Ein Vampirmädchen namens Rosalie

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Hagen

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Ein Vampirmädchen namens Rosalie



Kurz nachdem ich das Badezimmer neu verfliest hatte, stellte ich, als ich von einem längeren Besuch des Job-Centers heimkam, mit Befremden fest, dass meine Lebensgefährtin tatsächlich Ernst gemacht hatte mit ihrem Vorhaben, gemeinsam mit einem Guru in Gummersbach ein Meditationszentrum zu eröffnen. Ihre Klamotten, ihre Bücher und ihre über alle Maßen geliebte Reklamiere waren weg und ihr Schlüsselbund lag im Briefkasten.

Ich empfand es als normale männliche Reaktion daraufhin erstmal mit meinen Kumpels einen Pokerabend klarzumachen, sozusagen außer der Reihe, denn sonst pokerten wir einmal im Monat. Öfter duldete meine Lebensgefährtin das nicht, schon mal das Bier und die Steaks dafür zu beschaffen und sodann in die Kneipe zu gehen, wie es die großen Kollegen wie Hesse und Bukowski zu ihren Lebzeiten auch getan hatten.

Aber dann saß ich nur deprimiert an der Theke rum und überlegte, die Wohnung zu renovieren, um die Spuren meiner ehemaligen Lebensgefährtin nachhaltig zu beseitigen. Neben mir unterhielten sich zwei Herren über irgendetwas mit schwimmendem Estrich, eine ungeile Wirtin bierdeckelte vor sich hin, und die Musik war laut und ätzend. Nicht gerade die gehobene Atmosphäre zum Dableiben und Wohlfühlen!

Ich wollte gerade meine beiden Biere bezahlen und nach Hause gehen, als die Frau förmlich in die Kneipe geschwebt kam und sich ohne Umschweife auf den freien Platz neben mir setzte.

Ich entschloss mich ruckartig doch noch ein Weilchen zu bleiben und nur mal so anzutesten, ob ich trotz meiner desolaten Gemütslage noch zu einer normalen Unterhaltung fähig war; - im Sinne der kulturellen Erweiterung der Lebensfreude eine gepflegte Konversation zu führen.

Ich lud sie mit dem intelligenten Spruch: „Wie schön dass sie hier sind. Was trinken wir?“ zu einem Drink ein. Sie wollte eine ‘Bloody Mary‘.

Na, gut. Opfer müssen gebracht werden, zudem sah die Frau so gut aus, dass sich eine Belastung meines Kontos bis zur Dehngrenze gelohnt hätte. Lange, schwarze Haare, mandelförmige Augen, ein sinnlicher Mund und eine Figur, die einem normalen Mann glatt den Atem in den Schlund zurück schlagen konnte wie der Backdraft einer Rauchgasexplosion in einer Ölraffinerie.

„Ich habe noch ein paar Steaks im Kühlschrank“, sagte ich nach einigen gängigen Komplimenten, zwei weiteren Drinks und einer Weile Smalltalk, „dürfte ich sie zu einem Solchen einladen? Meine Steaks sind weltberühmt.“

„Gerne“, antwortete sie in Begleitung eines zauberhaften Augenaufschlags, „darf ich meins auch roh essen? Ich mag es recht schön blutig am liebsten.“

„Wenn sie möchten, gerne. Aber verlangen sie bitte nicht, dass ich es ihnen vorher weichreite, wie es derzeit die Tataren taten.“

„Muss nicht sein“, lächelte sie und zeigte mir dabei ihre langen, spitzen Augenzähne.

Mir wurde etwas hohl in der Magengegend, aber die Bloody Marys sollten nicht durchs Klo gespült sein. Ich drückte schweren Herzens die Rechnung ab während die Wirtin ein hämisches Grinsen durch ihre Zahnlücke quetschte und half der schönen Frau in ihren langen, schwarzen Mantel.

„Kann es sein, dass du ein Vampir bist?“, fragte ich vorsichtig als wir in die Vollmondnacht hinaustraten.

„Natürlich bin ich ein Vampir!“, lächelte sie und fuhr sich mit der Zunge über Spitzen ihrer Augenzähne.

„Wenn das so ist, sollte ich mich besser gleich mit einer silbernen Kugel erschießen!“

„Das wirkt bei mir nicht, das funktioniert nur bei Werwölfen!“

Sie ließ ihre langen Zähne lächelnd im Mondlicht blinken.

Ich deutete auf einen Penner, der leicht angesoffen an einen Hauswand lehnte.

