt zu betreten, musste er den Kauf verschieben, weil das Geld im Moment eben doch nicht reichte. Dabei hatte er in seinen beruflichen Glanzzeiten so viel verdient, dass es locker für zwei Ringe gereicht hätte. Aber als Haushaltsvorstand musste er finanziell unentwegt Prioritäten setzen, und so kam der Ring Jahr für Jahr auf die Warteliste, Abteilung Luxus, letzter Rang.

Jetzt, da er mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebte, flammte der Wunsch, seiner Erika endlich ihren Jugendwunsch zu erfüllen, vehement wieder auf und wurde so heftig, dass ihn fortan nur noch der Gedanke beschäftigte, wie es ihm gelingen könnte, mit dem wenigen Geld, das er besaß, einen so teuren Schmuck zu erstehen, ohne dabei ein allzu krummes Ding zu drehen.

Auf seinem täglichen Weg durch den Park steuerte er auf ein kleines Podest zu, das in letzter Zeit immer wieder von Protestlern genutzt wurde, die mit ihren zumeist polemischen Reden Spaziergänger vom Unrecht auf dieser Welt zu überzeugen versuchten. Aber Georg wollte keine polemische Rede halten. Er wollte ein Selbstgespräch führen, um sich den Frust vom Leibe zu reden und seinen Kopf klar zu bekommen.

„Liebe Vorbeilaufende!“, hob er an. „Ich stecke in einem verdammten Engpass. Seht mich an!“ Er griff in seine Hosentaschen, machte sie links und hielt deren Zipfel dem imaginären Publikum demonstrativ vor Augen. „Wie soll ein armer Ehemann seiner geliebten, treuen Ehefrau einen Diamantring bezahlen? Sie hat mit ihrer unendlichen Güte und Liebe einen Anspruch darauf, und ich will ihn erfüllen. Seit 32 Jahren drücke ich mich davor, und das bedaure ich zutiefst. Jetzt aber ist es soweit, jetzt muss es sein.“

Er griff in die Tasche seines Mantels und holte einen 50-Euro-Schein hervor, sein Budget für einen ganzen Monat.

„Ich frage euch, liebe Parkbesucher: Wie stelle ich es an, aus diesen 50 Euro 99,50 zu machen, um den Ring zu bezahlen. Den billigsten übrigens im Sortiment von Denzer & Heinle mit einem Stein … Stein … Steinchen, das so winzig ist, dass man es in Karat kaum ausdrücken kann.“



Ein Händeklatschen kam hinter dem nächsten Baum hervor.

„Feine Rede, mein Freund! Chapeau! Die könnte glatt von mir sein“, laudierte ein älterer Herr in einem abgetragenen Mantel und trat auf Georg zu. „Willst du es wirklich wahr machen?“

Die beiden kannten sich gut, denn sie spielten, wenn das Wetter es zuließ, mehrmals in der Woche eine Partie Boule auf den festen, gepflegten Wegen des Parks.

„Mir ist es todernst, Bruno. Komm, lass uns auf die Bank setzen und darüber nachdenken.“

„Nachdenken? Du willst von mir wissen, wie man die Reichen aus der Schmuckbranche dazu bringt, dir 50% Nachlass zu geben? Ausgerechnet dir? Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier.“



Sie grübelten eine ganze Stunde lang, aber nichts, was ihre Phantasie hervorbrachte, hielt den Regeln der Mathematik und der Logik stand. Doch dann drängte sich Georgs Gedanken ein schmaler Pfad auf, der zu begehen tatsächlich einen Erfolg versprach. Die Sache erschien ihm zwar anfangs recht nebulös, doch je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde die Theorie, mit der es gelingen könnte.

„Ich habe einen Zweistufenplan, wie ich diesen Pfennigfuchsern einen ordentlichen Rabatt abluchse“, erklärte er dem alten Freund. „Du wirst sehen. Soll ich ihn dir erklären? Also: Hier sind die 50 Euro.“ Georg hielt ihm den Schein vor Brunos Gesicht. „Und damit bezahle ich den Ring für 99,50 ... “

„Träum weiter. Was auch immer du anstellst, nie im Leben lassen diese Geizhälse das zu“, unterbrach Bruno ihn.

