Ein törichter Traum

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Ich schaue aus dem Fenster.
Anfang Dezember, ringsum alles mausegrau.
Sämtliche Farben ertrunken im Nebel.
Ich schaue in die leere Kaffeetasse
und habe plötzlich einen wunderbaren Traum:
Ein bisschen heile Welt,
ein bisschen heile Welt,
wie schön und beruhigend das doch wär!
Welch herrlicher wärmender Gedanke
nur eine einzige Minute lang!
Dann ist er da, dann ist er wach,
mein Verstand.
Und ich schäme mich.
Denn ich weiß natürlich ganz genau,
allein im Märchen gibt es das –
eine gute heile Welt.
Aber auch nur deshalb,
weil freundliche Zauberer und Feen
das Gute behüten und die Menschen
vor dem Bösen bewahren.
Eine heile Welt durch mächtige Zauberhände
heißt für unser menschliches Potential
Stillstand und Stagnation!
Wie langweilig und gefährlich das doch wär!
 

aliceg

Mitglied
Liebe Herbst Zeitlose,

Interessante Schlussfolgerung bei deinem Gedicht, das zum Nachdenken anregt. Diesen Schluss erwartet man nicht am Beginn.
Das ist es wohl, was manche Menschen bei einem jenseitigen Leben befürchten: endlose Langeweile, daher wäre ihnen
das Nichts lieber.
Liebe Adventgrüße,
aliceg
 

fee_reloaded

Mitglied
Servus, Herbst Zeitlose!

Auch mich hat die Schlussfolgerung überrascht und ich finde sie spannend (und auch sehr richtig).

Der Schluss ist es auch, der mich annehmen lässt, dass der Text davor bewusst so gestaltet ist, dass man eben überrascht wird, weil man davor von all dem "An-Magie-Glauben-Wollen-und-an-die-heile-Welt-als-eine-reale-Möglichkeit" und dieses Ach und Seufz so ein wenig auf die falsche Fährte gelockt wird. Das finde ich eine feine Sache.
Für mein Empfinden ist das "Davor" bloß einen Ticken zu unentschlossen formuliert und auch zu lang bzw. langatmig...manches könnte man da einkürzen und/oder noch überzeichneter in knapperer Form bringen, um den Moment dieses "Aufwachens" und die letztliche Schlussfolgerung noch besser in Szene zu setzen.

Dass LyrIch sich schämt ob seiner Überlegung, finde ich als Gefühl fast zu stark. Ja, etwas peinlich kann einem das schon sein, weil man sich erlaubt hat, sehr kindlich und unkompliziert zu denken, aber Scham bräuchte es mMn nicht zu empfinden.
Und drückt nicht dieses beinahe kindliche Magie-Denken und -Hoffen auch unser Bedürfnis nach Vereinfachung in unseren Leben aus? Ein sehr natürliches und nachvollziehbares Bedürfnis, das wir sicher alle ab und zu verspüren, wenn uns der Alltag wieder in der Mangel hat.

Gerne gelesen!

LG,
fee
 
Liebe aliceg, liebe fee,
danke für eure freundlichen Kommentare. Für mich ist es manchmal noch erstaunlich aber sehr schön, welche Gedanken die Leser haben, wenn sie die Werke interpretieren. Genau das zu erfahren, ist ja der Wert von Portalen. Ob ein Gefühl zu stark erscheint oder eine Passage zu lang oder zu kurz, na ja, das ist doch abhängig vom jeweiligen Leser. Der Autor schreibt es so, wie er selbst es empfindet. Für mich ist das immer das Maß der Dinge. Diskussionswürdig finde ich z.B. eher die Frage nach der Bedeutung von 'heile Welt' bzw. warum die Wortwahl erfolgte. Ich habe den Begriff gewählt, um umgekehrt alles fassen zu können, was für mich nicht heil ist: umweltpolitisch, energiepolitisch, sozialpolitisch, bezüglich des Krieges in der Ukraine, weltpolitisch.... Für Jeden ist das speziell und anders. Der Begriff wurde von mir gewählt, um überhaupt dieses Thema kompakt erstellen zu können und auch zu ermöglichen, dass jeder sich selbst gedanklich wiederfinden kann in der Vorstellung von seiner heilen Welt. LG Herbst Zeitlose
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Herbst Zeitlose,

erst einmal: Frohes Neues Jahr!

Ein stimmungsvollerText. Ich finde übrigens anders als Fee das Verhältnis von 'Traum' und Pointe ausgewogen und wüßte auch nicht, wo man da kürzen sollte (sorry Fee :)).
Ich frage mich nur, warum
Ein bisschen heile Welt
doppelt da steht. Ich lese es schon als eine Art Stoßseufzer, aber die Doppelung ist nicht unbedingt eine Verstärkung.

Und dann möchte ich noch darauf hinweisen, dass
Stillstand und Stagnation
Synonyme sind. Ich würde für eines von beiden eine andere Konsequenz verwenden.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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