„Wenn das so ist, denn saug jenem doch mal das Blut aus.“

„Bist du verrückt? Da werde ich ja auch besoffen! Kein Vampir, der was auf sich hält, beißt einen Beschickerten. Wusstest du das Nicht?“

„Naja, man lernt nie aus. – Aber pfählen hilft im Notfall, nicht wahr?“

„Wie willst du mich denn pfählen, mein Lieber?“

Wieder ließ sie ihre Zähne im Mondlicht blinken.

„Meinst du, du kriegst heutzutage auch nur ein Bäumchen gefällt oder auch nur einen Ast abgebrochen um daraus einen Pfahl zu schnitzen, bevor nicht irgendwelche Umweltschützer angelaufen kommen und Zeter und Mordio schreien?“

„Och, ich hab im Keller sonen alten Küchenstuhl, da breche ich dann ein Bein ab, das kriegen wir schon hin. Ich wollte meinen Keller sowieso entrümpeln.“

„So, so! Und wo willst du die Erde hernehmen?“

„Welche Erde?“

„Na, der Pfahl muss anschließend in die Erde, sonst nützt es nichts, und du hast nur mein Kleid ruiniert.“

„Möglicherweise pumpt mir meine Nachbarin, Frau Nimmergut mal kurz ihren Azaleentopf:“

„Frau Nimmergut wird dir was erzählen, wenn du ihr die Azaleen zerdrückt wiedergibst. Du wirst ihr das erklären müssen! – Zudem werde ich bestimmt nicht stillhalten, wenn du mich auf den Azaleentopf bugsierst.“

„Ich sage Frau Nimmergut einfach, dass ich einen Vampir gepfählt habe. Sowas kommt vor; - zumindest in guten Filmen.“

„Frau Nimmergut wird bestimmt ein paar Herren anrufen, die sone verkehrt rumme Jacke mit haben, in der man sich nur schwer bewegen kann. Die gucken zwar immer ganz freundlich, nehmen dich dann aber mit, und du musst ganz viele Fragen beantworten wie: ‚Kann es sein, dass sie in der letzten Zeit zu viele Vampir-Filme gesehen haben‘?“

Ich fügte mich in das Unvermeidliche, denn in dem Sand auf dem Kinderspielplatz auf dem Weg nach Hause hätte es auch nicht so recht funktioniert. Aber egal, die Frau sah gut aus, war auch nicht dumm, wie ich annahm, und für einen One-night-stand würde es schon reichen und dann würde man weiter sehen; - ob Vampir oder nicht.

Ich beschloss die Sache positiv anzugehen.

Die Nacht, durch die wir die wenigen Bierdeckelwürfe weit zu mir nach Hause gingen, war wie geschaffen für Vampire. Nebel krochen wabernd zwischen den unordentlich geparkten Autos umher und das Echo unserer Schritte auf dem Betonbelag kehrte hundertfach zu uns zurück. Sogar Fledermäuse waren unterwegs und das Mädchen unterhielt sich ab und zu mit ihnen. Es deutete alles darauf hin, dass ich es tatsächlich mit einem echten Vampir zu tun hatte, und mir wurde wieder etwas hohl in der Magengegend. Aber egal, da musste ich durch!

Zuhause angekommen machten wir uns erst mal über meinen Kühlschrank her, und das Mädchen verzehrte ihr Steak tatsächlich roh. Aber das tat sie mit so viel Niveau, dass mir nicht mal schlecht wurde, allerdings entwickelte ich keinen sonderlichen Appetit.

„Möchtest du meins auch?“, fragte ich, „ich muss morgen sowieso nochmal los und Steaks für meine Kumpels holen. Wir treffen uns nämlich Morgen zu einem zünftigen Pokerabend. – Ich hoffe, du bist dabei.“

„Kein Problem. – Kann ich jetzt noch ein Steak haben? Ich hatte lange keine Gelegenheit, jemanden zu beißen und ihm das Blut auszusaugen. – Weißt du, ich habe mal einen Fischer gebissen; - nie wieder sage ich dir, der schmeckte nach Fischmehl! Echt grauenhaft.“

Sie biss herzhaft in ihr Steak.