„Wetten, dass sie das tun?“

„Du willst wetten? Willst du deinen Fünfziger, den einzigen, den du besitzt, auch noch verlieren?“

„Du wirst schon sehen. Hältst du mit einem Fünfziger dagegen?“

„Mache ich, aber wohl ist mir nicht dabei. Als Freund möchte ich nicht, dass du alles verlierst.“

„Kneif jetzt nicht! Hältst du dagegen oder nicht.“

„Wie du willst. Also: ja.“

„Gut! Mein Fünfziger gegen deinen. Warte hier, bis ich wiederkomme.“



Georg näherte sich dem Schaufenster von Denzer & Heinle, blieb fast ein wenig ehrfürchtig davor stehen und inspizierte den Verkaufsraum, soweit das von außen möglich war. Dann öffnete er entschlossen die Tür und trat ein. Ein grauhaariger älterer Herr von deutlich über siebzig Jahren, der hinter der Theke in einen Aktenordner vertieft war, sah kurz auf, musterte Georg von oben bis unten und fragte dann mit leiser Stimme, die unverkennbar ein Anzeichen für Desinteresse bezeugte:

„Guten Tag, mein Herr, Sie wünschen?“

„Sie haben da einen Diamantring in der Auslage. Den möchte ich kaufen.“

„Da befinden sie mehrere. Welchen Ring meinen Sie?“

„Den für 99,50, bitte. Ich kann mir leider keinen teureren leisten.“

Der Verkäufer nickte, setzte ein freundliches Lächeln auf und begab sich zur Auslage. Mit sicherem Griff und ohne die anderen Stücke zu berühren, entnahm er den Ring und kehrte zum Tresen zurück.

„So, mein Herr, das macht 99,50. Möchten Sie, dass ich ihn als Geschenk verpacke?“

Georg nickte, und der alte Mann packte die kleine Schachtel in Geschenkpapier. Georg lächelte, wie ein glücklicher, zufriedener Kunde lächelt.

„Das macht dann 99,50“, wiederholte der alte Mann.

Georg zog seinen Fünfziger aus der Tasche und legte ihn auf eine eigens dafür vorgesehene Schale. „Tut mir leid“, sagte er mit tiefstem Bedauern, „aber mehr habe ich nicht. Können Sie mir nicht einen Nachlass geben?“

„Aber mein Herr!“, tat der Verkäufer erbost. „Ich kann Ihnen doch nicht 50% Rabatt geben. Soviel verdiene ich ja gar nicht an dem Ring.“

„Er ist für meine Frau, verstehen Sie. Sie wartet schon dreißig Jahre darauf. Ich möchte sie nicht schon wieder enttäuschen.“

„Das verstehe ich ja. Aber wenn Sie nicht soviel Geld ausgeben können, warum nehmen Sie nicht etwas Günstigeres?“

„Sie hätten noch ein billigeres Modell?“

„Natürlich. Da gibt es Modeschmuck, der dem echten zum Verwechseln ähnlich sieht. Hier, sehen Sie!“ Er griff unter den Tresen und holte ein Tablett hervor, das voll von Ringen war, die dem gewünschten auf den ersten Blick sehr ähnlich sahen. „Da gibt es einige für fünfzig Euro und sogar darunter.“

Georg wusste, dass dieser Modeschmuck kaum etwas wert war. Die Steine waren unecht, das Gold -wenn überhaupt- nur aufgelegt, die Verarbeitung wahrscheinlich miserabel. Dennoch suchte er sich ein Stück aus, ließ es in Geschenkpapier packen, zahlte genau 50 Euro und verließ das Geschäft.



Auf der Parkbank wartete grinsend sein alter Freund. „Willst du deine 50 Euro abliefern?“, fragte er amüsiert und hielt provokativ die Hand auf.

„Nicht so schnell, Bruno“, versuchte er seinen Freund einzubremsen. „Schau, was ich hier habe.“ Er holte das Schächtelchen aus der Manteltasche und ließ Bruno einen Blick darauf werfen. „Das ist nur ein billiges Imitat, Modeschmuck eben, aber das brauche ich, um mein Vorhaben zu Ende zu bringen. Warte noch eine halbe Stunde, dann komme ich mit dem echten zurück.“

„Lass mal sehen!“

„Nein, ich möchte nicht, dass die Verpackung aufgerissen wird. Das gehört zum Plan.“

„Zum Plan? Was wirst du für einen Plan haben? Du wirst mit dem billigen Ding wieder hier auftauchen. Oder glaubst du, dieses Stück Blech aus China gegen einen Diamantring eintauschen zu können? Die Wette gilt hoffentlich noch.“

„Und wie sie gilt!“



Mit zügigen Schritten betrat Georg das Schmuckgeschäft zum zweiten Mal.

„Ich habe es mir überlegt“, begann er im Brustton voller Überzeugung. „Ich möchte doch den echten.“

„Sehr gern, mein Herr“, sagte der Verkäufer mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ihre Gattin wird dieses gute Stück zu schätzen wissen. Der Stein hat zwar nur 0,2 Karat, aber echt ist echt. Lieber echt und klein als ...“ Er packte das Schächtelchen ein und schob es über den Ladentisch. Macht 99,50 abzüglich 50 Euro. Dann bekomme ich noch 49,50 Euro von Ihnen.“

Ohne eine Miene zu verziehen stellte Georg die Schachtel mit dem Modeschmuckring auf die Mitte des Tresens. Der Verkäufer schob sie ein Stück zur Seite und wartete auf einen zweiten 50-Euro-Schein, während Georg die Schachtel mit dem Diamantring einsteckte. Doch noch bevor er sich anschickte zu gehen, ermahnte ihn der Verkäufer. „Mein Herr, bitte, was soll denn das? Wollen Sie jetzt bitte bezahlen!“ Sein Ton war durchaus energisch.

