Vitelli
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Helden sterben einsam. Selbst wenn sie dabei nicht allein sind.
Lollo starb mit 43 Jahren. Ich werde nächstes Jahr 43, vielleicht denke ich deshalb an ihn. Vielleicht steckt aber auch mehr dahinter.
Er sagte, er wolle sich einweisen lassen. Gleich morgen. Und er schien es diesmal ernst zu meinen. Was nur komisch war: Er bat seine Mutter, meine Oma, ihm diese Nacht beizustehen. Und meine Oma bat mich – ich weiß nicht mehr warum -, sie zu begleiten.
Also saßen wir zu dritt in dem schönen Wohnzimmer. Aber warum wollte er, dass seine Mutter zu ihm kommt? Wusste er, dass er sterben wird?
Ich betrachte die Bilder an den Wänden. Sie zeigten ihn zusammen mit seiner Familie und dem Hund. Auf anderen war er mit seinen Arbeitskollegen abgebildet. Und er schien glücklich zu sein. Nun hatte er nichts mehr von alledem. Stattdessen sprach er mit imaginären Gauklern und beklatschte ihre Kunststücke. Meine Oma, die strickte, sagte, ich solle es einfach ignorieren. Doch dann, wie aus dem Nichts, verschlechterte sich seine Laune; er sah missmutig zur Seite. Ich folgte seinem Blick und betrachte die kahle Wand. Er lehnte sich zu mir und flüsterte, dass er ihn nicht ausstehen könne. „Wen?“, wollte ich wissen. Und er erzählte mir von dem Gaukler, der nicht sprach. Der nur oben in der Ecke säße und ihn die ganze Zeit über anstarre. „Warum sagt er nichts, Jan? Warum sitzt er nur da?“ Ich hatte keine Antwort darauf. „Ignorieren“, sagte meine Oma zwischen zwei Maschen und ohne aufzusehen.
Lollo stand auf. Sagte, er müsse zur Toilette. Mit einem Kopfnicken gab meine Oma mir zur verstehen, dass ich ihm folgen sollte. Er ging aber nicht ins Bad, sondern in die Küche. Er öffnete die Kühlschranktür und trank eine dreiviertel Wodkaflasche in einem Zug – mit einer perversen Faszination beobachtete ich ihn dabei. Im Flur brach er dann zusammen und blieb regungslos liegen. Ich rief den Notarzt; er starb ein paar Tage später im Krankenhaus.
Die Sozialwissenschaft sagt sinngemäß, dass sich im eigenen Verhalten die Wahrnehmung der Welt widerspiegle. Und bis heute frage ich mich, was mein Onkel, der intelligenteste Mensch, den ich jemals kannte, in dieser Welt gesehen hat, dass er kein Teil von ihr sein wollte.
Lollo starb mit 43 Jahren. Ich werde nächstes Jahr 43, vielleicht denke ich deshalb an ihn. Vielleicht steckt aber auch mehr dahinter.
Er sagte, er wolle sich einweisen lassen. Gleich morgen. Und er schien es diesmal ernst zu meinen. Was nur komisch war: Er bat seine Mutter, meine Oma, ihm diese Nacht beizustehen. Und meine Oma bat mich – ich weiß nicht mehr warum -, sie zu begleiten.
Also saßen wir zu dritt in dem schönen Wohnzimmer. Aber warum wollte er, dass seine Mutter zu ihm kommt? Wusste er, dass er sterben wird?
Ich betrachte die Bilder an den Wänden. Sie zeigten ihn zusammen mit seiner Familie und dem Hund. Auf anderen war er mit seinen Arbeitskollegen abgebildet. Und er schien glücklich zu sein. Nun hatte er nichts mehr von alledem. Stattdessen sprach er mit imaginären Gauklern und beklatschte ihre Kunststücke. Meine Oma, die strickte, sagte, ich solle es einfach ignorieren. Doch dann, wie aus dem Nichts, verschlechterte sich seine Laune; er sah missmutig zur Seite. Ich folgte seinem Blick und betrachte die kahle Wand. Er lehnte sich zu mir und flüsterte, dass er ihn nicht ausstehen könne. „Wen?“, wollte ich wissen. Und er erzählte mir von dem Gaukler, der nicht sprach. Der nur oben in der Ecke säße und ihn die ganze Zeit über anstarre. „Warum sagt er nichts, Jan? Warum sitzt er nur da?“ Ich hatte keine Antwort darauf. „Ignorieren“, sagte meine Oma zwischen zwei Maschen und ohne aufzusehen.
Lollo stand auf. Sagte, er müsse zur Toilette. Mit einem Kopfnicken gab meine Oma mir zur verstehen, dass ich ihm folgen sollte. Er ging aber nicht ins Bad, sondern in die Küche. Er öffnete die Kühlschranktür und trank eine dreiviertel Wodkaflasche in einem Zug – mit einer perversen Faszination beobachtete ich ihn dabei. Im Flur brach er dann zusammen und blieb regungslos liegen. Ich rief den Notarzt; er starb ein paar Tage später im Krankenhaus.
Die Sozialwissenschaft sagt sinngemäß, dass sich im eigenen Verhalten die Wahrnehmung der Welt widerspiegle. Und bis heute frage ich mich, was mein Onkel, der intelligenteste Mensch, den ich jemals kannte, in dieser Welt gesehen hat, dass er kein Teil von ihr sein wollte.
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