„Möchtest du vielleicht etwas Salz, Pfeffer oder Knoblauch?“

„IIIIIh! Geh mir mit dem Knoblauch weg! Du weißt doch, dass Vampire keinen Knoblauch ab können!“

„Ach so, war mir entfallen. – Möchtest du eine Scheibe Blutwurst als Dessert?“

„Traumhaft. – Darf ich eine Weile bei dir bleiben?“

„Natürlich. Du musst mir allerdings versprechen, dass du mich nicht beißt.“

„Ist versprochen, wenn du den Knoblauch raus schmeißt.“

Es hatte schon Vorteile, ein Vampirmädchen zu Hause zu haben, weil Vampire kein Tageslicht abkönnen. So würde sie ungesehen von den Nachbarrinnen im Haus weilen, nicht dass es nachher hieß:

‚Kaum ist die eine Frau weg, schon hat er eine Neue. Dabei ist der arbeitslos. Wenn das man gutgeht‘! oder so ähnlich, aber im Grunde war mir das egal.

„Okay – Ich habe, wie gesagt, morgen ein paar Kumpels da, zum Pokern. Würdest du die freundlicherweise auch nicht beißen?“

Sie nickte und wollte dann noch etwas fernsehen, zum Glück gab es noch einen historischen Gruselfilm ‚Nacht der reitenden Leichen‘ oder so ähnlich, jedenfalls tauchten anschließend – ich war mal wieder mal bei der Arbeit an meinem großen Deutschlandroman am Computer eingepennt; - passiert mir immer wieder wenn ich richtige Literatur mit klassischem Satzbau mache – die ersten ernstzunehmenden Probleme auf: Sie wollte einen Sarg zum Schlafen.

„Hast du etwa keinen Sarg?“, fragte ich. „Ich dachte immer, alle Vampire haben einen Privatsarg.“

„Ich habe ja einen Sarg, aber da komme ich momentan nicht dran. Der steht noch in dem Spitzbunker bei dem Bahnbetriebswerk, oder wie das heißt. Weißt du, da kamen gestern son paar Leute rein und stellten ihre Farbtöpfe ab. Die wollten den wohl bemalen, wie das jetzt modern ist. Dabei haben die meinen Sarg gefunden. Glücklicherweise konnte ich mich noch schnell in eine Fledermaus verwandeln und mich bis zum Einbruch der Dunkelheit verstecken. Ich bin dann raus und wusste erst mal nicht wohin. Glücklicherweise habe ich dich dann kennen gelernt. – Schade, es war so ein schönes dumpfes und dunkles Gemäuer mit Spinnen und Ratten. Wo findet man als Vampir heutzutage noch eine anständige Gruft, in der man tagsüber liegen kann? – Nirgends! – Es ist eine Schande! Wird alles wegsaniert.“

„Ergreife doch mal die Initiative und organisier eine Demo“, sagte ich und begann Kaffee zu kochen, „willst du auch einen Kaffee?“

„Nein, ich trinke keinen Kaffee. Ich kriege dann immer Probleme mit meinen Zähnen an der Tasse. – Du könntest mir eigentlich ein bisschen Blut besorgen, körperwarm. Hast du eine Thermosflasche?“

„Bei dir piept’s wohl! Blut inner Thermosflasche, wo ich sonst meinen Kaffee rein tue!“

Das Mädchen lächelte mit blitzenden Augenzähnen, und klimpernden Augenlidern.

„Okay“, lenkte ich ein, „wir waren bei der Demo.“

„Tja, eine Demo haben wir von der Liga der freien Vampire und Blutsauger schon mal organisiert, das war aber kein überwältigender Erfolg. Wer achtet schon nachts wenn alles dunkel ist auf eine Demonstration? Kein Mensch! Tagsüber geht’s ja nicht, weil Vampire kein Tageslicht ab können.“

„Hm, das ist in der Tat ein echtes Problem. – Habt ihr es denn schon mal in Brüssel versucht? Ich meine, statistisch gesehen seid ihr ja eine Minderheit, da könnte man rein politisch doch war draus machen! – Die haben so viele Bauwerke subventioniert, die jetzt leer stehen, da kann man das eine oder andere doch mal als Gruft für Vampire umrüsten…“

„Haben wir auch schon probiert! Da muss man letztendlich persönlich vorsprechen, und die Dienstzeiten sind nur tagsüber. Die EG-Typen machen auch keine Ausnahmen, weil sie abends gesellschaftliche Verpflichtungen haben. – Aber ich brauche einen Sarg bevor es Tag wird! – Den besorgst du mir doch als Kavalier?!“

„Wo soll ich denn jetzt einen Sarg hernehmen?“

„Kannst du nicht deinen Kleiderschrank ausräumen und auf den Boden legen?“

„Nix da. Der Schrank bleibt stehen! – Kannst du dich nicht wieder in eine Fledermaus verwandeln und im Klo an die Lampe hängen? Da kommt nie Tageslicht rein.“