„Ich verstehe nicht“, reagierte Georg fast ein wenig verletzt. „Ich habe doch bezahlt. Ich habe sogar mehr bezahlt, als ich muss.“

„Wie bitte? Kommen Sie mir bloß nicht so!“, kam es drohend. „Sie sind ein Betrüger. Ich sollte vielleicht die Polizei rufen.“

„Nun werden Sie doch nicht gleich rabiat“, versuchte Georg den alten Mann einzuschüchtern. „Ich will Ihnen gern noch einmal erklären, wie dieser Kauf hier abgelaufen ist. Ich glaube nicht, dass Sie dann noch die Polizei rufen wollen.“

„Da bin ich aber gespannt!“, reagierte der alte Herr nervös.

„Bitte unterbrechen Sie mich, wenn Sie nicht folgen können: Ich habe beim Kauf des ersten Rings mit einer 50-Euro-Note bezahlt. Das wollen Sie hoffentlich nicht bestreiten.“

„Gewiss nicht.“

„Gut. Mit dem Kauf habe ich das Eigentum an dem Ring erworben, richtig?“

„Ja, das stimmt“, murmelte der Verkäufer und wartete gespannt, was jetzt noch kommen könnte.

„Dieses Eigentum ist 50 Euro wert, denn das habe ich dafür bezahlt. Können Sie folgen?“

„Ja, könnte man so sehen.“

„Dann haben Sie insgesamt 50 Euro in bar und einen Ring im Wert von 50 Euro von mir bekommen. Das macht zusammen 100 Euro. Jetzt erklären Sie mir bitte, warum ich noch in Ihrer Schuld stehen sollte.“

Der alte Mann wurde ganz grau im Gesicht, brachte keinen Ton mehr heraus und ließ wortlos zu, wie sich Georg umdrehte und den Laden verließ. Er sah noch, wie er die Straße überquerte und im Park verschwand.



Auf der Parkbank saß Bruno und nahm ungläubig zur Kenntnis, wie Georg mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht auf ihn zu kam. „Sag bloß, du hast den Ring?“, fragte er, und es klang so, als befürchtete er, dass er gerade die Wette verloren hatte.

„Hier ist der Ring. Ein echter Diamantring. Für meine Erika.“ Er hielt Bruno das Schächtelchen hin. „Mach es auf und überzeug dich. Und hier ist die Quittung.“

Schweren Herzens lieferte Bruno seinen Fünfziger ab, und Georg versuchte ihn zu trösten. „Hilft es dir, wenn ich dich zum Weihnachtsessen einlade? Erika macht den Zander, den ich im Herbst gefangen habe.“

„Da sage ich nicht nein. Aber verrat mir doch mal, wie du auf diesen Dreh gekommen bist.

Georg wiegelte ab. „Ein bisschen Mathematik, ein bisschen Juristerei und ein Schuss Logik. Mehr musst du nicht wissen.“



Ein letztes Mal suchte Georg den Juwelier auf. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie nochmals belästigte. Ich wollte meine Schulden bezahlen“, sagte er mit einem Grinsen auf den Lippen und hielt ihm den 50-Euro-Schein hin, den er soeben gewonnen hatte. Es ist nicht meine Art, ein Geschenk, mit dem ich meiner großen Liebe eine Freude machen will, auf eine solche Art zu ergaunern. Bitte nehmen Sie den Schein an, und entschuldigen Sie, dass ich Sie so unfein überrumpelt habe.“

Herr Heinle, der ältere Herr hinter der Theke, schaute ihn mit offenem Mund an, legte seine Hand auf den Schein und schob ihn langsam über den Tresen auf Georg zu. „Ach wissen Sie“, begann er in einem Ton, der Mitgefühl verriet. „Ich stehe doch nur hier drin, weil ich nichts anderes zu tun habe. Das Geld brauche ich schon längst nicht mehr. Erben habe ich nicht, deshalb spielen Geschäfte nicht mehr eine so große Rolle für mich. Ich möchte Sie etwas wissen lassen: So lange ich diesen Geschäft betreibe, habe ich noch nie jemanden bedient, der mit soviel Herzblut um ein Geschenk für seine Frau gekämpft hat. Tun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie den Schein und gehen Sie mit Ihrer Gattin essen.“





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