„Ach Mensch, ich hab‘ noch so einen Muskelkater vom letzten Tag, ich muss unbedingt mal wieder liegen. Schließlich bin ich schon fünfhundert Jahre alt, da geht das Hängen nicht mehr zu gut. – Sei ein Schatz und lass mich im Schrank liegen.“

„Du, das fällt mir gerade ein, ich habe Rollladen! – Die habe ich aber noch nie benutzt, deshalb habe ich das auch vergessen.“

„Warum das denn?“

„Also erstens hatte meine vorige Lebensgefährtin Angst im Dunkeln; - ich meine wenn es total düster ist, ein Wenig kommt ja noch von der Straßenlaterne rein, aber das Schlimmste ist, dass die um acht hochgehen müssen, was mir gar nicht recht ist, da lasse ich die lieber gleich offen.“

„Wie“?

„Naja, Frau – wie heißt sie denn noch gleich? – na, ist egal, sie ist jedenfalls Türkin aber ihr Name ist ohne ‘Ü‘, was schon seltsam ist, ruft dann immer gleich die Polizei, weil sie glaubt, hier wäre ein Mord passiert, oder sowas. Und Frau Nimmergut hält frühes Aufstehen für eine Tugend, kommt dann rüber und fragt, ob alles in Ordnung ist, und mit Sprüchen wie: ‘Der frühe Vogel fängt den Wurm‘ oder ‘eine Stunde eher aufstehen, heißt ein Stunde eher durchs Ziel gehen‘ und son Blödsinn. Da lasse ich die Dinger doch gleich offen. – Du verstehst?“

„Natürlich. – Aber heute lässt du sie runter, ja?“

„Na klar. Mit Frau Nimmergut lass‘ ich mir noch was einfallen. Und jetzt brauch ich erst noch einen Kaffee.“

„Vergiss nicht, mir Blut zu holen! – Du hast es versprochen; - genau wie ich dir versprochen habe, dich nicht zu beißen.“

Was half’s?

Nichts half’s. Ich holte die Thermoskanne hervor, trank noch einen Kaffee und ließ die Rollläden herunter.



Die Jungs vom Schlachthof waren etwas irritiert, schließlich kommt es ja nicht alle Tage vor, dass einer mit einer Thermosflasche ankommt und frisches Blut für seinen Vampir will, noch dazu in aller Frühe. Aber als ich ihnen sagte, dass ich Schriftsteller sei und an einem Horrorroman arbeiten würde, und deshalb als Muse ein echtes Vamirmädchen zuhause hatte, erlaubten sie mir, meine Thermoskanne unter eine tote Kuh zu halten; - ich bestand auf einer Kuh, da ich nicht wusste, ob die Dame nicht irgendwie jüdische Vorfahren hatte. Mich nervte nur, dass die Jungs sich angrinsten und ihre Zeigefinger in Schläfenhöhe kreisen ließen.



Egal, ich kaufte noch Blutwurst vom Schlachter, der gerade aufgemacht hatte und füllte meinen Steakvorrat auf. Wir frühstückten gemeinsam, sie trank tatsächlich statt Kaffee Blut und die Blutwurstbrötchen mundeten ihr ausgezeichnet.

Anschließend ging sie ins Bett und verfiel sofort in eine seltsame Starre, die mir die Lust auf jegliche sexuelle Aktivitäten nahm. Aber morgen war ja auch noch ein Tag, ich war ziemlich kaputt und dann stand noch der Pokerabend mit meinen Kumpels an.

Da war Heiko. Heiko machte derzeit eine Umschulung zum Klempner, während seine Freundin den Jakobsweg entlangdackelte. Sie meldete sich ab und zu mal, aber immer seltener, was ich für sehr bedenklich hielt. Schließlich hatte es bei meiner Lebensgefährtin auch so ähnlich angefangen. Aber Heiko sah das anders.

„Ich ziehe meine Umschulung ohne Damenbehinderung durch,“ meinte er. Anschließend bekomme ich eine Urkunde mit der ich mich bewerben kann. Was hat sie anschließend? Eine Compostela! Die kann sie sich an die Wand nageln. Die Compostela ist eine Urkunde für religiös motivierte Pilger, die ihnen den Besuch der Kathedrale von Santiago de Compostela und damit das Ende ihrer Wallfahrt auf dem Jakobsweg bescheinigt. Ebenso gut kann sie in der Eifel rumlaufen, und die ganze Geschichte bei Bedarf abbrechen und hat’s nicht soweit nach Hause. Aber dann gibt’s keine Compostela. Muss sie wissen, und nun gib mal ein Bier.“

Da war noch Eberhard. Eberhard war wegen seiner zahlreichen Phobien schon geraume Zeit arbeitslos und versuchte als Schriftsteller bei diversen Verlagen einen Fuß in die Tür zu kriegen; - wenn da nicht die Neoorthographogermanophobie wäre.

Dieser Phobiker fürchtet sich nämlich panisch vor der neuen Rechtschreibung. Hinzu kommt noch, dass er unter Sesquipedalophobie litt einer Phobie, die sich dahingehend äußerte, dass er unter schrecklich langen Wörtern litt, was sich nicht gerade als förderlich für seine Werdegang als Romancier erwies; - oder vielleicht doch?

Wer weiß das schon?

Aber das Ding mit der Ideophobie beobachtete ich mit Sorge im Hinblick auf seine Schriftstellerkariere. Die Ideophobie bezeichnet die krankhaft gesteigerte Furcht vor Ideen, Einfällen oder Gedanken zu bestimmten Themen. Der Ideophobiker versucht sich daher durch Ablenkung davon abzubringen, dass er seinen Geist und seine Schöpferkraft, die für die Entwicklung als Schriftsteller wichtig sind, in bestimmte Richtungen treibt.

Auch nicht sonderlich dienlich für einen Bücherschreiber, aber Eberhard war recht munter dabei, glaubte felsenfest daran, eines Tages ein bekannter Schriftsteller zu werden, weigerte sich beharrlich irgendwelche Medikamente zu nehmen, verschliss einen Psychiater nach dem anderen und wollte auch erst mal ein Bier.

Schließlich war da noch Hans-Jürgen. Hans-Jürgen hatte als einziger einen festen Job bei einer Rohrreinigungsfirma und das war’s auch schon. Keine Freundin, kein Auto, wohnte noch bei seiner Mutter und hatte keine Hobbies, ging nicht zum Fußball; - brachte aber immer gut Bier mit. Das war’s eigentlich schon, deshalb kommt er auch in dieser Geschichte nicht weiter vor.



Frau Nimmergut kam glücklicherweise nicht entlang und der Pokerabend mit meinen Kumpels ließ sich dynamisch an. Sie stellte sich vor, Rosalie, schmierte uns Blutwurstbrote, zeigte ihre Vampirzähne rum und verwandelte sich auf meine Bitte hin kurz in eine Fledermaus. Ging alles glatt durch, und als wir gegen Mitternacht wie üblich Steaks aßen und sie das ihre roh verzehrte, wurde Eberhard schlecht; - genau wie damals, als wir wegen einer blödsinnigen Wette bei diesem ‘Modern Talking Konzert‘ gewesen waren.

Aber egal, Rosalie zeigte sich durchaus geneigt für ihn einzuspringen, aber erst nachdem wir die Kreuze auf den Spielkarten sorgsam mit Filzstift übermalt hatten. Das wiederum brachte Heiko auf eine seiner ebenso dummen wie gefürchteten Ideen: Er zeigte Rosalie sein kleines Kreuz, welches er um den Hals trug.

Die arme Rosalie bekam fast einen Herzinfarkt, überprüfte nochmal die heruntergelassenen Rollläden und musste ins Bett.

Ich schmiss die Bande raus und legte mich dazu, um beruhigend auf sie einzuwirken.

Aus dem beruhigendem Einwirken wurde allerdings nicht so recht was, denn Rosalie verbreitete einen Geruch, der mich an den im Inneren eines U-Bootes sowjetischer Bauart erinnerte.

„Soll ich dir ein Bad einlassen?“, fragte ich vorsichtig.

„Willst du mich umbringen?“

„Aber nein, mein Schatz, wieso denn?“

„Vampire ertrinken in klarem Wasser! Wusstest du das nicht?“

„Oh je, hast du dich etwa noch nie gewaschen?“

„Doch, sicher. Seit diese Umweltverschmutzung um sich greift, können selbst Vampire in Flüssen baden. Allerdings muss man aufpassen, sich nicht zu vergiften.“

Was half’s?

Am nächsten Tag kaufte ich Unmengen von Badesalz und trübte ihr damit das Wasser ein. Bevor sie allerdings in die Wanne stieg, überprüfte sie die Rollläden und schickte mich wieder zum Schlachthof.



Als ich wieder kam, lief ich Frau Nimmergut und der Frau, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, über den Weg, als sie gerade bei mir klingeln wollten.

„Es ist alles in Ordnung mit mir“, sagte ich, „früh aufstehen ist toll. Die Rollläden mache ich nicht mehr hoch, da ich mich als Schriftsteller versuche und an einem Viampirroman arbeite. Das geht im Dunkeln am besten, sie verstehen?“

Die Frau an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, meinte, ich sollte mir lieber eine anständige Arbeit suchen, auf dem Bau zum Beispiel, aber Frau Nimmergut gab mir ein paar Romanhefte zur Inspiration.

Die Sache ging also glatt durch, aber Rosalie verbrachte die folgende Nacht wie eine Diva auf dem Sofa liegend, Horrorfilme anschauend und rohe Steaks, natürlich die kostenintensiven BIO-Steaks, mit Blutwurst essend. Ich hatte mal ganz vorsichtig angefragt, ob es auch mal eine Pizza sein dürfe, aber sie hatte gemeint, dass sie sich überlegen würde, aber eine Blutwurst-Pizza müsse es schon sein. Da ging natürlich überhaupt nicht. Dass sie beim Essen aus meinen guten Cocktailgläsern Blut, dekoriert mit einer Cocktailkirsche, durch einen Trinkhalm zu sich nahm, war für sie selbstverständlich.

Am nächsten Morgen bleckte sie ihre Vampirzähne, erinnerte mich an den versprochenen Sarg, nur für den Fall, dass die Rollläden mal kaputt gehen würden, und daran, dass ich lange nicht mehr abgewaschen hatte, die geronnenen Blutreste in den Cocktailgläsern könne sie nicht so gut ab, und überhaupt sollte ich so einen Babyflaschenwärmer für das Blut mitbringen, wenn ich vom Schlachthof käme; - sprach‘s und verschwand im Bett, wo sie gleich in eine seltsame Starre verfiel.



Ich saß erst mal da, kam mir gefrustet vor und riss eine Dose Bier auf, obwohl ich normalerweise keinen Alkohol vor siebzehn Uhr verkoste. Den Verlauf dieser Beziehung hatte ich mir etwas anders vorgestellt, nicht so deserotisierend, aufreibend und kostenintensiv. Der Sarg, den ich Rosalie versprochen hatte, würde den gesamten Etat verzehren, den ich zur Renovierung der Wohnung zurückgelegt hatte, um die Spuren meiner vorigen Lebensgefährtin zu tilgen. Aber egal, ich dachtet sowieso nicht mehr an sie, da ich permanent für Rosalie zu tun hatte.

Die hätte eigentlich auch mal ein bisschen arbeiten können, durch ihre Fähigkeit, sich in eine Fledermaus zu verwandeln, hätte sie sicher beim Geheimdienst gute Chancen. Da ihr aber alle Papiere fehlten, existierte sie praktisch gar nicht. Dass, oder ähnliches hatten wir schon, als wir über Brüssel diskutierten.

Ich trank noch einen Schluck Bier, grübelte und dann fiel mir Heiko ein, dass er mitten in der Umschulung zum Klempner steckte und wie er den Pokerabend verbumfiedelt hatte und sich nie an der Beschaffung der Steaks beteiligt hatte, das ging immer alles zu meinen Lasten.

Ich rief ihn an, und fragte, ob er mir mal eben einen Zinksarg klempnern könne.

„Hast du jemanden umgebracht? Vielleicht unsere Bundeskanzlerin?“

„Du weißt genau, dass ich viel zu sensibel bin, viel zu emotional veranlagt jemanden umzubringen. Außerdem bin ich ein ordentlicher Staatsbürger, das weißt du auch. – Was ist nun mit dem Sarg? Ich habe Rosalie einen Sarg versprochen, du hast ja mitgekriegt, dass sie ein Vampir ist, und Vampire schlafen tagsüber bekanntlich in Särgen.“

„Aber doch nicht in Zinksärgen!“

„Wieso denn nicht? Zinksärge sind auch Särge – oder?“

„Na, gut. Aber wenn die Dame etwas ungehalten reagieren sollte, gib‘ bitte nicht mir die Schuld! Ich mache das, weil wir Kumpels sind. – Bis wann brauchst du das Ding?“

„Bis Einbruch der Dunkelheit, wir holen ihn dann ab.“

„Das wird etwas knapp.“

„Würde ein Fläschchen Bourbon die Sache denn etwas beschleunigen?“

„Ich denke doch.“ zu einer

„Fein, dann geht das also klar mit dem Sarg.“



Als es dunkel wurde, fuhr ich erst mit Rosalie zur Tanke, ein Fläschchen besorgen und dann zu Eberhard.

Eberhard hatte eine neue Phobie, er fühlte sich von einer Ente beobachtet und wollte uns zunächst nicht rein lassen, wegen seiner Anatidenphobie, aber als wir ihm glaubhaft versicherten, dass wir keine Ente mit hatten, weil Enten bekanntlich nach Einbruch der Dunkelheit schlafen, klappte es doch mit dem rein lassen und wir verknuckfiedelten ihm die Sache mit dem Sarg und dass wir dafür die Dachhalterung für sein Surfbrett brauchten.

Aber dann ging die Sache doch glatt durch und wir fuhren zu Heiko, den Sarg abholen und das Fläschchen übergeben.

Rosalie war zunächst gar nicht beeindruckt von dem Zinksarg und zickte rum, aber als ich ihr dann einen kleinen Vortrag hielt, über den momentanen Trend auf der Vampirszene, und kurz anklingen ließ, wie schlimm das immer noch sei, mit dem Waldsterben und dass man sich dem Fortschritt nicht in den Weg stellen dürfe und man eben flexibel sein müsse, schien sie einigermaßen beschwichtigt und lag mal Probe in dem Sarg. Allerdings ließ sie überschwänglichen Dank und angemessene Begeisterung vermissen.

Ich lud den Sarg also aufs Auto, und Rosalie in einer gehobenen Imbissbude zu einer Currywurst, rot wie Blut, und anschließend ins Autokino zu einem Zombiefilm, ein. Im Laufe der Zeit und einigen kaputten Beziehungen hatte ich nämlich ein feines Gespür für abbröckelnde Beziehungen entwickelt. Das konnte man wieder ausbügeln, wenn man die Frau zum Essen in gepflegter Atmosphäre und anschließend zu einem erbaulichen Film in einem niveauvollen Lichtspieltheater einlud.

Das ging auch noch glatt durch, aber als wir unterwegs zum Autokino waren, bat sie mich, das Bremer Kreuz, und Kreuzungen schlechthin, weiträumig zu umfahren, da sie keine Kreuze ab könnte.

Dank meiner ausgezeichneten Ortskenntnis schaffte ich es auch, und ich entschloss mich, sollten alle Stricke reißen, Taxifahrer zu werden. Aber das ist eine beziehungsweise mehrere andere Geschichten.

An der Kasse des Autokinos brauchte ich keinen Eintritt zu bezahlen, weil ich glaubhaft versichern konnte, dass der Sarg als Werbegag zu dem Zombiefilm bestellt worden sei. Das ging auch glatt durch und ich begann mir schon Sorgen zu machen, denn auf dem Rückweg gerieten wir in eine Verkehrskontrolle.

„Haben sie was getrunken?“, fragte einer der Polizisten, als er sich meine Papiere gründlich ansah.

„Nein“, antwortete ich.

„Ist das ein Sarg auf ihrem Wagen?“, bohrte der Beamte weiter.

„Ganz recht, ein Zinksarg. Ich habe unsere Bundeskanzlerin oder sonst eine Leiche da aber nicht drin. – Zudem ist der auch nicht größer als ein normaler Gepäckcontainer.“

„Hm. – Würden sie den Sarg mal öffnen?“

„Gerne. Würden sie mir dabei helfen?“

Der Wachtmeister überprüfte meine Aussage und half mir den Sarg wieder festzuschnallen.

„Was wollen sie denn mit dem Sarg?“ fragte der gute Mann.

„Och wissen sie, Herr Wachtmeister, ich habe da letztens ein entzückendes Vampirmädchen kennen gelernt. Da Vampire Tagsüber in Särgen schlafen, möchte ich ihr den Sarg zu ihrem fünfhundertsten Geburtstag schenken. Sie verstehen?“

„Ach ja?“

„Sie haben wohl gedacht, ich lüge sie an? Jeder, der mich kennt, weiß genau, dass ich niemals lüge! – Rosalie, komm doch bitte mal raus und zeig‘ dem Herrn Wachtmeister deine Zähne.“

Der Wachtmeister machte ein Gesicht wie eine schwangere Amöbe, nahm ganz langsam den Kopf herunter, sah in den Wagen und kam noch langsamer wieder hoch:

„Meinen sie etwa die Fledermaus?“, fragte er drohend.

Ich stand erst mal da wie ein Frosch im Eimer.

„ROSALIE!“, rief ich schließlich voller Verzweiflung, „lass‘ den Quatsch! Du bringst mich in Teufels Küche!“

Rosalie Reagierte nicht, sie blieb an dem Handgriff über dem Beifahrersitz hängen, bleckte ihre Zähne und grinste.

„So, so“, sagte der Wachtmeister, „sie lügen also nie! – Dann erklären sie mir mal, wie die Fledermaus fünfhundert Jahre alt werden konnte.“

„Ja, das ist eine interessante Frage! – Aber ich darf meine Fledermaus doch nennen wie ich will, oder?“

„Natürlich.“

„Und ich darf meine Fledermaus doch auch nachts im Auto spazieren fahren, oder? Sie verfliegt sich nämlich so leicht, und raus muss sie hin und wieder, sonst fällt ihr die Decke auf den Kopf. – Wir haben uns eben einen Zombiefilm angeschaut, nicht sehr empfehlenswert, schlecht getrickst, wir fühlten uns regelrecht verarscht! – Wer lässt sich schon gerne verarschen?“

„Willy“, rief der Wachtmeister gedehnt, „mach doch mal ein Röhrchen fertig!“

Ich pustete das Röhrchen voll und dachte dabei hart über mein weiteres Vorgehen nach, aber das einzige, was mir einfiel, war der Name der Frau, deren Namen ich mir nicht merken konnte: Golamasat, aber was nützte mir das jetzt?

Ich hoffte jedenfalls, dass sich das vorhin genossene Bier verflüchtigt hatte, und mir fiel nichts mehr ein. Bauchte es auch nicht, denn die beiden Wachtmeister steckten die Köpfe zusammen, und der, der mit einem Maßband rumgemacht hatte, rollte dieses zusammen und zuckte die Achseln. Dann kam der erste wieder, richtete seinen Schlips, zwinkerte mir zu und meine: „Nun mal ehrlich, wo ist die Kamera?“

„Welche Kamera?“

„Na, sie wissen schon! Und nix für ungut. Gute Fahrt weiterhin.“

Ich beeilte mich einzusteigen und wegzufahren.

Nach der nächsten Kurve saß die menschliche Rosalie wieder neben mir.

„Wenn du das nochmal machst, löte ich dir den Sarg zu!“, schnauzte ich sie an.

„Das war ja wohl der Gipfel, was du eben gebracht hast“, fauchte sie zurück, „dauernd führst du mich irgendwelchen Typen vor wie ein Zirkusäffchen! Ich bin nicht dazu da, um an deinem kaputten Image rumzupolieren!“

„Ach nee. Und wer fährt denn für dich jeden Tag zum Schlachthof, kauft dir einen Babyflaschenwärmer und besorgt dir täglich zwei BIO-Steaks? Wer denn wohl, häh? Von dem Sarg ganz zu schweigen! – Du wirst auf die Dauer ganz schön teuer! – Wenigstens in dieser Situation hättest du zu mir halten können, das wäre ja wohl das Mindeste gewesen!“

„Jetzt ist aber Schluss, du Chauvinist!“

„Okay, Okay, wenn dir alles nicht gefällt, kannst du gerne meinen Bleistiftspitzer haben, damit kannst du dir deine Zähne schärfen und dann wirst du mal wieder jemanden beißen.“

„Würdest du bitte mal anhalten, du Spießer? Ich will aussteigen!“

„Aber sehr gerne. Grüß‘ Dracula schön, wenn du ihn siehst, und verflieg‘ dich nicht!“

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Rosalie tatsächlich ernst machen würde, als ich anhielt. Aber sie stieg aus, warf mir noch einen bitterbösen Blick zu, den Kopf in den Nacken, verwandelte sich in eine Fledermaus und war einen Atemzug später in der Dunkelheit verschwunden.

Ich habe sie nie wieder gesehen.

 
Hallo Hagen,
auch diese Fortsetzung ist ganz witzig, aber ich muss gestehen, sie ist zu lang. So einige Dinge hättest Du sicher kürzer fassen können oder ganz weglassen.
Das Ende ist dann doch ein wenig tragisch ;)
Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 

Hagen

Mitglied
Hallo Rainer,
dicken Dank für den Sternensegen und das Lob.
Allerdings überlasse ich Happyends lieber Pilcher, Danella, Lind und co. - Ein tragisches Ende halte ich für Lebensnaher.
Schöne Grße,
wir lesen uns!
Herzlichst
Yours Hagen
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Die Wissenschaft hat keine moralische Dimension.
Sie ist wie ein Messer. Wenn man es einem Chirurgen und einem Mörder gibt, gebraucht es jeder auf seine Weise.
 



 
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